Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale
23. März 1987
1. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale grüßt die sowjetische Arbeiterklasse, die vor dem 70. Jahrestag der Oktoberrevolution steht, der größten Errungenschaft des Weltproletariats und dem größten Ereignis der Weltgeschichte.
Die Vierte Internationale verteidigt die Sowjetunion und die Errungenschaften des Oktober bedingungslos gegen den Imperialismus. Sie erklärt unzweideutig, dass diese Verteidigung nur durch die sozialistische Weltrevolution möglich ist, deren integraler Bestandteil die politische Revolution zum Sturz der konterrevolutionären Bürokratie ist, die gegenwärtig von Michail Gorbatschow angeführt wird.
Gorbatschows momentanes Glasnost-Reformprogramm, das von der bürgerlichen öffentlichen Meinung bejubelt und von allen revisionistischen Renegaten des Trotzkismus gefeiert wird, ändert diese historische Perspektive um kein Jota.
Gorbatschow repräsentiert nicht die sowjetischen Arbeiter und die Errungenschaften, die sie durch den Sturz des Zarismus und die Errichtung des ersten Arbeiterstaats gemacht haben, sondern die bürokratische Kaste, die der Arbeiterklasse die politische Macht entrissen hat. Er ist nicht der Erbe Lenins und Trotzkis, die die Revolution von 1917 geführt haben, sondern der ihres Totengräbers – Stalin. Er ist ein Produkt dieser Bürokratie, der er sein ganzes Leben lang gedient hat. Er ist in ihren Reihen aufgestiegen, abgesondert von den Massen, und gründlich von ihrer kleinbürgerlichen Feindschaft gegenüber der Arbeiterklasse durchdrungen.
Die gegenwärtige Politik Gorbatschows wird von den kapitalistischen Medien bejubelt, die den Chef der Kremlbürokratie zu ihrem Mann des Jahres gemacht haben. Das bekannte antikommunistische amerikanische »Time«-Magazin lobt Gorbatschows »Charmeoffensive« und erklärt: »Wie mit einem Zauberstab hat Gorbatschow die Kalte-Krieg-Karikatur der Sowjetunion hinweggewischt.« Die verschiedenen revisionistischen Tendenzen, die den Einfluss dieses bürgerlichen Medienwirbels weiterleiten und von ihren Eindrücken von Gorbatschows nationaler Politik ausgehen, weisen die von Trotzki entwickelte wissenschaftliche Analyse des Stalinismus zurück und spekulieren über die Möglichkeit einer Selbstreform der Bürokratie.
Die Vierte Internationale weist diese Behauptungen der bürgerlichen öffentlichen Meinung vollkommen zurück und entwickelt ihre eigene Analyse in direktem Gegensatz zu der antimarxistischen Methode der Revisionisten. Sie geht weder von Gorbatschows »Charme« aus noch von dieser oder jener seiner nationalen Maßnahmen, die das Ziel haben, sein krisengeschütteltes bürokratisches Regime zu retten. Unser Ausgangspunkt ist das internationale Proletariat und die sozialistische Weltrevolution. Gorbatschow und die Sowjetunion können nur aus dieser internationalen Perspektive und vom Standpunkt der Entstehung und Entwicklung des sowjetischen Staats und seiner späteren bürokratischen Degeneration verstanden werden.
2. Die Oktoberrevolution war der Auftakt zur Weltrevolution. Unter der Führung von Lenin und Trotzki und der Bolschewistischen Partei zeigte das russische Proletariat als Erstes der internationalen Arbeiterklasse den Weg zur Machtübernahme, nämlich durch die Zerschlagung des kapitalistischen Staatsapparats und die Errichtung der Diktatur des Proletariats auf der Grundlage von Sowjets (Arbeiterräten). Die Enteignung der Produktionsmittel und des Bodens und die Einführung des staatlichen Außenhandelsmonopols haben die größte gesellschaftliche Umwandlung in der Geschichte der Menschheit möglich gemacht.
Die enorme Entwicklung der Sowjetunion bezeugt die Überlegenheit der durch die Oktoberrevolution verstaatlichten Eigentumsverhältnisse über das veraltete bankrotte kapitalistische System, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht.
Befreit von Unterdrückung, Unwissenheit und Absolutismus haben die sowjetischen Massen außerordentliche Leistungen vollbracht – eine Planwirtschaft, eine der stärksten industriellen Mächte der Welt, beispiellose Entwicklungen in Wissenschaft, Kunst und Sport. Kein rückständiges kapitalistisches Land hat irgendetwas auch nur entfernt Vergleichbares erreicht.
Aber der Sozialismus ist noch nicht aufgebaut worden. Die Sowjetunion bleibt eine Gesellschaft im Übergang – weder kapitalistisch noch sozialistisch. Ihr Übergang zum Sozialismus kann nur durch den Sieg der sozialistischen Weltrevolution erreicht werden. Andernfalls droht der sowjetischen Arbeiterklasse unter der Herrschaft der Bürokratie die Gefahr der Beseitigung der Errungenschaften des Oktobers und die Wiederherstellung des Kapitalismus.
3. Für die Führer der Oktoberrevolution war die Errichtung der Sowjetmacht in Russland untrennbar mit dem Aufbau der Dritten (Kommunistischen) Internationale verbunden, um sie in internationalem Maßstab auszudehnen.
Der historische Widerspruch der Russischen Revolution besteht darin, dass die Weltentwicklung des Imperialismus die Bedingungen für die Machtergreifung des Proletariats nicht zuerst in den entwickelten imperialistischen Ländern Westeuropas und Nordamerikas schuf, sondern in einem durch extreme ökonomische Rückständigkeit gekennzeichneten Land. Diese Rückständigkeit, die unfähig war, die Last des ersten imperialistischen Kriegs (1914–1918) zu tragen, machte unter Bedingungen, unter denen die geschwächte Bourgeoisie nicht in der Lage war, die Aufgaben der demokratischen Revolution auszuführen, die Machtübernahme der Arbeiterklasse sowohl möglich als auch notwendig.
In Russland brach die imperialistische Kette, wie Lenin sagte, an ihrem schwächsten Glied. Aber, wie Lenin und die Bolschewisten ebenso betonten, bestand für die Russische Revolution der einzige Weg vorwärts in der Ausdehnung der sozialistischen Revolution auf die entwickelten kapitalistischen Länder und die ganze Welt.
Aber die Welle revolutionärer Aufstände, die dem Ende des Ersten Weltkriegs folgte, führte nicht zur Ausdehnung der Oktoberrevolution auf die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder. Die Arbeiterklasse wurde von der Sozialdemokratie verraten, die, angefangen mit 1918 in Deutschland, die Macht in die Hände der Bourgeoisie zurücklegte.
4. Die sowjetische Führung unter Lenin ging in ihrer nationalen Wirtschaftspolitik von der Ausdehnung der sozialistischen Revolution auf die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder und die Aussicht auf sozialistische Zusammenarbeit aus. Sie zog niemals die Möglichkeit des Aufbaus einer autarken sozialistischen Wirtschaft in den Grenzen des rückständigen Russlands in Betracht.
Nach dem Verrat und dem Abflauen der ersten Welle der revolutionären Kämpfe der Nachkriegszeit führte sie innenpolitisch einen taktischen Rückzug durch – den sie auch offen so bezeichnete – und ersetzte die Politik des »Kriegskommunismus« – der direkten Requirierung von Korn – durch die Neue Ökonomische Politik (NÖP). Dabei wurden den Bauern durch die Wiedereinführung des Markts für landwirtschaftliche Erzeugnisse begrenzte Zugeständnisse gemacht, während das staatliche Außenhandelsmonopol und die Verstaatlichung der Banken, der Grundindustrien und des Bodens aufrechterhalten wurden.
Für die bolschewistische Führung waren diese Zugeständnisse direkt mit einer übergreifenden Strategie der Weltrevolution verbunden. Wie Trotzki in einer Rede auf dem Vierten Kongress der Kommunistischen Internationale 1922 erklärte:
Die Neue Ökonomische Politik ist für ganz bestimmte, auf Zeit und Ort begrenzte Bedingungen berechnet. Es ist ein Manöver des Arbeiterstaats, der sich in kapitalistischer Umzingelung befindet und fest auf eine revolutionäre Entwicklung Europas rechnet … Die Neue Ökonomische Politik bedeutet nur eine Anpassung an das Tempo dieser Entwicklung.[1]
5. Um seine Wirtschaftspolitik zu rechtfertigen, hat Gorbatschow zynisch versucht, sie mit Lenins NÖP gleichzusetzen. Dieser Vergleich der heutigen Politik der Bürokratie – 70 Jahre nach der Revolution – mit der, die der sowjetische Staat unmittelbar nach einem Bürgerkrieg einführte, der Landwirtschaft und Industrie zum Erliegen brachte, ist ein Maßstab für die extreme Krise des Gorbatschow-Regimes.
Die Politik Lenins und die Gorbatschows stehen einander unversöhnlich gegenüber. Lenins Politik ging davon aus, der Sowjetunion das Überleben zu sichern, während er für den Aufbau der Kommunistischen Internationale und die Ausdehnung der Oktoberrevolution im Weltmaßstab kämpfte. Gorbatschows Politik ist auf der konterrevolutionären Perspektive des Sozialismus in einem Land begründet und direkt mit der verstärkten Zusammenarbeit der Bürokratie mit dem Imperialismus gegen die revolutionären Kämpfe in aller Welt verbunden.
Die Verzögerung der Weltrevolution fand ihren unvermeidlichen politischen Ausdruck in der Sowjetunion selbst. Die rückständige Wirtschaft des ersten Arbeiterstaats blieb isoliert und vom feindlichen Imperialismus umzingelt. Weil die Stärke der sowjetischen Arbeiterklasse durch die Jahre des Bürgerkriegs ausgezehrt war und die überwiegende Masse der Bevölkerung aus einer rückständigen Bauernschaft bestand, entwickelten sich bürokratische Deformationen im Staatsapparat.
Trotzki erklärte die objektive Ursache des Bürokratismus vom Standpunkt der Widersprüche der rückständigen Sowjetwirtschaft:
Die bürokratische Degenerierung des Sowjetstaats drückt nicht die allgemeine Gesetzmäßigkeit der modernen Gesellschaft vom Kapitalismus hin zum Sozialismus aus, sondern einen besonderen, außergewöhnlichen und vorübergehenden Bruch dieser Gesetze unter den Bedingungen eines rückständigen revolutionären Landes umgeben vom Kapitalismus. Der Mangel an Konsumgütern und der allgemeine Kampf, sie sich zu verschaffen, erzeugen einen Polizisten, der sich die Aufgabe der Verteilung anmaßt. Feindlicher Druck von außen erlegt dem Polizisten die Rolle des »Verteidigers« seines Landes auf, verleiht ihm nationale Autorität und erlaubt ihm, das Land doppelt auszuplündern.
