David North
Das Erbe, das wir verteidigen

M. Banda wird zum Stalinisten (II)

Nachdem Banda über Trotzkis angebliche Unfähigkeit, die Bedeutung begrifflichen Denkens zu verstehen, und seine vorgebliche Kapitulation vor der Spontaneität der Arbeiterklasse eine Menge Schaum geschlagen hat, psalmodiert er düster: »Das ist keine kleine Frage, die man als episodischen Irrtum in Trotzkis anderweitig brillanten theoretischen Leistungen vernachlässigen könnte. Man könnte sogar argumentieren, dass von einer gegenüber ›natürlicher Dialektik‹, ›proletarischer Philosophie‹ und ›proletarischer Fragestellung‹ unversöhnlichen philosophischen Haltung das Schicksal der sozialistischen Weltrevolution abhängt.«

Man muss sich schon beherrschen, um nicht laut zu lachen, wenn man diese Zeilen liest, denn Bandas hochtönender Aufruf zu philosophischer Unversöhnlichkeit findet sich inmitten einer langen und erbitterten Denunziation Trotzkis, gerade weil dieser den Kampf für Marxismus in der UdSSR nicht aufgab und nicht vor der stalinistischen Bürokratie kapitulierte. Während Banda Trotzki eine weiche Haltung gegenüber der Spontaneität der Arbeiterklasse vorwirft, beruht seine eigene Linie mittlerweile auf einem unterwürfigen Kniefall vor der »Spontaneität« der Bürokratie.

Der springende Punkt in Bandas Anklage gegen Trotzki ist der Vorwurf, er habe sich geweigert, 1928/1929 die Linke Opposition aufzulösen, als Stalin, der bis dahin im Bündnis mit dem rechten Flügel unter Bucharin eine Politik der Anpassung an die reichen Bauernschichten (Kulaken) betrieben hatte, plötzlich einen Linksschwenk vollzog und ein rasantes Industrialisierungsprogramm durchführte, das sich auf eine umfangreiche Kollektivierung der Landwirtschaft stützte.

Alle legitimen Gründe für die Existenz der Linken Opposition, behauptet Banda, seien durch diese Politik hinfällig geworden, die den endgültigen Sieg der sozialistischen Revolution unter ihrem wahren Führer Josef Stalin bedeutet habe!

Nach einer sorgfältigen und genauen Untersuchung der Geschichte der sowjetischen Wirtschaft und des sowjetischen Staats in den dreißiger Jahren steht für mich außer Frage, dass Trotzkis Haltung zu den weitreichenden und entscheidenden Umwälzungen, die Stalin in Industrie und Landwirtschaft einleitete, zweideutig, skeptisch und enthaltsam war. Rückblickend stellt es sich so dar, dass Trotzki, der als Erster für Planwirtschaft, Industrialisierung und Kollektivierung der Bauernschaft eingetreten war, derart von der Personifizierung des rechten Flügels durch Stalin überzeugt war, dass er sich niemals mit einer Kehrtwendung Stalins abfinden konnte, oder, schlimmer, mit der Usurpation seiner Politik durch die Zentrumsgruppe und mit der rücksichtslosen Jagd auf Bucharin und den rechten Flügel.

Um gegen Trotzki zu wettern, hebt Banda Stalin in den Himmel und schreibt verzückt über dessen empirischen Linksschwenk:

Es gab kein Zurück, und die Intensität und das Ausmaß von Stalins Maßnahmen ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Stalin entschlossen war, bis zum Ende zu gehen. Aber wo war der prophetische Führer der Linken Opposition? Er tapste und stolperte in einem unbeschreiblichen Labyrinth der Konfusion herum …

Selbst als die deformierte Diktatur der Arbeiterklasse mit beispielloser Gewalt und Brutalität die Bauernschaft zermalmt und den rechten Flügel zerschlagen und abgeschoben hatte – wollte sich Trotzki immer noch nicht mit der Realität abfinden.

Worin bestand diese Realität, mit der sich Trotzki nicht abfinden wollte? Im Jahr 1928 stand die stalinistische Führung plötzlich vor den katastrophalen Folgen ihrer reaktionären Politik der letzten fünf Jahre. Der Fortbestand des Arbeiterstaats war direkt gefährdet, denn die Kulaken begannen, den Städten kein Getreide mehr zu liefern. Unter den erbarmungslosen Hieben der unmittelbaren Ereignisse brach die Stalin-Fraktion, die sich auf die Partei- und Staatsbürokratie stützte, mit Bucharin und schlingerte nach links.

Völlig unvorbereitet und ohne eigenes zusammenhängendes Programm für die Situation griffen die Stalinisten nach großen Teilen des Programms der Linken Opposition, natürlich mit Ausnahme der Forderung nach Wiedereinführung der Parteidemokratie. Die brutalen und administrativen Methoden, mit denen die Stalinisten das Programm durchsetzten, standen zudem in völligem Gegensatz zu der theoretischen Orientierung, mit der die Linke Opposition es ausgearbeitet hatte.

