David North
Das Erbe, das wir verteidigen

M. Banda wird zum Stalinisten (I)

Bandas »27 Gründe, weshalb das Internationale Komitee sofort begraben und die Vierte Internationale aufgebaut werden muss« wurden von allen, die mit der ersten Hälfte des Titels übereinstimmten, begierig aufgenommen. Bei Revisionisten und Zentristen in aller Welt, vor allem aber in der WRP selbst wurde Bandas Hetzschrift als Todesstoß für das Internationale Komitee gefeiert. Sobald das WRP-Zentralkomitee im Januar 1986 Bandas Dokument erhalten hatte, diente es ihm als Grundlage für zwei Resolutionen, die mit einer Mehrheit von 12 zu 3 Stimmen verabschiedet wurden und die politische Autorität des Internationalen Komitees zurückwiesen.

Nur einen Tag nach dem 7. Februar 1986, an dem Bandas Dokument in der »Workers Press«, der Wochenzeitung der WRP erschienen war, wurden die drei Zentralkomiteemitglieder, die gegen die Resolutionen gestimmt hatten, sowie alle anderen Unterstützer des Internationalen Komitees mit Hilfe der Polizei aus dem Achten Kongress der WRP ausgesperrt und dann aus der Organisation ausgeschlossen. Damit spaltete die WRP endgültig vom Internationalen Komitee.

Die »27 Gründe« wurden zu einem bedeutenden Beitrag zu einer neuen Diskussion über die Geschichte der trotzkistischen Bewegung erklärt. Bill Hunter zum Beispiel befand zwar Bandas Dokument für »einseitig« und wandte sich (in höflicher Gentleman-Manier, wie es die britische Mittelklasse liebt) gegen die offensichtlichsten Fälschungen der Geschichte der Vierten Internationale vor 1953, äußerte aber keinerlei Einwände gegen Bandas Zurückweisung des »Offenen Briefs« oder gegen den Vorschlag, das Internationale Komitee zu begraben.

Eine noch weniger kritische Position nahm Cliff Slaughter ein. Am 11. März 1986 schrieb er: »Die Diskussion über Mike B.’s Dokument muss fortgesetzt werden, und ich werde jetzt nicht näher darauf eingehen. Ich möchte nur sagen, dass Mike Norths lächerlichem Anspruch auf Kontinuität und zentralisierte Autorität einen Schlag versetzt hat. Ich stimme mit Mike überein, dass die VI zwar proklamiert, aber nie aufgebaut wurde. Ich denke, dass Mike nicht sagt, wie und warum sie aufgebaut werden sollte; ich bin sicher, er wird das noch tun.«[1]

Wie man sich vielleicht denken kann, vertrat das Internationale Komitee zum Thema Beerdigungspläne eine andere Meinung als Banda in seinem Dokument. Wenn hier Sterbesakramente erteilt werden sollten, so schloss das Internationale Komitee nach der Lektüre der »27 Gründe«, dann war Banda der richtige Anwärter darauf. Und aus diesem Grund lautete der erste Absatz unserer Analyse unter dem Titel »Das Erbe, das wir verteidigen«:

Was den Marxismus und den Kampf für den Sozialismus angeht, so weilt Michael Banda, der Generalsekretär der Workers Revolutionary Party, nicht mehr unter den Lebenden. Mit der Veröffentlichung seiner »27 Gründe, weshalb das Internationale Komitee sofort begraben und die Vierte Internationale aufgebaut werden muss«, hat Banda unwiderruflich seinen politischen Bruch mit dem Trotzkismus erklärt und alle Verbindungen zur revolutionären Bewegung, unter deren Banner er zeit seines Lebens gekämpft hatte, abgebrochen.

Im ersten Kapitel unserer Analyse, das erschien, als Mike Banda noch Generalsekretär der WRP war, machten wir auf die Implikationen seiner »27 Gründe« aufmerksam: »Banda beschränkt seinen Angriff also nicht auf das Internationale Komitee. Er richtet sich gegen die politische Berechtigung der Vierten Internationale und der spezifischen Tendenz, die als Trotzkismus bekannt ist …

Wenn man Bandas Argumenten Glauben schenkt, dann muss man gezwungenermaßen Trotzkis gesamte Rolle in der Geschichte des Marxismus, wie sie ihm in unserer Bewegung traditionell zugeschrieben wurde, in Zweifel ziehen.«

Diese Analyse der Bedeutung von Bandas Dokument ist inzwischen auf der ganzen Linie bestätigt worden. Zum Abschluss unserer Untersuchung der »27 Gründe« brauchen wir über Bandas zukünftige Entwicklung nicht zu spekulieren. Inzwischen liegt uns ein weiteres Dokument Bandas vor, das er Ende 1986 geschrieben hat und das seinen unwiderruflichen Übertritt in das Lager der Konterrevolution besiegelt.

Bandas neues Dokument: »Was ist Trotzkismus? oder Der wirkliche Trotzki möge sich bitte erheben« ist eine wütende Hetze gegen den Trotzkismus, ein später Tribut an Josef Stalin und eine politische Solidaritätserklärung mit der Kremlbürokratie. Es ist ein offener Angriff auf den gesamten Kampf, den Trotzki seit den zwanziger Jahren gegen die Degeneration der Bolschewistischen Partei, die Usurpation der politischen Macht durch die stalinistische Bürokratie und den Verrat an der Russischen Revolution und der sozialistischen Weltrevolution geführt hat. In diesem neuen Angriff zitiert Banda jeden, von dem Ultrarechten James Burnham über den Staatskapitalisten Max Shachtman bis hin zu dem theoretischen Taufpaten des pablistischen Revisionismus, Isaac Deutscher. Nach vierzig Jahren in der Vierten Internationale entdeckt Banda, dass Leo Trotzki einen Fehler beging, als er 1928 nicht vor Stalin kapitulierte! Der Trotzkismus, schreibt er, »ist heute gleichbedeutend mit scholastischer Haarspalterei und einem völlig grotesken politischen Fußfall vor der sozialdemokratischen Bürokratie und dem imperialistischen Staat. Gemeinsam mit den Eurokommunisten ist er eine der diskreditiertesten antikommunistischen, antisowjetischen und gegen die Arbeiterklasse gerichteten Gruppen außerhalb der Sozialdemokratie.«

