Peter Schwarz
Wissenschaft oder Kriegspropaganda?

IYSSE protestieren gegen Unterdrückung der Diskussionsfreiheit an der Humboldt-Universität durch Professor Baberowski

Diesen Offenen Brief schickten die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) am 22.2.2014 an die Leitung der Humboldt-Universität.

Sehr geehrter Professor Dr. Jan-Hendrik Olbertz,

sehr geehrter Professor Michael Seadle,

Professor Jörg Baberowski hat am 12. Februar eine kritische Auseinandersetzung über die Trotzki-Biografie von Robert Service in einem Kolloquium an der Humboldt-Universität mit autoritären Maßnahmen unterdrückt. Sein Vorgehen stellt grundlegende demokratische Rechte und akademische Freiheiten an der Humboldt-Universität in Frage.

Wir, die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) an der Humboldt-Universität, fordern die Universitätsleitung auf, diesen Autoritätsmissbrauch durch Professor Baberowski zu missbilligen.

Baberowski hatte Service zu einem Kolloquium des Lehrstuhls Geschichte Osteuropas eingeladen, zu dem – so die Website des Lehrstuhls – »alle Interessierten herzlich willkommen« waren. Als jedoch die Partei für Soziale Gleichheit und die IYSSE mit Flugblättern und einer gut besuchten Veranstaltung darauf aufmerksam machten, dass Services Trotzki-Biografie von einer renommierten Fachzeitschrift und international anerkannten Experten als »zusammengeschustertes Machwerk« eingeschätzt wurde, reagierte Baberowski mit Maßnahmen, wie sie ansonsten in Polizeistaaten üblich sind.

Um zu verhindern, dass Service kritische Fragen gestellt werden, sagte er das Kolloquium ohne Vorankündigung oder Begründung ab. Den Besuchern gegenüber, die sich an dem öffentlich angekündigten Veranstaltungsort eingefunden hatten, verhielt er sich darüber hinaus höchst unaufrichtig. Ihnen wurde nicht mitgeteilt, dass die Veranstaltung an einen anderen Ort verlegt worden war. Dies erfuhren nur einige wenige Gesinnungsfreunde und Studierende Baberowskis, von denen keine Kritik an Services Machwerk zu erwarten war.

Nachdem der neue Veranstaltungsort, ein Raum im Hauptgebäude der Universität, bekannt geworden war, erwartete Besucher, die sich dorthin begeben hatten, eine böse Überraschung: Flankiert von Wachschutzleuten stand Professor Baberowski am Eingang und verlangte, dass jeder seinen Namen und den Grund für seine Teilnahme nenne. Anhand der politischen Gesinnung entschied er, wer an der Veranstaltung auf dem Universitäts­gelände teilnehmen durfte – ein eklatanter Verstoß gegen die Rede- und Meinungsfreiheit. Wer von Baberowski verdächtigt wurde, Services Ansichten nicht zu teilen, erhielt keinen Zutritt zum Veranstaltungsraum im Universitätsgebäude.

Zu den Ausgeschlossenen zählte auch David North, der Vorsitzende der amerikanischen Socialist Equality Party. North, der seit vierzig Jahren eine führende Rolle in der internationalen sozialistischen Bewegung spielt, hat in seinem weltweit anerkannten Buch »Verteidigung Leo Trotzkis« die Fehler und Fälschungen in Services Biografie aufgedeckt. Als sich North zu erkennen gab, reagierte Baberowski mit plumpen antikommunistischen Beschimpfungen und drohte, die Polizei zu rufen.

Professor Mario Kessler von der Universität Potsdam, einem international renommierten Historiker, der gemeinsam mit dreizehn anderen Geschichtsforschern in einem Offenen Brief an den Suhrkamp Verlag gegen die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe von Services Trotzki-Biografie protestiert hatte, wurde der Zutritt ebenfalls verwehrt. Auch mehrere Studierende der Humboldt-Universität, die sich vier Tage zuvor auf der Veranstaltung der IYSSE über die Kritik an Services Trotzki-Biografie informiert hatten, wurden ausgesperrt.