Banda zieht es vor, über die Periode von 1923 bis 1928 zu schweigen. Vorerst, zumindest bis zu seinem nächsten Dokument, äußert er keine Kritik an der Politik der Linken Opposition vor 1928. Wer aber Trotzki vorwirft, dass er 1928 nicht vor dem empirischen Schwenk der Bürokratie kapitulierte und nicht alle fundamentalen Fragen des internationalen revolutionären Programms und der internationalen Strategie, die die Linke Opposition in den vorigen fünf Jahren aufgeworfen hatte, missachtete, der bricht ein für alle Mal mit dem Marxismus.

Die Hauptfrage bestand für Trotzki und die Linke Opposition 1928 nicht darin, ob sie für oder gegen Stalins Linksschwenk waren. Die Orientierung der Linken Opposition war in erster Linie von internationalen Überlegungen bestimmt, d. h. von der Perspektive der sozialistischen Weltrevolution. Obwohl sie aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und in die Randgebiete der Sowjetunion verbannt worden war, unterstützte die Linke Opposition kritisch die Maßnahmen gegen die Kulaken, zu denen sich die Stalinisten durch unerbittliche Notwendigkeiten gezwungen sahen. Aber Trotzki war nicht bereit, die Plattform der Linken Opposition zu widerrufen oder ihre schrittweise Anpassung an die Politik des »Zentrums« hinzunehmen, denn das hätte die Kapitulation vor dem nationalistischen Programm des »Sozialismus in einem Land« bedeutet, das nach wie vor die Grundlinie des Stalinismus bildete.

Für Trotzki und die Linke Opposition konnte das Überleben der UdSSR und die Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft nur auf der Grundlage einer richtigen internationalen Politik sichergestellt werden – also einer Politik, die von der Stärkung der Kommunistischen Internationale und der Ausweitung der Revolution vor allem nach Westeuropa ausging. Die notwendigen Maßnahmen zum Aufbau der sowjetischen Industrie und zur Stärkung der inneren Grundlagen der proletarischen Diktatur in der UdSSR konnten die Erarbeitung und Durchsetzung einer internationalen revolutionären Strategie nicht ersetzen.

Banda gibt zu, dass Trotzki der Erste war, der zu Planwirtschaft und verstärkter Industrialisierung aufrief. Sämtliche Analysen Trotzkis zwischen 1925 und 1927 stießen auf die erbitterte Opposition der Stalinisten, die am Bündnis mit den Kulaken festhielten und eine schnellere Industrialisierung als »Abenteurertum« ablehnten. Trotzki wies jeden Gedanken daran, der Sozialismus könne ohne Ausweitung der Revolution in der UdSSR verwirklicht werden, als utopischen Unsinn zurück. Er vertrat damit dieselbe Position, auf der Lenin immer wieder beharrt hatte.

Banda vergisst geflissentlich, dass die Krise in der UdSSR von 1928 weitgehend ein direktes Ergebnis der katastrophalen Politik war, die die Stalinisten in der Kommunistischen Internationale betrieben. Er erwähnt mit keinem Wort, welche Folgen die stalin-bucharinsche Theorie vom »Sozialismus in einem Land« für das Schicksal der Revolution in Europa und Asien hatte. Bandas politische Desintegration findet ihren klarsten Ausdruck darin, dass der Kampf für den Sozialismus in seinen Augen keine internationale Dimension mehr hat. Er akzeptiert nicht mehr – und weist es sogar direkt zurück –, dass zwischen dem Aufbau des Sozialismus in der UdSSR und der Ausweitung der proletarischen Revolution ein Zusammenhang besteht.

Deswegen sagt Banda rein gar nichts über die Niederlage der deutschen Arbeiterklasse 1923 und die rechts-zentristische Degeneration der Komintern unter der Führung der Stalinisten, die in den folgenden vier Jahren Niederlagen in England und China hervorrief. Diese historischen Rückschläge führten direkt zu der verschlechterten Lage der UdSSR, zu ihrer verschärften Isolation und dadurch zu ihrer verzweifelten Krise von 1928.

Banda versucht, diese offenkundige Tatsache durch eine Mystifizierung der Geschichte zu leugnen: »Nachdem die Revolution nicht über die nationalen Grenzen hinweg vordringen konnte und von allen Seiten eingedämmt wurde, flutete sie mit verdoppelter Gewalt zurück in die UdSSR, wo sie auf dem Rücken einer erschöpften Arbeiterklasse und einer dezimierten Partei das unsichere Kräftegleichgewicht der nachleninschen Ära völlig zerstörte.«

Er sagt nicht, weshalb die Revolution »nicht über die nationalen Grenzen hinweg vordringen« konnte, oder weshalb sie »von allen Seiten eingedämmt« wurde. Er verschweigt die durch Stümperei und Verrat der Stalinisten hervorgerufenen internationalen Niederlagen des Proletariats, macht aber deren Folgen in seiner Darstellung zu einem positiven historischen Faktor, durch den die Revolution angeblich »mit verdoppelter Gewalt« in die Sowjetunion zurückflutete! Laut Banda stärkten die Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse also die russische Revolution und trugen mächtig zum Aufbau des Sozialismus in der UdSSR bei!