Beide Bedingungen für die Allmacht der Bürokratie – die Rückständigkeit des Landes und die imperialistische Umzingelung – sind jedoch zeitlich befristet und vorübergehend und müssen mit dem Sieg der Weltrevolution verschwinden.[2]
Der erste Kampf gegen das Anwachsen der Bürokratisierung von Staat und Partei wurde von Lenin in einem Block mit Trotzki geführt. Nach Lenins Tod setzte die Linke Opposition diesen Kampf fort, als sie für eine Plattform mit dem Ziel kämpfte, die sowjetische Arbeiterklasse durch Industrialisierung und ökonomische Planung zu stärken und dem Bürokratismus in der Partei entgegenzutreten.
6. Die Niederlage der deutschen Revolution von 1923, als die deutsche Kommunistische Partei unter dem Einfluss der in der KPdSU herrschenden Troika, Stalin, Kamenew und Sinowjew, dabei versagte, den Kampf um die Macht zu organisieren, schwächte das Proletariat noch mehr und stärkte die kleinbürgerlichen Elemente, besonders im Staatsapparat.
Als sie im Herbst 1924 ihre »Theorie« vom »Sozialismus in einem Land« verkündeten, brachten Stalin und Bucharin direkt den Druck dieser sozialen Schichten zum Ausdruck, deren Hauptanliegen es war, ihre eigenen Privilegien auszudehnen. Sie nutzten dabei die Enttäuschung der sowjetischen Arbeiter über die Verzögerung der Revolution in Europa aus.
Die Formel des »Sozialismus in einem Land«, die eine grundlegende Revision des Marxismus und einen direkten Angriff auf Trotzkis Theorie der permanenten Revolution darstellte, beseitigte das Programm des internationalen revolutionären Kampfs des Proletariats und wurde zur Leitlinie der Bürokratie. Sie bleibt bis heute das grundlegende Programm Gorbatschows.
Trotzki erklärte, dass seine Theorie der permanenten Revolution folgende beiden grundsätzlichen Gedanken enthielt: »Erstens: Trotz der historischen Rückständigkeit Russlands kann die Revolution dem Proletariat dort früher die Macht in die Hände legen als in den fortgeschrittenen Ländern. Zweitens: Der Ausweg aus den Widersprüchen, welche die Diktatur des Proletariats in einem rückständigen Land befallen, das rings von einer Welt kapitalistischer Feinde umgeben ist, kann nur in der Arena der internationalen Revolution gefunden werden.«[3]
Indem sie diese Prinzipien angriffen, die durch die Oktoberrevolution selbst bestätigt worden waren, wandten sich Führer wie Stalin und Bucharin gegen das Proletariat und passten sich an den rechten Druck der Kulaken, der NÖP-Männer und der Bürokraten im Staatsapparat an.
7. Auf internationaler Ebene ermutigte die Ersetzung des Programms der Weltrevolution durch das des »Sozialismus in einem Land« das Anwachsen von Opportunismus auf der Grundlage nationalistischer Anschauungen, die der objektiven Entwicklung der Weltwirtschaft und damit den Interessen des sowjetischen und des Weltproletariats direkt entgegenliefen.
Wie Trotzki erklärte:
In unserer Epoche, welche die Epoche des Imperialismus, d. h. der Weltwirtschaft und der Weltpolitik unter der Herrschaft des Finanzkapitals ist, vermag keine einzige Kommunistische Partei ihr Programm lediglich oder vorwiegend aus den Bedingungen und Entwicklungstendenzen ihres eigenen Landes abzuleiten. Dasselbe gilt in vollem Umfang auch für die Partei, die innerhalb der UdSSR die Staatsmacht ausübt. Am 4. August 1914 hatte den nationalen Programmen unwiderruflich die letzte Stunde geschlagen. Die revolutionäre Partei des Proletariats kann sich nur auf ein internationales Programm stützen, welches dem Charakter der gegenwärtigen Epoche, der Epoche des Höhepunkts und Zusammenbruchs des Kapitalismus entspricht.
Ein internationales kommunistisches Programm ist auf keinen Fall eine Summe nationaler Programme oder eine Zusammenstellung deren gemeinsamer Züge. Ein internationales Programm muss unmittelbar aus der Analyse der Bedingungen und Tendenzen der Weltwirtschaft und des politischen Weltsystems als Ganzem hervorgehen, mit all ihren Verbindungen und Widersprüchen, d. h. mit der gegenseitigen antagonistischen Abhängigkeit ihrer einzelnen Teile. In der gegenwärtigen Epoche muss und kann die nationale Orientierung des Proletariats in noch viel größerem Maß als in der vergangenen nur aus der internationalen Orientierung hervorgehen und nicht umgekehrt. Darin besteht der grundlegende und ursächliche Unterschied zwischen der Kommunistischen Internationale und allen Abarten des nationalen Sozialismus.[4]
Die Perspektive der Bürokratie, dass die Widersprüche der Sowjetunion durch ein nationales Programm gelöst werden könnten, führte zur Zurückweisung der unabhängigen revolutionären Rolle des internationalen Proletariats und zu einer Hinwendung zu anderen Kräften. Weil sie nicht mehr die Weltrevolution als das einzige Mittel sah, die Sowjetunion zu verteidigen, ging sie opportunistische Bündnisse ein mit dem Ziel, »die imperialistische Bourgeoisie zu neutralisieren«.
In Großbritannien sah Stalin das anglo-russische Komitee, das gemeinsam mit den syndikalistischen Führern des TUC gebildet worden war, nicht als einen taktischen Block, der den Interessen der britischen Revolution untergeordnet war, sondern als die Strategie zur Verteidigung der Sowjetunion. Selbst nachdem der TUC 1926 den Generalstreik verraten hatte, weigerte sich Stalin, mit ihm zu brechen.
In China belebte Stalin die menschewistische Zwei-Stadien-Theorie wieder und befahl der Kommunistischen Partei mit der Begründung, das Proletariat könne erst nach der Vollendung der demokratischen Revolution um die Macht kämpfen, sich der bürgerlichen Guomindang unterzuordnen. Die Oktoberrevolution selbst hatte bewiesen, und damit Trotzkis Theorie der permanenten Revolution bestätigt, dass in den rückständigen Ländern die Aufgaben der demokratischen Revolution nur durch die Errichtung der Diktatur des Proletariats vollendet werden können.
Die Niederlage der zweiten Chinesischen Revolution 1927, ein direktes Ergebnis von Stalins konterrevolutionärer Zwei-Stadien-Perspektive, bestätigte die Warnungen und die Politik Trotzkis und der Linken Opposition vollkommen. Aber diese Niederlage der Arbeiterklasse stärkte auch den Würgegriff der Bürokratie, die nun zu Trotzkis Ausschluss aus der KPdSU schritt.
Innerhalb der Sowjetunion bestätigte sich der Kampf Trotzkis und der Linken Opposition für Industrialisierung und Planung, als Stalins Kurs nahe an die Katastrophe führte. Das Programm des »ökonomischen Opportunismus«, das die Bürokratie von 1923 bis 1927 verfolgte, stützte sich auf die Kulaken und stand der Industrialisierung ablehnend gegenüber. Damit blieb die Zufuhr von Industriegütern auf das Land aus, was schließlich zum Kornstreik von 1928 führte. Die Bürokratie reagierte mit einer panischen Wende zum »ökonomischen Abenteurertum« – hundertprozentiger Kollektivierung, Liquidierung der Kulaken als Klasse und halsbrecherischer Industrialisierung.
Mit dieser »Links«wendung, die durch die wachsende Gefahr einer kapitalistischen Restauration, hervorgerufen durch seine eigene opportunistische Anpassung an die Kulaken, notwendig geworden war, übernahm Stalin große Teile des Wirtschaftsprogramms der Linken Opposition, allerdings in verzerrter Form. Als Teile der Linken Opposition auf der Grundlage dieser Wende vor Stalin kapitulierten, beharrte Trotzki darauf, dass diese neue Politik nach wie vor im Rahmen des konterrevolutionären Programms des Sozialismus in einem Land durchgeführt werde.
Der ökonomische Zick-Zack-Kurs brachte die Sowjetunion an den Rand eines Bürgerkriegs und fand seine Entsprechung in der gleichermaßen katastrophalen Politik des internationalen Abenteurertums der sogenannten »Dritten Periode«, die in der Niederlage des deutschen Proletariats 1933 gipfelte. Diese Niederlage, die größte in der Geschichte der internationalen Arbeiterklasse, wurde unmittelbar durch die kriminelle Perspektive des »Sozialfaschismus« vorbereitet, wie sie von der Führung der Komintern und der Kommunistischen Partei Deutschlands vertreten wurde. Mit der Begründung, es gebe keinen Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und den Nazis, lehnten die Stalinisten die Politik der Einheitsfront der Massenorganisationen der Arbeiterklasse ab und erlaubten so Hitler, ohne Kampf an die Macht zu kommen.
Die Verteidigung dieser Politik durch das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale im April 1933 und die Tatsache, dass die Führung keiner einzigen Sektion der Komintern sich gegen diese Linie wandte, bedeuteten, dass die Dritte Internationale unwiderruflich in das Lager der Konterrevolution übergegangen war. Trotzki rief zum Aufbau der Vierten Internationale auf.
8. »Sozialismus in einem Land« wurde nun zu einer bewussten konterrevolutionären Politik, durch die die internationale Arbeiterklasse der Diplomatie der Bürokratie untergeordnet wurde. Sie fand ihren konzentrierten Ausdruck in der stalinistischen Volksfrontpolitik, die die proletarische Revolution ausdrücklich zugunsten von Bündnissen mit »demokratischen« Teilen der Weltbourgeoisie zurückwies. Die Volksfrontpolitik ging Hand in Hand mit den größten Massakern an Kommunisten in der Geschichte.
Um der Weltbourgeoisie seine Vertrauenswürdigkeit zu beweisen, organisierte Stalin die berüchtigten Moskauer Prozesse, in denen buchstäblich die gesamte Führung der Bolschewistischen Partei als »Faschisten« denunziert und ermordet wurde. Hunderttausende weiterer Kommunisten, Veteranen der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs wie auch revolutionäre Kämpfer im Ausland, besonders in Spanien, wurden von der stalinistischen Geheimpolizei, der GPU, systematisch ausgelöscht. Das Todesurteil gegen Leo Trotzki wurde von einem stalinistischen Mörder 1940 in Mexiko vollstreckt, aber nicht bevor Trotzki die Vierte Internationale gegründet hatte.
Gorbatschow und die heutige Bürokratie verdanken, trotz ihres Geredes über »Demokratie« und Reformen, ihre Macht und ihre Privilegien diesen historischen Verbrechen gegen die sowjetische und die internationale Arbeiterklasse.
Durch diese Vernichtung der Führung der Oktoberrevolution festigte die Bürokratie ihre Position als eine privilegierte Kaste – nicht als eine Klasse. Die Diktatur der Arbeiterklasse blieb erhalten, aber in degenerierter Form. Die Bürokratie führte die völlige politische Entmündigung der Arbeiterklasse durch.
