Internationales Komitee der Vierten Internationale
Die Vierte Internationale und die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution 1986–1995

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka und die Strategie der permanenten Revolution

Wie das IKVI seine Haltung zu den nationalen Befreiungsbewegungen änderte

Vortrag von Deepal Jayasekera auf der Sommerschulung der Socialist Equality Party (US) am 25. Juli 2019.

Ich möchte einige der Fragen, die sich nach der Spaltung 1985–1986 von den Renegaten der Workers Revolutionary Party (WRP) stellten, näher untersuchen. Diese Spaltung eröffnete eine neue Periode für die Revolutionary Communist League (RCL), die Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) in Sri Lanka. Nach Jahren fast vollständiger Isolation und zahlreicher politischer Angriffe der WRP war die RCL nun in der Lage, in enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee ihre politische Linie zu schärfen und stärker in der Arbeiterklasse einzugreifen. Besonders wichtig war dies nach dem viel zu frühen Tod von Genossen Keerthi Balasuriya im Jahr 1987, der einen schweren Schlag für die RCL und das ganze IKVI darstellte. Ich glaube, dass der damals erzielte politische Fortschritt auch für die Arbeiterklasse in anderen Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung, sei es in Asien oder anderswo, große Bedeutung hat. Ich werde mich in erster Linie auf unsere Haltung zu den verschiedenen nationalen Befreiungsbewegungen konzentrieren.

Michael Banda

Die Abkehr der Socialist Labour League (SLL)/WRP von der Theorie der permanenten Revolution sowie ihre politisch kompromittierende Haltung gegenüber den nationalen maoistischen Befreiungsbewegungen – wie auch ihr späterer Kniefall vor ihnen – beeinträchtigten die politische Arbeit der RCL in hohem Maße.

Die Kapitulation der SLL vor der nationalen Bourgeoisie in rückständigen Ländern führte zu scharfen Differenzen mit der RCL. Als Michael Banda im Namen des IKVI eine Stellungnahme veröffentlichte, die den Einmarsch der indischen Armee in Ostpakistan unter dem Vorwand, der Befreiungsbewegung Bangladeschs im indisch-pakistanischen Krieg von 1971 beizustehen, »kritisch unterstützte«, legte die RCL unter Führung von Genossen Keerthi im Dezember 1971 eine Stellungnahme vor, die Bandas Haltung widersprach:

… die Aufgabe des Proletariats [ist] nicht die Unterstützung der einen oder anderen Seite der kriegführenden Bourgeoisien …, sondern das Ausnutzen jedes Konflikts im Lager des Klassenfeinds mit dem Ziel, unter der Perspektive einer föderativen sozialistischen Republik die Macht zu ergreifen. Nur dadurch ist es möglich, die sozialen und nationalen Ziele der Abermillionen Werktätigen des Subkontinents zu befriedigen.[1]

Als Keerthi die Stellungnahme des IK gelesen hatte, schrieb er sofort an Cliff Slaughter, den Sekretär des IKVI, um ihn darüber zu informieren, dass die RCL diese entschieden ablehnte:

Es ist nicht möglich, den nationalen Befreiungskampf des bengalischen Volkes und die freiwillige Vereinigung Indiens auf sozialistischer Grundlage zu unterstützen, ohne sich gegen den indisch-pakistanischen Krieg zu wenden. Ohne Opposition gegen den Krieg aus dem Innern Indiens und Pakistans ist es völlig absurd, über ein vereintes sozialistisches Indien zu sprechen, welches allein in der Lage ist, das Selbstbestimmungsrecht der zahlreichen Nationen des indischen Subkontinents zu sichern.[2]

Als prinzipieller Internationalist veröffentlichte Keerthi die RCL-Stellungnahme nicht, sondern bat um eine Diskussion innerhalb der Internationalen über die Meinungsverschiedenheiten der RCL mit der Haltung des IKVI:

Wir brauchen nicht zu betonen, dass es schwierig ist, die IK-Erklärung zu verteidigen. Trotzdem ist Klarheit in der Internationale wichtiger als alles andere, weil es für uns unmöglich ist, eine nationale Sektion aufzubauen, ohne für den Aufbau der Internationale zu kämpfen.[3]

Die SLL-Führung verhinderte eine solche Diskussion vorsätzlich und verheimlichte den Brief der RCL vor den anderen Sektionen.

