David North
Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale

Healys Rolle im Kampf gegen den pablistischen Revisionismus

Der Kampf gegen Haston hatte Healy zu einem Führer der britischen Trotzkisten gemacht, der Kampf gegen den Pablismus ließ ihn zu einer führenden Gestalt in der Vierten Internationale werden. Zu einer Zeit, als das Schicksal der Vierten Internationale und ihrer britischen Sektion auf Messers Schneide stand, bezog Healy entschieden Stellung für den „orthodoxen Trotzkismus“ und führte Seite an Seite mit Cannon einen erbitterten Kampf gegen den Revisionismus von Michel Pablo und Ernest Mandel, (der damals den Parteinamen Germain benutzte).

Es steht außer Zweifel: Healys Rolle im Kampf von 1953 bewies, dass er die Lehren aus den vierziger Jahren gezogen und eine große Entwicklung als Internationalist und revolutionärer Führer gemacht hatte. Sein Kampf gegen die prinzipienlose pablistische Fraktion in Großbritannien, die von John Lawrence geführt wurde, zeigte, auf welche außerordentlichen Fähigkeiten Healy in der besten Zeit seines politischen Lebens zurückgreifen konnte: einen unerschütterlichen Mut und Treue zu den Prinzipien des Trotzkismus, ein sehr klares Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des revolutionären Kaders und dem Verlauf des Klassenkampfs als Ganzem, und scheinbar unerschöpfliche Reserven an Energie und Entschlossenheit.

Aber es wäre eine Fälschung der Geschichte, wollten wir wie Torrance im Nachruf der Workers Revolutionary Party behaupten, dass Healy der politische Führer des Kampfs gegen den Pablismus gewesen sei und dass er das Internationale Komitee der Vierten Internationale gegründet habe. Diese Rolle hat Cannon gespielt. Dies muss festgestellt werden, nicht nur im Interesse der objektiven Wahrheit – obwohl das Grund genug wäre – sondern auch, weil die Herabminderung von Cannons Rolle und die Behauptung, Healy habe „den Kampf gegen den Pablismus angeführt“, erstmals in den sechziger Jahren verbreitet wurde, um, wie Healy in seiner Schrift Probleme der Vierten Internationale, die Bedeutung der internationalen Bewegung und ihre entscheidende Rolle in der Entwicklung der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien herunterzuspielen. In der genannten unglückseligen Broschüre schreckte Healy nicht einmal davor zurück, die „Legende“ zu verurteilen, dass Cannons „Offener Brief“ – der die internationale trotzkistische Bewegung zum Bruch mit dem Pablismus aufrief – entscheidend zum Sieg über die pablistische Tendenz in Großbritannien beigetragen hatte. „Das war eine Lüge“, schrieb Healy. „Die englischen Trotzkisten konnten 1953... ihre Angelegenheiten sehr gut selbst regeln.“ (Problems of the Fourth International, S. 17) Solche Bemerkungen nährten bloß die nationalistischen Tendenzen innerhalb von Healys eigener Organisation.

Die Entstehung des pablistischen Revisionismus widerspiegelte innerhalb der Vierten Internationale die neuen internationalen politischen Beziehungen, die auf der Grundlage der Nachkriegsabkommen zwischen dem amerikanischen Imperialismus und der Sowjetbürokratie geschaffen worden waren. Der Pablismus und seine Theorie, die objektive Realität bestehe ausschließlich aus dem Konflikt zwischen der „imperialistischen Herrschaft“ und der „stalinistischen Welt“ war eine theoretische Kapitulation vor dem oberflächlichen Erscheinungsbild des Kalten Kriegs. Daraus folgte die Ablehnung des Klassenkampfs als der Triebkraft der Geschichte und die Ablehnung der unabhängigen revolutionären Rolle der Arbeiterklasse. Die Bezeichnung der osteuropäischen Länder – in denen das kapitalistische Privateigentum durch bürokratische Willkür anstatt durch die bewusste revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse enteignet worden war – als „deformierte Arbeiterstaaten“ wurde zum Ausgangspunkt für grundlegende Revisionen des Programms der Vierten Internationale und auch der gesamten Geschichtsauffassung des Marxismus.