Es entstand ein Regime, das Trotzki als sowjetischen Bonapartismus beschrieb: Es balanciert zwischen entgegengesetzten Klassenkräften, auf nationaler Ebene besonders zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, und international zwischen dem Imperialismus und dem Arbeiterstaat.
Die stalinistische Volksfront »gegen Krieg und Faschismus« bereitete in Wirklichkeit beiden den Weg. In Spanien wurde der Sieg des Franco-Faschismus direkt von den Stalinisten vorbereitet, die sich unmittelbar an der Zerschlagung des revolutionären Kampfs der Arbeiterklasse beteiligten, um die Volksfront mit dem republikanischen kapitalistischen Staat zu erhalten. In Frankreich paralysierten die Stalinisten die Bewegung der Arbeiterklasse im Interesse einer Volksfront mit den bürgerlichen Parteien, die später Hitlers Armeen in Paris willkommen hießen. In den USA ordneten sie die Massenbewegung der Industriegewerkschaften dem demokratischen Kapitalisten Roosevelt unter. Und in Indien und der ganzen kolonialen Welt verrieten sie den Kampf für die nationale Befreiung, um sich das Wohlwollen der »demokratischen« imperialistischen Mächte zu sichern.
Nachdem er die Kampfkraft der Arbeiterbewegung in Europa zerstört und die antiimperialistischen Kämpfe in der kolonialen Welt sabotiert hatte, wandte sich der Kreml schließlich mit dem Hitler-Stalin-Pakt einer »Volksfront« mit den Nazis selbst zu.
Dieser Pakt öffnete den Nazis, zusammen mit Stalins Enthauptung der Roten Armee durch die Exekution nahezu des gesamten Generalstabs, den Weg für die Invasion von 1941, die den Sowjetstaat an den Rand der Zerstörung brachte und 20 Millionen Arbeiter und Bauern das Leben kostete.
Nur die Stärke der verstaatlichten Planwirtschaft und der Heroismus der sowjetischen Arbeiterklasse verhinderten zusammen mit dem erneuten Aufschwung des Kampfs des europäischen Proletariats gegen den Faschismus, dass Stalins Politik zur Zerstörung des Arbeiterstaats führte.
9. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die sowjetische Bürokratie nach der formalen Auflösung der Komintern 1943 ihre konterrevolutionäre Politik des »Sozialismus in einem Land« fort. Mit den Vereinbarungen von Teheran, Jalta und Potsdam arbeitete Stalin mit den Imperialisten bei der Entwaffnung der Arbeiterklasse und der Wiederherstellung des Kapitalismus in Griechenland und Westeuropa zusammen und erhielt dafür von den Imperialisten die Anerkennung der Vorherrschaft der Moskauer Bürokratie in den Pufferstaaten Osteuropas.
Diese Politik der internationalen Zusammenarbeit des Kreml war von der ausdrücklichen Zurückweisung der Revolution durch die stalinistischen kommunistischen Parteien begleitet. In Frankreich trat die Kommunistische Partei, nachdem sie die Arbeiterklasse entwaffnet hatte, der Regierung de Gaulles bei und unterstützte die Intervention des französischen Imperialismus in Indochina.
In Osteuropa stürzte die Bürokratie die einheimische Bourgeoisie erst 1948 und in Rumänien wandte sich der Kreml sogar gegen den Sturz von König Michael. Die in Osteuropa geschaffenen deformierten Arbeiterstaaten stabilisierten die Herrschaft der Bürokratie nicht, sondern verschärften vielmehr ihre Widersprüche.
Trotzkis Prognose, dass dem Weltkrieg neue, revolutionäre Krisen folgen würden, wurde in widersprüchlicher Weise durch die Herausforderung der Bürokratie durch die Arbeiterklasse bestätigt. Nach dem Tod Stalins 1953 war die Bürokratie nicht mehr in der Lage, die Arbeiterklasse mit den alten Methoden unter Kontrolle zu halten, und sah sich gezwungen, begrenzte Zugeständnisse zu machen. Aber die Grenzen dieser Zugeständnisse waren erreicht, als die Bewegung der Arbeiterklasse die Herrschaft der Bürokratie selbst bedrohte, und sie antwortete mit brutaler Unterdrückung.
Die Aufstände in der DDR 1953, die ungarische Revolution 1956, die sowjetische Invasion der Tschechoslowakei 1968 und die Aufstände in Polen 1956, 1970 und 1976 lieferten alle eine machtvolle Bestätigung von Trotzkis Perspektive von der Notwendigkeit der politischen Revolution.
Dieser Aufschwung der Arbeiterklasse war die objektive Grundlage der andauernden Krise in der Bürokratie seit dem Tod Stalins 1953. Obwohl Chruschtschow in seiner »Geheimrede« vor dem 20. Parteitag 1956 die Verbrechen der Stalin-Ära teilweise enthüllte, zeigte das keineswegs einen Bruch mit dem Stalinismus an, wie die blutige Unterdrückung der ungarischen Revolution mit der Ermordung von 20 000 Arbeitern nur wenige Monate später beweisen sollte. Niemand anderes als Juri Andropow, der Ziehvater des jetzigen Kremlchefs Gorbatschow, dirigierte bei diesem Blutbad die Operationen der stalinistischen Geheimpolizei.
10. Die gegenwärtige Krise der Bürokratie, die größte seit 1956, hat ihre Wurzeln im Auftreten der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung Solidarność in Polen. Der Kampf der polnischen Arbeiter stürzte zuerst die Regime von Gierek und Kania und führte zum völligen Zusammenbruch der herrschenden Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, so dass nur noch die Armee von General Jaruzelski übrig blieb, um die Herrschaft der Bürokratie durch die Einführung des Kriegsrechts im Dezember 1981 zu retten. Das Gespenst von Massenstreiks, Fabrikbesetzungen und Arbeiterdemonstrationen in Polen erfüllte die Herzen der Kremlbürokraten mit Angst. Die weitsichtigeren unter ihnen, wie Andropow vom KGB, erkannten, dass dieselben Bedingungen wirtschaftlicher Stagnation und hemmungsloser Korruption, verbunden mit wachsender Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse, auch in der Sowjetunion existierten und zu einer direkten revolutionären Herausforderung der Kremlbürokratie führen könnten.
Gorbatschows »Reformen« sind die Reaktion der Bürokratie auf die Drohung der politischen Revolution, die in den polnischen Ereignissen so deutlich zu sehen war.
Sie sind ein Versuch der stalinistischen Bürokratie, ihre Herrschaft unter den Bedingungen der wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Widersprüche in der Sowjetunion, die durch den Druck der Weltwirtschaftskrise des Imperialismus verschärft worden sind, zu erhalten.
11. Die Krise um Gorbatschow bricht zu einem Zeitpunkt auf, zu dem alle Teile des Weltstalinismus mit wirtschaftlichen Problemen und Massenunruhen konfrontiert sind. In jedem Fall – von Beijing bis Belgrad – besteht die Reaktion der stalinistischen Bürokraten in einer immer offeneren Hinwendung zu einer Politik der kapitalistischen Restauration.
In Polen ist das Regime von General Jaruzelski, das erneut versucht, eine Sparpolitik durchzusetzen, um die Zinsen für die 29,3 Milliarden Dollar Schulden des Landes an die ausländischen Banken zu bezahlen, auch mehr als fünf Jahre nach der Unterdrückung der Solidarność mit dem Widerstand der Arbeiterklasse konfrontiert. Volle 25 Prozent von Polens Exporteinnahmen werden jetzt für diese Zinszahlungen aufgewendet, während die wirtschaftlichen Pläne der Bürokratie dem IWF zur vorherigen Genehmigung vorgelegt werden.
In Jugoslawien, wo die Grundlagen des staatlichen Eigentums schon stark unterhöhlt sind, hat die Inflationsrate 100 Prozent erreicht, und die Arbeitslosigkeit beträgt eine Million. Versuche der Bürokratie, Wirtschafts-»Reformen« einzuführen, die eine deutliche Ähnlichkeit mit denen aufweisen, die Gorbatschow vorschlägt, haben eine massive Streikwelle provoziert.
Und in China setzt die Beijinger Bürokratie inmitten von Massendemonstrationen von Studenten und Arbeitern eine Politik der »offenen Tür« für imperialistische Investitionen fort und verpflichtet sich, nach der Ablösung der Herrschaft des britischen Kolonialismus in Hongkong die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse bestehen zu lassen.
12. Die von Gorbatschow vorgeschlagenen Veränderungen befinden sich in völliger Übereinstimmung mit dieser allgemeinen Tendenz und mit dem Charakter der stalinistischen Bürokratie als einer konterrevolutionären Agentur des Weltimperialismus.
Der Kern dieser »Reformen« ist ein weiteres Unterhöhlen der Errungenschaften der Oktoberrevolution – der verstaatlichten Eigentumsverhältnisse, des staatlichen Außenhandelsmonopols und der Existenz des Arbeiterstaats selbst.
Mit der wachsenden Opposition der Arbeiterklasse gegen die verknöcherte bürokratische Kaste konfrontiert, geht Gorbatschow gegen ihre schlimmsten Exzesse vom Standpunkt der Verteidigung der Bürokratie als Ganzer gegen das sowjetische Proletariat vor.
Im Gegensatz zu allen Stalinisten, kleinbürgerlichen Radikalen, Pazifisten, Reformisten und Revisionisten aller Schattierungen, die heute den »demokratischen« Gorbatschow preisen – so wie ihre Vorgänger das Loblied Stalins sangen –, bleibt das Internationale Komitee der Vierten Internationale der unversöhnliche Gegner der Bürokratie.
Während wir alle Möglichkeiten, die durch die Krise der Bürokratie geschaffen werden, und alle Zugeständnisse, die sie der Arbeiterklasse gezwungenermaßen macht, ausnützen, rufen wir die sowjetische und die internationale Arbeiterklasse auf, einen kompromisslosen Kampf für die politische Revolution zu führen: für den Sturz des bürokratischen Regimes und die Wiedererrichtung der politischen Macht der Arbeiterklasse auf der Grundlage der Sowjetdemokratie.
13. Die sogenannte »Reform«-Politik Gorbatschows stellt sowohl für die Arbeiterklasse in der Sowjetunion wie auch für die Arbeiter und unterdrückten Massen international eine unheilvolle Bedrohung dar. Sie gefährdet die historischen Errungenschaften der Oktoberrevolution und ist mit einer Vertiefung der konterrevolutionären Zusammenarbeit der Bürokratie mit dem Imperialismus im Weltmaßstab verbunden.
In der Sowjetunion selbst hat das Wachstum der Produktivkräfte in den 70 Jahren seit der Revolution – das trotz der parasitären Bürokratie durch die verstaatlichten Produktionsmittel und die Planwirtschaft möglich war – Ungleichheit, Privilegien und Bürokratismus nicht verringert.