Die RCL, die sich von Anfang an auf die Theorie der permanenten Revolution stützte, geriet mit ihrer prinzipiellen Haltung zur nationalen Frage unter gewaltigen Druck vonseiten der SLL/WRP. Die RCL kämpfte seit Langem konsequent gegen die Diskriminierung der Tamilen durch sämtliche Regierungen in Colombo, wie auch gegen alle Formen von Nationalismus und Rassismus. Im Zentrum ihres Kampfs stand die Vereinigung der singhalesischen, tamilischen und muslimischen Arbeiter Sri Lankas auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

Keerthi Balasuriya

Anfang der 1970er Jahre forderte die RCL den Rückzug der Truppen aus dem Norden und Osten der Insel. Im Juni 1972 veröffentlichte sie eine Erklärung, in der sie zwar »das Recht der tamilischen Nation auf Selbstbestimmung« anerkannte, doch betonte, »dass dieses Recht nur durch die Mobilisierung der singhalesischen und tamilischen Arbeiter für die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung erreicht werden kann, die sozialistische Politik durchführt und diese Rechte anerkennt«.[4] Damit befürwortete die RCL nicht etwa einen unabhängigen tamilischen Staat, sondern verteidigte das Recht der Tamilen auf solch einen Staat.

Auf einem Treffen des IKVI im Jahr 1972 widersetzte sich jedoch die SLL-Führung – besonders Banda – vehement dem Standpunkt der RCL und brandmarkte die Unterstützung für das Recht der Tamilen auf Selbstbestimmung als Beihilfe zu imperialistischen Plänen, die Insel aufzuteilen. Ebenso wie 1971 die Unterstützung der indischen Militärintervention in Ostpakistan basierte auch diese Position Bandas auf der Verteidigung der sogenannten unabhängigen Nationalstaaten, welche der Imperialismus in den Jahren 1947–1948 in Südasien errichtet hatte.

Widerstrebend zog die RCL ihre Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts der Tamilen zurück und fügte sich der Erfahrung und der politischen Autorität der SLL-Führung. Während die RCL weiterhin die demokratischen Rechte der tamilischen Bevölkerung verteidigte und für die Einheit der singhalesischen und tamilischen Arbeiter auf der Basis sozialistischer Politik kämpfte, wurde ihr prinzipieller Kampf in den 1970er Jahren sehr oft durch Versuche der SLL/WRP-Führung behindert, ihr die wichtige taktische Waffe der Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung vorzuenthalten.

Doch im Jahr 1979, als der nationale Befreiungskampf der Tamilen internationale Bedeutung erlangte, vollzog die WRP eine Kehrtwende um 180 Grad und beeilte sich, die kleinbürgerlichen tamilischen nationalistischen Gruppen kritiklos zu umarmen. Auf einer Linie mit ihren prinzipienlosen Beziehungen zur arabischen Bourgeoisie knüpfte die WRP auch Beziehungen zu den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), verlieh ihnen sogar einen »sozialistischen« Anstrich und versuchte, der RCL eine Politik der Unterstützung des tamilischen Nationalismus und der LTTE aufzunötigen.

Im Jahr 1983, als die sri-lankische Regierung infolge ihrer marktliberalen Reformen von einer schweren Krise erschüttert wurde, verschärfte sie ihre antitamilischen Provokationen bis hin zu einem inselweiten Pogrom, dem Hunderte zum Opfer fielen. Die RCL war die einzige Organisation, die sich dieser Gewaltorgie entgegenstellte und zur Einheit der singhalesischen und tamilischen Arbeiter aufrief. Die WRP hielt es nicht einmal für nötig, sich nach dem Schicksal der RCL-Mitglieder zu erkundigen, geschweige denn die RCL zu verteidigen. Sie spekulierte lediglich in ihrer Presse darüber, ob die RCL wohl schon untergegangen sei. Dies war der Beginn des langwierigen Bürgerkriegs in Sri Lanka, der erst im Jahr 2009 enden sollte.