Für die eigenartigen und zwitterhaften Staaten, die unter den außergewöhnlichen Bedingungen nach dem Krieg entstanden waren, mag der Name „deformierte Arbeiterstaaten“ mehr oder weniger angebracht gewesen sein; aber Pablo und Mandel griffen die Zweideutigkeit dieser Formulierung auf, um dem Stalinismus, den Trotzki durchweg als konterrevolutionär gebrandmarkt hatte, eine wichtige, progressive historische Mission anzudichten. Anstatt zu erklären, dass es sich bei den stalinistischen Regimes in Osteuropa um Wechselbälger handelte, die aus der bürokratischen Erwürgung der proletarischen Revolution in West- und Osteuropa am Ende des Zweiten Weltkriegs gezeugt worden waren, verehrte Pablo die „deformierten Arbeiterstaaten“ als die notwendige Form, durch die sich der Sozialismus im Verlauf mehrerer Jahrhunderte allmählich weltweit durchsetzen werde! Darüber hinaus betonte Pablo, ein Atomkrieg zwischen der imperialistischen und der stalinistischen Regierung sei unvermeidlich; und dieser Krieg werde unter der Führung des Kreml einen revolutionären anti-imperialistischen Charakter annehmen. Pablo und Mandel krönten ihre Ansichten mit dem Argument, dass Stalins Tod im März 1953 den Weg für die Selbstreform der Bürokratie freigemacht habe.

In diesem politischen Schema gab es keine unabhängige Rolle für die Vierte Internationale. Es sei nicht genug Zeit für den Aufbau revolutionärer Massenparteien nach Lenins Vorbild, und das bloße Gewicht der objektiven Notwendigkeit werde die Stalinisten ohnehin zwingen, eine revolutionäre Rolle zu spielen, sagte Pablo, und drängte auf die regelrechte Auflösung des Kaders der Vierten Internationale in den stalinistischen Parteien. Dort, meinte er, sollten die Trotzkisten den Druck der Massen auf die stalinistischen Führer organisieren helfen, um diese zur Verwirklichung der revolutionären Mission zu zwingen, die Pablo ihnen zugedacht hatte!

In seinem Programm der universellen Liquidation argumentierte Pablo, das Ziel der Vierten Internationale sei ihre Auflösung in den jeweiligen Massenorganisationen, welche die Arbeiterbewegung in den Ländern beherrschte, wo ihre Sektionen politisch tätig waren. Er beharrte auf der Notwendigkeit, „alle organisatorischen Erwägungen betreffs der formalen Eigenständigkeit oder sonst etwas der wirklichen Integration in die Massenbewegung wie sie sich in jedem Land ausdrückt, unterzuordnen, beziehungsweise der Integration in eine wichtige Strömung dieser Massenbewegung, die man beeinflussen kann.“ Dieses Programm der „wirklichen Integration in die Massenbewegung“ sollte nicht nur für die stalinistischen und sozialdemokratischen Organisationen gelten, sondern auch für bürgerlich-nationalistische Bewegungen.

So erstaunlich es uns heute, wo wir auf eine beträchtliche historische Erfahrung zurückgreifen können, auch erscheinen mag, erkannten nur wenige in der Vierten Internationale den völlig revisionistischen Inhalt und die verheerenden politischen Implikationen von Pablos Linie, als sie auf dem Dritten Weltkongress der Vierten Internationale im Jahr 1951 zum ersten Mal offiziell vertreten wurde. Sowohl Cannon als auch Healy stimmten für die entsprechenden Resolutionen. Selbst Pablos bürokratischer Ausschluss der Mehrheit der französischen Sektion, die sich in ihrem Land den praktischen Folgen der liquidatorischen Linie widersetzte, fand die Billigung von Cannon und Healy. Als allerdings in den Vereinigten Staaten die Cochran-Clarke-Tendenz auftrat und die SWP zu liquidieren drohte, ging Cannon ein Licht auf. Er erkannte die liquidatorischen Implikationen von Pablos Linie, und ein bitterer Kampf begann innerhalb der Vierten Internationale.

