David North
Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale

Healys frühe Jahre in der trotzkistischen Bewegung

1928 war ein bedeutsames Jahr in der Geschichte der internationalen marxistischen Bewegung. Im November und Dezember des Vorjahres, unmittelbar nach dem zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution, waren Leo Trotzki und Tausende weiterer Führer und Mitglieder der Linken Opposition aus der Kommunistischen Partei Russlands und der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen worden. Den Kampf gegen Trotzki und die Linke Opposition hatten die Stalinisten im Namen des reaktionären nationalistischen Programms geführt, das vom „Sozialismus in einem Land“ sprach. Die verheerenden Folgen dieses Programms für die internationale marxistische Bewegung hatten sich bereits in einer Reihe von Niederlagen der Arbeiterklasse gezeigt – besonders in Großbritannien, wo der Generalstreik im Mai 1926 mit Hilfe der britischen Kommunistischen Partei von der reformistischen Labour- und Gewerkschaftsbürokratie verraten worden war, und in China, wo die Unterordnung der Kommunistischen Partei unter die bürgerliche Kuomintang Tschiang Kai-Scheks direkt zu dem blutigen Massaker an Tausenden revolutionären Arbeitern im April und Mai des Jahres 1927 geführt hatte.

Von seinem Exil im sowjetischen Teil Zentralasiens aus schickte Trotzki an den Sechsten Kongress der Komintern, der in Moskau tagte, eine detaillierte Kritik ihres Programmentwurfs. Die Überschrift des ersten Abschnitts formulierte den historisch grundlegenden Charakter der Differenzen zwischen der Linken Opposition und der stalinistischen Führung: „Das Programm der internationalen Revolution oder das Programm des Sozialismus in einem Lande“. Dann erklärte Trotzki knapp und präzise genau die wesentliche Bedeutung des Internationalismus für das revolutionäre Proletariat:

In unserem Zeitalter, welches ein Zeitalter des Imperialismus, d.h. der Weltwirtschaft und der Weltpolitik ist, welche vom internationalen Finanzkapital beherrscht werden, vermag keine einzige nationale Sektion ihr Programm lediglich, oder auch nur vorwiegend aus den Bedingungen und Tendenzen der nationalen Entwicklung heraus aufzubauen. Dasselbe gilt auch in Bezug auf die Partei, welche die Macht innerhalb der UdSSR besitzt. Am 4. August 1914 hatte für alle Zeiten die Stunde aller nationalen Programme geschlagen.[1] Eine revolutionäre Partei des Proletariats kann sich nur auf ein internationales Programm stützen, welches dem Charakter der gegenwärtigen Epoche, der Epoche des endgültigen Zusammenbruchs des Kapitalismus entspricht. Ein internationales kommunistisches Programm ist auf keinen Fall eine Summe nationaler Programme, eine Zusammenstellung deren gemeinsamer Züge. Ein internationales Programm muss unmittelbar aus der Analyse der Bedingungen und Tendenzen der Weltwirtschaft und des politischen Weltsystems als eines Ganzen hervorgehen, mit all ihren Verbindungen und Widersprüchen, d.h. mit der gegenseitigen antagonistischen Abhängigkeit ihrer einzelnen Teile. In der gegenwärtigen Epoche muss und kann die nationale Orientierung des Proletariats in noch viel größerem Maße als in der vergangenen nur aus der internationalen Orientierung hervorgehen und nicht umgekehrt. Das bildet den grundlegenden und ursächlichen Unterschied zwischen der Kommunistischen Internationale und allen Abarten des nationalen Sozialismus. (Die Dritte Internationale nach Lenin, Dortmund 1977, S. 67f)

In diesem Absatz legte Trotzki die theoretische Grundlage für den Kampf gegen den Stalinismus und die zukünftige Arbeit der Vierten Internationale, deren Aufbau eine historische Notwendigkeit wurde, nachdem durch den Verrat der Kommunistischen Internationale an der deutschen Arbeiterklasse im Januar 1933 Hitlers Nazis gesiegt hatten.

In den entscheidenden fünf Jahren von Trotzkis Aufruf zum Aufbau einer neuen Internationale bis zur Gründungskonferenz der Vierten Internationale im September 1938 kämpfte er unaufhörlich gegen all jene Tendenzen, welche die überragende Bedeutung der internationalen Partei herabsetzten und ihren Aufbau gegenüber dem Aufbau nationaler Organisationen für zweitrangig hielten.