Ausgiebig feiert Banda die Krise, die Stalins Linksschwenk in der Linken Opposition hervorrief. Freigebig und unkritisch zitiert er aus den Schriften Isaac Deutschers (»Die einzige ehrliche und objektive Darstellung … ich muss mich auf ihn stützen«) und Max Shachtmans (»einer der wenigen Autoren neben dem verstorbenen Deutscher … die eine detaillierte Analyse der hoffnungslos widersprüchlichen Position Trotzkis liefern …«). Beide Männer griffen aus unterschiedlichen Gründen Trotzkis Analyse über Stalins Kurswechsel an.

In seinem Aufsatz »Der Kampf für den neuen Kurs« versuchte Shachtman zu beweisen, dass Trotzkis Charakterisierung der Sowjetunion als, wenn auch degenerierter, Arbeiterstaat unhaltbar sei. Shachtman war bereits auf bestem Wege, zu einem antikommunistischen Kalten Krieger und Verteidiger des US-Imperialismus zu werden. Im zweiten Band seiner Trotzki-Biografie, »Der unbewaffnete Prophet«, vertrat Deutscher, zeit seines Lebens ein Gegner der Vierten Internationale, seine wohlbekannte Ansicht, der Stalinismus sei eine revolutionäre Kraft – eine Position, die er erstmals in seiner Stalin-Biografie von 1948 vertreten hatte und die ganz offensichtlich einen gewissen Einfluss auf Pablo ausübte. Banda versucht gar nicht erst, die entgegengesetzten Standpunkte von Shachtman und Deutscher unter einen Hut zu bringen (obwohl es einen inneren Zusammenhang zwischen ihnen gibt, insofern sie beide der Bürokratie eine unabhängige historische Rolle zuschreiben), sondern bedient sich einfach ihrer Angriffe auf Trotzki. Natürlich verzichtet er bei Bedarf auch nicht auf die Beigabe eigener Fälschungen.

Banda nennt Trotzki einen »blinden Ignoranten« und behauptet, er habe die Bedeutung von Stalins Linksschwenk nicht erkennen wollen:

Trotzkis zweideutige Position schuf natürlich eine Krise in der Linken Opposition und führte zu deren Verfall und Desorientierung …

Im Gegensatz zu der traditionell von Trotzkis Verteidigern und Apologeten verbreiteten Version wurde die Linke Opposition nicht durch Stalins Verfolgung zerstört. Sie wurde von innen heraus zerstört, weil sie unfähig war, eine richtige Politik auszuarbeiten und eine objektive wissenschaftliche Analyse über Stalins Regime zu erstellen …

Trotzki war ein für alle Mal erledigt.

Wir werden gleich dazu kommen, was Banda als »wissenschaftliche Analyse« verkaufen will. Aber vorher wollen wir uns die Krise in der Linken Opposition ansehen. Am Rande wollen wir festhalten, dass Banda, der in seinen »27 Gründen« die Zerstörung des Internationalen Komitees verkündete, jetzt entdeckt, dass die Linke Opposition schon vor langer Zeit dasselbe Schicksal ereilte. Er beurteilt eine revolutionäre Organisation immer aufgrund der Urteile und Taten derjenigen, die sie verrieten. Genau wie Banda glaubte, mit seiner Desertion sei das Schicksal des Internationalen Komitees besiegelt, behauptet er, die Linke Opposition sei durch diejenigen zerstört worden, die vor Stalin kapitulierten, d. h. Sinowjew, Kamenew, Radek, Pjatakow, Preobraschenski usw.

Banda preist die Desertion dieser Renegaten und behauptet, dass sie »richtigerweise argumentierten, dass der Linksschwenk nicht episodisch sei, und dass sie zwar ihren Kampf für Parteidemokratie und ihr Beharren auf der notwendigen Industrialisierung und Kollektivierung nicht widerrufen würden, ihre eigenen Fehler aber eingestehen und Stalin auf konkrete, praktische Weise unterstützen müssten«.

Eine schauderhafte Geschichtsfälschung! In Wirklichkeit zog jeder einzelne dieser Kapitulanten sich selbst durch den Dreck und widerrief alles, wofür er früher gekämpft hatte. Der wirkliche Charakter dieser Kapitulationen zeigt sich unbeabsichtigt in Bandas eigenen Worten. Wenn die Kapitulanten ihr früheres Programm nicht zurücknahmen, wenn sie einfach nur anerkannten, dass Stalin die Linie der Linken Opposition ausführte, welche »Fehler« sollten sie dann noch eingestehen? »Stalin auf konkrete, praktische Weise unterstützen« bedeutete in Wirklichkeit, Trotzki zu denunzieren, dem gesamten Kampf der Linken Opposition gegen die Stalin-Führung seit 1923 abzuschwören, die Plattform der Linken Opposition zu verwerfen und die Theorie der permanenten Revolution anzugreifen. Es bedeutete, jeden Kampf für die Wiederherstellung der Parteidemokratie aufzugeben.