Damit nicht genug. Banda merkt jetzt, dass seine frühere Überzeugung, man könne Trotzkis Politik nicht für die Krise im Internationalen Komitee verantwortlich machen, falsch war:

In meinen »27 Gründen« behauptete ich fälschlicherweise, Trotzki habe Drachen gesät und Flöhe geerntet. Das zeigt nur, wie weit verbreitet und tief verwurzelt Trotzkis Mystifikationen und Fehlausbildung bei Generationen von möchtegern-marxistischen Revolutionären waren, die die Volksfrontpolitik der Komintern ablehnten und sich in der irrtümlichen Annahme, dies sei der wahre Leninismus, dem Trotzkismus zuwandten. Verspätet – und etwas zögernd – bin ich inzwischen aufgrund einer sorgfältigen Überarbeitung meiner eigenen Erfahrung in der früher scheinbar stärksten trotzkistischen Gruppe in England zu der Überzeugung gelangt, dass ein direkter und ursächlicher Zusammenhang zwischen der Sackgasse und dem Verfall des Trotzkismus und der von Trotzki vertretenen Politik und Methode besteht. Umgekehrt möchte ich sagen, wenn Trotzkis Politik und Perspektiven richtig wären und der wirklichen Entwicklung historischer Gesetze entsprächen, dann hätte die Bewegung, die er gründete, heute Millionen von Mitgliedern und Sektionen in aller Welt – vor allem in der UdSSR, Ost­europa und China.

Banda schreibt, Trotzkis

Anspruch auf marxistisch-leninistische Authentizität muss in Frage gestellt werden. Nicht nur, dass seine Politik nirgendwo in einer Partei verwirklicht wurde …

Die Geschichte war eine Satire auf Trotzkis Überzeugungen und Prinzipien. Nach 60 Jahren kann nur ein unwissender Fetischist oder ein Götzendiener des Personenkults behaupten, Trotzkis Analyse der UdSSR und seine Methode des Parteiaufbaus, ebenso wie seine Vorstellung einer Weltpartei, seien richtig und mit der Tradition und Methode von Lenin und Marx vereinbar. Nur ein unbedarfter Empiriker oder Scharlatan würde behaupten, der Zusammenbruch der Vierten Internationale und der Verfall ihres großmäuligen Nachfolgers – des IKVI – sei eine unglückselige Episode, die nichts mit einem objektiven Prozess zu tun habe und nicht von den dialektischen Gesetzen der Geschichte und der Bewegung gesellschaftlicher Kräfte bestimmt werde.

Hier haben wir nur eine der zahlreichen in sich widersprüchlichen Aussagen, von denen es in seinem jüngsten Opus nur so wimmelt. Auf der einen Seite behauptet er, nur ein »unbedarfter Empiriker« könne weiterhin das Programm des Trotzkismus verteidigen. Und doch beruhen die Gründe, die Banda für die Ablehnung des Trotzkismus anführt, auf der vulgärsten Form des empirischen Denkens: Der Trotzkismus hat unrecht, weil die Vierte Internationale nicht aus Massenparteien besteht und keine Millionen hinter sich führt!

Wenn man politische Urteile auf derart oberflächliche Kriterien stützt, dann muss man nicht nur den Trotzkismus ablehnen. Schließlich sagte Marx die Machteroberung der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen Zentren des Kapitalismus voraus, aber – wie einem jeder kleinbürgerliche Akademiker bei jeder Gelegenheit vorhält – der Sturz der Bourgeoisie beschränkte sich zunächst auf rückständigere Länder. Beinahe 140 Jahre nach dem »Kommunistischen Manifest« muss die Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern immer noch die von Marx umrissenen historischen Aufgaben durchführen. Wird dadurch die »Authentizität« des Marxismus in Frage gestellt? Oder die Fähigkeit des Proletariats zur Revolution? Bandas Angriffe auf den Trotzkismus erweisen sich stets als nichts Geringeres als Argumente für die Verwerfung der Perspektive der sozialistischen Weltrevolution. Trotzki hatte eine Antwort auf solch rückgratlose Geschöpfe wie Banda: »25 Jahre haben im geschichtlichen Maßstab, wenn es um die tiefgreifendsten Veränderungen des wirtschaftlichen und kulturellen Systems geht, weniger Gewicht als eine Stunde im Leben eines Menschen. Was ist jemand wert, der aufgrund empirischer Fehlschläge im Verlauf einer Stunde oder eines Tages ein Ziel aufgibt, das er sich selbst auf der Grundlage der Erfahrung und Analyse seines gesamten vorherigen Lebens gesetzt hat?«[2]

Banda kommt dann zu seiner Hauptanklage gegen die Vierte Internationale:

Aufgrund ihres subjektiv-idealistischen Hasses gegen materielle Widersprüche, die die Triebkraft allen Fortschritts, aller Veränderung und Entwicklung sind, ist allen Spielarten des Trotzkismus eine opportunistische Selbstgefälligkeit gemeinsam. Organisch und untrennbar damit verbunden ist eine kleinbürgerliche Funktionärsarroganz, die sich weigert, die bisherige Praxis der Vierten Internationale kritisch zu bewerten, und stattdessen mit dogmatischen Rationalisierungen verkehrte Praktiken und falsche Annahmen heilig zu sprechen versucht.

Die Quelle dieser fatalen Mängel ist Trotzki selbst, der »den Inhalt und das Wesen des historischen Wandels in der UdSSR nicht begriff und eine Form zentristischer Ideologie einführte, die sich durch tiefen Skeptizismus und Subjektivismus auszeichnet«.

Im selben Atemzug erklärt uns Banda jedoch, dass er mit diesem Urteil keineswegs beabsichtige, »Trotzkis Analyse der Ereignisse in China, Spanien, Deutschland, der UdSSR, Frankreich und anderswo abzuwerten, noch seine Schriften über Literatur, Wissenschaft und Militärfragen. Er hatte einen enzyklopädischen Intellekt, einen durchdringenden Weitblick, und die Spannweite und der Scharfsinn seines Denkens sowie die Kraft seiner Polemik waren einmalig.«

Das ist wirklich, wie das alte Sprichwort sagt, »Meuterei auf den Knien«. Banda versucht nicht, seine Anerkennung von Trotzkis »durchdringendem Weitblick«, den er auch auf die Ereignisse in der UdSSR bezieht, mit seinem Vorwurf in Einklang zu bringen, der Gründer der Vierten Internationale habe materielle Widersprüche gehasst und das zentrale Ereignis seines Lebens, die Russische Revolution, nicht verstanden!