Im Frühjahr 1953, als Healy mit einer Fraktion konfrontiert war, die seine Sektion in der britischen Kommunistischen Partei auflösen wollte, begann auch er die katastrophalen Implikationen von Pablos Revisionismus zu verstehen. Kaum hatte Healy seine Opposition geäußert, antwortete Pablo mit einer brutalen fraktionellen Kampagne, um mit Hilfe der Lawrence-Gruppe die britische Führung zu zerstören. Pablo wollte Healy unter die Disziplin des Internationalen Sekretariats stellen und befahl ihm, seine Differenzen zu der Politik des IS in der britischen Sektion nicht zu diskutieren. Healy kümmerte sich nicht um dieses bürokratische Diktat, das ein Hohn auf wirklichen internationalen demokratischen Zentralismus war. An diesem Punkt gewann die Zusammenarbeit von Healy und Cannon eine entscheidende Bedeutung für das Überleben der Vierten Internationale.

Healys Korrespondenz mit Cannon – ein Teil davon ist in verschiedenen internen Bulletins abgedruckt worden (von denen ein kleiner und sehr unangemessener Teil später von der WRP mit Cliff Slaughter als Herausgeber veröffentlicht wurde) – ist ein wichtiges Zeugnis für diese Zusammenarbeit und für Healys Beitrag zum Kampf gegen den Pablismus. Er wies Pablos Theorie, dass der Stalinismus eine progressive Rolle zu spielen habe, klar zurück und warnte vor den desorientierenden Folgen einer solchen Position für den Kader der Vierten Internationale.

„Es führt kein Weg vorbei an dem täglichen harten Brot des Parteiaufbaus“, schrieb er am 27. Mai 1953 an Cannon.

Es stimmt, dass die Revolution den Stalinismus in eine Krise geworfen hat, aber er bleibt immer noch eine mächtige reaktionäre Kraft. Er hat riesige Mittel, und sein Apparat eine enorme Reichweite. Im historischen Sinne ist ,sein Stern untergegangen‘, aber gerade jetzt kann er der Revolution die schlimmsten Hiebe beibringen. Unsere Sektionen sind die Avantgarde der Revolution, weil sie in der ganzen Welt die einzige bewusste Kraft sind, die für die Revolution organisiert ist. Sie sind unser wertvollstes Kapital. Der Stalinismus kann noch so sehr in der Krise sein, wenn unsere Leute nicht auf dem Posten sind, dann wird sich die Situation nie richtig ändern. Die Revolution hat zu großen Veränderungen geführt – wie in Jugoslawien –, aber sie kann nicht aus eigener Kraft Stalinisten und Zentristen in Kader der Vierten Internationale verwandeln. Das ist die historische Mission unserer Bewegung, und je eher wir den illusionären, trügerischen und opportunistischen Revisionismus ausmerzen, desto besser.

Die Politik Eurer ,realistischen‘ Minderheit[1] ist in der Praxis die unrealistischste Sache überhaupt.

Sie besteht darin, die Welt nach Revolutionen abzusuchen und sich daran zu berauschen, wie die empirischen Marionetten des Stalinismus von diesen gewaltigen Ereignissen umhergeschleudert werden; im Hochgefühl ihres ,neuen Denkens‘ blicken sie dann verächtlich auf unsere kleinen Bewegungen herab und erheben ein Geschrei über das ,Sektierertum‘, während sie gleichzeitig unsere bewusste Rolle beiseite schieben und im luftleeren Raum herumtaumeln, nur um schließlich im altbekannten Lager des Feindes – des Stalinismus oder Imperialismus – zu landen. (Trotskyism Versus Revisionism, Bd. 1, S. 113-14).

Healy sollte eines Tages dasselbe furchtbare Schicksal ereilen; aber das lag damals noch Jahre in der Zukunft, in der er selbst längst den Kampf gegen den pablistischen Revisionismus aufgegeben haben würde. Damals aber war er ein unerbittlicher Gegner von Pablos Anpassung an den Stalinismus, obgleich Healy immer noch die Hoffnung hatte, Pablo könne von seinem revisionistischen politischen Kurs abgebracht werden. Aber als sich der Fraktionskampf verschärfte, erkannte Healy, dass die Vierte Internationale vor einem Kampf bis zum bitteren Ende stand. Am 7. September 1953 schrieb er an Cannon:

Aus diesen Ereignissen kann man nur eine Schlussfolgerung ziehen – wir stehen im größten Kampf in der gesamten Geschichte unserer Bewegung zur Verteidigung unserer Grundprinzipien. Es wird ein harter, erbarmungsloser Kampf sein. Unsere Gegner sind zu allem Möglichen fähig. Wir werden sie geschlossen bekämpfen und schließlich besiegen – darauf vertraue ich.