Ungeachtet der Behauptungen der Bürokratie, dass es möglich sei, den »Sozialismus in einem Land« aufzubauen, hinkt die Arbeitsproduktivität immer noch hinter der der meisten entwickelten kapitalistischen Länder her. Nur durch eine höhere Arbeitsproduktivität als in den kapitalistischen Ländern kann der Sozialismus garantiert werden. Ohne diese Überlegenheit droht der Sturz des sowjetischen Arbeiterstaats nicht nur durch die Intervention kapitalistischer Armeen, sondern auch durch die Invasion billigerer kapitalistischer Waren.
Diese höhere Arbeitsproduktivität kann aber, wie Trotzki gezeigt hat, nur »auf dem Boden der weltweiten Arbeitsteilung, die durch die gesamte vorhergehende Entwicklung des Kapitalismus geschaffen worden ist«, erreicht werden, d. h. durch die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern.
14. Gorbatschows Rede vor dem Plenum des Zentralkomitees im Januar dieses Jahres [1987] machte deutlich, dass die sowjetische Wirtschaft von einer ernsten wirtschaftlichen Krise erfasst ist, die sich seit Mitte der 1970er Jahre ständig verschärft hat:
Das Wachstumstempo des Nationaleinkommens verringerte sich in den vergangenen drei Planjahrfünften um mehr als die Hälfte. Seit Anfang der 1970er Jahre wurden die meisten Plankennziffern nicht erfüllt. Die Wirtschaft war Neuerungen gegenüber wenig aufgeschlossen und schwerfällig. Die Qualität eines erheblichen Teils der Erzeugnisse entsprach nicht mehr modernen Ansprüchen, und die Disproportionen in der Produktion verschärften sich.[5]
Das Wachstum der Produktivkräfte hat die Abhängigkeit der sowjetischen Wirtschaft vom Weltmarkt erhöht. Die sowjetischen Exporte wuchsen von 1970 bis 1984 von 11,5 Mrd. Rubel auf 74 Mrd. Rubel an, während die Importe im gleichen Zeitraum von 10,5 Mrd. Rubel auf 65 Mrd. Rubel anstiegen.
Der Anstieg des sowjetischen Außenhandels hat die Sowjetunion verstärkt den Auswirkungen der kapitalistischen Weltkrise ausgesetzt. 1983 wurden 80 Prozent des Einkommens in westlichen Währungen durch den Export von Energieträgern (Öl und Gas) erzielt. Das Fallen des Ölpreises hatte zerstörerische Auswirkungen. Jeder Fall des Ölpreises um einen Dollar pro Barrel hat die Sowjetunion eine halbe Milliarde Dollar an Deviseneinnahmen gekostet. Ein Handelsbilanzüberschuss von vier Mrd. Dollar 1984 verwandelte sich 1985 in ein Defizit von sechs Milliarden Dollar. Die anhaltende Rückständigkeit der sowjetischen Wirtschaft ist in der Tatsache ausgedrückt, dass sie gezwungen ist, sich auf den Export von Rohstoffen wie Öl zu stützen, um Devisen zu bekommen, die sie für den Kauf von dringend benötigten Hochtechnologie-Importen braucht.
Die Entwicklung des Sozialismus in der Sowjetunion und die Lösung der wirtschaftlichen Probleme, die aus ihrer Entwicklung entstehen, sind untrennbar mit der Ausdehnung der proletarischen Revolution auf die Weltarena verbunden. Der Mangel an Technologie und die fortdauernden Widersprüche zwischen Industrie und Landwirtschaft können nur durch den Zugang zum Weltmarkt gelöst werden. Es gibt nur zwei Wege für die Integration der Sowjetunion in diesen Markt – den Gorbatschows, der zur kapitalistischen Restauration führt, und den der sozialistischen Weltrevolution.
15. Unter den Bedingungen verstärkter Auswirkungen der Krise des westlichen Kapitalismus auf die sowjetische Wirtschaft unterhöhlen Gorbatschows Reformen die Grundlagen der Planwirtschaft. Indem er 20 Ministerien und 70 staatlichen Unternehmungen erlaubt, eigene Handelsbeziehungen mit kapitalistischen Ländern und Firmen aufzunehmen und 40 Prozent ihrer Deviseneinnahmen für sich selbst zu behalten, unterhöhlt Gorbatschow – zum ersten Mal seit Lenin und Trotzki Stalins Versuch zurückschlugen, eine Verbindung zwischen dem NÖP-Mann und dem Weltmarkt herzustellen – das staatliche Außenhandelsmonopol. Gleichzeitig regt er einen Prozess der Kapitalakkumulation an, der die verstaatlichten Eigentumsverhältnisse ernsthaft unterminieren wird.
Dies ist der Grund, warum Gorbatschow von den Vertretern des Finanz- und des Industriekapitals und den imperialistischen Regierungen auf der ganzen Welt so überschwänglich gelobt wird. Das wurde durch die Teilnahme des Sprechers der Deutschen Bank (einer Institution, die schon Lenin in seinem grundlegenden Werk »Imperialismus – das höchste Stadium des Kapitalismus« zitierte) an dem vor Kurzem stattgefundenen »Friedensforum« in Moskau symbolisiert.
»Für China wie für die Sowjetunion gilt eins: Sie sind die Märkte der Zukunft«, sagte der Sprecher der Deutschen Bank, Friedrich Wilhelm Christians, nach seiner Rückkehr aus Moskau in einem »Spiegel«-Interview. »Die Sowjetunion ist das weit mehr als andere, weil die Beziehungen aus langer Zusammenarbeit sehr tief sind.«[6]
Nach dem Fehlschlag, die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg militärisch zu besiegen, ist die deutsche Bourgeoisie begierig, ihren Markt mit »friedlichen« Mitteln zu erobern. Aber wie Lenin erklärte: »Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.«Gorbatschows Schwächung des Außenhandelsmonopols wird nur den Appetit der Imperialisten wecken, deren letztendliches Ziel die Rückgewinnung der Sowjetunion ist.
Gorbatschows Politik öffnet die Sowjetunion für das Eindringen ausländischen Kapitals. Es sind schon Verhandlungen mit ausländischen Firmen über beinahe 100 Joint Ventures aufgenommen worden. Über zehn solcher Projekte sind bereits Vereinbarungen abgeschlossen und über zwei weitere ist Einvernehmen erzielt worden. Sie warten nur noch auf die Genehmigung durch die Regierung.
Der enorme Enthusiasmus über diese Wende zu direkter Zusammenarbeit mit ausländischen Kapitalisten in den obersten Kreisen der sowjetischen Bürokratie hat seinen Ausdruck im Vorschlag von Gorbatschows Frau Raissa gefunden, mit der Herausgabe einer russischsprachigen Ausgabe des deutschen Modemagazins »Burda Moden« zu beginnen.
16. Diese Entwicklungen und die Gefahren, die sie darstellen, können nur vom Standpunkt der grundlegenden Widersprüche der sowjetischen Wirtschaft verstanden werden. Davon ist der wichtigste der Widerspruch zwischen den verstaatlichten Eigentumsverhältnissen und den bürgerlichen Verteilungsnormen auf der Grundlage der Lohnarbeit – der Verteilungsform, die von der kapitalistischen Produktionsweise entwickelt worden ist.
Vor 50 Jahren entwickelte Trotzki in seiner »Verratenen Revolution« die strategischen Auswirkungen dieses Widerspruchs:
Innerhalb des Sowjetregimes entwickeln sich zwei entgegengesetzte Tendenzen. Insofern es im Unterschied zum verfaulenden Kapitalismus die Produktivkräfte entwickelt, bereitet es das ökonomische Fundament für den Sozialismus vor. In dem Maß, in dem es den Oberschichten zuliebe die bürgerlichen Verteilungsnormen ins Extreme steigert, bereitet es die kapitalistische Restauration vor. Der Widerspruch zwischen den Eigentumsformen und den Verteilungsnormen kann nicht endlos wachsen. Entweder werden die bürgerlichen Normen – so oder so – auch auf die Produktionsmittel übergreifen, oder es müssen umgekehrt die Verteilungsnormen mit dem sozialistischen Eigentum in Einklang gebracht werden.[7]
Die wesentlichen Produktivkräfte befinden sich in der Hand des Staats. Aber aufgrund der Tatsache, dass sie der Arbeiterklasse die politische Macht entrissen hat, befindet sich der Staatsapparat in den Händen der Bürokratie, die ihn dazu benutzt, ihre Privilegien gegen die Arbeiterklasse zu verteidigen und zu stärken und die bürgerlichen Verteilungsnormen zu verewigen und zu entwickeln. In ihren Ansichten und in ihrer sozialen Existenz ist die Bürokratie der kapitalistischen Klasse im Westen unendlich näher als der sowjetischen Arbeiterklasse, die sie hasst und fürchtet.
17. Das bestätigte Gorbatschow in seiner Rede vor dem Zentralkomitee, als er »Verletzungen des wichtigsten Prinzips des Sozialismus – der Verteilung nach der Leistung« beklagte.[8] Damit stellt er den Marxismus auf den Kopf. Gorbatschow erklärt die bürgerlichen Verteilungsnormen zur Grundlage des Sozialismus!
Gorbatschows Antwort auf die Probleme der sowjetischen Wirtschaft könnte aus dem Handbuch eines kapitalistischen Managers entnommen sein. Die Einführung von Glasnost und »Demokratie« wird völlig von diesem Gesichtspunkt aus gesehen. Die folgende Passage aus seiner Rede macht das unzweideutig klar:
Einige Genossen tun sich offenbar schwer bei der Erkenntnis, dass die Demokratie nicht nur eine Losung, sondern das Wesen der Umgestaltung ist …
Besonders hervorzuheben ist die Frage der Wählbarkeit der leitenden Kader von Betrieben, Produktionsbereichen, Werksabteilungen, Abschnitten, Farmen und Arbeitsgruppen sowie der Brigadiere und Meister. Die gegenwärtige Etappe der Umgestaltung, der Übergang zu neuen Methoden des Wirtschaftens, zur wirtschaftlichen Rechnungsführung, Eigenfinanzierung und Kostendeckung rücken diese Aufgabe auf die praktische Ebene …
Das bedeutet, dass die Einnahmen des Betriebs, alle Formen der Stimulierung der Mitglieder eines Arbeitskollektivs und der Grad der Befriedigung der sozialen Bedürfnisse voll und ganz von den Endergebnissen der Arbeit, von der Quantität und Qualität der hergestellten Erzeugnisse und der erwiesenen Dienstleistungen abhängen werden.
Unter diesen Bedingungen ist es den Arbeitern und Kolchosmitgliedern keineswegs gleichgültig, wer an der Spitze des Betriebs, der Werksabteilung, des Bereichs oder der Brigade steht. Wenn die Erfolge eines Kollektivs von den Fähigkeiten der leitenden Kader abhängig gemacht werden, dann müssen die Werktätigen auch reale Möglichkeiten besitzen, auf ihre Wahl Einfluss zu nehmen und ihre Tätigkeit zu kontrollieren.[9]
Mit anderen Worten besteht Gorbatschows »Demokratie« für den Arbeiter darin, seinen eigenen Sklaventreiber zu wählen. Die Bürokratie versucht, die historische Krise der sowjetischen Wirtschaft mit Methoden zu lösen und ihre Privilegien mit Mitteln zu verteidigen, die ähnlich denen jedes Kapitalisten sind – Steigerung der Arbeitshetze, Lohnkürzung und Anstacheln der Arbeiter zu erhöhter Produktivität mit der Drohung von Arbeitslosigkeit.