Banda verschweigt, dass alle, die die Linke Opposition verließen, ihre Prinzipien widerriefen und vor Stalin kapitulierten, politisch vernichtet wurden, erst moralisch und dann physisch. Die Bewegung, die Trotzki gründete, hat sie alle überlebt. Als die Linke Opposition in die Vierte Internationale umgewandelt wurde, hatten praktisch all diese Kapitulanten schon eine Kugel der GPU im Kopf.

Unter denen, die von Banda angeführt werden, weil sie vor Stalins Linksschwenk kapitulierten, befindet sich auch Christian Rakowski. Wieder entlarvt sich das erbärmlich niedrige Niveau von Bandas Verständnis der Tatsachen. Nach Trotzkis Deportation 1929 wurde Rakowski der anerkannte Führer der Linken Opposition in der Sowjetunion. Vier Jahre lang bot er den Stalinisten die Stirn. Erst 1933, körperlich erschöpft durch Verletzungen, die er sich auf einem fehlgeschlagenen Fluchtversuch aus der UdSSR zugezogen hatte, und politisch demoralisiert durch die totale Isolation und Hitlers Sieg in Deutschland, gab Rakowski auf. Wie Trotzki sagte, Stalin holte sich Rakowski mit Hilfe Hitlers! Aber 1928/1929 wandte sich Rakowski heftig gegen jede Kapitulation vor Stalin.

In einer Erklärung vom August 1928, »Über Kapitulation und Kapitulanten«, fällte Rakowski ein beißendes Urteil über Renegaten wie Radek und Preobraschenski, die ihren Prinzipienverrat mit der Behauptung zu rechtfertigen suchten, Stalin verwirkliche den »ökonomischen Teil« des Programms der Linken Opposition:

Auf diesem Wege hat die unterschiedliche Interpretation der Plattform zwei Lager geschaffen: das Lager der revolutionären Leninisten, das für die Durchsetzung seiner gesamten Plattform kämpft (genau wie früher die Partei für ihr gesamtes Programm kämpfte), und das opportunistisch-kapitulantenhafte Lager, das sich bereit erklärt hat, sich mit der »Industrialisierung« und Kollektivhöfen zufriedenzugeben, ohne zu bedenken, dass das ganze sozialistische Bauwerk einstürzen könnte, wenn der politische Teil der Plattform nicht verwirklicht wird.[1]

Rakowski untersuchte dann die Ansichten der Kapitulanten und hob die Bedeutung des prinzipiellen Standpunkts der Linken Opposition hervor:

Die Opposition ist nach Verlassen der Partei in bestimmten Teilen nicht frei von den Fehlern und Gewohnheiten, die der Apparat über Jahre hinweg gezüchtet hat. Vor allem ist sie nicht frei von einem gewissen Quantum Philistertum. Besonders zäh hält sich die bürokratische Verkümmerung bei denjenigen, die früher der Führung der Partei am nächsten standen oder im sowjetischen Apparat steckten. Sie ist teilweise von Parteibuch-Fetischismus im Gegensatz zu Parteiloyalität befallen; außerdem ist sie nicht frei von der verderblichen Psychologie der Verfälscher des Leninismus, die derselbe Apparat aufgezogen hat. Deswegen versäumt keiner der Kapitulanten, die die Opposition verlassen, Trotzki einen Tritt mit den (von Jaroslawski und Radek beschlagenen) Hufen zu versetzen. Unter anderen Bedingungen wäre das Erbe des Apparats mit Leichtigkeit abgeschüttelt worden. Unter den heutigen Bedingungen intensiven Drucks verbreitet es sich in Form des Kapitulantentums wie ein Ausschlag über den Körper der Opposition. Es war unvermeidlich, dass die Leute ausscheiden würden, die die Plattform nicht bis zu Ende durchdacht hatten, die von Ruhe und Frieden träumten, sich aber naiv damit rechtfertigten, dass sie an den »gewaltigen Kämpfen« teilhaben wollten. Diese Auslese macht die Reihen der Linken Opposition zudem gesünder. Es werden diejenigen darin verbleiben, die die Plattform nicht als eine Art Speisekarte betrachten, von der sich jeder nach Geschmack ein Menü zusammenstellen kann. Die Plattform war und bleibt das Kampfbanner des Leninismus, und ihre uneingeschränkte Durchsetzung allein wird die Partei und unser proletarisches Land aus der Sackgasse herausführen, in die sie durch die zentristische Führung getrieben wurden.

Wer versteht, dass der Kampf der Linken Opposition der »gewaltige Kampf« ist, von dessen Ausgang der künftige sozialistische Aufbau, das Schicksal der Sowjetmacht und der Weltrevolution abhängen, der wird seinen Posten nicht verlassen.