Pablo hat Deine Konzeption unserer Internationale sehr erbittert angegriffen. Dieser Mann verwendet all die alten üblen Komintern-Tricks. Seine Methoden haben mich so angewidert, dass mir beinahe schlecht wurde. Viele Dinge gingen mir durch den Kopf, als wir miteinander sprachen. Sie hassen die alten Kader unserer Bewegung. Sie wollen eine Internationale aus rückgratlosen Kreaturen, die den Revisionismus so weit akzeptieren, dass sie zu einem linken Deckmantel des Stalinismus werden. Das sind harte Worte, aber wenn Du dasselbe durchgemacht hättest wie ich, dann würdest Du sicher genauso urteilen. (ebd. S. 266-67)

Cannon schätzte die Zusammenarbeit mit Healy sehr und betonte immer wieder die Bedeutung ihres gemeinsamen Kampfes gegen den Revisionismus in der Vierten Internationale.

„Gerade jetzt stehst Du an einem entscheidenden Wendepunkt Deiner gesamten Aktivität als Revolutionär in Deinem ganzen Leben“, schrieb er am 5. September 1953 an Healy. Aber die überlieferten schriftlichen Dokumente beweisen eindeutig, dass die politische Linie der Gegenoffensive gegen den pablistischen Revisionismus beinahe ausschließlich von der SWP-Führung ausgearbeitet wurde. Das war nur natürlich, denn sie verfügte über eine immense politische Erfahrung, die bis zu den Ursprüngen der Internationalen Linken Opposition zurückreichte. Diese Tatsache mindert nicht die Bedeutung von Healys Rolle; denn ohne seine Festigkeit und Entschlossenheit hätte die britische Sektion Pablos Angriff nicht überlebt, und der Kampf gegen den Revisionismus wäre ernsthaft beeinträchtigt worden.

Unter dem Parteinamen Burns war Healy einer der Unterzeichner der Resolution vom 23. November 1953, mit der das Internationale Komitee offiziell gegründet wurde, um den Kampf gegen die Revisionen des Programms der Vierten Internationale und die Angriffe auf ihre Kader zu führen, wie sie vom Internationalen Sekretariat Pablos betrieben wurden. Diese Resolution bekräftigte die Solidarität mit Cannons „Offenem Brief“ und zitierte jene Absätze, in denen die programmatischen Grundlagen des „orthodoxen Trotzkismus“ klar herausgearbeitet waren:

1. Der Todeskampf des kapitalistischen Systems droht, die Zivilisation durch immer schlimmere Depressionen, Weltkriege und barbarische Erscheinungen wie den Faschismus zu zerstören. Die Entwicklung von Atomwaffen unterstreicht heute diese Gefahr auf das Ernsteste und Nachdrücklichste.

2. Der Sturz in den Abgrund kann nur verhindert werden, indem der Kapitalismus weltweit durch eine sozialistische Planwirtschaft ersetzt und so die Spirale des Fortschritts, die der Kapitalismus in seiner Frühzeit in Gang gesetzt hat, wieder aufgenommen wird.

3. Dies kann nur unter der Führung der Arbeiterklasse geschehen, da sie die einzige wahrhaft revolutionäre Klasse in der Gesellschaft ist. Doch die Arbeiterklasse selbst ist mit einer Krise der Führung konfrontiert, obwohl die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf Weltebene noch nie so günstig wie heute dafür waren, dass die Arbeiter den Weg der Machtübernahme beschreiten können.

4. Um sich für die Durchsetzung dieses welthistorischen Ziels zu organisieren, muss die Arbeiterklasse in jedem Land eine revolutionäre Partei nach dem Muster, wie es Lenin entwickelt hat, aufbauen; d.h. eine Kampfpartei, die in der Lage ist, Demokratie und Zentralismus dialektisch zu vereinen – Demokratie in der Entscheidungsfindung, Zentralismus bei der Durchführung dieser Beschlüsse; mit einer Führung, die von den einfachen Mitgliedern kontrolliert wird; Mitgliedern, die fähig sind, diszipliniert vorzugehen, auch wenn sie unter Feuer stehen.