Man kann kaum annehmen, dass Healy in diesem frühen Stadium seines politischen Erwachens von Trotzkis Kritik an der Politik der Komintern wusste, geschweige denn, dass er damit vertraut war. Er war ein junger Seemann aus ärmlichen Verhältnissen, und nicht nur seine politische, sondern seine Erziehung überhaupt begann erst mit seinem Eintritt in die britische Kommunistische Partei. Außerdem wurde die Arbeit der Linken Opposition erst ab 1928 in der internationalen Arbeiterklasse bekannt, nachdem James P. Cannon bei seiner Rückkehr vom Sechsten Kongress der Komintern eine Kopie von Trotzkis Kritik aus der UdSSR herausgeschmuggelt hatte.

Leider hat Healy, soweit wir wissen, keinerlei autobiographische Aufzeichnungen hinterlassen; und wir verfügen über keine schriftlichen Berichte über seine Arbeit in der Kommunistischen Partei oder die genauen Umstände, unter denen er von den Stalinisten ausgeschlossen wurde und der trotzkistischen Bewegung beitrat. Gelegentlich äußerte sich Healy beiläufig über seine Arbeit als Kurier für die Kommunistische Internationale in Deutschland, und da er Seemann war, ist es wahrscheinlich, dass ihm solche Aufträge erteilt wurden. Als Grund für seinen Ausschluss aus der britischen KP gab Healy an, dass er dem stalinistischen Führer Harry Pollitt Fragen über die Politik der Stalinisten in Spanien gestellt und Zweifel über die Moskauer Prozesse geäußert hatte, nachdem er Max Shachtmans brillante Schrift gelesen hatte, in der der Schauprozess gegen Trotzki und der Volksfrontverrat der Stalinisten an der spanischen Revolution entlarvt wird.

Was auch immer die genauen Umstände seines Ausschlusses aus der stalinistischen Partei gewesen sein mögen, Ende 1937 war er bereits ein aktiver und energischer Kämpfer für den Trotzkismus in Großbritannien. Seine geradezu unerschöpfliche Energie und seine außergewöhnlichen organisatorischen Fähigkeiten, die er von Anfang an in der trotzkistischen Bewegung an den Tag legte, sind selbst von den erbittertsten seiner zahlreichen politischen und persönlichen Feinde niemals bestritten worden. Healy selbst führte seine organisatorischen Fähigkeiten oft auf seine frühe Erfahrung in der Kommunistischen Partei zurück, deren umfangreicher proletarischer Kader dazu ausgebildet wurde, Massenarbeit zu leisten. In Privatgesprächen erinnerte er sich häufig, wie unwohl er sich persönlich bei der Arbeit in der trotzkistischen Bewegung fühlte, deren kleiner Kader damals hauptsächlich aus Intellektuellen bestand, die aus der Mittelklasse kamen, wenig praktische Kenntnisse von der Arbeiterklasse und kaum Verbindung zu ihr hatten, und deren beschränkte Aktivitäten durch einen unbeholfenen Dilettantismus noch vermindert wurden. Hier lag die Quelle seines Hasses auf den „Propagandismus“: Darunter verstand Healy ein rein passives Festhalten an revolutionären Prinzipien, eine Lebenshaltung, bei der revolutionäre Phrasen gedroschen werden, die in keinem Zusammenhang zu irgend einer praktischen Beteiligung an den Kämpfen der Arbeiterklasse stehen. In dem Maße, wie Healys Feindseligkeit gegen einen solchen „Propagandismus“ mit einem intensiven Kampf verbunden war, die Vorherrschaft des Stalinismus und der Sozialdemokratie zu brechen und die Prinzipien des Trotzkismus in der Arbeiterbewegung zu verwirklichen, versetzte sie ihn in die Lage, die Kader derart zu mobilisieren, dass sie Erfolge erzielten, die sie zuvor für unerreichbar gehalten hatten. Aber – und hier liegt der Hund begraben – später in seinem politischen Werdegang richtete sich Healys Kampf gegen den Propagandismus nicht nur gegen die Passivität kleinbürgerlicher Intellektueller, sondern auch gegen die programmatischen Prinzipien, auf die sich wirkliche revolutionäre Arbeit zu allen Zeiten stützen muss.