18. Die »Kader«, d. h. die untergeordneten Bürokraten, werden nicht nur ermutigt, die Arbeiter anzutreiben, sie werden auch angehalten, vom Standpunkt ihrer »eigenen« Firma und nicht dem der verstaatlichten Wirtschaft an die Produktionsleistung heranzugehen.
Dies markiert einen Schritt auf dem Weg zur Restauration, der, wie Trotzki erklärte, auf dem Gebiet der Industrie die Form der Entnationalisierung annehmen werde, bei dem »das Planprinzip … während der Übergangszeit auf eine Reihe von Kompromissen zwischen der Staatsmacht und den einzelnen ›Genossenschaften‹, d. h. den potenziellen Besitzern, zusammengesetzt aus Sowjetindustriekapitänen, ehemaligen emigrierten Besitzern und den ausländischen Kapitalisten, hinauslaufen [würde]. Obwohl die Sowjetbürokratie einer bürgerlichen Restauration gut vorgearbeitet hat, müsste das neue Regime auf dem Gebiet der Eigentumsformen und Wirtschaftsmethoden nicht Reformen, sondern eine soziale Umwälzung durchführen.«[10]
Zusätzlich ermutigen Gorbatschows Reformen aktiv private Produktion und Handel, d. h. Kapitalakkumulation auf der grundlegendsten Ebene.
Letztes Jahr verabschiedete der Oberste Sowjet ein »Gesetz über individuelle Arbeit«, das den Schwarzmarkt legalisierte, indem »individuelle Arbeit auf privater Basis« auf dem Gebiet der Konsumgüter und der Dienstleistungen erlaubt wurde.
Auf diese Weise wird eine starke Schicht von Kleinhändlern – oder richtiger von kleinen Profiteuren – nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten geschaffen. Da die Bürokratie der Hauptkunde ihrer Produkte und Dienstleistungen ist, ist diese Schicht durch Tausende wirtschaftliche Verknüpfungen mit ihr verbunden.
Es war diese Einführung privater Profitmacherei, die Gorbatschow die Unterstützung des Kleinbürgertums in aller Welt eingebracht hat. Seine Frau Raissa eroberte sich einen ewigen Platz im Herzen eines jeden »Yuppies«, als sie bei ihrem ersten offiziellen Besuch in London teure Juwelen mit einer American Express Card bezahlte.
Beide Maßnahmen, der Wettbewerb zwischen den großen Betrieben und die Ausdehnung des privaten Sektors, dienen der Stärkung der Bürokratie. Indem sie die Grundlage für Spaltungen und Differenzierungen in der Arbeiterklasse schafft und das Entstehen einer neuen Generation von NÖP-Männern ermutigt, kann die privilegierte und parasitäre bürokratische Kaste ihre Position als Schiedsrichter über der Gesellschaft an der Spitze des bonapartistischen Staats stärken.
19. An keinem Punkt berühren Gorbatschows Reformen die materiellen und sozialen Privilegien der bürokratischen Kaste.
Als Gorbatschow in seiner Zentralkomiteerede das »Parasitentum« erwähnte, meinte er damit nicht die große Korruption und das Konsumieren des Löwenanteils vom nationalen Reichtum durch die Bürokratie, sondern die sowjetischen Arbeiter. Er benutzte es als ein Synonym für »Gleichmacherei« – mit anderen Worten, als ein Argument gegen das grundlegende sozialistische Prinzip größerer Gleichheit der Löhne für alle Formen der Arbeit. Er behauptete:
Es kam eine Schmarotzer-Ideologie auf,die Psychologie der »Gleichmacherei« begann sich im Bewusstsein festzusetzen. Und das traf jene Werktätigen, die besser arbeiten konnten und wollten, und erleichterte gleichzeitig denjenigen das Leben, die gern während der Arbeit eine ruhige Kugel schieben.[11]
Ein Angriff auf die grundlegenden Arbeitsbedingungen, wie das Recht, Arbeiter zu entlassen, und die allgemeine Einführung der Schichtarbeit usw., ist in Wirklichkeit der Kern von Gorbatschows Kampagne für gesteigerte Produktivität, die unter dem Deckmantel der »Demokratie« eingeführt wird. Vor dem Zentralkomitee prahlte er:
In der Stadt und im Gebiet Leningrad wurden praktisch alle führenden Betriebe auf den Zwei- beziehungsweise Dreischichtbetrieb umgestellt. Dadurch wurde die Zahl der im Zweischichtdienst Beschäftigten um fast 50 000 Arbeitskräfte erhöht.[12]
20. Die wichtigste Sorge der Gorbatschow-Führung ist die Drohung der politischen Revolution. Sie befürchtet, dass die Korruption und der Verfall des Regimes, die unter Breschnew stattfanden, ein solches Ausmaß angenommen haben, dass sie den Staatsapparat, die Quelle ihrer sozialen Existenz, schwächen.
Die Breschnew-Ära war gekennzeichnet von zunehmenden öffentlichen Skandalen, Korruption und offenem Gangstertum in den herrschenden Kreisen. Die Bürokratie fürchtet, dass diese Exzesse in Verbindung mit der andauernden Stagnation der Wirtschaft in der Arbeiterklasse eine Bewegung gegen sie hervorrufen könnte. Das wurde von Gorbatschow in seiner Januar-Rede vor dem Zentralkomitee anschaulich dargelegt:
Man darf auch nicht die gerechtfertigte Empörung der Werktätigen über das Verhalten von leitenden Kadern verschweigen, die Vertrauen und Vollmachten besaßen und … stattdessen aber die Macht missbrauchten, Kritik unterdrückten und sich bereicherten. Einige wurden selbst Komplizen und sogar Organisatoren verbrecherischer Handlungen.[13]
Einen schädlichen Einfluss auf die moralische Atmosphäre in der Gesellschaft hatten solche Tatsachen wie Missachtung der Gesetze, Schönfärberei und Korruption, die Förderung von Katzbuckelei und Lobhudelei.[14]
Die Kampagne gegen die offene Korruption und die Ausplünderung der Wirtschaft, wie sie unter dem Breschnew-Regime stattfand und wie sie Teile der Bürokratie weiter zu verteidigen suchen, kann die wirtschaftlichen Probleme nicht lösen, die viel tiefere Wurzeln haben. Die Quelle dieser Krise ist die Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft selbst.
Je mehr die Produktivkräfte entwickelt werden und je komplexer die sowjetische Wirtschaft wird, desto mehr wird das bürokratische Regime zu einem Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung und zur Quelle großer Widersprüche.
Trotzki bemerkte, dass die sowjetische Wirtschaft umso mehr auf das Problem der Qualität stoßen werde, je mehr sie sich entwickele. »In einer nationalisierten Wirtschaft setzt Qualität Demokratie für Erzeuger und Verbraucher, Kritik- und Initiativfreiheit voraus, d. h. Bedingungen, die mit einem totalitären Regime von Angst, Lüge und Kriecherei unvereinbar sind.
Im Gefolge der Qualitätsfrage erstehen kompliziertere und grandiosere Aufgaben, die man zusammenfassen kann unter dem Begriff: selbstständiges, technisches und kulturelles Schaffen.«[15]
Daher zog er die Schlussfolgerung: »Die Sowjetdemokratie ist keine Forderung der abstrakten Politik, und erst recht nicht der Moral. Sie ist für das Land zu einer Frage auf Leben und Tod geworden.«[16]
21. Aber die Bürokratie, die der Arbeiterklasse die politische Macht entrissen hat, kann die Sowjetdemokratie nicht wiederherstellen, weil das bedeuten würde, sich selbst weg zu reformieren, etwas, was noch keine privilegierte Schicht getan hat oder jemals tun wird, weil die Grundlage ihrer Privilegien das Monopol der politischen Macht ist.
Das Wesen von Gorbatschows »Reformen« wird jetzt sichtbar. Aus Angst vor der Bewegung der Arbeiterklasse versucht die Bürokratie, die durch ihr eigenes Regime geschaffenen Hindernisse für die Entwicklung der Wirtschaft aus dem Weg zu räumen.
Durch die Ausdehnung der bürgerlichen Verteilungsnormen, die Schwächung des staatlichen Außenhandelsmonopols und dadurch, dass sie den privaten Unternehmen den Weg zur Verwandlung von Geld in Kapital öffnet, arbeitet die Bürokratie als Agent der Weltbourgeoisie im Arbeiterstaat und öffnet den Weg für die kapitalistische Restauration.
Gorbatschows »demokratische« Maßnahmen – die Freilassung einiger politischer Gefangener, eine sehr begrenzte Lockerung der Zensur und die Kritik an bürokratischen Exzessen – bedeuten in keiner Weise Schritte zur Wiederherstellung der Sowjetdemokratie. Sie stellen einen Versuch dar, eine soziale Basis für die Bürokratie unter den breiten Schichten der sowjetischen Intelligenz und der Verwaltungsfunktionäre zu schaffen.
Die »demokratischen« Ansprüche der Bürokratie zielen in Wirklichkeit darauf ab, die Arbeiterklasse politisch in die Bevölkerung als Ganzes aufzulösen und die Klassengegensätze, die in der Sowjetunion weiter bestehen, zu verwischen, um ihre eigene Herrschaft abzusichern. Gorbatschow schlägt vor, in der herrschenden Partei »demokratische« Wahlen einzuführen. Aber die KPdSU ist nicht eine Partei der Arbeiterklasse, sondern die politische Maschine des bürokratischen Apparats. Sowjetdemokratie bedeutet die demokratische Kontrolle ihrer eigenen Diktatur über die Sowjetgesellschaft durch die Arbeiterklasse. Das erfordert die Kontrolle der Arbeiter in ihren eigenen Gewerkschaften, den Fabrikkomitees und in den lokalen, regionalen und nationalen Sowjets.
Gorbatschows Reformen sind mit einem offenen Appell an die »demokratische«, d. h. bürgerliche öffentliche Meinung im kapitalistischen Westen verbunden. Aber allein die Tatsache, dass Gorbatschow sich zu diesen Maßnahmen gezwungen sieht, ist ein Zeichen für die scharfen Spannungen zwischen der Bürokratie und den werktätigen Massen in der Sowjetunion. Die sowjetischen Arbeiter müssen jede Möglichkeit, die dieses krisengeschüttelte Regime dadurch eröffnet, nutzen, um ihren eigenen Kampf für den Sturz der gesamten Bürokratie voranzubringen und die politische Macht des Proletariats wiederherzustellen.
22. Wie bei jedem Regime ist die Außenpolitik der Gorbatschow-Bürokratie die Fortsetzung ihrer Innenpolitik. So wie sich ihre Politik im Inneren der Sowjetunion gegen die Drohung der politischen Revolution durch die Arbeiterklasse richtet, so besteht sie im internationalen Maßstab in einer konterrevolutionären Zusammenarbeit mit dem Imperialismus gegen die soziale Revolution.