5. Das Haupthindernis hierfür ist der Stalinismus, der dadurch, dass er das Ansehen der Oktoberrevolution von 1917 in Rußland ausnutzt, Arbeiter anzieht, nur um dann später ihr Vertrauen zu missbrauchen und sie entweder in die Arme der Sozialdemokratie, in Apathie oder zurück zu Illusionen über den Kapitalismus zu treiben. Den Preis für diese Verrätereien hat dann das arbeitende Volk zu zahlen, in Form einer Stärkung faschistischer oder monarchistischer Kräfte, und durch neue Kriege, die der Kapitalismus hervorbringt und vorbereitet. Seit ihrer Gründung stellte sich die Vierte Internationale als eine ihrer Hauptaufgaben den Sturz des Stalinismus innerhalb und außerhalb der UdSSR.

6. Viele Sektionen der Vierten Internationale sowie Parteien und Gruppen, die mit ihrem Programm sympathisieren, stehen vor der Notwendigkeit einer flexiblen Taktik. Es ist daher um so dringender, dass sie wissen, wie man den Imperialismus und alle seine kleinbürgerlichen Agenturen (z. B. nationalistische Organisationen und Gewerkschaftsbürokratien) bekämpft, ohne vor dem Stalinismus zu kapitulieren; dass sie umgekehrt wissen, wie man gegen den Stalinismus kämpft (der letzten Endes eine kleinbürgerliche Agentur des Imperialismus ist), ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren.

Die grundlegenden Prinzipien, die Leo Trotzki aufgestellt hat, behalten auch in der heutigen, zunehmend komplizierten und sich verändernden politischen Weltlage ihre volle Gültigkeit. Tatsächlich haben die revolutionären Situationen, die sich, wie Trotzki vorhersah, überall eröffnen, erst jetzt all dem vollen konkreten Inhalt verliehen, was früher als eine Reihe von etwas entrückten, in keinem engen Zusammenhang mit der damaligen lebendigen Wirklichkeit stehenden Abstraktionen erscheinen sein mag. In Wirklichkeit gewinnen diese Prinzipien zunehmend an Gültigkeit und Stärke, sowohl in der politischen Analyse als auch bei der Bestimmung des Kurses für das praktische Handeln. (Trotskyism Versus Revisionism, Bd. 1, S. 314-15)

Wenn man diese Absätze heute zitiert, zu einem Zeitpunkt, wo die stalinistischen Regime in ganz Osteuropa zusammenbrechen, so ist erstaunlich, wie relevant die in dem „Offenen Brief“ dargelegte Analyse heute noch ist – mehr als 36 Jahre nach seiner Veröffentlichung!

Pablo reagierte auf den „Offenen Brief“, indem er den Ausschluss aller Anhänger des Internationalen Komitees verkündete. In Großbritannien erklärte die Minderheit unter Lawrence auf Pablos Anweisung hin, sie sei nun die offizielle Sektion, und Healy sei samt seinen Anhängern ausgeschlossen worden. Healy begegnete dieser bürokratischen Scharade von Pablo und Lawrence mit der ihr gebührenden Verachtung. „Sie schreien herum, werfen mit persönlichen Beleidigungen um sich, kreischen Drohungen und haben natürlich auch eine Begräbnisrede für die Genossen der Mehrheit parat“, stellte Healy in einem Brief vom 15. Dezember 1953 an die Mitglieder der wirklichen britischen Sektion fest. „Wer soll ihnen das abnehmen? Sicherlich niemand in diesem Land. Das ist für den internationalen Konsum bestimmt; es soll diejenigen irreführen, die nicht wissen, was in England eigentlich passiert ist.“ (Trotskyism Versus Revisionism, London 1974, Bd. 2, S. 72)