Die trotzkistische Bewegung, der Healy 1937 beitrat, stand vor immensen politischen Schwierigkeiten. Es war der Höhepunkt des stalinistischen Terrors in der UdSSR und seiner internationalen Kampagne gegen die trotzkistische Bewegung. Die britische Kommunistische Partei unterstützte enthusiastisch die Moskauer Prozesse und die darauf folgenden kaltblütigen Morde an Lenins engsten Genossen. Tag für Tag denunzierte das Stalinistenblatt Daily Worker hysterisch die „trotzkistischen Faschisten“ und versuchte, die Arbeiter zu Gewalttaten gegen die Anhänger der Vierten Internationale aufzuhetzen. Noch Jahrzehnte später erinnerte sich Healy mit Bitterkeit, wie Mitglieder der Kommunistischen Partei, mit denen er in den Jahren vor seinem Ausschluss eng zusammengearbeitet hatte, immer, wenn sie ihn beim Verkauf der trotzkistischen Presse sahen, riefen: „Hier kommt Mosley, hier kommt Mosley!“[2]

Healy griff regelmäßig auf öffentlichen Veranstaltungen der Kommunistischen Partei ein, um die Verbrechen und Verrätereien der Stalinisten zu geißeln. Der Lohn für seine Bemühungen war gewöhnlich, dass ihn Schläger ergriffen und die Stufen zum Ausgang des Saales hinunterwarfen. Das beeindruckte ihn wenig, um so mehr machte er sich einen Spaß daraus, die Mitglieder der Stalinisten in die Enge zu treiben, indem er die zahllosen unerklärten Wendungen aufgriff, mit denen die KP-Führung ihre Linie den jeweiligen Bedürfnissen der sowjetischen Außenpolitik anpasste. „Sag' es mir schnell, bevor sich etwas ändert“, würde Healy mit einem Blick auf die Uhr einen Verkäufer des Daily Worker fragen, „Es ist drei Minuten nach vier, den 9. Dezember 1939. Welche Linie vertritt Deine Partei zu dem Pakt mit Hitler?“

Neben den Bedrohungen von außen wurde die trotzkistische Bewegung von internen fraktionellen Konflikten heimgesucht, die unter den herrschenden Bedingungen von Cliquenbeziehungen stets äußerst erbitterte Formen annahmen. Ende 1937 gab es nicht weniger als vier trotzkistische Tendenzen – die Marxist League, die Marxist Group, die Militant Labour League und die Lee-Gruppe, die sich Workers International League nannte. Dieser letzteren Gruppe hatte sich Healy angeschlossen, ebenso wie Jock Haston, Ted Grant und Betty Hamilton.

Als die Gründungskonferenz der Vierten Internationale herannahte, unternahmen Trotzki und das Internationale Sekretariat einen nachdrücklichen Versuch, die verschiedenen britischen Gruppen zur Vereinigung zu bewegen. Das Internationale Sekretariat anerkannte zwar das Bestehen von Differenzen über wichtige Fragen der Taktik in Großbritannien, bestand aber darauf, dass die Übereinstimmung mit dem Weltprogramm – das Trotzki im Gründungsdokument der Vierten Internationale ausgearbeitet hatte – die wesentliche Grundlage für die Errichtung einer einzigen britischen Sektion sein müsse. Auf der Grundlage des internationalen Programms würde die vereinigte britische Bewegung in der Lage sein, im Rahmen des demokratischen Zentralismus ihre Differenzen über die nationale Taktik zu lösen.

James P. Cannon reiste nach Großbritannien, um zu versuchen, die trotzkistischen Tendenzen bereits vor der Gründungskonferenz zu vereinen. Seine Bemühungen blieben aber fruchtlos, weil die WIL (die Lee-Gruppe) darauf beharrte, dass eine Vereinigung nicht möglich sei, ohne zuvor Einigkeit über das nationale Programm der vereinigten Organisation erzielt zu haben. Healy selbst stand Cannons Bemühungen offen feindlich gegenüber und stellte nach ihrem Scheitern hämisch fest, dass „Cannon vier Gruppen zu sieben zusammengeschlossen“ habe.

Neben ihrem Beharren auf einem nationalen Programm als Voraussetzung für die Einheit versuchte die WIL ihre Ablehnung der Initiative des Internationalen Sekretariats damit zu rechtfertigen, dass sie die tüchtigste und, was ihre Aktivitäten und soziale Zusammensetzung betraf, proletarischste aller Tendenzen sei, die sich auf den Trotzkismus beriefen. Das Internationale Sekretariat weigerte sich jedoch, einen Kompromiss mit der WIL einzugehen. Trotzki gründete seinen Kampf für die Vierte Internationale auf denselben wissenschaftlichen Internationalismus, mit dem er den Kampf gegen die stalinistische Bürokratie organisiert hatte. In den vorangegangenen Jahren hatte Trotzki einen unerbittlichen Kampf gegen die Independent Labour Party unter Fenner Brockway geführt, deren zentristische Politik ihre Ursache darin hatte, dass Brockway die internationalen Prinzipienfragen halsstarrig den engen praktischen Geboten seiner Aktivitäten in Großbritannien unterordnete. Nun, am Vorabend ihrer Gründungskonferenz, stieß die Vierte Internationale bei der WIL auf eine ähnliche Haltung. Trotzki verstand, dass die Quelle dieser nationalistischen Haltung der enorme Druck des ältesten und erfahrensten Kapitalismus der Welt auf die britische Arbeiterbewegung war. Ein Kompromiss wäre deshalb die Saat für ein rasches Auseinanderbrechen der Vierten Internationale gewesen. Trotzki verurteilte die Position der WIL scharf:

Unter diesen Umständen muss man die Genossen in der Lee-Gruppe warnen, dass sie auf den Weg prinzipienloser Cliquenpolitik geführt werden, die nur im Sumpf enden kann. Eine revolutionäre Gruppierung von ernsthafter Bedeutung kann nur auf der Grundlage großer Prinzipien aufrecht erhalten und entwickelt werden. Eine nationale Gruppe kann nur dann einen beständigen revolutionären Kurs einhalten, wenn sie mit ihren Gesinnungsgenossen auf der ganzen Welt fest in einer Organisation zusammengeschlossen ist und ständig politisch und theoretisch mit ihnen zusammenarbeitet. Die Vierte Internationale allein ist eine solche Organisation. Alle rein nationalen Gruppierungen, all jene, die eine internationale Organisation, Kontrolle und Disziplin ablehnen, sind im Kern reaktionär. (Documents of the Fourth International, New York 1973, S. 270)

Obwohl die WIL diese Warnung in den Wind schlug, war sie eine Schlüsselerfahrung in Healys politischer Entwicklung als Trotzkist. Bevor er zu einem ernsthaften Führer in der Vierten Internationale werden konnte, musste er erkennen, dass es ein Irrtum gewesen war, die internationalen Prinzipien den praktischen Erfordernissen der nationalen Arbeit unterzuordnen – die typischste und heimtückischste Form des Opportunismus. In der Tat war Healys spätere Degeneration damit verbunden, dass er die Lehren verwarf, die er in seinen ersten Jahren als Trotzkist so schmerzhaft gelernt hatte.

Gegen die vom IS im Jahr 1938 vorgeschlagene Vereinigung führte die WIL unter anderen das Argument an, dass dies den jungen und unerfahrenen proletarischen Kader der WIL dem demoralisierenden Fraktionalismus der kleinbürgerlichen Elemente ausliefern würde, die ihrer Meinung nach die Revolutionary Socialist League beherrschten. Dieses Argument wurde durch die Tatsache entkräftet, dass das innere Leben der WIL nicht weniger fraktionalistisch war als das der offiziellen Sektion. Zu Beginn des Jahres 1943 war Healy in Streitigkeiten mit der Führung von Grant und Haston verwickelt, die überhaupt keinen klaren politischen Inhalt hatten. Nachdem er mehrmals gedroht hatte, mit der WIL zu brechen, informierte Healy am 7. Februar 1943 das Zentralkomitee über seinen Austritt – nicht auf Grund politischer Differenzen, sondern weil er sich persönlich nicht in der Lage sehe, mit Haston, Lee und Grant zusammenzuarbeiten. Die WIL reagierte, indem sie Healy ausschloss; und obwohl er bald darauf wieder in die Organisation zugelassen wurde, verlor er seine Position im Politischen Büro, im Zentralkomitee und in der Redaktion der Zeitung der Organisation.

Healy hätte sich von dieser politischen Krise vielleicht nicht wieder erholt, wenn nicht die Führung der Socialist Workers Party in den Vereinigten Staaten eingegriffen hätte, die unter den Bedingungen des Krieges eine führende Rolle in den Angelegenheiten der Vierten Internationale zu spielen hatte. Die SWP sah den erbitterten Fraktionalismus in der WIL als ein Ergebnis ihrer nationalistischen Orientierung an und war überzeugt, dass die internen Auseinandersetzungen nur dann politisch geklärt werden könnten, wenn die britische Gruppe ihre unabhängige Existenz aufgeben und der Vierten Internationale beitreten würde. Am 18. März 1943 schrieb Lou Cooper, ein Mitglied der Socialist Workers Party, einen Brief an die Workers International League, in dem er sie dringend aufforderte, ihre Opposition gegen einen Zusammenschluss aller trotzkistischen Tendenzen in Großbritannien zu überdenken. Nochmals wurde in dem Brief hervorgehoben, dass trotz der beeindruckenden Erfolge der WIL in der britischen Arbeiterbewegung ihre Mitglieder nicht zu Marxisten ausgebildet werden könnten, wenn die Organisation nicht innerhalb der Vierten Internationale auf der Grundlage der Organisationsprinzipien des demokratischen Zentralismus arbeite. Cooper warnte die WIL vor den weitreichenden Implikationen ihrer feindseligen Haltung gegenüber der Autorität der internationalen Bewegung:

Die allgemeine Haltung der WIL in dieser Frage führt dazu, dass ihre zahlreichen neuen Mitglieder nicht in den bewährten Methoden der bolschewistischen Organisation ausgebildet werden. Das ist möglicherweise eine der schwerwiegendsten Konsequenzen, die sich aus einem Festhalten der WIL an ihrer gegenwärtigen Haltung ergeben. Die Mitgliedschaft wird nicht wissen, wie sie mit zukünftigen Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen innerhalb der WIL selbst umzugehen hat. So, wie die WIL ihre Mitglieder erzieht, ist es ohne weiteres möglich, dass in Zukunft Gruppen von Genossen mit dem Schrei von der Organisation brechen: Ich bin der Boss; hört auf mich!

Oder vielleicht glaubt die WIL, dass die kommenden gesellschaftlichen Krisen auf jeden in ihren Reihen dieselben Auswirkungen haben werden? Möglicherweise bilden sich manche ein, dass es niemals abweichende Meinungen geben werde. Dazu kann ich soweit nur sagen: Wenn es verantwortungsvolle Genossen gibt, die das glauben, dann bleibt ihnen nichts, als auf dieses Wunder zu hoffen und vielleicht sogar dafür zu beten. Sobald die ersten wirklichen Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten auftreten, wird sich die ganze Fehlerziehung an den verantwortlichen Mitgliedern der Organisation rächen. Wenn Ihr Eure Mitgliedschaft nicht im Sinne der erprobten und bewährten bolschewistischen Organisationsmethoden ausbildet, dann werdet Ihr in Zeiten wirklicher Krisen keine Bolschewiki-Leninisten haben.

Viele Jahre später, im Sommer und Herbst des Jahres 1985, sollte diese Warnung für Healy in Erfüllung gehen, nachdem er den Prinzipien des Internationalismus vollständig den Rücken gekehrt und in der Workers Revolutionary Party eine durch und durch nationalistische Organisation geschaffen hatte, die verächtlich auf ihre Schwesterorganisationen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale herabschaute. Obwohl sie damit konfrontiert waren, dass die WRP auseinanderbrach, wiesen Healy und seine gegnerischen Fraktionen in der Parteiführung die Autorität der einzigen Kraft zurück, die in der Lage gewesen wäre, die politischen Probleme hinter der Explosion in der britischen Organisation zu klären und sie vor der Zerstörung zu bewahren – das Internationale Komitee.

Aber im Jahr 1943 hinterließ das Eingreifen der SWP bei Healy einen tiefen Eindruck und wurde zu einem Wendepunkt seiner politischen Entwicklung. Mit Hilfe der Socialist Workers Party und James P. Cannons, mit dem er eine lange und fruchtbare Beziehung anknüpfte, nahm Healy den Kampf für den Internationalismus und gegen die nationalistische Position der Haston-Grant-Clique auf. Am 10. August 1943 legte Healy ein Dokument mit dem Titel „Unsere wichtigste Aufgabe“ vor, in dem er Stellung bezog gegen die Opposition der Führung zu einer Vereinigung der Kräfte der britischen Trotzkisten, wie sie die Vierte Internationale vorgeschlagen hatte. Healy schrieb:

Die Umgruppierung der internationalen Revolutionäre unter dem Banner und der Plattform der Vierten Internationale war eine der wichtigsten Beiträge von Genossen Trotzki zur Sache des Marxismus. Wir dürfen das niemals vergessen. Wenn sie auch klein und schwach sein mögen, so existieren doch im größten Teil der Welt verschiedene Sektionen und werden stärker. Schon gewinnt die ‚Weltpartei der sozialistischen Revolution‘ eine konkrete Bedeutung für Tausende von unterdrückten Arbeitern und Bauern. Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, diese große Bewegung aufzubauen und zu stärken...