Keerthi Balasuriya spricht auf einer RCL-Versammlung

Die RCL setzte ihren mutigen politischen Kampf zur Verteidigung der demokratischen Rechte der Tamilen und zur Vereinigung der Arbeiterklasse auf der Insel fort – über die Grenzen der singhalesischen, tamilischen und muslimischen Gemeinschaften hinweg, auf der Basis des Kampfs für ein sozialistisches Programm. Doch die kritiklose Unterstützung der WRP für die LTTE hinderte die RCL daran, die Politik der tamilischen Separatistengruppen, einschließlich der LTTE, gewissenhaft zu untersuchen.

Erst nach der Spaltung von 1985–1986 waren die RCL und das IKVI in der Lage, eine ernsthafte Analyse der nationalen Frage vorzunehmen und die politische Perspektive der sri-lankischen Sektion diesbezüglich zu bestimmen. Im März 1987 wurden in der Zeitschrift »Vierte Internationale« die Dokumente veröffentlicht, die die RCL 1971 zur indischen Militär­intervention im damaligen Ostpakistan erarbeitet hatte.

Im Juli 1987 unterzeichneten der damalige Staatspräsident von Sri Lanka J. R. Jayewardene, der mit einer durch den Krieg ausgelösten tiefen Krise konfrontiert war, und der indische Premierminister Rajiv Gandhi das indo-sri-lankische Abkommen. Gemäß diesem Abkommen wurden indische Truppen in den Nord- und Ostprovinzen der Insel stationiert, um die bewaffneten tamilischen Gruppen zu entwaffnen und jeden Widerstand gegen das Abkommen zu unterdrücken. Das sri-lankische Militär, das im Norden und Osten abgelöst worden war, wurde nun im Süden eingesetzt, um gegen die wachsende soziale Opposition der Arbeiterklasse und besonders die ländliche Jugend vorzugehen.

Nur die RCL widersetzte sich dem indo-sri-lankischen Abkommen auf der Grundlage des Internationalismus der Arbeiterklasse. Sie stand in Opposition zur Sri Lanka Freedom Party (SLFP) und zur Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), die das Abkommen vom Standpunkt des singhalesischen Chauvinismus ablehnten; ebenso zur Lanka Sama Samaja Party (LSSP), zur stalinistischen Kommunistischen Partei (KP) und zur pablistischen Nava Sama Samaja Party (NSSP), die sich alle hinter Jayewardene stellten und behaupteten, dessen Manöver würden der Insel Frieden bringen und die nationale Frage lösen. Die RCL kämpfte für die Vereinigung der Arbeiterklasse Sri Lankas und Indiens gegen das Abkommen und die indische Militärintervention.

Die politische Linie der RCL zur nationalen Frage entwickelte sich aus ausgedehnten Diskussionen über diese Entwicklungen mit dem IKVI, das zu Recht der internationalen Strategie den Vorrang vor jeder nationalen Taktik einräumte.

Im November 1987 veröffentlichte das IKVI eine umfassende Stellungnahme unter dem Titel »Die Situation in Sri Lanka und die politischen Aufgaben der Revolutionary Communist League«. In dieser Erklärung, die sich auf Trotzkis Theorie der permanenten Revolution stützt, stellte das IK fest, dass die demokratischen Rechte der Tamilen auf der Insel nur durch einen vereinten Kampf der Arbeiterklasse über die Grenzen der singhalesischen und tamilischen Gemeinschaften hinweg zur Verwirklichung des Sozialismus erreicht werden können. Sie rief erstmals zur Gründung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Sri Lanka und Tamil Eelam auf.