Ein einziger Gedanke zieht sich als Leitmotiv durch die Thesen der Kapitulanten: die Notwendigkeit der Rückkehr zur Partei. Jemand, der die Geschichte unseres Ausschlusses nicht kennt, könnte meinen, wir hätten sie aus eigenem Wunsch verlassen und seien freiwillig ins Exil gegangen. Die Frage so zu stellen heißt, die Verantwortung für unsere Lage im Exil und außerhalb der Partei von den Schultern der rechts-zentristischen Führung auf die Schultern der Opposition zu verlagern.

Wir waren in der Partei und wollten darin bleiben, selbst als die rechts-zentristische Führung die bloße Notwendigkeit eines Fünfjahresplans ablehnte und seelenruhig auf das »Hineinwachsen des Kulaken in den Sozialismus« setzte. Umso mehr wollen wir jetzt, wo eine Linkswende stattfindet (wenn auch nur bei einem Teil), in der Partei sein, jetzt, wo sie vor gewaltigen Aufgaben steht. Aber wir stehen vor einer Frage von ganz anderer Bedeutung: Sind wir bereit, von unserer leninistischen Linie abzuweichen, um dem zentristischen Opportunismus Vorschub zu leisten? Der größte Feind der Diktatur des Proletariats ist eine prinzipienlose Haltung gegenüber Gesinnungen. Wenn die Parteiführung – ähnlich der katholischen Kirche, die sterbenden Atheisten eine Rückkehr zum Katholizismus abnötigt – Oppositionellen Schuldbekenntnisse ihrer angeblichen Irrtümer und Widerrufungen ihrer leninistischen Überzeugungen abringt, wodurch sie jeden Anspruch auf Respekt verspielt, dann verdient der Oppositionelle, der seine Gesinnung im Laufe einer Nacht ändert, nichts als völlige Verachtung. Diese Praxis führt zu einer schwätzerhaften, flachen und skeptischen Einstellung zum Leninismus; und Radek ist zu einem typischen Vertreter dieser Einstellung geworden, wie er links und rechts großzügig seine Spießersprüche über »Mäßigung« zum Besten gibt. Schtschedrins Charaktere sind zeitlos. Jede Epoche gesellschaftlich-politischen Niedergangs bringt sie hervor, nur die historischen Kostüme ändern sich.[2] (Betonung im Original)

In einem weiteren Artikel analysierte Rakowski die Bedeutung des Parteiregimes für den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR. Er antwortete damit auf diejenigen, die argumentierten, Stalins Maßnahmen zur Entwicklung einer Planwirtschaft verringerten die Bedeutung der Rückkehr zur innerparteilichen Demokratie, wie sie die Linke Opposition forderte:

1923 sah die Opposition voraus, dass die Verzerrung des Parteiregimes der Diktatur großen Schaden zufügen würde. Die Ereignisse haben ihre Prognose vollkommen bestätigt: Der Feind ist durch das Fenster der Bürokratie eingestiegen.

Heute mehr denn je muss man vernehmlich sagen, dass das richtige Parteiregime der Prüfstein für einen wirklich linken Kurs ist.

Selbst unter standhaften Revolutionären hat die Meinung Fuß gefasst, der »richtige Kurs« in der Wirtschaft werde »von selbst« zu einem richtigen Parteiregime führen. Diese Ansicht, die dialektisch aussehen soll, erweist sich als einseitig und undialektisch, denn sie ignoriert den ständigen Wechsel von Ursache und Wirkung im historischen Prozess. Eine falsche Linie wird ein falsches Regime verschlimmern, und das falsche Regime wird seinerseits die Linie noch mehr verbiegen.[3]

Wenn man mildernde Umstände für die Linken Oppositionellen finden will, die 1928 vor Stalin kapitulierten, dann könnte man anführen, dass sie nicht wussten, was sie erwartete: der lange Albtraum der Säuberungen, Prozesse und Hinrichtungen, die Stalin Mitte der dreißiger Jahre organisierte. Aber Banda kennt die ungeheuren Verbrechen der Bürokratie und das tragische Schicksal all der Kapitulanten in allen Einzelheiten. Er kennt die blutigen, nach Millionen zählenden Menschenopfer, die die Bürokratie forderte, als sie die Bolschewistische Partei zerschlug und die politische Macht des Proletariats an sich riss.

Trotzdem verurteilt Banda Trotzkis Weigerung, vor Stalin zu kapitulieren: »Anstatt sich aufrichtig und mit der gebotenen Demut der Realität zu stellen, passte sich Trotzki immer mehr an die Ultralinken an, die ausschließlich von den Formen der proletarischen (Sowjet- und Partei-)Demokratie und dem Überbau des Arbeiterstaats besessen waren und die tiefen Veränderungen, die sich in seiner Basis vollzogen, ignorierten oder zurückwiesen.«

Im Wesentlichen bedeutet Bandas geringschätzige Haltung gegenüber dem Charakter des Parteiregimes, dass seiner Meinung nach marxistisches Bewusstsein für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft nicht die geringste Bedeutung hat. Er kümmert sich nicht um die politischen Theorien, die in Abwesenheit auch nur eines Anscheins von Parteidemokratie die Praxis der stalinistischen Bürokratie anleiteten. Denn bei all seinem Gerede über Trotzkis »Gleichgültigkeit« gegenüber der dialektischen Logik huldigt Banda dem blinden Pragmatismus Stalins und der »Epistemologie« seiner GPU-Mordkommandos!