Es besteht ein schreiender Widerspruch zwischen Bandas Vorwurf, der Trotzkismus mache sich des »Subjektivismus« schuldig, und der Tatsache, dass seine Verurteilung der Vierten Internationale auf rein subjektiven Einschätzungen beruht. Zuerst führte er den Zusammenbruch der Vierten Internationale auf ein paar fiese Individuen in der Führung der Bewegung nach Trotzkis Tod zurück. Jetzt entdeckt er, dass der Hauptschurke Trotzki selbst war! Die Existenz der Vierten Internationale und die Generationen von Revolutionären, die auf der ganzen Welt für ihr Banner gewonnen wurden, werden auf nichts anderes zurückgeführt als auf Trotzkis angebliche Unfähigkeit, »den Inhalt und das Wesen des historischen Wandels in der UdSSR« zu begreifen. Dass es um wirkliche Klassenkräfte geht, dass der Kampf des Trotzkismus gegen den Stalinismus die unversöhnliche Feindschaft der Arbeiterklasse gegen die Bürokratie ausdrückt, ist eine »nebensächliche« Kleinigkeit, die Banda kaum für erwähnenswert hält.

Um seinem banalen Angriff auf Trotzki einen tiefgründigen Anstrich zu geben, versucht Banda, Trotzki als marxistischen Theoretiker abzuwerten. Er häuft eine Absurdität auf die andere und verkündet, nachdem er gerade erklärt hat, er stelle Trotzkis Genie nicht in Frage, dass seine »amateurhaften und oberflächlichen – aber gut gemeinten – Versuche, die Dialektik zu bereichern, mit der wahrhaft wissenschaftlichen und ganz und gar professionellen Entwicklung und Konkretisierung des dialektischen Materialismus durch Lenin verwechselt wurden«.

Vielleicht wird uns Banda irgendwann einmal verraten, wie Trotzki mit einem nur »amateurhaften und oberflächlichen« Verständnis der Dialektik zu der »Spannweite« und dem »Scharfsinn seines Denkens« kam, die »einmalig« waren. Zwischenzeitlich versucht er, seine Kritik an Trotzkis theoretischen Fähigkeiten durch Angriffe auf das Buch »Verteidigung des Marxismus« zu untermauern. Dieses letzte große Werk Trotzkis besteht aus einer Sammlung polemischer Artikel gegen die amerikanischen Pragmatiker Max Shachtman und James Burnham. Dieses Buch, verkündet Banda, »ist der Schlüssel zu seinem schwerwiegenden und nachteiligen Abschied von der marxistischen Methode in seiner Analyse der Sowjetunion nach 1928 …«

Banda vertritt die erstaunliche These, Trotzki lege in diesem Buch

eine trostlose Gleichgültigkeit gegenüber der dialektischen Beziehung zwischen der marxistischen Theorie, die durch die Partei verkörpert wird, und den spontanen Kämpfen der Arbeiterklasse an den Tag. Dieser wesentliche Rückfall in den Idealismus hängt eng mit einem noch tieferen Problem zusammen – dem Zusammenfallen von Dialektik, Logik und Erkenntnistheorie (Epistemologie). Trotzki ging nirgendwo auf dieses Problem ein und beschäftigte sich fast ausschließlich mit der historischen Erklärung von Problemen und Prozessen, vernachlässigte jedoch den logischen Ansatz. Dieser blieb allein Lenin überlassen, besonders in »Materialismus und Empiriokritizismus« und in den »Philosophischen Heften« (Band 14 und 38 seiner Gesammelten Werke).

Die Anhängerschar von Bandas Angriffen auf den Trotzkismus wird sich sicherlich an dieser aufgeplusterten Zurschaustellung theoretischer Tiefgründigkeit weiden. Hier haben sie die Erklärung für das angebliche Versagen der Vierten Internationale, auf die sie so lange warten mussten: Trotzki ging nirgendwo auf das »Zusammenfallen von Dialektik, Logik und Erkenntnistheorie« ein. Außerdem »vernachlässigte« er den »logischen Ansatz«. Da Banda selbst niemals auch nur das geringste Interesse für Probleme der dialektischen Methode zeigte, bezweifeln wir sehr stark, ob er überhaupt weiß, was all diese Ausdrücke eigentlich bedeuten. Tatsache ist, dass er sich mit diesen Sprüchen gegen Trotzki nur lächerlich macht.

Für Marxisten bedeutet das Zusammenfallen von Dialektik, Logik und Erkenntnistheorie die Anerkennung des objektiven materiellen Zusammenhangs zwischen den allgemeinen Formen des menschlichen Denkens und den allgemeinsten Eigenschaften der materiellen Welt, die darin widergespiegelt wird. Erstmals entdeckt, wenn auch nur in idealistischer Form, wurde dieses »Zusammenfallen« von Hegel im Verlauf seines Kampfs gegen den Kantianismus. Hegel verwarf die metaphysische Trennung zwischen der materiellen Welt und den objektiven Denkformen, durch die jene im menschlichen Denken reproduziert und aufgenommen wird. Hegel gab diesen Denkformen, d. h. den Kategorien und Begriffen der Logik, »ontologische« Bedeutung. Von seinem idealistischen Standpunkt aus, der dem Denken das Primat über die Materie einräumte, stellte Hegel also die Identität der »Formen des Seins« und der »Formen des Wissens« fest. Als Idealist folgerte Hegel demnach, dass diese logischen Formen nicht einfach Entwicklungsstufen des menschlichen Denkens seien, sondern vielmehr die wesentliche Substanz aller materiellen Wirklichkeit.

Der Marxismus negierte Hegels Idealismus – der die gesamte Entwicklung von Natur und Geschichte aus der logischen Entfaltung eines mystischen »absoluten Geists« ableitete –, bewahrte aber die tiefe wissenschaftliche Wahrheit, die in der mystischen Darstellung beinhaltet war, und machte sie zur Grundlage einer materialistischen Erkenntnistheorie, durch die die Entwicklung der menschlichen Erkenntnis in ihrer Gesamtheit erklärbar wurde. Die Kategorien der Logik sind nicht einfach subjektive und angeborene Eigenschaften des Denkens, durch die eine an sich chaotische Welt verständlich wird. Sie sind vielmehr die historisch entwickelten Formen, in denen sich die allgemeinen Eigenschaften der Materie und des gesellschaftlichen Seins im Denken des gesellschaftlichen Menschen widerspiegeln.