In der Stellungnahme wurde betont, dass das indo-sri-lankische Abkommen die heimtückische Natur der nationalen Bourgeoisie enthüllt hatte. Dort heißt es:

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die zahllosen tragischen Erfahrungen dieses Jahrhunderts den niederträchtigen und reaktionären Charakter der nationalen Bourgeoisie in den zurückgebliebenen Ländern noch immer nicht hinreichend bewiesen haben, sind die Unterzeichnung des indo-sri-lankischen Abkommens und die indische Invasion in den Nord- und Ostprovinzen Sri Lankas eine zusätzliche Lehre für die unterdrückten und ausgebeuteten Massen … Die Politik Gandhis und Jayewardenes hat dem Mythos, die nationale Bourgeoisie Indiens und Sri Lankas könne in der Zukunft beider Länder noch eine progressive Rolle spielen, den Todesstoß versetzt.[5]

Das IKVI, das die notwendigen historischen Lehren daraus zog, erklärte beharrlich:

Die vom Imperialismus zugestandene »Unabhängigkeit« bedeutete ausnahmslos die künstliche Errichtung von Staatsgebilden, in denen demokratische Prinzipien von vornherein nicht vorgesehen waren und mit Füßen getreten wurden. Die nationale Bourgeoisie trat dabei nicht als Befreierin der unterdrückten Massen auf, sondern als Teilhaberin an der imperialistischen Ausplünderung. Der Staatstypus, der auf diesem Weg geschaffen wurde, ist nichts weiter als ein Gefängnislager des verrotteten Kapitalismus, in dem keine Weiterentwicklung der Produktivkräfte möglich war.[6]

Im Dokument wurde zudem erläutert, wie die Kapitulation der LTTE vor der indischen Bourgeoisie den Bankrott des kleinbürgerlichen Nationalismus enthüllt hatte:

In Zeiten einer historischen Krise, wenn das Schicksal ganzer Völker auf dem Spiel steht, ist Sentimentalität fehl am Platz. Sympathie für die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) und Sorge um das Schicksal ihrer Kämpfer dürfen uns nicht hindern auszusprechen, was ausgesprochen werden muss: Die Politik der LTTE ist der Hauptgrund für die schweren Rückschläge des nationalen Kampfs seit dem 29. Juli 1987.[7]

Weiter heißt es in der Erklärung:

Das Proletariat ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung verwirklichen kann, aber nicht als Anhängsel der nationalen Bourgeoisie, sondern als ihr unversöhnlicher Gegner. Es führt den Kampf um Selbstbestimmung mit seinen eigenen Waffen und auf der Grundlage seines eigenen Programms und wird so zum Führer der unterdrückten Massen in den Dörfern und auf dem Land. Die Selbstbestimmung ist ein Nebenprodukt der sozialistischen Revolution unter der Führung des Proletariats, das nach Errichtung seiner Diktatur allen unterdrückten Völkern ihre legitimen demokratischen Rechte garantiert … Das ist der Wesenskern des Programms der Revolutionary Communist League für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Tamil Eelam und Sri Lanka.[8]

Die einzige andere Opposition zum indo-sri-lankischen Abkommen war der singhalesisch-chauvinistische Standpunkt der JVP. Sie warf der Regierung vor, das Land zu spalten, und forderte die Arbeiter ultimativ, mit vorgehaltener Waffe, auf, sich ihren Streiks und Protesten anzuschließen. Ende 1988 führten die Schergen der JVP Mordanschläge gegen die ganze Arbeiterklasse und besonders die Führer und Mitglieder der Gewerkschaften, der LSSP, KP und NSSP durch. JVP-Mörder töteten drei RCL-Mitglieder: R. A. Pitawela am 12. November 1988, P. H. Gunapala am 23. Dezember 1988 und Gretian Geekiyanage am 23. Juni 1989. Die faschistischen Mordattacken der JVP gegen die Arbeiterklasse standen im Einklang mit der Mobilisierung von Polizei und Militär gegen die Arbeiterklasse durch die Regierung der United National Party (UNP).