Der Hauptzweck dieses Dokuments besteht darin, der Mitgliedschaft bewusst zu machen, welche Bedeutung es hat, die offizielle Sektion der Vierten Internationale zu sein – angesichts der dringenden Notwendigkeit, die traditionelle Organisation des Trotzkismus in dem großen Kampf, der bereits begonnen hat, zu verstärken. Wenn wir die Geschichte des internationalen Trotzkismus seit 1933 akzeptieren (die die Geschichte der bolschewistischen Umgruppierung in der Vierten Internationale ist), dann müssen wir die Frage der Internationale als die wichtigste Frage vor unsere Gruppe bringen. Alle anderen Fragen, welche die Entwicklung der Gruppe betreffen, ihre Presse, ihre Gewerkschaftsarbeit oder ihre organisatorischen Aktivitäten hängen von dem Standpunkt ab, den wir zu der Internationale beziehen. Wenn wir die politischen Prinzipien des Bolschewismus akzeptieren, dann müssen wir auch die organisatorische Methode akzeptieren. Es reicht nicht aus, zu sagen, dass wir dem Programm der Vierten Internationale zustimmen und es besser verbreiten als die RSL, wenn wir nicht gleichzeitig ihre organisatorischen Methoden annehmen, was bedeutet, dass wir der Internationale angeschlossen sein und ihre demokratisch-zentralistische Grundlage akzeptieren müssen. Genauso reicht es nicht aus, sich als Trotzkist zu bezeichnen und zu behaupten, besser mit dem Trotzkismus vertraut zu sein als die organisierten Trotzkisten, wenn man nicht der trotzkistischen Partei beitritt und ihre demokratisch-zentralistische Disziplin akzeptiert. Das ist gemeint mit bolschewistischen Organisationsmethoden.

Trotz Hastons heftiger Opposition wurde die Vereinigung schließlich erreicht und im März 1944 die Revolutionary Communist Party gegründet. Healy war in der neuen Organisation in einer Minderheit. Ihre Führung wurde nach wie vor von der nationalistischen Tendenz unter Haston und Grant beherrscht. Über eine lange Periode hinweg wurde er nicht in das Politische Komitee zugelassen, und später würde sich Healy häufig erinnern, wie ihm die Haston-Führung mit kleinlichen organisatorischen Schikanen nachstellte. Aber im Gegensatz zu der Situation in der alten WIL sollten die Differenzen in der RCP im breiteren Rahmen der Vierten Internationale an Hand der grundlegenden Fragen der internationalen Perspektiven ausgefochten werden, die mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufkamen. Haston, der trotz seiner Ablehnung der Vereinigung der Führer der RCP geblieben war, schloss sich bald mit der rechten kleinbürgerlichen Tendenz unter Morrow und Goldman zusammen, die behaupteten, dass Trotzkis Perspektive aus der Vorkriegszeit widerlegt worden sei; es habe keine Revolution in Europa gegeben; die Vierte Internationale müsse sich auf eine lange Stabilisierung des Kapitalismus einstellen und ihr revolutionäres sozialistisches Programm durch ein Programm elementarer demokratischer Forderungen ersetzen. Im Wesentlichen rief die Morrow-Goldman-Fraktion nach der Auflösung der Vierten Internationale und ihrer Verwandlung in eine reformistische sozialdemokratische Tendenz. Der reaktionäre Charakter dieser Tendenz kam sehr deutlich zum Vorschein, als innerhalb von relativ kurzer Zeit ihre wichtigsten Führer vom Lager des Marxismus in das des Imperialismus überwechselten.

Healy arbeitete während des langen Kampfs gegen Haston eng mit Cannon, der SWP und dem Internationalen Sekretariat zusammen. Von dem Moment an, wo Healy seine Unterstützung für die in Coopers Brief dargelegten Positionen erklärt hatte, wurde er von den Haston-Leuten unaufhörlich ein politischer Agent Cannons gescholten. Healys Opposition gegen Haston wurde oft als Speerspitze einer Verschwörung der amerikanischen SWP gegen die britische Führung denunziert, deren Drahtzieher Cannon sei. Noch vierzig Jahre später hatten die alten Gefährten Hastons Healy seinen „Verrat“ an den nationalen Cliquenbeziehungen nicht verziehen. Kürzlich haben sie ein Buch veröffentlicht, Krieg und die Internationale: Eine Geschichte der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien, 1937-1949. Darin werden sämtliche Missgeschicke der britischen trotzkistischen Bewegung auf das Eingreifen der Vierten Internationale zurückgeführt und wütend festgestellt: „Das Benehmen der Minderheit um Healy gab der Haston-Führung allen Grund zu der Annahme, dass sie von der SWP und später von der neuen Führung in Europa angestachelt wurde.“ (London 1986, S. 197) Außerdem zitieren die Autoren folgende typische Denunziation von Healys Beziehung zu Cannon aus dem Munde des alten Haston-Mannes Bert Atkinson: „Ich hatte immer den Eindruck und das Gefühl, dass seine Position darin bestand, dass er (Healy) wiederholte, womit er von der amerikanischen Sektion, d.h. Cannon und Konsorten, gefüttert worden war, und dass Healy niemals irgendwelche festen theoretischen Differenzen hatte – überhaupt keine.“ (ebd.)