Wie es Lenin aufgrund einer materialistischen Überarbeitung von Hegel ausdrückte: »Die Logik ist die Lehre nicht von den äußeren Formen des Denkens, sondern von den Entwicklungsgesetzen ›aller materiellen, natürlichen und geistigen Dinge‹, d. h. der Entwicklung des gesamten konkreten Inhalts der Welt und ihrer Erkenntnis, d. h. Fazit, Summe, Schlussfolgerung aus der Geschichte der Erkenntnis der Welt.«[3]

Das Verständnis der objektiven materiellen Grundlagen der Logik ist für einen Marxisten die notwendige Voraussetzung für bewusste theoretische Arbeit. Die Anspielung, ganz zu schweigen von der dreisten Behauptung, die Identität von Dialektik, Logik und Erkenntnistheorie habe jenseits von Trotzkis geistigem Horizont gelegen, kann nichts anderes bedeuten, als dass Banda, obwohl er so viel von Trotzki gelesen hat, selbst so wenig über methodische Fragen weiß, dass er die Anwendung der Dialektik nicht einmal in den Schriften eines ihrer größten Meister erkannt hat. Das erklärt zum Teil seine oberflächliche Haltung zu Trotzkis Werken. Für ein theoretisch ungeschultes Ohr ist Beethovens Musik nur eine Abfolge schöner Klänge. Aber ein ausgebildeter Musiker erkennt das gewaltige kontrapunktische Gefüge, auf dem die großen Harmonien aufbauen, und gewinnt aus diesem Wissen eine reichere Würdigung des Genies des Meisters.

Banda erkennt die theoretische Infrastruktur von Trotzkis Schriften nicht, und in seiner Behauptung, Trotzki habe sich nicht eigens mit Problemen der marxistischen Erkenntnistheorie befasst, offenbart er die Ignoranz des Philisters, der über Dinge urteilt, von denen er nichts versteht. Trotzki meisterte dieses Thema – in seinen Schriften über Wissenschaft, Literatur, Militärfragen, Kunst und Kultur – mit wahrhaft atemberaubender Souveränität. Eine Untersuchung der sowjetischen Geistesgeschichte zwischen 1921 und 1926 zeigt, dass niemand sonst in der Bolschewistischen Partei, Lenin nicht ausgenommen, einen derart starken Einfluss ausübte. Es war keineswegs ein Zufall, dass sich die herausragendsten Marxisten unter dem Banner der Linken Opposition sammelten. In seinen Reden und Schriften untersuchte Trotzki detailliert die erkenntnistheoretischen Implikationen der Entdeckungen Darwins, Mendelejews, Pawlows und Freuds. Kaum ein Marxist hat so gründlich und schöpferisch das komplexe Problem der Entwicklung des Bewussten aus dem Unbewussten erforscht. Trotzki widmete sogar einen ganzen Artikel der Untersuchung der stalinistischen Bürokratie unter dem Gesichtswinkel ihrer philosophischen Methode.

Außerdem stand gerade das Problem des »Zusammenfallens«, mit dem sich Lenin in obigem Zitat auseinandersetzt, d. h. die objektive Bedeutung der Logik, im Mittelpunkt von Trotzkis Widerlegung Burnhams in eben dem Buch, das Banda jetzt angreift, »Verteidigung des Marxismus«.

Wir nennen unsere Dialektik materialistisch, da ihre Wurzeln weder im Himmel noch in den Tiefen unseres »freien Willens« liegen, sondern in der objektiven Wirklichkeit, in der Natur. Bewusstsein entwickelte sich aus dem Unbewussten, die Psychologie aus der Physiologie, die organische Welt aus der anorganischen, das Sonnensystem aus den Nebeln. Auf allen Sprossen dieser Leiter der Entwicklung wurden die quantitativen Veränderungen in qualitative verwandelt. Unser Denken, einschließlich des dialektischen Denkens, ist nur eine der Ausdrucksformen der sich ändernden Materie. Innerhalb dieses Systems ist weder Platz für Gott, noch für den Teufel, noch für die unsterbliche Seele, noch für ewige Normen von Gesetzen und Moral. Die Dialektik des Denkens ist, da sie aus der Dialektik der Natur erwachsen ist, folglich durch und durch materialistisch.[4]

Weiter unten schreibt Trotzki:

All das zeigt nebenbei, dass unsere Denkmethoden, sowohl die formale Logik als auch die Dialektik, keine willkürlichen Erfindungen unseres Verstandes sind, sondern vielmehr Ausdruck der tatsächlichen Wechselbeziehungen in der Natur selbst. In diesem Sinne ist das gesamte Universum von »unbewusster« Dialektik durchdrungen. Aber die Natur hat hier nicht halt gemacht. Es gab eine ziemlich lange Entwicklung, bevor die inneren Beziehungen der Natur in die Sprache des Bewusstseins der Füchse und der Menschen übersetzt waren, und der Mensch dann in der Lage war, diese Formen des Bewusstseins zu verallgemeinern und in logische (dialektische) Kategorien umzuwandeln, und so die Möglichkeit schuf, die Welt um uns tiefer zu erforschen.[5]

Übrigens preist Banda in seiner Dummheit Burnhams »Verriss von Trotzkis ›dialektischen Füchsen‹«. Damit beweist er, dass er die objektiven Grundlagen der Logik nicht anerkennt, und schließt sich den reaktionärsten Feinden der materialistischen Dialektik an. Burnham wurde bekanntlich zum Antikommunisten und Befürworter eines Atomkriegs gegen die UdSSR. Heute zählt er zu den ideologischen Schutzpatronen Ronald Reagans.