Wir warnen davor: Gorbatschows »Reformen« beinhalten die größten Gefahren für die revolutionäre Arbeiterklasse und die unterdrückten Völker in jedem Winkel der Erde. In ihrem Bemühen, die »friedliche Koexistenz« mit dem Imperialismus zu sichern, verrät die sowjetische stalinistische Bürokratie die Massen in Südafrika, das palästinensische Volk und die Nicaraguaner in ihrem Kampf gegen den US-Imperialismus, wie auch die Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern.
Unter der konterrevolutionären Parole »Verringerung regionaler Spannungen« haben die Moskauer Bürokraten Treffen mit Vertretern des US-Imperialismus hinter verschlossenen Türen durchgeführt und ein gemeinsames Vorgehen gegen die revolutionäre Bewegung der Massen in Südafrika, dem Nahen Osten und in Zentralamerika diskutiert.
Die Tatsache, dass die Gorbatschow-Führung näher an die imperialistische Bourgeoisie heranrückt, hat sogar Ronald Reagan bemerkt. Als das Weiße Haus unter dem starken Druck der Iran-Contra-Krise stand, versuchte Gorbatschow Reagan zu retten, indem er ihm einen neuen Handel über Rüstungsbegrenzung anbot. In seiner Antwortrede auf den Bericht der Tower-Kommission zur Iran-Contra-Affäre erklärte Reagan, es scheine, »wenn wir die Zeichen richtig deuten«, als ob Moskau wünsche, dass er »seinen Job weiterführe«.
Ein weiteres Anzeichen für die internationale Bedeutung von Gorbatschows Politik ist eine Fernost-Reise seines Außenministers Schewardnadse, während der er herzliche Gespräche mit dem indonesischen Schlächter Suharto führte, nur Wochen nach der Hinrichtung seit 1965 eingesperrter KP-Mitglieder. Dem folgte ein Aufenthalt in Vietnam, bei dem er absichtlich die Hanoier Führung durch die Absage einer geplanten Rede brüskierte. Das war ein kalkuliertes Signal, dass die sowjetischen Stalinisten bereit sind, ihre wirtschaftliche und militärische Hilfe für Vietnam zu stoppen und ihre Unterstützung für die Anwesenheit Vietnams in Kambodscha aufzugeben, um den Moskauer Kuhhandel mit Washington und Beijing zu erleichtern.
23. Die Bürokratie verteidigt die Sowjetunion ausschließlich vom Standpunkt der Erhaltung der territorialen Grundlage ihrer materiellen Privilegien. Ihre Methoden – pazifistische Appelle für Abrüstung an die Imperialisten verknüpft mit militärischen Abenteuern wie in Afghanistan – haben nur zu einer Reihe von Katastrophen geführt.
Seit der Ablehnung der USA, 1979 den Salt-II-Vertrag zu unterschreiben, haben die von der Sowjetunion angebotenen Zugeständnisse nur zur Stationierung der Cruise-Missiles und der Pershing II in Westeuropa, zu Reagans Star-Wars-Plänen und zu Forderungen nach weiteren Zugeständnissen geführt.
Gorbatschows letzte Initiative zur Frage der Mittelstreckenraketen, die von jedem kleinbürgerlichen Pazifisten gepriesen wurde, gefährdet in Wirklichkeit die militärische Verteidigung der Sowjetunion. Hinter den Kulissen dieser zerstörerischen Politik versucht die Bürokratie, die Wirtschaftskrise, die sie verursacht hat, durch die Kürzung der Militärausgaben zu lösen. Aber wie die Geschichte wiederholt gezeigt hat, sichert eine solche Politik keineswegs den Frieden, sondern ermutigt den Imperialismus vielmehr, seine Kriegsvorbereitungen zu intensivieren.
Die Außenpolitik der stalinistischen Bürokratie steht im völligen Gegensatz zum Programm der Bolschewistischen Partei, das von Lenin geschrieben und auf ihrem Parteitag von 1919 angenommen wurde: »… die Losungen des Pazifismus, der internationalen Abrüstung unter dem Kapitalismus, der Schiedsgerichte usw. [sind] nicht nur eine reaktionäre Utopie, sondern auch ein direkter Betrug an den Werktätigen, der darauf abzielt, das Proletariat zu entwaffnen und es von der Aufgabe, die Ausbeuter zu entwaffnen, abzulenken.«[17]
24. Diese Politik des Pazifismus und der Zusammenarbeit mit dem Imperialismus ist mit bürokratischen Abenteuern und einer offenen Verachtung der kolonialen Massen verbunden, wie es in Afghanistan demonstriert worden ist. Acht Jahre nach ihrer kriminellen militärischen Intervention haben die Stalinisten nur erreicht, dass der Name der Roten Armee und der Sowjetunion im Nahen Osten diskreditiert ist und die sowjetischen Truppen beträchtliche Verluste hinnehmen mussten.
Jetzt bereiten sie als Teil ihrer diplomatischen Manöver mit dem Imperialismus einen Rückzug unter Bedingungen vor, die mit dem rechten pakistanischen Diktator Zia-ul-Haq und dem US-Imperialismus ausgehandelt werden. Was immer das Ergebnis dieser Verhandlungen sein wird, das Endresultat der afghanischen Intervention wird die Schwächung der militärischen Verteidigung der Sowjetunion sein, sowohl dadurch, dass der CIA die Türen in Afghanistan geöffnet werden, wie auch dadurch, dass die Unterstützung, deren sich die Sowjetunion bei den unterdrückten Massen in der Region erfreut, unterhöhlt wird.
Diese Erfahrungen haben in aller Schärfe die Unfähigkeit der Bürokratie gezeigt, die Sowjetunion auf der Grundlage der konterrevolutionären Politik des »Sozialismus in einem Land« und der »friedlichen Koexistenz« mit dem Imperialismus zu verteidigen.
Die Vierte Internationale anerkennt die Notwendigkeit für einen isolierten Arbeiterstaat, Diplomatie mit dem Imperialismus zu betreiben. Unter Lenin waren solche Abkommen genau eingegrenzt, wurden der Arbeiterklasse erklärt und beinhalteten in keiner Weise die Unterordnung der nationalen Kommunistischen Parteien unter die sowjetische Diplomatie. Lenin errang die größten diplomatischen Siege für den jungen Arbeiterstaat, gerade weil er eine solche revolutionäre Politik verfolgte.
Die einzige Strategie für die Verteidigung der Sowjetunion liegt im Programm der sozialistischen Weltrevolution, für das Lenin und Trotzki kämpften und das heute nur die Vierte Internationale vertritt. Der Bürokratie ist ein solches Programm organisch zuwider, weil sie weiß, dass die Ausweitung der sozialistischen Revolution das sowjetische Proletariat stärken und ihre eigenen Totenglocken läuten lassen würde.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale verteidigt die Sowjetunion bedingungslos gegen den Imperialismus. Es betont, dass die Arbeiterklasse diese Verteidigung mit ihren eigenen Methoden organisieren muss: d. h. durch den unnachgiebigen Kampf für den Sturz der imperialistischen Bourgeoisie, unabhängig von den diplomatischen Manövern des Kreml. Daher fällt die Verteidigung der UdSSR mit der Vorbereitung der sozialistischen Weltrevolution zusammen.
25. Der Stalinismus, die international wichtigste konterrevolutionäre Agentur des Imperialismus in der Arbeiterklasse, wird von allen revisionistischen Kräften verteidigt. Ihr Angriff auf das trotzkistische Programm der politischen Revolution zum Sturz der stalinistischen Bürokratie spiegelt die grundlegendsten Bedürfnisse des Imperialismus wider.
Der Revisionist Michel Pablo brachte mit der Unterstützung von Ernest Mandel eine Perspektive vor, die den Klassenkampf ausließ und behauptete, dass die »objektive gesellschaftliche Wirklichkeit im Wesentlichen aus dem kapitalistischen Regime und der stalinistischen Welt« bestehe.
Pablo und Mandel sagten »Jahrhunderte deformierter Arbeiterstaaten« voraus und behaupteten, dass die Bürokratie gezwungen sein werde, eine Politik der »Kriegsrevolution« zu verfolgen, um sich gegen den Imperialismus zu verteidigen. Damit schrieben sie die Arbeiterklasse ab und ernannten die Bürokratie selbst zum Träger des Kampfs für den Sozialismus. In Pablos »neuer Weltrealität« blieb für Trotzkisten nur noch die Rolle, sich dem Stalinismus unterzuordnen und zu versuchen, ihn nach links zu drücken.
Dieser tiefgehende Revisionismus hatte seine objektive Ursache in den Bedürfnissen des Imperialismus nach neuen ideologischen und politischen Verteidigungslinien unter Bedingungen, in denen die Krise des Stalinismus neue revolutionäre Gefahren schuf. Anstatt der Arbeiterklasse einen revolutionären Weg zu weisen, gingen die Pablisten von oberflächlichen Eindrücken über die angebliche Stärke des Stalinismus und von Spekulationen über das Entstehen »revolutionärer« Tendenzen innerhalb der Bürokratie aus.
Die Revisionisten haben diese Linie bis heute nicht verändert. Mandel schrieb 1979:
Ich persönlich bleibe überzeugt, dass die auf dem Dritten Weltkongress im Jahr 1951 angenommenen Entschließungen, zu denen der Genosse Pablo einen großen persönlichen Beitrag geleistet hat, grundsätzlich richtig waren und dass sie die IV. Internationale in die Lage versetzten, den Sturm zu überstehen.[18]
Als die sowjetische »Liberalisierung« 1953 nach dem Tod Stalins begann, bejubelten die pablistischen Revisionisten sie als den Beginn von Reformen, die in ihrem Wesen die politische Revolution darstellten. Diese Perspektive drückte die unmittelbaren Interessen der Bürokratie selbst aus, wie der Aufstand der ostdeutschen Arbeiterklasse im Juni 1953 zeigte. Anstatt die Perspektive der politischen Revolution auf der Grundlage dieser Ereignisse zu bekräftigen und zu entwickeln, erklärte das pablistische Internationale Sekretariat der Vierten Internationale, dass die sowjetischen und osteuropäischen stalinistischen Führer gezwungen sein würden, »auf dem Weg noch weitgehenderer und echterer Zugeständnisse weiterzugehen und auf ›kaltem Wege‹ einen Übergang von der heutigen Situation zu einer für die Massen erträglicheren Situation zu vollziehen«.[19]
26. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale, im November 1953 mit dem »Offenen Brief« der Socialist Workers Party an die trotzkistische Weltbewegung gegründet, wurde im Kampf gegen diese revisionistische Tendenz geboren, die die trotzkistische Bewegung liquidieren wollte, indem sie die stalinistische Bürokratie und die nationale Bourgeoisie der kolonialen Länder an die Stelle der revolutionären Arbeiterklasse als Trägerin der Weltrevolution setzten wollte.