Banda lobpreist die »beispiellose Gewalt und Brutalität« der »deformierten Diktatur« und erklärt, Stalin habe »die Bauernschaft zermalmt und den rechten Flügel zerschlagen« – als ob die wirtschaftlichen Probleme der UdSSR, deren Wurzel in ihrer historisch überkommenen Rückständigkeit liegt, einfach durch die administrative »Liquidierung der Kulaken als Klasse« überwunden werden konnten. Wie Trotzki erklärte und die gesamte spätere Entwicklung der UdSSR, Osteuropas und Chinas bestätigte, ist die Differenzierung der Bauernschaft ein organischer Prozess, der nur durch eine durchgreifende Umwälzung in der Agrartechnik aufgehalten werden kann.

Die Kollektivierung allein löst das Problem noch nicht. Unter Bedingungen, wo die Kollektive untereinander um eine ausreichende Versorgung mit hochentwickelten Agrarmaschinen streiten müssen, was bis heute der Fall ist, sind selbst die Kollektive einem Differenzierungsprozess unterworfen.

Erst wenn die Sowjetunion uneingeschränkt an den Ressourcen der Weltwirtschaft teilhaben kann, was vom revolutionären Sturz des Weltimperialismus abhängt, kann die ererbte Rückständigkeit ihrer Landwirtschaft überwunden werden. Bis dahin erzeugt die unvermeidbare soziale Differenzierung, die man nicht mit Polizeimethoden unterdrücken kann, ständig, wenn auch nur in Keimform, die wirtschaftliche Grundlage für eine Wiederbelebung kapitalistischer Elemente auf dem Lande, und zwar selbst unter dem Deckmantel kollektiver Höfe.

Derart komplexe Probleme interessieren Banda nicht. Stattdessen behauptet er, Stalins Politik sei ein Ergebnis der zwingenden historischen Notwendigkeit. Das liegt auf einer Linie mit seiner generellen Klasseneinstellung. In der einen oder anderen Form gestehen kleinbürgerliche Theoretiker der Sowjetbürokratie immer eine unabhängige historische Rolle zu. In einigen Fällen (Shachtman, Burnham, antikommunistische Akademiker) betrachten sie die Bürokratie als den Erbauer einer neuen totalitären Ausbeutergesellschaft. In anderen Fällen (Pablo, Deutscher) schreiben sie der Bürokratie eine notwendige und fortschrittliche Rolle bei der Einführung des Sozialismus zu. Aber sie alle, ob »links« oder »rechts«, lehnen die entscheidende und unabhängige Rolle des Proletariats beim Sturz des Kapitalismus und dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft ab.

Banda führt Deutschers Position bis zu ihrer letzten Konsequenz. Während Deutscher zumindest formal anerkannte, dass der Stalinismus ein Resultat spezifischer Umstände war, die mit der extremen, den Bolschewiki vom Zar vererbten Rückständigkeit und den internationalen Niederlagen des Proletariats zusammenhingen, erkennt Banda die historische Notwendigkeit des Stalinismus ohne derartige Einschränkungen an. Trotzkis Analyse der besonderen materiellen Bedingungen und Widersprüche, die dem Wachstum der Bürokratie zugrunde lagen, lehnt er ausdrücklich ab. Mit vor Bosheit triefender Feder schreibt er:

Die wirkliche historische Bedeutung von Stalins Aufstieg zur Macht verstand Trotzki nie.

Trotzki sah in Stalin den bürokratischen Verteidiger des Parteiapparats und den Usurpator der proletarischen Demokratie, aber was der Apparat in der historischen Entwicklung des ersten Arbeiterstaats – trotz Stalins bürokratischer Unterdrückung – darstellte, schien Trotzki stets zu entgehen und erbitterte seine erleuchteten Anhänger. Trotzki sah die stalinistische Bürokratie als Zufallsprodukt an, das einem besonderen nationalen und internationalen Kräfteverhältnis entsprang. Es schien unbegreiflich, dass die Stalin-Fraktion die Arbeiterklasse repräsentieren sollte. (Hervorhebung hinzugefügt)

Die wirkliche soziale Grundlage der Stalin-Fraktion war laut Banda »die aus einer rückständigen Bauernschaft hervorgehende Arbeiterklasse«. Unter diesen Bedingungen habe die Bürokratie als Stellvertreter des unreifen Proletariats eine fortschrittliche Rolle gespielt:

Trotzkis Unfähigkeit, den widersprüchlichen Charakter des Stalin-Regimes zu verstehen – das brutal die Verwaltung zentralisierte und die sowjetische Legalität und Demokratie den Erfordernissen der ursprünglichen sozialistischen Akkumulation und den – jawohl – progressiven Aufgaben unterordnete, die verstaatlichte Industrie und kollektivierte Landwirtschaft zu fördern, den Standard der ärztlichen Versorgung und des Erziehungswesens zu heben und Wissenschaft und Technologie zu revolutionieren – diese Unfähigkeit führte zu einem völligen Skeptizismus über die zukünftige Entwicklung der UdSSR und zu dem bewussten Bestreben, den Einfluss der restaurativen Kräfte in der UdSSR zu übertreiben.