Was ist von Bandas Behauptung zu halten, Trotzki habe sich nur mit dem historischen, nicht mit dem »logischen« Ansatz befasst? Wieder einmal müssen wir feststellen, dass Banda nicht weiß, wovon er spricht. Trotzdem trifft ihn nicht die alleinige Schuld für seinen plumpen Angriff auf Trotzkis Ruf als dialektischer Materialist. Ein großer Teil seiner Argumente, besonders die Behauptung, Trotzki habe den »logischen Ansatz« vernachlässigt, geht auf seinen langjährigen Mentor Gerry Healy zurück. Aufgrund einer konfusen Lektüre von Hegel war Healy zu der Schlussfolgerung gelangt, die formale Kenntnis der Abfolge der Kategorien der dialektischen Logik sei ein für alle Zwecke geeigneter Ersatz für eine konkrete Untersuchung des historischen Prozesses.

Laut Healy sind logische Kategorien der Wesenskern aller materiellen Erscheinungen einschließlich historischer Prozesse. Daraus folgt, dass man eine Menge Zeit sparen kann, wenn man, anstatt mühsam die historischen Prozesse und die ihnen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Kräfte zu untersuchen, neue Entwicklungen und Ereignisse einfach als sekundäre Manifestationen wesentlicher Kategorien abtut. Mit anderen Worten, anstatt die spezifische Bedeutung einer bestimmten konkreten Entwicklung im Klassenkampf zu untersuchen, erklärt man sie einfach zu einer Manifestation der Umwandlung von »Quantität« in »Qualität« oder gibt mit gewichtiger Miene kund, es handle sich bloß um die »Erscheinung« eines »Wesens« oder die »Form« eines tieferen »Inhalts«. Dies hielt Healy für den »logischen« Ansatz, und dies lehrte er Banda.

Diese Methode hat absolut nichts mit Marxismus zu tun und gibt Hegels Auffassungen nur als Karikatur wieder. Marx wies einen solchen oberflächlichen Panlogismus ausdrücklich zurück. In seiner berühmten Darstellung des rationalen Inhalts der von Hegel entwickelten dialektischen Methode machte sich Engels darüber lustig, wie dessen »linke« Epigonen die Methode des alten Meisters verzerrten:

Die offizielle Hegelsche Schule hatte von der Dialektik des Meisters nur die Manipulation der allereinfachsten Kunstgriffe sich angeeignet, die sie auf alles und jedes, und oft noch mit lächerlichem Ungeschick, anwandte. Die ganze Hinterlassenschaft Hegels beschränkte sich für sie auf eine pure Schablone, mit deren Hülfe jedes Thema zurechtkonstruiert wurde, und auf ein Register von Wörtern und Wendungen, die keinen andern Zweck mehr hatten, als sich zur rechten Zeit einzustellen, wo Gedanken und positive Kenntnisse fehlten. So kam es, dass, wie ein Bonner Professor sagte, diese Hegelianer von nichts etwas verstanden, aber über alles schreiben konnten. Es war freilich auch danach.[6]

Healy verstand Hegel und die Bedeutung seines monumentalen Werks »Wissenschaft der Logik« nicht, geschweige denn dessen materialistische Überarbeitung durch Marx. So verfiel er auf die Idee, die logische und die historische Methode der Analyse seien formale Gegensätze, die man schroff gegeneinanderstellen müsse. Eine solche schroffe Trennung zwischen dem Logischen und dem Historischen findet man weder in Marx’ noch in Hegels Werken. Wie Engels erklärte:

Was Hegels Denkweise vor der aller andern Philosophen auszeichnete, war der enorme historische Sinn, der ihr zugrunde lag. So abstrakt und idealistisch die Form, so sehr ging doch immer seine Gedankenentwicklung parallel mit der Entwicklung der Weltgeschichte, und letztere soll eigentlich nur die Probe auf die erstere sein. Wenn dadurch auch das richtige Verhältnis umgedreht und auf den Kopf gestellt wurde, so kam doch überall der reale Inhalt in die Philosophie hinein; umso mehr als Hegel sich dadurch von seinen Schülern unterschied, dass er nicht wie sie auf Ignoranz pochte, sondern einer der gelehrtesten Köpfe aller Zeiten war. Er war der erste, der in der Geschichte eine Entwicklung, einen innern Zusammenhang nachzuweisen versuchte, und wie sonderbar uns auch manches in seiner Philosophie der Geschichte jetzt vorkommen mag, so ist die Großartigkeit der Grundanschauung selbst heute noch bewundernswert, mag man seine Vorgänger oder gar diejenigen mit ihm vergleichen, die nach ihm über Geschichte sich allgemeine Reflexionen erlaubt haben. In der »Phänomenologie«, der »Ästhetik«, der »Geschichte der Philosophie«, überall geht diese großartige Auffassung der Geschichte durch, und überall wird der Stoff historisch, im bestimmten, wenn auch abstrakt verdrehten Zusammenhang mit der Geschichte behandelt.[7]

Im Folgenden analysierte Engels Marx’ Vorgehensweise in der »Kritik der politischen Ökonomie«, arbeitete klar heraus, was man unter logischer und unter historischer Methode versteht, und zeigte ihren untrennbaren Zusammenhang:

Die Kritik der Ökonomie, selbst nach gewonnener Methode, konnte noch auf zweierlei Weise angelegt werden: historisch oder logisch. Da in der Geschichte, wie in ihrer literarischen Abspiegelung, die Entwicklung im ganzen und großen auch von den einfachsten zu den komplizierteren Verhältnissen fortgeht, so gab die literargeschichtliche Entwicklung der politischen Ökonomie einen natürlichen Leitfaden, an den die Kritik anknüpfen konnte, und im ganzen und großen würden die ökonomischen Kategorien dabei in derselben Reihenfolge erscheinen wie in der logischen Entwicklung. Diese Form hat scheinbar den Vorzug größerer Klarheit, da ja die wirkliche Entwicklung verfolgt wird, in der Tat aber würde sie dadurch höchstens populärer werden. Die Geschichte geht oft sprungweise und im Zickzack und müsste hierbei überall verfolgt werden, wodurch nicht nur viel Material von geringer Wichtigkeit aufgenommen, sondern auch der Gedankengang oft unterbrochen werden müsste; zudem ließe sich die Geschichte der Ökonomie nicht schreiben ohne die der bürgerlichen Gesellschaft, und damit würde die Arbeit unendlich, da alle Vorarbeiten fehlen. Die logische Behandlungsweise war also allein am Platz. Diese aber ist in der Tat nichts andres als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der störenden Zufälligkeiten. Womit diese Geschichte anfängt, damit muss der Gedankengang ebenfalls anfangen, und sein weiterer Fortgang wird nichts sein als das Spiegelbild, in abstrakter und theoretisch konsequenter Form, des historischen Verlaufs; ein korrigiertes Spiegelbild, aber korrigiert nach Gesetzen, die der wirkliche geschichtliche Verlauf selbst an die Hand gibt, indem jedes Moment auf dem Entwicklungspunkt seiner vollen Reife, seiner Klassizität betrachtet werden kann.[8]