Baberowskis Verhalten stellt einen erschreckenden Verstoß gegen demokratische Gepflogenheiten und die freie, offene Diskussionskultur an der Hochschule dar. Es bestand kein Anlass zu der Befürchtung, dass die Veranstaltung gestört werden sollte. Die Partei für Soziale Gleichheit hatte ihre Einwände gegen Service veröffentlicht und ihm sogar einen Fragenkatalog zugeschickt, um die Diskussion zu erleichtern. In zwei Briefen an Baberowski hatte die PSG versichert, dass sie »den Rahmen des Kolloquiums selbstverständlich respektieren«[1] werde. Außerdem hatten erst vier Tage zuvor Mitglieder von Baberowskis Lehrstuhl die Veranstaltung der IYSSE besucht, wo sie ohne Einschränkung jede beliebige Frage stellen durften.

Baberowskis autoritäre Maßnahmen dienten ausschließlich dazu, Kritik an Services diskreditierter Biografie zu unterdrücken. Das Kolloquium, zu dem am Ende nur dreißig Teilnehmer zugelassen wurden, war von einer Atmosphäre der Einschüchterung geprägt. Es fand in einem bunkerähnlichen Raum statt, dessen Türen von innen abgeschlossen und außen von Sicherheitspersonal bewacht wurden. Als ein Teilnehmer trotz aller Vorsichtsmaßnahmen eine kritische Frage stellte, verlangte Baberowski, er solle schweigen!

Baberowskis Verhalten ist ein Angriff auf demokratische Rechte und verstößt gegen sämtliche Verhaltensnormen, die in akademischen Einrichtungen als angemessen gelten. Der einzige Grund, weshalb er Studierende und Historiker aus der Veranstaltung ausschloss, bestand darin, dass sie Kritik an einem Buch hatten! Baberowski wollte eine kritische Diskussion über Services diskreditiertes Werk verhindern und hat zu diesem Zweck die Meinungsfreiheit an der Universität eingeschränkt. Damit hat er einen Präzedenzfall für politische Zensur geschaffen.

In seinem jüngsten Buch, »Verbrannte Erde«, führt Baberowski die Ursache für die Gewalt des Stalinismus auf den Charakter und die Persönlichkeit Stalins zurück. Und doch geht aus Baberowskis eigenem Verhalten deutlich hervor, wo die wirklichen Ursachen politischer Gewalt zu suchen sind. Das Ziel der stalinistischen Diktatur war die Unterdrückung von Ideen, die dem Regime entgegenstanden. Dieses Bestreben dürfte für Professor Baberowski nachvollziehbar sein. Wenn er mit Ideen konfrontiert wird, die ihm nicht gefallen, und die er nicht beantworten kann, greift er auf Zensur, den Wachschutz und Drohungen mit der Polizei zurück.

Die IYSSE hatten in einem Flugblatt für Studierende die Frage gestellt: »Warum hat Professor Baberowski Robert Service an die Humboldt-Universität eingeladen?« Inzwischen kann diese Frage beantwortet werden: Baberowski nutzt seine Stellung an der Universität, um die berüchtigten reaktionären Thesen von Ernst Nolte zu verbreiten, die seit dreißig Jahren in Schriften verwendet werden, mit denen die Verbrechen der Nationalsozialisten relativiert und in ihrer Bedeutung herabgemindert werden sollen.

Am 10. Februar veröffentlichte das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« einen längeren Artikel von Dirk Kurbjuweit über die Bemühungen, die deutsche Geschichte umzuschreiben. Baberowski spielt darin als glühender Verteidiger von Noltes Ansichten eine prominente Rolle. Er wird vom »Spiegel« mit den Worten zitiert: »Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.«[2]

Baberowski stellt sich im »Spiegel« ausdrücklich hinter Ernst Nolte. »Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht«,[3] sagte er dem Nachrichtenmagazin.

Doch in welcher Hinsicht hatte Nolte angeblich »recht«?