Im Laufe des Kampfes gegen die Morrow-Goldman-Fraktion wies Cannon einmal darauf hin, wie die Haston-Gruppe Healy behandelte: „Wisst Ihr, welches Regime Eure Kumpane in England führen?“, fragte er Morrow und Goldman auf einem Plenum des Nationalkomitees der SWP im Oktober 1945.

Sie haben eine Minderheit unter Healy, dessen Verbrechen darin bestand, dass er die Vereinigungspolitik des Internationalen Sekretariats unterstützte, mit dem sektiererischen Nationalismus der WIL brach und ein wirklicher Internationalist wurde, ihren nationalistischen Einschlag zurückwies und im Allgemeinen mit den politischen Positionen der SWP sympathisiert.
Wisst Ihr, wie dieses Regime Healy nennt? Einen Mietling der Socialist Workers Party, d.h. einen Agenten eines feindlichen Landes. (James P. Cannon, Writings and Speeches, 1945-47, New York 1977, S. 182)

Healys Kampf gegen die Haston-Gruppe dauerte die ganzen vierziger Jahre hindurch an und fand seinen Höhepunkt darin, dass er 1949 die Mehrheit in der britischen Bewegung gewann. Zu dieser Zeit war der rechte Charakter der Haston-Gruppe bereits völlig entlarvt worden, und Haston selbst stand kurz davor, den revolutionären Marxismus zurückzuweisen – was er dann im Februar 1950 auch tat. Später, mitten in dem intensiven Kampf gegen Pablos Vernichtungsfeldzug in der Vierten Internationale schrieb Cannon an Healy einen Brief, in dem er die entscheidende Bedeutung des Kampfs gegen die Haston-Gruppe für die Entwicklung der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien hervorhob: „Wenn man die wirkliche Geschichte des britischen Trotzkismus schreiben wollte, dann müsste man als Ausgangspunkt den Tag und das Datum nehmen, an dem Deine Gruppe sich endlich von dem Haston-Regime losriss und ihre eigene unabhängige Arbeit begann. Was davor geschah, war nichts als eine Serie vergeudeter Möglichkeiten, Material für die Vorgeschichte des britischen Trotzkismus.“ (Trotskyism Versus Revisionism, Bd. 1, London 1974, S. 262)

Das bezeichnendste Paradox in Healys Leben besteht vielleicht in folgendem: Obwohl der Kampf gegen Hastons Clique der entscheidende Wendepunkt in seiner eigenen politischen Entwicklung und, wie Cannon sagte, in der Entwicklung der gesamten trotzkistischen Bewegung in Großbritannien war, versuchte Healy niemals, die Kräfte, die sich in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren der britischen Bewegung anschlossen, in den wesentlichen Lehren aus den entscheidenden Kämpfen auszubilden, die in der WIL und nach 1944 in der Revolutionary Communist Party gegen den Anti-Internationalismus von Haston und Grant stattgefunden hatten. Auf diese Weise leistete er dem Wachstum nationalistisch-opportunistischer Tendenzen innerhalb der Socialist Labour League und ihrer Nachfolgerin, der Workers Revolutionary Party, Vorschub. Es gibt keine britische Entsprechung zu Cannons Buch Der Kampf für den Trotzkismus in den Vereinigten Staaten, das auf einer Vortragsreihe beruht, die er im Jahr 1942 zur Entstehung der Socialist Workers Party gehalten hatte. Healy hielt weder öffentlich noch auf Parteiversammlungen Vorträge zu diesem Thema, und das wenige, was er dazu schrieb – nicht mehr als ein paar beiläufige Absätze in seiner Broschüre von 1966, Probleme der Vierten Internationale – reichte bei Weitem nicht aus, um dem Kader ein Verständnis der wichtigen politischen Fragen zu vermitteln, um die es in dem Kampf gegen Haston gegangen war.