In einem weiteren berühmten Absatz, der sich gegen den unglückseligen Eugen Dühring richtete, entlarvte Engels die Hohlheit der »logischen« Methode, wie sie von Healy und Banda favorisiert wird:

Es ist dies nur eine andere Wendung der alten beliebten, ideologischen, sonst auch aprioristisch genannten Methode, die Eigenschaften eines Gegenstandes nicht aus dem Gegenstand selbst zu erkennen, sondern sie aus dem Begriff des Gegenstandes beweisend abzuleiten. Erst macht man sich aus dem Gegenstand den Begriff des Gegenstandes; dann dreht man den Spieß um und misst den Gegenstand an seinem Abbild, dem Begriff. Nicht der Begriff soll sich nun nach dem Gegenstand, der Gegenstand soll sich nach dem Begriff richten. Bei Herrn Dühring tun die einfachsten Elemente, die letzten Abstraktionen, zu denen er gelangen kann, Dienst für den Begriff, was an der Sache nichts ändert; diese einfachsten Elemente sind im besten Fall rein begrifflicher Natur. Die Wirklichkeitsphilosophie erweist sich also auch hier als pure Ideologie, Ableitung der Wirklichkeit nicht aus sich selbst, sondern aus der Vorstellung.[9]

Dühring widerfuhr das »Privileg«, dass er von Engels unsterblich gemacht wurde. Dieser Mann, der dem Marxismus gern den Garaus gemacht hätte, war von robuster Gesundheit und lebte bis 1921. Als er im Alter von 88 Jahren starb, diente die Widerlegung von Dührings »Umwälzung der Wissenschaft« als Grundlage für die theoretische Ausbildung von Millionen Arbeitern in zahllosen Ländern. Das Beste war, dass Dühring alt genug wurde, um die endgültige Widerlegung seiner Dummheiten durch den Marxismus zu erleben: die Oktoberrevolution. Wir für unseren Teil wünschen Herrn Banda gute Gesundheit (er sollte weniger essen und sich mehr bewegen) und hoffen, dass er lange genug lebt, um Zeuge einer nicht weniger stichhaltigen Widerlegung seiner Angriffe auf den Trotzkismus zu werden.

Für diejenigen, die die logische Methode der historischen schroff entgegenstellen, ist Marx’ »Kapital« aus rein theoretischen Deduktionen aufgebaut, in denen eine Kategorie aus ihrem eigenen abstrakten Inhalt heraus die nächste hervorbringt. Marx selbst wies eine solche Interpretation seines Werks ausdrücklich zurück. In einem Rückblick auf die Formulierungen in den »Grundrissen«, der Vorarbeit zu seinem »Kapital«, schrieb Marx: »Es wird später nötig sein, ehe von dieser Frage abgebrochen wird, die idealistische Manier der Darstellung zu korrigieren, die den Schein hervorbringt, als handle es sich nur um Begriffsbestimmungen und die Dialektik dieser Begriffe.«[10]

Rosdolsky, der Autor der wichtigen Studie »Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ›Kapital‹«, kommentiert diesen Absatz: »Mit anderen Worten: beim Leser solle nicht die Vorstellung aufkommen, dass ökonomische Kategorien etwas anderes als Abbilder wirklicher Verhältnisse seien, und dass die logische Ableitung dieser Kategorien unabhängig von der historischen erfolgen könne.«[11]

Es ist bei allen möglichen kleinbürgerlichen »Erkenntnistheoretikern« Mode, Marx’ »Kapital«, besonders die wichtigen einleitenden Absätze des ersten Bandes, einfach als abstrakt-logische Übung zu betrachten, als ob die Entwicklung der Wertform in den Bahnen einer immanenten Begriffsdialektik verlaufe, deren Struktur in keiner Beziehung zu einem wirklichen geschichtlichen Prozess stehe. Eine solche Interpretation macht Marx’ wichtigstes Werk unverständlich. Die Entmystifizierung der Wertform durch Marx und die Erforschung ihrer Entwicklung vom Ursprung (x Ware A = y Ware B) zur »blendenden Geldform« waren nur durch eine gründliche Aneignung des Gesamtverlaufs der Menschheitsgeschichte möglich. Hinter jeder von Marx verwendeten Formel liegen ganze Epochen der Menschheitsgeschichte von der Barbarei zur Zivilisation. Für Marx trug jede der ökonomischen Kategorien, die er verwendete, den »Stempel der Geschichte«.

Das Studium der dialektischen Logik gibt Marxisten also keinen Zauberstab in die Hand, der sie davon befreien würde, natürliche oder gesellschaftliche Vorgänge konkret zu untersuchen. Es dient einer solchen Untersuchung aber als Richtschnur und versetzt Marxisten in die Lage, das Material sozusagen »von innen heraus« zu erarbeiten, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, die inneren Zusammenhänge aufzudecken, die die antagonistischen Bestandteile jeder Erscheinung zu einem einheitlichen Ganzen verbinden, und die verborgenen Gesetze zu erfassen, die den Übergang von einem »Entwicklungsmoment« zum nächsten beherrschen.

Bei der Untersuchung historischer Prozesse beschränkt sich das theoretische Repertoire eines Marxisten nicht auf die Kategorien der abstrakten Logik, da diese nur die allgemeinsten Eigenschaften der materiellen Welt widerspiegeln. Die Anwendung des dialektischen Materialismus auf gesellschaftliche Verhältnisse führte zur Entwicklung des historischen Materialismus, dessen Kategorien – reicher und genauer als die der reinen Logik – für die marxistische Gesellschaftsanalyse unentbehrliche Instrumente sind.

