Peter Schwarz
Wissenschaft oder Kriegspropaganda?

Johannes Stern: Kriegspropaganda im Deutschen Historischen Museum

World Socialist Web Site am 8.10.2014.

Gegenwärtig zeigt das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin eine Ausstellung, die die Gräuel, Schrecken und Verbrechen des Ersten Weltkriegs thematisiert. Im gleichen Gebäude fand letzte Woche eine Veranstaltung statt, auf der neue Kriege und Kriegsverbrechen propagiert wurden.

Jörg Baberowski, Inhaber des Lehrstuhls Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin, sagte dort über Kriege gegen nichtstaatliche Kräfte wie die Taliban in Afghanistan und den Islamischen Staat in Irak und Syrien:

Und wenn man nicht bereit ist, Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten, wie es die Terroristen tun, wenn man dazu nicht bereit ist, wird man eine solche Auseinandersetzung nicht gewinnen, dann soll man die Finger davon lassen.[1]

Eine deutsche Teilnahme an derartigen Kriegen lehnte Baberowski keineswegs ab. Voraussetzung sei aber, dass Deutschland bereit sei, mit aller Konsequenz vorzugehen: »Also auf der einen Seite: Ja natürlich, Deutschland soll eine Funktion übernehmen, und es ist wichtig, dass Deutschland Verantwortung übernimmt, vor allem in solchen Konflikten, die es selbst betreffen. Aber man sollte sich schon gut überlegen, für welchen Krieg man a) gerüstet ist, und ob man ihn b) gewinnen kann. Und wenn man ihn nicht gewinnen kann, dann soll man es lassen. Das wäre meine Auffassung zu diesem Thema.«

Etwas später fügte er hinzu: »Mit so einer Institution wie ISIS kann das Militär mit Enthauptungsschlägen schnell fertig werden. Das ist kein Problem. Das können die Amerikaner lösen. Man kann die Anführer dieser Bande durch Killerkommandos umlegen lassen. Das ist alles gar kein Problem. Das ist machbar. Aber danach stellt sich die Frage: Wenn durch einen langen Bürgerkrieg staatliche Strukturen völlig zerstört worden sind, und es gibt nichts mehr dort, dann stellt sich die Frage: Ja und dann?«

Man müsse »sich darüber im Klaren sein, dass das viel Geld kosten wird, und dass man Soldaten und Waffen in solch ein Vakuum hinein schicken muss, um die Konfliktparteien erstens voneinander zu trennen … Man braucht dafür den politischen Willen und die politische Strategie. Und vor allem muss man dann auch sagen, damit das klappt, müssen wir da auch reingehen. Und das muss es uns wert sein. Das kostet Geld. Wir müssen da Truppen rein schicken am Ende. Diese Länder wie der Irak oder Syrien oder Libyen sind inzwischen nicht mehr im Stande, dieses Problem selbst zu lösen.«

Baberowski traf diese bemerkenswerten Aussagen am 1. Oktober im Rahmen des sogenannten »Schlüterhofgesprächs« im DHM. Unter dem Titel »Interventionsmacht Deutschland?« diskutierte eine illustre Runde über die von Bundespräsident Gauck aufgestellte Forderung nach militärischen Interventionen Deutschlands.[2]

Auf dem Podium saß neben Baberowski Horst Teltschik, der als Vizekanzleramtschef von Helmut Kohl eine zentrale Rolle bei der deutschen Wiedervereinigung gespielt hatte und von 1999 bis 2008 die Münchner Sicherheitskonferenz leitete. Weitere Diskussionsteilnehmer waren die Militärhistoriker Sönke Neitzel und Michael Wolffsohn. Moderiert wurde die Veranstaltung von Peter Voß, der in seiner Karriere als Journalist unter anderem Redaktionsleiter des »heute journals«, Gründungsintendant des Südwestrundfunks und Leiter des Presseclubs war. Gegenwärtig moderiert er die Gesprächssendung »Peter Voß fragt« auf 3sat.

Keiner der Diskutanten störte sich an den Aussagen Baberowskis, die dunkle Erinnerungen an die schrecklichen Kriegsverbrechen der Nazis wach riefen. Hitler hatte vor Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg gefordert, »zunächst schnell die bolschewistischen Führer zu erledigen« und »mit brutalsten Methoden« vorzugehen, um den Krieg zu gewinnen. Baberowskis Forderung, brutaler vorzugehen als der Gegner und nicht davor zurückzuschrecken, »Geiseln zu nehmen«, »Dörfer niederzubrennen«, »Menschen aufzuhängen«, »Killerkommandos« zu schicken und »Furcht und Schrecken« zu verbreiten, entspricht der Logik des Vernichtungskriegs.