Healy selbst erwähnte in seiner Darstellung des Kampfs gegen Hastons Nationalismus kaum, welche Rolle Cannon und die SWP bei der Entwicklung einer internationalistischen Tendenz in der WIL gespielt hatten. Seine Würdigung von Cannons Beitrag beschränkte sich auf einen Satz: „Die Mitglieder der SWP halfen uns besonders in der Periode von 1943 bis 1949 im Kampf gegen die Haston-Clique.“ (Problems of the Fourth International, New York 1972, S. 29) Der Leser von Healys Darstellung musste glauben, dass der Kampf, Hastons Opposition gegen den Beitritt zur Vierten Internationale zu überwinden, größtenteils von der einheimischen internen Opposition geführt wurde, die in der WIL entstanden war, als, wie Healy 1966 schrieb, „einige der heutigen Führer der Socialist Labour League ihren Fehler nochmals analysierten und dessen Wurzel in der Bewegung erklärten“. Diese Darstellung erwähnte den Brief von Lou Cooper nicht und brachte den Kampf gegen Haston nicht in Zusammenhang mit dem breiteren Kampf um revolutionäre Perspektiven, der in der Vierten Internationale geführt wurde. Weiter hinten in seiner Broschüre zitiert Healy aus einem Brief, den er 1962 an James Robertson, den späteren Gründer der Spartacist-Tendenz in den Vereinigten Staaten geschrieben hatte. Dieser Brief enthält einige Hinweise auf den Kampf innerhalb der WIL. In den entsprechenden Absätzen ist zwar von „Ratschlägen der Genossen aus New York“ zur Frage der Vereinigung der britischen Trotzkisten die Rede, aber diese werden in die Zeit nach der WIL-Konferenz im September 1943 verlegt, auf der Healy den Kampf für die Einheit geführt hatte. Aber wie wir gesehen haben, begann der erneute Kampf für die Vereinigung bereits im März 1943, und zwar mit dem Brief Coopers.

Diese Verdrehung einer wichtigen Episode im Kampf für den Internationalismus kann man nicht als eine Reaktion Healys auf den späteren Verrat der SWP am Trotzkismus in den fünfziger und sechziger Jahren erklären. Der Kampf gegen die Degeneration der SWP hätte Healy höchstens veranlassen müssen, ihre Führer an die Positionen zu erinnern, die sie einst gemeinsam mit ihm gegen die Feinde des Marxismus verteidigt hatten. Die Tatsache, dass Healy versäumte, die Lehren aus dem Kampf gegen Haston ständig zu überarbeiten, und dass er die entscheidende Rolle bestritt, welche die Internationale in der Entwicklung der britischen Sektion – ganz zu schweigen von seiner eigenen Entwicklung – gespielt hatte, muss man politisch als eine Anpassung an eben die nationalistische Haltung erklären, gegen die er einst gekämpft hatte.

Es ist unmöglich, einen Kader zu erziehen, ohne ihn mit der Geschichte seiner Organisation gründlich vertraut zu machen; und Healys Versäumnis, dieser wesentlichen Aufgabe gerecht zu werden, sollte fatale politische Folgen haben. Derselbe gefährliche Nationalismus, der die Haston-Clique kennzeichnete, sollte auch den Kader der WRP beherrschen, der – mit Ausnahme der ältesten Mitglieder – nichts über die Kämpfe der vierziger Jahre wusste. Aus diesem Grund bringt es die WRP-Fraktion unter der Führung von Sheila Torrance – in der sich der Nationalismus, der die WRP schließlich überwältigte, politisch am Klarsten herauskristallisiert hat – heute fertig, einen Nachruf auf Healy zu verfassen, der die WIL in den glühendsten Farben schildert, ohne zu erwähnen, dass sie keine Sektion der Vierten Internationale war, und ohne auch nur ein Wort über Haston und den Kampf gegen seine nationalistische Clique zu verlieren.


[1]

Am 4. August 1914 hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die größte und einflussreichste Sektion der Zweiten Internationale, für die Kriegskredite gestimmt, mit denen die imperialistische Regierung die Entfesselung des Ersten Weltkriegs finanzierte. Dieser Verrat am proletarischen Internationalismus, diese Kapitulation vor dem bürgerlichen Programm der „nationalen Verteidigung“ wurde damit gerechtfertigt, dass die nationalen Errungenschaften der deutschen Wirtschaft und Kultur als Voraussetzung für eine zukünftige Verwirklichung des Sozialismus erhalten werden müssten. Die meisten anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa bezogen eine ähnlich chauvinistische Position. Wegen dieser zentralen Rolle der deutschen Sozialdemokratie ist der 4. August 1914 als das Datum des Zusammenbruchs der Zweiten Internationale in die Geschichte eingegangen.

[2]

Sir Oswald Mosley war der Führer der britischen Faschisten.