Das Argument, Lenin habe die »logische« Methode angewandt, Trotzki hingegen habe sich »ausschließlich mit der historischen Erklärung von Problemen und Prozessen« befasst, ist also nur eine weitere von Bandas Dummheiten. Der Verfasser von »Verratene Revolution« verwendete genau dieselbe Methode wie der Verfasser von »Der Imperialismus«. In beiden Werken war die Erarbeitung und Bereicherung bestimmter Begriffe auf jeder Stufe mit der Analyse des wirklichen historischen Prozesses verknüpft. Für Lenin drehte es sich darum, den Übergang vom freien Wettbewerb zum Monopolkapitalismus und dessen Beziehung zur modernen Arbeiterbewegung theoretisch zu analysieren. Trotzki ging es darum, die Degeneration des ersten Arbeiterstaats und das Anwachsen der bürokratischen Kaste zu erklären. Den Kern von Lenins und Trotzkis Begriffsdefinitionen bildeten nicht abstrakte logische Formen, sondern Kategorien, die bestimmte Produktionsverhältnisse und die Wechselbeziehung wirklicher Klassenkräfte definierten und in theoretisch folgerichtiger Form ausdrückten.

Der reaktionäre Inhalt von Bandas Angriff auf Trotzkis theoretische Fähigkeiten zeigt sich in seiner Behauptung, die wirkliche Kontinuität von Lenins philosophischer Arbeit finde man in den Schriften von … Mao Zedong, der angeblich »die Bedeutung von Lenins Arbeit begriff, was sich klar in seinen Werken ›Über die Praxis‹ und ›Über den Widerspruch‹ äußert«.

Es ist wirklich obszön, Lenins Schriften neben die Parodie der Dialektik zu stellen, die unter dem Namen Mao Zedongs erschien. Weder Lenin noch Trotzki benutzten pseudomarxistische Phrasen, um Klassenkollaboration mit der Bourgeoisie zu rechtfertigen. Das war der eigentliche Zweck von »Über den Widerspruch«, worin »nicht-antagonistische Gegensätze« zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie entdeckt wurden. Aber wir wollen uns jetzt nicht weiter mit Bandas Versuch befassen, die Entwicklung des Marxismus von Lenin zu Mao und diversen Mitgliedern des sowjetischen Instituts für Marxismus-Leninismus nachzuzeichnen. In seinem Angriff auf »Verteidigung des Marxismus« behauptet er, Trotzki habe in folgenden Absätzen unverzeihliche Zugeständnisse an die bürgerliche Ideologie gemacht:

Der wissenschaftliche Sozialismus ist der bewusste Ausdruck des unbewussten historischen Prozesses, nämlich der instinktive und elementare Trieb des Proletariats, die Gesellschaft auf kommunistischer Grundlage neu aufzubauen. Diese organischen Tendenzen in der Psychologie des Arbeiters entwickeln sich heute in der Epoche von Krisen und Kriegen mit größter Schnelligkeit. Die Diskussion hat in der Partei zweifellos zu einem Zusammenstoß zwischen einer kleinbürgerlichen und einer proletarischen Tendenz geführt. Die kleinbürgerliche Richtung zeigt ihre Verwirrung in ihrem Versuch, das Parteiprogramm auf Unbedeutendes wie die »konkreten« Fragen zu beschränken. Die proletarische Richtung bemüht sich im Gegensatz dazu, alle Teilfragen zu einer theoretischen Einheit zusammenzubringen. Gegenwärtig geht es nicht darum, in welchem Maße einzelne Mitglieder der Mehrheit die dialektische Methode bewusst anwenden. Wichtig ist, dass die Mehrheit als Ganzes darauf drängt, die Fragen proletarisch zu stellen, und gerade deswegen dazu neigt, sich die Dialektik anzueignen, die die »Algebra der Revolution« ist.[12] (Bandas Hervorhebung)

»Das war Trotzkis größter Schlag gegen Lenin«, ruft Banda aus. »Selbst Burnham«, fügt er hinzu, »der ein ausgebildeter Philosoph war, wusste besser Bescheid und wandte sich unermüdlich gegen diese Sophisterei.«

Worin bestand die »Sophisterei«? Es ist unzulässig, meint Banda, zu behaupten, das marxistische Programm formuliere die unbewussten historischen Bestrebungen des Proletariats als Klasse. Die Feststellung eines Zusammenhangs zwischen dem revolutionären Sozialismus und »organischen Tendenzen in der Psychologie des Arbeiters« ist, bitte schön, eine Kapitulation vor der »Spontaneität«. Tatsache ist, dass Banda nicht im Namen des Marxismus gegen Trotzkis Formulierung protestiert, sondern im Namen der kleinbürgerlichen Intellektuellen, die sich gern damit schmeicheln würden, dass sie, und nicht die Arbeiterklasse, die eigentliche soziale Grundlage für die Entwicklung und Fortdauer des Marxismus sind. Sie verabscheuen es, wenn die historische Perspektive des Marxismus mit den Bestrebungen der Arbeiterklasse gleichgesetzt wird.

Aber Trotzkis Beobachtung, die sich gegen den Kleinbürger Burnham und seine akademisch entwickelten antimarxistischen Vorurteile richtete, ist richtig. Sie steht nicht im geringsten Widerspruch zu Lenins Schriften über die Frage der Spontaneität. Das Vorherrschen bürgerlicher Ideologie in der Arbeiterbewegung schließt das unbewusste Streben des Proletariats zum Sozialismus nicht aus – ein Streben, das die revolutionäre Bewegung ständig zu entwickeln und bewusst zu machen bemüht ist. Wer dieses Streben leugnet, bestreitet die historischen Implikationen der Entstehung des Proletariats und seiner gesellschaftlichen Organisation in der kapitalistischen Großindustrie. In diesem Fall könnte man nicht mit Überzeugung voraussagen, dass überall, wo es einen nennenswerten Anteil an Arbeitern gibt, früher oder später auch eine sozialistische Bewegung entsteht. Es läuft auf die Behauptung hinaus, der Sozialismus könne ebenso gut im Kleinbürgertum wie in der Arbeiterklasse eine Massenbasis finden, und der kleinbürgerliche Intellektuelle begegne dem Sozialismus im Wesentlichen nicht anders als der Arbeiter.

In »Was tun?« bezeichnet es Lenin als »vollkommen richtig«, dass die Arbeiterklasse »sich spontan zum Sozialismus hingezogen« fühlt. Darum wird er »von den Arbeitern auch so leicht erfasst …«[13]

Genau dies meint Trotzki, wenn er von »organischen Tendenzen« spricht. Da Trotzki nur vom »instinktiven und elementaren« Streben des Proletariats zum Sozialismus spricht, ist es eine unverfrorene Fälschung, so zu tun, als habe Trotzki in irgendeiner Hinsicht die entscheidende Rolle der Partei im Kampf für den Marxismus in der Arbeiterklasse herabgemindert.