R.A. Pitawela, ein RCL-Mitglied, das 1988 von JVP-Schergen getötet wurde

Ende 1988 entwickelten die RCL und das IKVI eine sehr wichtige taktische Initiative. Sie sah eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse vor, indem sie zu einer Einheitsfront aller Parteien und Organisationen der Arbeiterklasse gegen die faschistischen Angriffe der JVP und die militärisch-polizeiliche Unterdrückung durch die UNP-Regierung aufrief. Die RCL kämpfte dafür, die Arbeiterklasse unabhängig und als vereinte Bewegung gegen die bürgerliche Herrschaft zu mobilisieren und alle unterdrückten Massen, einschließlich der armen Bauern, um die Arbeiterklasse zu scharen, um die kapitalistische Herrschaft zu stürzen und eine Regierung der Arbeiter und Bauern zu errichten, die eine sozialistische Politik durchführen würde.

Eine entscheidende Diskussion entspann sich über die Haltung der RCL gegenüber der sozialen Basis der JVP – der Bauernschaft und der arbeitslosen singhalesischen Jugend im Süden der Insel. Die Diskussion war sehr wichtig, um die Haltung der revolutionären Arbeiterpartei gegenüber der Bauernschaft zu klären. Das IKVI erkannte korrekterweise eine Tendenz in den Veröffentlichungen der RCL, sich angesichts der Massenmorde der Colombo-Regierung an JVP-Unterstützern gleichgültig zu verhalten. In dieser Terrorkampagne gegen die Bauernschaft wurden etwa 60 000 Jugendliche niedergemetzelt.

Im Verlauf dieser Diskussionen erklärte David North:

Während die proletarische Diktatur der gestürzten Bourgeoisie die stählerne Faust zeigt, reicht sie der unterdrückten Bauernschaft hilfsbereit die Hand. Die Bolschewiki haben das Regime, das im Oktober 1917 geschaffen wurde, immer als proletarische Diktatur bezeichnet, die sich auf die Unterstützung der verarmten Bauernschaft stützte. Während das Proletariat die Bourgeoisie beherrschte und unterdrückte, war die proletarische Diktatur auf ein Bündnis der städtischen Arbeiter mit den armen Bauern gegründet.

Er vertiefte das Thema weiter:

Wie eure Erklärung auf den darauffolgenden Seiten zeigt, anerkennt die RCL die Notwendigkeit, ein Programm für die Landbevölkerung vorzulegen, um die verarmten Bauern auf die Seite der Arbeiterklasse zu gewinnen. Diese Aufgabe wird jedoch unterhöhlt, wenn wir in nachlässiger Weise zulassen, dass die armen Bauern feindliche Schlüsse aus unserem Aufruf an die »historische Berechtigung« ziehen, »über alle anderen Klassen« zu herrschen, und dabei die notwendige Unterscheidung zwischen der Bedeutung der proletarischen Diktatur für die Bourgeoisie und ihre Bedeutung für die unterdrückte Bauernschaft nicht treffen können.[9]

North beanstandete eine RCL-Stellungnahme zum Mord an JVP-Führer Wijeweera, weil sie nicht berücksichtigt hatte, dass gegen die Basis der JVP – die Bauernschaft und die ländliche Jugend – umfassende Repressionen erfolgten.

Natürlich geht es bei einer Analyse der Ermordung Wijeweeras nicht darum, ein moralisches Urteil über ihn zu fällen, sondern darum, die soziale Basis dieser Bewegung zu verstehen. Wir haben nicht die geringste Sympathie für Wijeweera, und wir bedauern nicht seinen Abgang. Aber wir müssen verstehen, dass das Problem der JVP nur vom Standpunkt der komplexen gesellschaftlichen Beziehungen in Sri Lanka und den rückständigen Ländern überhaupt verstanden werden kann.[10]

North wies zu Recht darauf hin, dass es der Verrat der LSSP sowie ihr Desinteresse an der Bauernschaft gewesen waren, die die Grundlage für die JVP gelegt hatten. Die RCL dürfe nicht denselben Weg gehen.