Für das gesamte Podium stand außer Frage, dass Deutschland Interventionsmacht ist und sein muss. Die Diskussion war geprägt von Rufen nach militärischer Gewalt und imperialistischer Kriegspolitik, die an die Rhetorik und die Methoden der deutschen Führung im Ersten und Zweiten Weltkrieg erinnerten. Immer wieder griffen die Teilnehmer die Außenpolitik der Bundesregierung von rechts an: Sie habe »keine Strategie« und sei nicht bereit, Kriege aggressiv genug und auch gegen den Willen der Bevölkerung zu führen.

Teltschik mahnte, die Kriegsziele klarer zu formulieren und mehr Soldaten zu schicken. »Ich hab dem damaligen Verteidigungsminister gesagt: ›Erklären Sie doch mal dem deutschen Volk, warum Afrika für uns wichtig ist. Haben wir strategische Interessen in Afrika? Und wenn ja …, erklären Sie den Deutschen die strategische Bedeutung Afrikas für Europa und die Bundesrepu­blik, und dann können Sie sagen, aus diesen Gründen schicken wir jetzt die Bundeswehr in den Kongo oder nach Mali.‹«

Dann forderte er die Bundesregierung in zynisch-arroganter Weise auf, sich weniger um die öffentliche Meinung zu scheren. Sie solle nicht »nur auf Umfragen gucken« und feststellen: »Ui, siebzig Prozent sind dagegen, dass die Bundeswehr da und dort hingeht. Da kannst du ja gleich abrüsten, da kannst du ja gleich zu Hause bleiben. Denn bei jeder militärischen Intervention wird die Mehrheit der Deutschen – emotional verständlich – sagen: ›Nein, da haben wir nichts zu suchen. Das machen wir nicht.‹ Nein, in der Politik muss man gelegentlich Entscheidungen treffen.«

Voß schlug vor, die neue Interventionspolitik gesetzlich zu verankern und dazu das Grundgesetz zu ändern. »Aber müsste man nicht im Grunde sagen, wenn wir wirklich generell sagen, bei der Gefährdung von Menschenrechten in dieser Welt wollen und müssen wir militärisch eingreifen … (und die Mehrheit wäre ja da), dann ändern wir das Grundgesetz mit zwei Dritteln Mehrheit und führen wirklich diese Diskussion so, dass auch die, die (sag ich mal) ein großes Unbehagen verspüren, sich genauso dort wiederfinden, wo die anderen sind.«

Das offene Eintreten für Militarismus, Krieg und Diktatur auf einer hochrangig besetzten Podiumsdiskussion inmitten von Berlin muss als Warnung und Weckruf verstanden werden. Hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs arbeiten Politiker, Historiker und Journalisten systematisch daran, die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus zu verharmlosen und zu beschönigen, um neuen Verbrechen den Boden zu bereiten.

Baberowski spielt dabei eine zentrale Rolle. Bereits im Februar hatte er im »Spiegel« erklärt: »Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam.« Im gleichen Artikel verteidigte er den NS-freundlichen Historiker Ernst Nolte mit der Aussage: »Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht.«[3]

Doch womit hatte Nolte recht? In der aktuellen Ausgabe des Debatten-Magazins »The European« veröffentlichte Nolte vor wenigen Wochen einen Artikel mit dem Ziel, Hitler und den Nationalsozialismus zu rehabilitieren. Unter dem Titel »Das Tabu brechen« beschwert er sich, dass Hitler nach der Niederlage Deutschlands »vom Befreier zum ›absolut Bösen‹« geworden sei. »Diese einseitige Sicht«, so Nolte, »schadet uns noch heute.«[4] Nimmt man die Veranstaltung im DHM als Gradmesser für die Pläne der herrschenden Klasse, dann soll sich das ändern.


[1]

»Schlüterhofgespräch« im Deutschen Historischen Museum, 1.10.2014, Audiodatei, https://www.dhm.de/fileadmin/medien/relaunch/AUDIO/Schlueterhofgespraeche_01.10.2014_1.mp3, aufgerufen am 21.6.2015.

[2]

Ebd.

[3]

Dirk Kurbjuweit, »Der Wandel der Vergangenheit«, in: Der Spiegel 7/2014, 10.2.2014, S. 116, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-124956878.html, aufgerufen am 16.6.2015.

[4]

Ernst Nolte, »Das Tabu brechen«, in: The European 4/2014.