»Der Spiegel« selbst zitiert den mittlerweile 91-jährigen Nolte mit Äußerungen, wie man sie sonst nur aus Neonazi-Blättern kennt:

Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, dass man den Anteil der Polen und der Engländer stärker gewichten muss, als es meist geschieht. Hitler wollte nicht, wie es oft dargestellt wird, Krieg um des Krieges willen führen. Er hätte gern mit den Polen ein anti-sowjetisches Bündnis geschlossen. Seine Forderungen gegenüber Polen waren nicht »nationalsozialistisch«, sondern sie gingen in die Zeit der Weimarer Republik zurück. Wenn die polnische Regierung, wie es von Hitler gewünscht wurde, einen Unterhändler geschickt und jenen »Weimarer« Forderungen der Rückkehr Danzigs zum Deutschen Reich und der Errichtung exterritorialer Straßen- und Bahnverbindungen durch den »Korridor« zugestimmt hätte, wäre Polen von Hitler nicht angegriffen worden.

Dem Judentum unterstellt Nolte eine Mitverantwortung für Auschwitz, weil einige Bolschewisten Juden gewesen seien, und das Judentum damit einen »eigenen Anteil am ›GULag‹« habe. »Der Spiegel« nennt dies ohne Umschweife »ein Argument von Judenhassern«.[4]

Wir überlassen es Ihnen, daraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen.

Services verlogenes Machwerk passt in dieses Bild. Um die Schuld des Nationalsozialismus zu mindern, wird die russische Oktoberrevolution zu einer verbrecherischen Tat erklärt und Trotzki, der wichtigste marxistische Gegner Stalins, dämonisiert.

Die Bemühungen, ein historisch falsches Narrativ zu begründen, fallen mit einem kritischen Wendepunkt der deutschen Geschichte zusammen. Sie stehen in engem Zusammenhang mit der Ankündigung von Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, es sei an der Zeit, die jahrzehntelange militärische Zurückhaltung Deutschlands zu beenden. Die Wiederbelebung des deutschen Militarismus erfordert eine neue Interpretation der Geschichte, die die Verbrechen der Nazizeit verharmlost.

Ein bestimmtes politisches Ziel erfordert entsprechende Methoden. Baberowskis Verhalten am 12. Februar hat gezeigt, dass sich eine solche Revision der Geschichte nur mithilfe von Einschüchterungsmaßnahmen und der Unterdrückung abweichender Meinungen verwirklichen lässt.

Baberowskis Angriff auf elementare demokratische Rechte und akademische Freiheiten dient Interessen, die die Humboldt-Universität in ein Zentrum für rechte und militaristische Propaganda verwandeln möchten. Baberowski pflegt bekanntlich enge Beziehungen zur Hoover Institution an der Stanford University, die ein akademisches Zentrum der politischen Rechten in den USA ist.

Es entspricht nicht den Wünschen der Studierenden, dass die Humboldt-Universität in eine Art »Hoover Institution an der Spree« verwandelt wird. Sie möchten, dass die Humboldt-Universität ein Ort der Wissenschaft und des akademischen Diskurses bleibt und nicht in einen rechten Thinktank verwandelt wird, an dem kritische Stimmen mundtot gemacht werden.

Das Verhalten von Professor Baberowski sollte missbilligt werden. An einer Hochschule, die nach einem führenden Vertreter der Aufklärung benannt ist und nur wenige Meter von dem Platz entfernt liegt, wo 1933 die Bücher brannten, darf es nicht zugelassen werden, dass demokratische Rechte und die freie wissenschaftliche Debatte mit Füßen getreten werden.

Mit freundlichen Grüßen,

Wolfgang Weber

im Namen der

International Youth and Students for Social Equality


[1]

»Offener Brief der PSG an Jörg Baberowski«, 23.1.2014, siehe ab S. 153 in diesem Buch.

[2]

Dirk Kurbjuweit, »Der Wandel der Vergangenheit«, in: Der Spiegel 7/2014, 10.2.2014, S. 116, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-124956878.html, aufgerufen am 16.6.2015.

[3]

Ebd.

[4]

Ebd., S. 117.