Verärgert über Healys klare Mehrheit, gingen Pablo und Lawrence (der bereits eng mit den britischen Stalinisten zusammenarbeitete) daran, die britische Sektion zu zerstören. Sie versuchten, die taktischen Probleme auszunutzen, denen Healy gegenüberstand, denn die öffentliche Handlungsfreiheit der britischen Sektion war in gewissem Maße eingeschränkt, da sie innerhalb der Labour Party arbeitete. Zu dieser Zeit arbeiteten die Trotzkisten mit einer Gruppe von Zentristen zusammen, um die Zeitung Socialist Outlook herauszugeben. Lawrence, der selbst nach der Spaltung der britischen Sektion noch Mitglied der Redaktion war, versuchte nun, jede Kontrolle der Trotzkisten über die Zeitung zu zerstören und sie in ein Organ der offenen Unterstützung für die stalinistische Linie zu verwandeln. Wie erbittert der politische Krieg zwischen den Trotzkisten und der prostalinistischen Pablo-Fraktion war, kommt in einem Brief zum Ausdruck, den Healy am 21. April 1954 an Leslie Goonewardene, einen Führer der ceylonesischen Lanka Sama Samaja Party schrieb. Er schilderte darin die Methoden, mit denen Pablo und Lawrence versuchten, alle Errungenschaften aus der vierjährigen Arbeit innerhalb der Labour Party zu zerstören und den Einfluss der Trotzkisten in der Redaktion von Socialist Outlook zu vernichten:

Seit mehreren Monaten kämpfe ich nun in einer Minderheit von einem Mann in der Redaktion gegen einen organisierten Versuch, die Zeitung zum Stalinismus zu treiben. Während dieser Zeit mussten meine Genossen und ich zusehen, wie offene stalinistische Agenten wie Herman Levy (der Lysenko und die Moskauer Prozesse verteidigt) sich unsere Zeitung unter den Nagel reißen – damit nicht genug, Mrs. Goffe, die eng mit Lawrence befreundet ist, schrieb in der Zeitung noch eine extra Gratulation für Mr. Levy. Stell Dir nur vor, was der Alte[2] zu so etwas gesagt hätte. Du weißt, wie er über die intellektuellen Apologeten der Moskauer Prozesse dachte; Du weißt, dass Levy jahrelang ihr wichtigster Mann an der London School of Economics war, und jetzt öffnen hier Pablos ,Auserwählte‘ die Seiten einer Zeitung, die unter großen Opfern von unseren und Euren Genossen (Mike und Tony) aufgebaut wurde, damit die Stalinisten sie vollschmieren können.[3] ...

Aber nicht nur bei der Zeitung ging es so zu. In der Druckerei war es dasselbe. Hier waren Lawrence und (der Zentrist) Braddock und ich Geschäftsführer, und wieder waren wir in der Minderheit. Gemeinsam mit den Zentristen begannen die Pablisten, die Druckerei in den Bankrott zu treiben. Sie beschäftigten ihre Leute (drei insgesamt) weiter als Vollamtliche für die Zeitung, und die taten nichts, außer gegen uns zu fraktionieren. Das Ergebnis war, dass sich Schulden von 900 Pfund ansammelten und wir allmählich Pleite gingen. Das kümmerte sie einen Dreck, denn schließlich waren es unsere Genossen gewesen, die das Geld für die Maschinen und die Ausrüstung überhaupt aufgebracht hatten.

Von Anfang an trat der Pablismus in Großbritannien als Sabotagetruppe in Erscheinung, die objektiv dem Stalinismus half. Unser Zeitungsverkauf ging von 6 000 auf 4 500 pro Woche herunter. Sie dachten, sie könnten den orthodoxen Trotzkismus zerschlagen, wenn es ihnen gelang, mich in der Redaktion und der Druckerei kurzfristig zu isolieren. Ihre ganze Strategie war Bestandteil eines sorgfältig vorbereiteten Plans. Nachdem die überwältigende Mehrheit der Gruppe sie vollkommen zurückgewiesen hatte, zielten sie auf die Nervenzentren unserer Arbeit an den Punkten, wo wir Bündnisse mit den Zentristen hatten, denn gerade diese Bündnisse waren ein großes Hindernis für die Arbeit der Stalinisten innerhalb des linken Flügels der Labour Party.