Diese Darstellung lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Die Zerstörung der Sowjetdemokratie durch die Bürokratie und die Eliminierung von Stalins Gegnern waren historisch notwendige Maßnahmen, um den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR voranzutreiben. Und tatsächlich bezieht Banda diese Position. Trotzki, behauptet er, sei objektiv ein Feind der UdSSR gewesen. »Das Nachsichtigste, was man über Trotzkis Positionen sagen kann«, schreibt Banda, »ist, dass sie unausweichlich zu konterrevolutionären Schlussfolgerungen führten!« Seine Opposition gegen Stalin führte, »wie abzusehen war«, »zu politischen Anschauungen, die ausgesprochen suspekt, wenn nicht offen reaktionär waren«.

Mit anderen Worten, die Moskauer Prozesse waren nicht nur politisch berechtigt. Nach Bandas Einschätzung gibt es Gründe für die Annahme, Trotzki könnte sich der Verbrechen – terroristische Verschwörungen gegen die sowjetische Führung, Sabotage, Spionage für die Imperialisten etc. – tatsächlich schuldig gemacht haben, die Stalins Staatsanwalt Wyschinski ihm vorwarf! Und all die anderen ehemaligen Mitglieder der Linken wie auch der Rechten Opposition (Bucharin, Rykow, Tomski) könnten durchaus an dem »parallelen terroristischen Zentrum« beteiligt gewesen sein, das Trotzki angeblich geschaffen hatte! Während Banda diese Morde also legitimiert, ist er zu zartbesaitet, um die Massenhinrichtungen der alten Bolschewiki zwischen 1936 und 1938 zu erwähnen. Stattdessen stellt er das Schicksal von Lenins Mitstreitern und die Konsolidierung der totalitären Herrschaft der Bürokratie folgendermaßen dar: »In Wirklichkeit führte die ehrgeizige Entwicklung der Produktivkräfte der UdSSR und die – wenn auch bürokratische – Verteidigung ihrer Eigentumsverhältnisse durch die Stalin-Gruppe unweigerlich zu einem Absterben der Linken und Rechten Opposition und zu einer ununterbrochenen Stärkung des Zentrums.« (Hervorhebung hinzugefügt)

Banda fasst sein Urteil über Trotzki folgendermaßen zusammen:

Trotzki weigerte sich beständig, die schreckliche und widersprüchliche Realität anzuerkennen, dass Stalin – der proletarische Bonaparte – die Revolution in Permanenz repräsentierte. Die polizeilich-bürokratischen Maßnahmen der NÖP, die politische Atomisierung der Bauernschaft, die Industrialisierung und Kollektivierung der Bauernschaft, die Schaffung einer gewaltigen neuen Arbeiterklasse und Intelligenz – all diese Entwicklungen waren Ausdruck einer historischen Gesetzmäßigkeit.

Hier haben wir politische Stiefelleckerei übelster Sorte. Das Wachstum der Bürokratie und Stalins bonapartistische Diktatur werden schwärmerisch als Ausdruck der historischen Notwendigkeit hingestellt. Stalin, der ­pockennarbige Feind der Theorie der permanenten Revolution, verwandelt sich in Bandas verdrehtem Hirn in die Personifizierung der »Revolution in Permanenz«. Ähnlich wird der Mann, dessen Name für alle Zeiten mit der Vernichtung von Lenins engsten Mitarbeitern und der physischen Zerstörung der Bolschewistischen Partei behaftet ist, als »proletarischer Bonaparte« beschrieben. Es kümmert Banda nicht, dass Stalins bonapartistische Herrschaft durch die Zerstörung aller Formen der proletarischen Demokratie errichtet und gefestigt wurde. Die Erdrosselung der Bolschewistischen Partei und der Sowjets war das Mittel, durch das die Bürokratie die politische Macht usurpierte.