Das Thema wurde auf einem Plenum weiter diskutiert, das eine Delegation des RCL-Zentralkomitees vom 6.–9. November 1990 mit David North abhielt. Dies führte zu einer internationalen Kampagne gegen das Massaker, das zu dieser Zeit im Süden Sri Lankas stattfand.

Gestützt auf die politische und theoretische Klärung, die in dieser Diskussion erzielt worden war, veröffentlichte die RCL eine Erklärung, in der sie die Arbeiterklasse aufrief, als unabhängige politische Kraft einzugreifen, um sowohl das staatliche Massaker an der Landjugend im Süden als auch den wiederaufgenommenen Krieg gegen die tamilischen Massen im Norden zu stoppen. Darin wurde außerdem aufgezeigt, dass die Verteidigung der Landbevölkerung gegen den staatlichen Terror unlösbar mit dem Kampf zum Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie und der Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung verbunden war, die die Form einer Vereinigten Sozialistischen Republik von Sri Lanka und Eelam annehmen werde.

Dies wurde zur Basis einer ausgedehnten Kampagne der RCL und aller Sektionen des IK.

Anknüpfend an die Perspektive der RCL für Sri Lanka und Südasien begann das IKVI eine kritische Überprüfung der nationalen Frage, insbesondere im Hinblick auf die separatistischen Bewegungen auf dem Balkan, in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion in den frühen 1990er Jahren.

Auf dem dreizehnten Plenum des IKVI im Juni 1993 führte das IK ausführliche Diskussionen über sein Programm zur nationalen Frage und insbesondere zu seiner Haltung zur »Selbstbestimmung«.

David North bemerkte:

Die historisch-materialistische Herangehensweise an die Frage der Selbstbestimmung, den Nationalismus im Allgemeinen, schließt es aus, irgendeinem gesellschaftlichen Phänomen eine überhistorische oder zeitlose Eigenschaft zuzusprechen. Dies wurde von Lenin in seiner konkreten und historisch präzisen Definition der »drei Typen von Ländern in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen«, wie er es nannte, vollendet zum Ausdruck gebracht.[11]

Wenn Lenin in seinen Schriften von 1913–1916 über die nationale Frage für das »Recht der Nationen auf Selbstbestimmung« eintrat und sich dabei auf »drei Typen von Ländern in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen«[12] bezog, so stand dies im Zusammenhang mit seinem Kampf, die Arbeiterklasse über verschiedene ethnische Gruppen hinweg zu vereinen und die unterdrückten Nationalitäten zur Unterstützung des Kampfs gegen Zarismus und Imperialismus zu gewinnen. Seine Position war immer vom Niveau der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und dem Klassenkampf bestimmt. Als er 1913 für das Selbstbestimmungsrecht im Russischen Reich, auf dem Balkan und in Osteuropa eintrat, waren diese Länder noch weitgehend agrarisch geprägt, und die Entwicklung des Kapitalismus und der nationalen Bewegung befand sich erst in ihren Anfängen.

Mehr als ein Jahrhundert später haben alle diese Regionen umfassende Veränderungen durchgemacht, wie die Welt insgesamt.

North wies darauf hin, dass sich die Lage der Länder des dritten Typs – in Asien und Afrika – von Grund auf geändert hatte, und stellte fest:

Gibt es irgendwelche Länder oder Gruppen von Ländern, die heute der Situation entsprechen, wie sie existierte, als Lenin diese Kategorie definierte? Die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten. Ganz klar hat sich das Asien oder Afrika von 1913 oder 1914 enorm verändert.[13]

Die neuen Bewegungen, die in diesen Regionen entlang ethnischer, kommunalistischer und auch religiöser Zugehörigkeiten entstanden, waren eine Folge des eklatanten Versagens der nationalistischen Bewegungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg die »Unabhängigkeit« erlangt hatten, sich aber als unfähig erwiesen, auch nur eine einzige grundlegende demokratische Aufgabe zu lösen. North bezog sich auf Indien als Beispiel für diesen allgemeinen Prozess und erklärte:

Aus der Auflösung des bürgerlich-nationalen Projekts in Indien, oder um es anders auszudrücken, gerade weil die indische Bourgeoisie unfähig war, wirkliche nationale Einheit zu erreichen oder Indien von der imperialistischen Vorherrschaft zu befreien, erheben sich aus der Leiche dieses Staats alle möglichen spalterischen und separatistischen Bewegungen, die keine Spur der universellen Bestrebungen enthalten, die die revolutionären nationalistischen Bewegungen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts kennzeichneten.[14]

In der ehemaligen Sowjetunion, in Osteuropa und auf dem Balkan schürten kleine Cliquen ehemaliger Stalinisten und Kapitalisten die kommunalen und ethnischen Spaltungen, um im Zuge der kapitalistischen Restauration Territorien für sich selbst herauszureißen.

Keine dieser neuen nationalistischen Separatistenbewegungen wies einen antiimperialistischen oder historisch fortschrittlichen Charakter auf. Vielmehr suchten sie aktiv die Patenschaft der Imperialisten und separate Deals mit dem internationalen Kapital, dem sie sichere Häfen für multinationale Konzerne anboten.

North erklärte:

Die Entwicklung der multinationalen Produktion gibt zahllosen Staaten oder zahllosen Gruppen Möglichkeiten, die sie nie vorher hatten. Der Prozess der ökonomischen Entwicklung, die Mobilität des Kapitals, verschafft einigen nationalen Gruppierungen, ethnischen Gruppierungen dieser oder jener Sorte die Möglichkeit, je nach ihrer Verbindung zum internationalen Kapital selbst innerhalb sehr kleiner Gebiete auf der Grundlage der Unabhängigkeit gewisse Vorteile herauszuschlagen. Dafür stehen Singapur, Formosa [Taiwan] und Hongkong Modell.[15]

In der Diskussion sagte RCL-Generalsekretär Wije Dias:

Die Frage der nationalen demokratischen Rechte muss von Revolutionären als Teil des Programms der sozialistischen Weltrevolution angegangen werden, für das die marxistische, die trotzkistische Bewegung kämpft. Wir haben immer betont, dass diese demokratischen Rechte nur als ein Nebenprodukt der sozialistischen Revolution verwirklicht werden können. Deswegen können die nationalen demokratischen Rechte nur als ein Nebenprodukt der sozialistischen Weltrevolution realisiert werden. Es gibt keinen nationalen Weg, um nationale demokratische Rechte zu erreichen. Es gibt keinen nationalen Weg zur nationalen Gleichberechtigung oder Befreiung.[16]

Angesichts der enormen Veränderung der Weltsituation trat David North für eine Änderung der Haltung des IKVI zur Forderung nach »Selbstbestimmung« ein. Er erklärte:

Kommunalistische, ethnische, chauvinistische Bewegungen verstecken sich hinter demokratischer Phraseologie – dem Slogan der Selbstbestimmung, der nationalen Befreiung –, während sie eine Politik verfolgen, deren ökonomischer Inhalt die erneute Versklavung der breiten Massen durch den Imperialismus ist. Sie streben nicht nach nationaler Befreiung in dem Sinn, wie dieser Begriff in einer früheren historischen Periode verstanden worden ist, sondern danach, selbst die begrenzten Errungenschaften auszulöschen, die die Massen früher erreicht haben.[17]

Infolge der politischen und theoretischen Klärung, die im Verlauf der Diskussion erreicht wurde, entschied das IKVI, dass es, um für die Vereinigung der Arbeiter kämpfen zu können, eine kritische, ja feindselige Haltung gegenüber den verschiedenen nationalistischen Separatistenbewegungen einnehmen müsse. Solche Bewegungen rechtfertigten mit dem »Selbstbestimmungsrecht« die Gründung separater bürgerlicher Staaten – die meist Zwergstaaten waren. Das beste Beispiel war die LTTE.