Eine der wesentlichen Formen, die diese revisionistische Tendenz annahm, war Pablos Behauptung, dass der Kreml und seine Anhänger in den Kommunistischen Parteien unter dem Druck imperialistischer Aggression gezwungen sein würden, eine revolutionäre Rolle zu spielen.
1956, am Vorabend des Ungarn-Aufstands und der Bewegung der polnischen Arbeiterklasse gegen das stalinistische Regime, erklärte Mandel, dass die sowjetische Bürokratie unter dem Druck der Massen einen unumkehrbaren »neuen Kurs« verfolge.
Auf Chruschtschows »Geheimrede« in diesem Jahr reagierte Mandel mit den Worten: »Offensichtlich kann man die Bürokratie nicht als eine ›reaktionäre Masse‹ betrachten, die die Arbeiterklasse als Ganze auf einmal angreifen muss. Diese mechanistische und antimarxistische Position steht in Gegensatz zu allem, was Trotzki gelehrt hat. Je mehr der Druck der Massen zunimmt (und parallel dazu der Druck der privilegiertesten Schichten), desto mehr wird sich die Bürokratie, und auch ihre Führer, in gegensätzliche Tendenzen spalten. Im Lauf dieses Prozesses wird eine ›Reiss-Tendenz‹ entstehen, die sich ernsthaft mit der leninistischen Tradition verbinden wird.«[20]
Die Haltung der trotzkistischen Bewegung zu den Spaltungen in der stalinistischen Bürokratie ist die, dass die Arbeiterklasse sich auf ihre eigene Stärke verlassen, alle Manöver der Bürokratie entlarven, ihre eigenen Organisationen aufbauen, die Bürokratie aus den Sowjets treiben und diese Spaltungen dazu nutzen muss, die politische Revolution durchzuführen.
Der Pablismus tritt dafür ein, die Vorherrschaft der Bürokratie als Ganzer zu erhalten, indem er die Arbeiterklasse einer sogenannten revolutionären Tendenz unterzuordnen sucht, die unter dem Druck der Massen entstehen werde.
27. Heute tritt der Revisionist Mandel als politischer Ratgeber des Gorbatschow-Flügels der sowjetischen Bürokratie auf. Dabei versucht er wie üblich, seine Spuren zu verwischen, tritt aber nirgendwo für die trotzkistische Perspektive der politischen Revolution ein. Gorbatschow, schreibt er, sei kein »von Grund auf antibürokratisches Element«, sondern »repräsentiert den weitsichtigsten, aufgeklärtesten Flügel der Bürokratie«. Er spreche davon, dass eine »wirkliche Revolution« nötig sei, weil er das bürokratische Regime retten, nicht weil er es beseitigen wolle. Sein Ziel sei die »Verteidigung der bürokratischen Diktatur«.[21]
Mandel ist gegen die politische Revolution. Er gibt dem Gorbatschow-Flügel Ratschläge für eine bessere Durchführung seiner »Reformen« und schlägt eine Anzahl demokratischer Maßnahmen, dreizehn »Kernpunkte«, vor, an denen die Massen »die Tragweite der Reformen messen« sollen.
Die von Mandel verbreitete Illusion, die Gorbatschow-Führung müsse einem »Test« unterzogen werden, ob sie wirklich die Demokratie einführen werde – als ob die Geschichte nicht schon längst ihr Urteil über die konterrevolutionäre stalinistische Kaste gesprochen hätte –, erfüllt die tiefsten Bedürfnisse der Bürokratie.
Mandel solidarisiert sich mit den bisher getroffenen Maßnahmen und kommt zum Schluss: »Denjenigen, die einwenden, man könne nicht zu schnell vorangehen, ohne die Widerstände zu verstärken, antworten wir [mit Gorbatschow!], dass die Dinge sich bisher noch viel zu langsam bewegt haben … ›Den Gorbatschowisten, die behaupten, dass das Volk sich nur langsam, Schritt für Schritt auf die Erlernung der Demokratie einstellen könne, machen wir klar, dass ihr Paternalismus sie in eine Sackgasse führt.‹«[22]
Mandel zufolge ist Gorbatschows Haupt»fehler« nicht, dass er an der Spitze einer konterrevolutionären Kaste steht, sondern sein »Paternalismus«. Die Arbeiterklasse soll nicht für den Sturz des Regimes kämpfen, sondern muss auf Reformen drängen, die der Gorbatschow-Flügel durchführen soll, während »wir«, das Lager des pablistischen Revisionismus, Gorbatschow unseren Rat anbieten, wie er sich am besten retten kann.
Die Perspektive des sogenannten Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale ist, wie die der Bürokratie selbst, völlig national und geht vom Standpunkt des »Sozialismus in einem Land« aus. Sie schließt das Programm der Weltrevolution aus – das einzige Mittel, den sowjetischen Staat zu regenerieren.
28. Der Kampf des Internationalen Komitees der Vierten Internationale gegen diese pablistische Anpassung an den Stalinismus hat eine lange Geschichte. Angefangen mit dem »Offenen Brief« von 1953 bestand das IK auf Sektionen, die »wissen, wie man den Imperialismus und alle seine kleinbürgerlichen Agenturen (wie z. B. nationalistische Organisationen und Gewerkschaftsbürokratien) bekämpft, ohne vor dem Stalinismus zu kapitulieren; dass sie umgekehrt wissen, wie man gegen den Stalinismus kämpft (der letzten Endes eine kleinbürgerliche Agentur des Imperialismus ist), ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren«.[23]
Als die SWP diese Prinzipien selbst aufgab, um sich mit dem pablistischen Lager auf der Grundlage der Kapitulation vor dem kleinbürgerlichen Nationalismus Castros wiederzuvereinigen, führte das Internationale Komitee einen unnachgiebigen Kampf gegen diesen Verrat und verteidigte die theoretischen und politischen Grundlagen des Trotzkismus.
Dieser Kampf ist gegen das Auftreten einer pablistischen Tendenz in der Führung der ehemaligen britischen Sektion des IKVI, der Workers Revolutionary Party, erneut aufgenommen und vertieft worden. Es ist von entscheidender historischer Bedeutung, dass die drei zentralen Führer der WRP – Gerry Healy, Michael Banda und Cliff Slaughter –, nachdem sie mit dem IK gebrochen und sich in drei verschiedene Tendenzen gespalten haben, das trotzkistische Programm der politischen Revolution zurückgewiesen haben.
Der Renegat Michael Banda, Autor der berüchtigten »27 Gründe, weshalb das IKVI sofort begraben werden muss«,behauptet in seinem jüngsten Dokument, »Möge der wirkliche Trotzki bitte aufstehen«, dass es in der Sowjetunion keine Möglichkeit einer kapitalistischen Restauration gebe und dass die Oktoberrevolution »unumkehrbar« sei.
Bandas »27 Gründe« bildeten die Grundlage der Spaltung der WRP vom IKVI. Jetzt ist er in das Lager des Stalinismus übergewechselt und verurteilt den Kampf, den die trotzkistische Bewegung seit 1928 führt. Er feiert Stalin als »proletarischen Bonaparte« und hat sich den Bewunderern des heutigen Führers der konterrevolutionären Kaste, Gorbatschow, angeschlossen.
Banda zufolge ist die Gefahr einer kapitalistischen Restauration in der Sowjetunion eine »gespenstische Fantasie Trotzkis«. Er schreibt: »Was wir in Wirklichkeit (unter Gorbatschow) sehen, ist eine schrittweise Liberalisierung der bürokratischen Herrschaft und eine Dezentralisierung der Wirtschaftsverwaltung entsprechend der riesigen und beispiellosen Veränderungen in der sowjetischen Industrie, Wissenschaft und Technologie – und der Arbeiterklasse.«
In seiner Unterstützung für Gorbatschow ist sich Banda mit Healy einig, der die »Reformen« des sowjetischen Führers als »unverwechselbar das Produkt der politischen Revolution in der Sowjetunion, die schon im Gange ist«, lobt.[24]
Healy hat offen die pablistische Grundthese übernommen: Die politische Revolution wird nicht von der Arbeiterklasse gegen die Bürokratie durchgeführt, indem sie diese aus ihren Machtpositionen treibt, sondern besteht aus einer Reihe von »Reformen«, die von einem Teil der Bürokratie von oben initiiert werden.
29. Der Flügel der WRP unter der Führung des ehemaligen Sekretärs des IKVI, Cliff Slaughter, der Bandas prostalinistisches Dokument benutzte, um vom IKVI zu brechen, versucht sich jetzt einen »orthodoxen« Anstrich zu geben und spricht sich für die Notwendigkeit der politischen Revolution in den deformierten und degenerierten Arbeiterstaaten aus.
Hinter diesem betrügerischen Schleier antistalinistischer »Orthodoxie« bereitet Slaughter jedoch die Vereinigung seiner Tendenz mit der extrem rechten pablistischen Bewegung des kürzlich verstorbenen Nahuel Moreno vor, die sich mit der argentinischen Kommunistischen Partei unter dem Namen »Volksfront« zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen hat. Mit diesem prinzipienlosen internationalen Manöver wird eine ähnliche Volksfrontpolitik in Großbritannien vorbereitet.
Außerdem entleert die Slaughter-Gruppe das Konzept der politischen Revolution jedes wirklichen historischen Inhalts, indem sie es völlig mit den spontanen Kämpfen der Arbeiterklasse gegen die stalinistische Bürokratie identifiziert und dadurch die Notwendigkeit einer bewussten revolutionären Führung leugnet.
In ihrer Erklärung zur »Reorganisation der Vierten Internationale« ruft die WRP zur »Anerkennung des polnischen Kampfs von 1980–1981 als der erneuten Aufnahme des Kampfs für die politische Revolution« und zur »Verteidigung der revolutionären Spontaneität der polnischen Arbeiterklasse und von Solidarność, die sie hervorbrachte«, auf.[25]
Diese Anbetung der »revolutionären Spontaneität« ist eine Form der Anpassung an den Stalinismus, wenn man in Betracht zieht, dass die politischen Kräfte in der Führung von Solidarność, deren Programm das des Kompromisses mit der Bürokratie und nicht ihres Sturzes war, mit keinem Wort analysiert werden.
Die polnische Arbeiterklasse, die ihren Kampf als Verteidigung des Lebensstandards begann, geriet in eine direkte Konfrontation mit der Bürokratie und stand »spontan« vor der Aufgabe, sie zu stürzen.
Aber wenn »revolutionäre Spontaneität« das Einzige ist, was benötigt wird, um die politische Revolution durchzuführen, wie kann dann erklärt werden, dass eine Organisation von 10 Millionen Mitgliedern, die die gesamte polnische Arbeiterklasse umfasste, von der Bürokratie besiegt wurde, die sich auf keine soziale Basis stützen konnte?
Die wichtigste Stärke der Bürokratie war nicht das Militär, sondern das Fehlen einer revolutionären Partei in der polnischen Arbeiterklasse, die bewusst die Perspektive der politischen Revolution ausgearbeitet und dafür gekämpft hätte.