Die britischen Pablisten waren an einer Auseinandersetzung innerhalb unserer Gruppe nicht wirklich interessiert. Diese dauerte nur wenige Wochen. Von Anfang an wollten sie mit uns brechen und unsere Arbeit in der LP zunichte machen. Pablo, Clarke und ihr Gefolge unterstützten sie dabei nach Kräften. (ebd. S. 80-81)

Der hinterhältige Angriff der Pablisten auf die britische Sektion führte zu einem Vorfall, der tragische Folgen gehabt haben könnte. Healy schilderte ihn in seinem Brief:

Letzten Mittwoch morgens um acht Uhr kam er (Lawrence) mit einem seiner Anhänger, der für uns die Maschinen wartete, in die Druckerei. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, dass er gegen die Beschlüsse der Redaktion verstieß, schlug er mir ohne Vorwarnung die Faust ins Gesicht, so daß meine Nase blutete. Sein Henkersknecht mischte sich ein, aber dann kam Mike Banda dazu und zog ein Messer gegen Lawrence. Ich nahm es ihm sofort weg, und Lawrence wurde von den anderen Druckern in das Büro gebracht. Dieser furchtbare Zwischenfall hätte ernst werden können, aber es passierte nichts weiter, als dass ich eine blutende Nase und Lawrences Helfer ein blaues Auge hatte. Wir können unterschriebene Aussagen von anderen Druckern vorlegen, die nicht Mitglieder der Gruppe sind und bestätigen, dass sich alles so zugetragen hat, wie oben geschildert.

Lawrence schickte dann seinen Mann zu der Druckergewerkschaft, in der er Mitglied ist, und denunzierte dort den jungen Mike als Messerstecher. Das Ziel bestand darin, dass Mike aus der Gewerkschaft geworfen werden sollte. Im Moment ist das Verfahren dazu in der Schwebe, und Mike ist vor das Gewerkschaftskomitee bestellt worden. ...

Du weißt, dass wir in unserer Gruppe keine Schwächlinge sind. Wir haben schon viele Fraktionskämpfe gehabt, aber noch niemals körperliche Gewalt. Die einzigen Leute, mit denen wir so etwas erlebten, waren die Stalinisten – mit niemandem sonst, und es ist kein Zufall, dass es ihnen die Pablisten gleichtun. Ich möchte nur ein Wort zur Frage der Gewalt sagen. In unserer Gruppe haben wir einige harte Typen – ein Wort genügt, und schon kann vieles passieren. Aber wir tun es nicht, denn wir sind Trotzkisten. Aber wir werden uns in Zukunft verteidigen und haben bereits entsprechende Schritte eingeleitet. Der pablistische stalinistische Abschaum wird nicht länger herumstolzieren, die Fäuste benutzen und dann zu rechten Gewerkschaftsführern rennen.

Und mitten in diesem ,Bürgerkrieg‘ kommt jetzt Germain daher und schlägt eine ,Kommission‘ vor, die unsere Aufrichtigkeit prüfen soll. Verzeih mir bitte, Genosse Leslie, wenn ich bei all diesen politischen Tricks und dieser Doppelzüngigkeit nicht ganz unbewegt bleibe. Wenn es eine Kommission geben wird, dann haben wir dazu einige Vorschläge. Lass uns eine einrichten, um Pablo und Lawrence zu untersuchen. Wir für unseren Teil werden unwiderlegbare Beweise zu der eben geschilderten Sache vorlegen.

Die Mitglieder unserer Sektion wissen alles über den Pablismus und sein logisches Endergebnis, den Stalinismus, und wir werden auf keine pablistischen Komitee-Tricks hereinfallen. Wir haben nur eine Antwort auf den Pablismus in Großbritannien, und die lautet, ihn politisch und organisatorisch zu zerschlagen. Keiner wird uns das ausreden. (ebd. S. 83-84)

Trotz der enormen politischen Schwierigkeiten, mit denen die britischen Trotzkisten konfrontiert waren – und die durch die extreme Armut, in der Healy und andere führende Mitglieder lebten, noch verschärft wurden – triumphierten sie über alle Provokationen der Pablisten. In dieser Periode wuchs Healys Statur als internationaler trotzkistischer Führer enorm, und die politischen Lehren aus diesem Kampf auf Leben und Tod ebneten den Weg für die großen Fortschritte, die das Internationale Komitee in den folgenden Jahren in Großbritannien machte.


[1]

Healy meint die SWP-Minderheit unter Cochran und Clarke.

[2]

Mit der „Alte“ meint Healy Leo Trotzki.

[3]

Die Brüder Mike und Tony Van Der Poorten, die unter dem Parteinamen Mike und Tony Banda bekannt waren.