David North
Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale

Einleitung

Am Donnerstag, dem 14. Dezember 1989 starb im Alter von 76 Jahren in London Gerry Healy, der 35 Jahre lang die trotzkistische Bewegung in Großbritannien geführt hatte und ein Mitbegründer des Internationalen Komitees der Vierten Internationale gewesen war.

Sein Tod war nur die physische Bestätigung einer politischen Tatsache, die bereits feststand, seit er am 25. Oktober 1985 aus dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale ausgeschlossen worden war. Der Gerry Healy, der einst leidenschaftlich für den revolutionären Marxismus Leo Trotzkis gekämpft hatte, hatte von diesem Moment an aufgehört zu existieren.

Healy starb als Verräter an all den grundlegenden trotzkistischen Prinzipien, für die er gekämpft hatte, seit er 1937 im Alter von 24 Jahren aus der Kommunistischen Partei Großbritanniens ausgeschlossen worden war, weil er die Moskauer Prozesse gegen die Alten Bolschewiken und den Verrat der Stalinisten an der spanischen Revolution angeprangert hatte. Nach einem langen Degenerationsprozess in nationalistisch-opportunistischen Bahnen brach Healy endgültig mit dem Marxismus. Als er starb, war er ein Anhänger von Michail Gorbatschow und Apologet für dessen Programm der kapitalistischen Restauration.

Doch nicht nur die Missetaten eines Menschen überdauern seinen Tod. Es liegt uns fern, Healys Tun in seinen letzten Lebensjahren zu verzeihen; aber es wäre uns unerträglich, in Vergessenheit geraten zu lassen, was er in einer früheren Periode geleistet hat. Das Internationale Komitee war zwar gezwungen, ihn aus seinen Reihen auszuschließen und seine opportunistische Degeneration erbarmungslos bloßzustellen. Aber niemals hat es versucht, den sich über eine sehr lange Periode erstreckenden politischen Beitrag Healys zum Aufbau der trotzkistischen Bewegung herabzumindern oder gar zu leugnen, zumal nicht das Internationale Komitee, sondern Healy selbst seine Vergangenheit verleugnet hat.

Healy war weder eine nebensächliche noch eine zufällige Figur in der revolutionären Arbeiterbewegung. Wenn einst die Biographie von Gerry Healy geschrieben werden wird, dann unweigerlich als ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Vierten Internationale und der britischen Arbeiterklasse. Die Gegensätze und verblüffenden Widersprüche im Leben dieses vielschichtigen und außerordentlich begabten Mannes kann man nur im Rahmen der komplexen und beschwerlichen Geschichte der internationalen kommunistischen Bewegung verstehen.

Die hysterischen Subjektivisten von der heutigen Workers Revolutionary Party versuchen, ihre zerrütteten Nerven zu beruhigen und ihren eigenen Verrat zu rechtfertigen, indem sie Healy nicht nur aus ihrer Erinnerung verscheuchen, sondern auch aus der Geschichte tilgen. Aber wie sehr sie sich auch abmühen, es kommt nichts anderes dabei heraus als ein alberner Selbstbetrug. Nichts, was sie tun oder sagen, kann die Tatsache aus der Welt schaffen, dass Healys politische Aktivitäten, die nur vier Jahre nach Lenins Tod begannen, einen bedeutenden Teil der Geschichte der kommunistischen Bewegung im zwanzigsten Jahrhundert umfassen. Als Healy im Jahr 1928 als 14jähriger irischer Arbeiterjugendlicher der britischen Kommunistischen Partei beitrat, arbeitete Leo Trotzki in Alma Ata an seiner Kritik am Programmentwurf des Sechsten Kongresses der Komintern. Healys politisches Leben umfasste also die Degeneration der Kommunistischen Internationale, die katastrophalen Verrätereien und Niederlagen der dreißiger Jahre, die Gründung der Vierten Internationale und den Mord an Trotzki, den Zweiten Weltkrieg und die gesamte Nachkriegsperiode.

Das Leben eines solchen Mannes muss unbedingt ein konzentrierter und aufschlussreicher Ausdruck einer ganzen Epoche sein. Ein Studium von Healys Lebensgeschichte bedeutet eine kritische Untersuchung der Kernprobleme der Vierten Internationale, mit deren Entwicklung Gerry Healys Leben unauflöslich verknüpft war. Wir wollen ihn weder verteufeln noch rechtfertigen. „Nicht lachen, nicht weinen, sondern verstehen“, riet der große Spinoza, und das sollte auch unsere Haltung sein, wenn wir Leben und Kämpfe, Siege und Niederlagen, Aufstieg und Fall einer wichtigen Figur in der Geschichte der trotzkistischen Bewegung einschätzen.