Die politische Revolution ist nicht einfach die Ausweitung des Kampfs für Gewerkschaftsrechte oder die Anhäufung einer Reihe von demokratischen Reformen – sie wird wahrscheinlich als ein Kampf für Demokratie und Gewerkschaftsrechte beginnen –, sondern der gewaltsame Sturz der Bürokratie und die Errichtung von unabhängigen Organen der Arbeitermacht.
Obwohl die sowjetische Bürokratie keine herrschende Klasse ist, ist sie mehr als eine einfache Bürokratie. Sie ist die privilegierte und beherrschende Schicht in der Sowjetunion, die den Staatsapparat in den Händen hält. Die Bürokratie war bis jetzt nicht in der Lage, besondere Eigentumsformen zu schaffen, auf die sie ihre Herrschaft begründen könnte. Aber das bedeutet nicht, dass sie einfach durch »revolutionäre Spontaneität« beiseitegeschoben werden kann, ohne dass eine bewusste revolutionäre Führung – eine trotzkistische Partei – für die Mobilisierung der Arbeiterklasse für die politische Revolution gegen alle Versuche, Kompromisse mit der herrschenden Schicht zu schließen, kämpft.
30. Die Entwicklung der Gorbatschow-Bürokratie zeigt, dass das 1938 geschriebene Programm der Vierten Internationale seine volle Kraft bis heute behalten hat:
Die Sowjetunion ging aus der Oktoberrevolution als ein Arbeiterstaat hervor. Die Verstaatlichung der Produktionsmittel als notwendige Voraussetzung der sozialistischen Entwicklung ermöglichte ein rasches Wachstum der Produktivkräfte. Aber der Apparat des Arbeiterstaats durchlief unterdessen eine völlige Entartung, wobei er sich von einem Werkzeug der Arbeiterklasse in ein Werkzeug des bürokratischen Zwangs gegen die Arbeiterklasse und mehr und mehr in ein Werkzeug zur Sabotage an der Wirtschaft verwandelt hat. Die Bürokratisierung des rückständigen und isolierten Arbeiterstaats und die Verwandlung der Bürokratie in eine allmächtige privilegierte Kaste sind die überzeugendste – nicht nur theoretische, sondern auch praktische – Widerlegung der Theorie vom Sozialismus in einem Land.
So birgt das Regime der UdSSR bedrohliche Widersprüche. Aber es ist noch immer das Regime eines entarteten Arbeiterstaats. Das ist die soziale Diagnose. Die politische Prognose stellt sich als Alternative: Entweder stößt die Bürokratie, die immer mehr zum Werkzeug der Weltbourgeoisie im Arbeiterstaat wird, die neuen Eigentumsformen um und wirft das Land in den Kapitalismus zurück, oder die Arbeiterklasse zerschlägt die Bürokratie und öffnet den Weg zum Sozialismus.«[26]
31. Die trotzkistische Bewegung bestimmt ihre Haltung gegenüber dem Gorbatschow-Regime nicht ausgehend von Illusionen über eine »Selbstreform« der Bürokratie oder von diesem oder jenem Vorschlag, die Methoden ihrer Herrschaft zu verbessern. Wir gehen vom Standpunkt der sozialistischen Weltrevolution und den Interessen des sowjetischen und des internationalen Proletariats aus.
Die Vierte Internationale ist sicherlich nicht gegen die Freilassung von Intellektuellen wie Andrej Sacharow oder von politischen und religiösen Dissidenten, die das bürokratische Regime durchgeführt hat. Im Gegensatz zu den verlogenen Argumenten der Bürokratie haben diese Figuren niemals die Gefahr einer Restauration dargestellt. Die Hauptursache einer solchen Gefahr ist die Bürokratie selber.
Aber die Arbeiterklasse darf die durch die Bürokratie gesetzten Grenzen nicht akzeptieren. Sie muss die Freilassung aller anderen politischen Gefangenen verlangen, die ungerechterweise von der bürokratischen Diktatur verfolgt werden.
Die Arbeiter müssen jede begrenzte Konzession, zu der die Bürokratie gezwungen werden mag, und jede Spaltung innerhalb des Regimes nutzen, um die politische Revolution voranzubringen. Wie Trotzki erklärte, kann jede stalinistische »Reform« zu einem direkten politischen Kampf führen:
Jedoch wäre es nicht das erste Mal, dass eine bürokratische Diktatur, die in »liberalen« Reformen Rettung suchte, sich nur selbst schwächte. Dadurch, dass die neue Verfassung den Bonapartismus bloßlegt, schafft sie gleichzeitig eine halblegale Deckung zum Kampf gegen ihn. Das Rivalisieren der bürokratischen Cliquen bei den Wahlen kann der Ansatzpunkt eines breiteren politischen Kampfs werden. Die Geißel gegen die »schlecht arbeitenden Machtorgane« kann zur Geißel gegen den Bonapartismus werden. Alles deutet darauf hin, dass es im weiteren Verlauf der Entwicklung unvermeidlich zum Zusammenstoß der kulturell gewachsenen Kräfte des Volks mit der bürokratischen Oligarchie kommen muss. Einen friedlichen Ausweg aus der Krise gibt es nicht. Kein Teufel hat jemals freiwillig seine Krallen beschnitten. Die Sowjetbürokratie wird ihre Positionen nicht kampflos aufgeben. Die Entwicklung führt eindeutig auf den Weg der Revolution.[27]
Wie die Geschichte wiederholt gezeigt hat, öffnet eine bürokratische Diktatur, die versucht, sich durch eine Politik beschränkter Reformen zu verteidigen, die Tür für ihren eigenen Sturz. Die Bürokratie hat die Parole der »Demokratie« aufgestellt, um die Arbeiterklasse besser antreiben zu können und ihre eigenen Privilegien zu verteidigen. Die proletarische Forderung nach Sowjetdemokratie hat dagegen die Beseitigung der privilegierten Bürokratenkaste durch die politische Revolution zum Inhalt.
Der Kampf der sowjetischen Arbeiterklasse gegen die Bürokratie beginnt mit der Forderung nach unabhängigen Gewerkschaften und Fabrikkomitees und muss die Parolen nach Abschaffung der Privilegien und der politischen Unterdrückung, der Legalisierung der Sowjetparteien und größerer Gleichheit der Löhne aufstellen – alles Forderungen, die den sogenannten demokratischen Reformen Gorbatschows direkt entgegengesetzt sind.
Sie muss dann die Bürokratie aus den Sowjets vertreiben und die volle demokratische Kontrolle der Arbeiter wiederherstellen. Statt Gorbatschows Wende zu kapitalistischen Methoden muss die Planwirtschaft von oben bis unten im Interesse der Arbeiterklasse reorganisiert und die Last, die das Parasitentum der Bürokratie für die sowjetische Wirtschaft bedeutet, beseitigt werden.
Die konterrevolutionäre Zusammenarbeit der Bürokratie mit dem Imperialismus muss durch eine Politik des proletarischen Internationalismus ersetzt werden. Alle geheimen Vereinbarungen zwischen dem Kreml und dem Imperialismus müssen bekannt gemacht und gekündigt werden.
Diese Forderungen können nur durch den Aufstand der sowjetischen Arbeiterklasse, den Sturz der Bürokratie und die Wiedereroberung der politischen Macht realisiert werden. Dies ist eine politische und nicht eine soziale Revolution, weil die sowjetische Arbeiterklasse die Eigentumsformen, die von der Oktoberrevolution geschaffen wurden, nicht verändern muss. Nur auf diese Weise können die sowjetischen Arbeiter den ersten Arbeiterstaat regenerieren und als Teil der weltweiten revolutionären Kämpfe des Proletariats zum wirklichen Sozialismus vorwärtsschreiten.
32. Das Internationale Komitee ruft vor dem Hintergrund tiefgreifender revolutionärer Entwicklungen im Westen die sowjetische Arbeiterklasse auf, diesen Weg der politischen Revolution zu beschreiten. Jeder Schlag des Proletariats in Europa, Nordamerika und in den früheren Kolonien gegen den Kapitalismus wird die sowjetischen Arbeiter gegen die Bürokratie stärken. Jeder Schlag der sowjetischen Arbeiterklasse gegen die sowjetische Bürokratie wird das Proletariat und die unterdrückten Massen überall in ihrem Kampf gegen den Imperialismus stärken.
Nur das Programm des Trotzkismus kann die Tradition von 1905 und 1917 in der sowjetischen Arbeiterklasse wiederbeleben und die Massen zum Aufstand gegen die konterrevolutionäre Bürokratie führen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ruft die Arbeiter der Sowjetunion und Osteuropas auf, in seine Reihen einzutreten, Sektionen des IKVI aufzubauen und auf diese Weise die Eroberungen der Oktoberrevolution zu verteidigen und auszudehnen.
Nieder mit der stalinistischen Bürokratie Michail Gorbatschows!
Vorwärts zur politischen Revolution!
Lang lebe die Sowjetdemokratie!
Lang lebe die sozialistische Weltrevolution!
Baut das Internationale Komitee der Vierten Internationale auf!
Leo Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin, Essen 1993, S. 59, 60.
Leo Trotzki, Verteidigung des Marxismus, Essen 2006, S. 8.
Leo Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin, S. 57–58.
Ebd., S. 24–25.
Michail Gorbatschow, »Über die Umgestaltung und die Kaderpolitik der Partei. Referat auf dem Plenum des ZK der KPdSU 27. Januar 1987«, in: Reden und Aufsätze zu Glasnost und Perestroika, Moskau 1989, S. 356.
Der Spiegel, Nr. 9, 22. Februar 1987.
Leo Trotzki, Verratene Revolution, Essen 2016, S. 247.
Michail Gorbatschow, »Über die Umgestaltung und die Kaderpolitik der Partei«, ebd., S. 357.
Ebd., S. 372–373.
Leo Trotzki, Verratene Revolution, S. 253.
Michail Gorbatschow, »Über die Umgestaltung und die Kaderpolitik der Partei«, ebd., S. 357.
Ebd., S. 396.
Ebd., S. 359.
Ebd., S. 357.
Leo Trotzki, Verratene Revolution, S. 271.
Ebd.
Zitiert in: ebd., S. 204.
Ernest Mandel, Revolutionärer Marxismus heute, Frankfurt 1982, S. 235.
Zitiert in: Trotskyism versus Revisionism, Bd. 1, London 1974, S. 302.
»Der 20. Parteitag der KPdSU. Der Beginn des letzten Stadiums der Krise des Stalinismus«, in: The Struggle to Reunify the Fourth International, SWP-Publikation, S. 59.
Ernest Mandel, »Gorbatschows Dilemma«, in: Inprekorr, Jg. 17, Nr. 192, April 1987, S. 12.
Ebd., S. 18.
James P. Cannon, »Der Offene Brief der Socialist Workers Party«, zitiert in: David North, Das Erbe, das wir verteidigen, Essen 2019, S. 316.
Marxist Review, August 1986, S. 3.
Workers Press, 31. Januar 1987.
Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen 1997, S. 120–121.
Leo Trotzki, Verratene Revolution, S. 279–280.