Diese Usurpation bedeutete jedoch nicht die völlige Zerstörung der Diktatur des Proletariats, die in degenerierter Form fortbestand. Trotzki erklärte, dass sich der sowjetische Bonapartismus auf der Grundlage eines degenerierten Arbeiterstaats erhob. Aber dadurch wurde Stalin nicht zu einem proletarischen Bonaparte. Diese Wortverbindung ergibt politisch absolut keinen Sinn. Stalin verkörperte den politischen Willen der raubgierigen privilegierten Bürokratie. Wie Trotzki so brillant erklärte:

Die immer aufdringlichere Vergötterung Stalins bildet, so karikiert sie ist, einen unerlässlichen Bestandteil des Regimes. Die Bürokratie braucht einen unantastbaren obersten Schiedsrichter, einen Ersten Konsul, wenn nicht einen Kaiser, und sie erhebt auf ihre Schultern den, der ihren Herrschaftsansprüchen am meisten entspricht …

Der Cäsarismus oder seine bürgerliche Form, der Bonapartismus, betritt die Bühne der Geschichte immer dann, wenn der scharfe Kampf zweier Lager die Staatsmacht gleichsam über die Nation erhebt und sie scheinbar von den Klassen völlig unabhängig macht, ihr in Wirklichkeit aber nur die notwendige Freiheit gibt, um die Privilegierten zu verteidigen. Das Stalinregime, das über die politisch atomisierte Gesellschaft hinausragt, sich auf Polizei und Offizierskorps stützt und keinerlei Kontrolle über sich duldet, ist eindeutig ein Bonapartismus neuen Typs, wie er in der Geschichte noch nicht vorkam. Der Cäsarismus entstand in der von inneren Kämpfen erschütterten Gesellschaft des Sklavenzeitalters. Der Bonapartismus ist ein politisches Werkzeug des kapitalistischen Regimes in seinen Krisenperioden. Der Stalinismus ist eine Abart desselben Systems, doch auf dem Fundament des vom Gegensatz zwischen der organisierten und bewaffneten Sowjetaristokratie und den waffenlosen werktätigen Massen zerrissenen Arbeiterstaats.[4]

Banda widerlegt Trotzkis Analyse nicht. Er wirft einfach mit Worten wie »historische Gesetzmäßigkeit« um sich. Aber nirgendwo erklärt er den Charakter dieser »historischen Gesetzmäßigkeit«, die angeblich Stalins monströse Verrätereien an der sowjetischen und internationalen Arbeiterklasse heiligt. Wenn Banda behaupten will, Stalins Verbrechen hätten im Interesse des Sozialismus gelegen und einer »historischen Gesetzmäßigkeit« entsprochen, dann legitimiert er einfach die schlimmste Hetze professioneller Antikommunisten gegen den Sozialismus.

Selbstverständlich wirken historische Gesetze in dem stalinistischen Regime, aber nicht so, wie Banda es hinstellt. Das grundlegende Gesetz des Marxismus lautet: Die »Entwicklung der Produktivkräfte [ist] auch deswegen eine absolut notwendige praktische Voraussetzung [des Kommunismus], weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müsste …«[5]

Das stalinistische Regime war gemäß diesem von Marx entdeckten historischen Gesetz das Wiederauferstehen der »alten Scheiße«, die in allen Gesellschaften herrscht, wo die Versorgungsgüter ungleich verteilt werden. Die Ungleichheit und die unvermeidbaren sozialen Gegensätze, die sie begleiten, ruft den Polizisten (Gendarm) und andere bewaffnete Unterdrückungsorgane des Staats auf den Plan. Diese stellen sicher, dass eine kleine Minderheit der Gesellschaft den Löwenanteil der Versorgungsgüter zugeteilt bekommt, von den noch knapperen Luxusartikeln ganz zu schweigen. Die Regulierung der Ungleichheit im Verteilungssektor, in dem die bürokratische Kaste Privilegien genießt, ist in der Sowjetunion die Grundlage für den Staat als besonderem Gewalt- und Zwangsapparat. Wieder zitieren wir Trotzki:

Wir haben auf diese Weise den ersten Schritt getan zum Verständnis des Grundwiderspruchs zwischen dem bolschewistischen Programm und der Sowjetwirklichkeit. Wenn der Staat nicht abstirbt, sondern immer despotischer wird, wenn die Bevollmächtigten der Arbeiterklasse sich bürokratisieren und die Bürokratie sich über die erneuerte Gesellschaft aufschwingt, so geschieht das nicht aus irgendwelchen zweitrangigen Ursachen heraus, wie psychologischen Überbleibseln der Vergangenheit usw., sondern kraft der eisernen Notwendigkeit, eine privilegierte Minderheit auszusondern und auszuhalten, solange wahre Gleichheit noch nicht möglich ist.[6]

Aus diesem historischen Gesetz leiten wir ein weiteres ab, das man als Grabinschrift des Stalinismus verwenden könnte: »Es ist unmöglich, den Sozialismus auf der Grundlage einer national isolierten Wirtschaft aufzubauen.«


[1]

Christian Rakowski, Selected Writings on Opposition in the USSR 1923–30, London 1980, S. 152.

[2]

Ebd., S. 152–154.

[3]

Ebd., S. 163.

[4]

Leo Trotzki, Verratene Revolution, Essen 2016, S. 272.

[5]

Karl Marx/Friedrich Engels, »Die deutsche Ideologie«, zitiert in: ebd., S. 100.

[6]

Trotzki, Verratene Revolution, S. 99.