Bezeichnend ist, wie Banda mit Burnham hochmütig Trotzkis Beobachtung ablehnt, dass »ein Arbeiter, der durch die Schule des Klassenkampfs gegangen ist … durch seine eigenen Erfahrungen eine Neigung zum dialektischen Denken« gewinnt.[14] In Solidarität mit Burnham zitiert er ausführlich aus dessen wutentbrannter Antwort: »Wo sind diese Arbeiter, Genosse Trotzki?« Im Jahr 1940 überraschte es die Revolutionäre der Socialist Workers Party nicht, dass James Burnham als Professor an der Universität von New York, der oft zugab, dass er sein Leben nicht der Arbeit für die Revolution widmen wolle, nicht wusste, dass es solche Arbeiter gab und wo sie zu finden waren.

Aber wenn Banda, wie Burnham, Trotzkis Beobachtung für ein katastrophales Zugeständnis an die proletarische Spontaneität hält, das alle »Fehler« seines politischen Lebens erklärt, wie stellt er sich dann zu folgendem bekannten Abschnitt aus Lenins Schriften, in dem dieser am Vorabend der Oktoberrevolution in Form einer Anekdote praktisch genau denselben Gedanken zum Ausdruck bringt:

Nach den Julitagen musste ich, dank der besonders fürsorglichen Aufmerksamkeit, mit der mich die Kerenskiregierung beehrte, in die Illegalität gehen. Versteckt gehalten wurde unsereins natürlich von einem Arbeiter. In einem abgelegenen Arbeitervorort Petrograds, in einer kleinen Arbeiterwohnung wird das Mittagessen aufgetragen. Die Hausfrau bringt das Brot. Der Hausherr sagt: »Sehe einer an, was für ausgezeichnetes Brot. ›Sie‹ wagen es jetzt wohl nicht, schlechtes Brot zu verkaufen. Wir haben schon gar nicht mehr geglaubt, dass in Petrograd gutes Brot geliefert werden könnte.«

Mich überraschte diese klassenmäßige Einschätzung der Julitage. Mein Denken kreiste um die politische Bedeutung des Ereignisses, ich suchte seine Rolle im Gesamtverlauf der Ereignisse zu bestimmen, suchte zu bestimmen, welcher Situation diese Zickzackbewegung der Geschichte entsprungen sei und welche Situation sie schaffen werde, wie wir unsere Losungen und unseren Parteiapparat ändern müssten, um ihn der veränderten Lage anzupassen. An das Brot hatte ich, ein Mensch, der keine Not kannte, nicht gedacht. Das Brot stellte sich für mich irgendwie von selbst ein, als eine Art Nebenprodukt der schriftstellerischen Arbeit. Zur Grundlage des Ganzen, zum Klassenkampf ums Brot, dringt das Denken durch die politische Analyse auf einem ungewöhnlich komplizierten und verschlungenen Wege vor.

Aber ein Vertreter der unterdrückten Klasse, wenn auch einer der gut bezahlten und durchaus intelligenten Arbeiter, packt den Stier bei den Hörnern, mit jener bewundernswerten Einfachheit und Geradheit, mit jener festen Entschlossenheit, mit jener erstaunlichen Klarheit des Blicks, von der wir Intellektuellen himmelweit entfernt sind. Die ganze Welt zerfällt in zwei Lager: »wir«, die Werktätigen, und »sie«, die Ausbeuter. Keine Spur von Betretenheit aus Anlass des Geschehenen: es ist eine der Schlachten im langwierigen Kampf der Arbeit gegen das Kapital. Wo Holz gehauen wird, da fallen Späne.

»Wie qualvoll ist doch diese ›außerordentlich komplizierte Situation‹ der Revolution« – so denkt und fühlt der bürgerliche Intellektuelle.

»Wir haben ›sie‹ unter Druck gesetzt, ›sie‹ wagen nicht, so frech zu sein wie früher. Packen wir noch fester zu, und wir werden sie ganz stürzen« – so denkt und fühlt der Arbeiter.[15]

Und was illustriert diese Geschichte, wenn nicht die Neigung der Arbeiter zu dialektischem Denken und die organischen sozialistischen Tendenzen in ihrer Psychologie?


[1]

David North, »Banda-Gruppe umarmt Stalinismus«, in: Vierte Internationale, Jg. 14, Nr. 1, Frühjahr 1987, S. 77.

[2]

Leo Trotzki, »Die UdSSR im Krieg«, in: Verteidigung des Marxismus, Essen 2006, S. 17–18.

[3]

Wladimir I. Lenin, »Konspekt zu Hegels ›Wissenschaft der Logik‹«, in: Werke, Bd. 38, Berlin 1973, S. 84–85.

[4]

Trotzki, »Eine kleinbürgerliche Opposition in der Socialist Workers Party«, in: Verteidigung des Marxismus, S. 61–62.

[5]

Trotzki, »Offener Brief an Genosse Burnham«, in: Verteidigung des Marxismus, S. 100.

[6]

Friedrich Engels, »Karl Marx, ›Zur Kritik der Politischen Ökonomie‹« (Rezension), in: MEW, Bd. 13, Berlin 1971, S. 472.

[7]

Ebd., S. 473–474.

[8]

Ebd., S. 474–475.

[9]

Friedrich Engels, »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring)«, in: MEW, Bd. 20, Berlin 1971, S. 89.

[10]

Zitiert nach Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen »Kapital«, Bd. 1, Frankfurt/Main 1968, S. 144.

[11]

Ebd.

[12]

Trotzki, »Von einem Kratzer – zur Gefahr von Wundbrand«, in: Verteidigung des Marxismus, S. 121.

[13]

W. I. Lenin, »Was tun?«, in: Werke, Bd. 5, Berlin 1978, S. 397 (Fußnote).

[14]

Trotzki, »Eine kleinbürgerliche Opposition in der Socialist Workers Party«, in: Verteidigung des Marxismus, S. 54.

[15]

W. I. Lenin, »Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?«, in: Werke, Bd. 26, Berlin 1980, S. 104–105.