Das IKVI erläuterte:

Die zentrale Frage ist hier, wie reagiert die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse auf den Zerfall der alten bürgerlich-nationalistischen Bewegungen? Sollen die Massen in diesen Ländern ihre Interessen durch neue separatistische Bewegungen geltend machen, die sich auf Absplitterungen von diesen durch die Entkolonialisierung entstandenen Staaten und auf religiöser Kleinstaaterei gründen?

Wir lehnen eine solche Perspektive kategorisch ab. Solche Kleinstaaten weisen der Arbeiterklasse und den unterdrückten Massen in Indien oder wo auch immer keinen Weg vorwärts. Bestenfalls schaffen sie Profite für eine dünne Schicht der privilegierten Klassen, wenn diese in der Lage sind, Freihandelszonen zu schaffen und ihre eigenen Abkommen mit dem transnationalen Kapital zu schließen. Den Massen bieten sie nur die Aussicht auf ethnische Blutbäder und verstärkte Ausbeutung.[18]

Die RCL hielt an ihrer prinzipiellen und mutigen Opposition gegen den antitamilischen, rassistischen Krieg fest, den mehrere aufeinanderfolgende Regierungen in Colombo führten, und verteidigte weiterhin die demokratischen Rechte der unterdrückten tamilischen Massen. Sie wandte sich jedoch gegen das separatistische Programm der LTTE. Unermüdlich kämpft die Partei für die Vereinigung der Arbeiterklasse, der singhalesischen, tamilischen und muslimischen Arbeiter, um die bürgerliche Herrschaft zu stürzen und die Vereinigte Sozialistische Republik von Sri Lanka und Eelam zu gründen.


[1]

»Erklärung der Revolutionary Communist League«, 8. Dezember 1971, in: Vierte Internationale, Jg. 14, Nr. 1, Frühjahr 1987, S. 47.

[2]

»Brief der RCL an Cliff Slaughter«, 16. Dezember 1971, in: Vierte Internationale, Jg. 14, Nr. 1, S. 51.

[3]

Ebd., S. 52–53.

[4]

Zitiert in: Keerthi Balasuriya, »Der Kampf der Tamilen und der Verrat von Healy, Banda und Slaughter«, in: Vierte Internationale, Jg. 14, Nr. 1, S. 62 (Kamkarumavatha, 24. Juni 1972).

[5]

»Die Situation in Sri Lanka und die politischen Aufgaben der Revolutionary Communist League«, in diesem Buch, S. 313.

[6]

Ebd., S. 319.

[7]

Ebd., S. 316.

[8]

Ebd., S. 320.

[9]

»Brief von David North an Wije Dias«, 27. Dezember 1988, in: Politische Chronologie des Internationalen Komitees der Vierten Internationale 1982–1991, S. 53, 54.

[10]

»Treffen des Politischen Komitees der RCL«, 3.–8. März 1990, in: Politische Chronologie, S. 77.

[11]

David North, »Perspektiven und Aufgaben des IKVI. Die permanente Revolution heute«, 13. Plenum des IKVI, Diskussion über die nationale Frage, 1.–7. Juni 1993, in: Internes Bulletin des Bunds Sozialistischer Arbeiter, 20. Dezember 1993, S. 3–4.

[12]

Wladimir I. Lenin, »Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen«, in: Werke, Bd. 22, Berlin 1981, S. 152–154.

[13]

David North, »Perspektiven und Aufgaben des IKVI. Die permanente Revolution heute«, ebd., S. 4.

[14]

Ebd., S. 6.

[15]

Ebd., S. 23.

[16]

Ebd., S. 14.

[17]

Ebd., S. 36.

[18]

Internationales Komitee der Vierten Internationale, »Globalisierung und internationale Arbeiterklasse. Eine marxistische Einschätzung«, 1998, online auf der World Socialist Web Site verfügbar, S. 80.