David North
Gerry Healy und sein Platz in der Geschichte der Vierten Internationale

Nationalismus kontra Internationalismus: Die SLL am Scheideweg

Der Bruch der SLL mit der SWP war nicht nur ein Einschnitt in der Geschichte der Vierten Internationale, er war auch ein Wendepunkt in Healys eigener politischer Entwicklung. Sein Kampf gegen den Verrat der SWP am Trotzkismus hatte die programmatische Kontinuität der Vierten Internationale verteidigt und die Voraussetzungen für ihre weitere Entwicklung geschaffen. Aber dennoch bedeutete die Periode seit 1963 für Healy eine immer tiefere politische Krise. Mitte der sechziger Jahre begann Healys eigener tragischer Abstieg auf dem tückischen Pfad des Opportunismus, der ihn geradewegs in eine schmähliche politische und persönliche Katastrophe führte.

Um zu verstehen, wie und warum dies geschah, muss man untersuchen, mit welchen politischen Problemen die Vierte Internationale nach der 1963 erfolgten Wiedervereinigung zwischen der Socialist Workers Party und dem pablistischen Internationalen Sekretariat konfrontiert war und wie sich diese auf die Entwicklung der Socialist Labour League auswirkten.

Der Bruch der SWP mit dem Internationalen Komitee war ein Ereignis von weitreichender historischer Bedeutung. Ausgerechnet die Sektion, deren Führer zu jener Generation gehörten, die beim Aufbau der Arbeit der Linken Opposition außerhalb der Sowjetunion eine entscheidende Rolle gespielt, bei der Gründung der Vierten Internationale eng mit Trotzki zusammengearbeitet und dann den Kampf gegen Pablos Revisionismus angeführt hatte, wandte den Prinzipien den Rücken zu, mit denen sie so viele Jahre lang identifiziert worden war und die sie in Cannons „Offenem Brief“ nur zehn Jahre zuvor so eindeutig bekräftigt hatte.

Dieser Verrat war nicht einfach das Ergebnis der persönlichen Degeneration einiger Führer, sondern widerspiegelte grundlegende Änderungen in den Klassenbeziehungen, die sich auf der Grundlage der erneuten Stabilisierung und Ausdehnung des Kapitalismus ergeben hatten. Die breite Schicht kleinbürgerlicher Elemente, auf die sich der Imperialismus stützte, um den Klassenkampf zu regulieren und die unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse in die Irre zu führen, gab eine starke soziale Basis für ein neuerliches Anwachsen des Opportunismus ab. Der pablistische Revisionismus, der die notwendigen theoretischen Formeln entwickelte, um die Unterordnung der Arbeiterklasse unter die kleinbürgerlichen Agenten des Imperialismus zu rechtfertigen, war der politische Ausdruck dieses gesellschaftlichen Drucks auf die Vierte Internationale.

Die Wiedervereinigung von 1963 war ein verheerender Schlag gegen die Vierte Internationale. Er zielte darauf ab, jene, die das Programm des orthodoxen Trotzkismus weiterhin verteidigten, zu isolieren. Healy, der die Jahre der engen Zusammenarbeit mit James P. Cannon sehr geschätzt hatte, machte keinen Hehl aus seinem Ärger über die Desertion der SWP aus dem Lager des Internationalen Komitees; und das schlug sich auch in seinem letzten Brief an das Nationalkomitee der SWP nieder, den er am 12. Juni 1963 verfasste:

Mit großem Bedauern haben die Delegierten und Besucher der Fünften Nationalen Konferenz der Socialist Labour League festgestellt, dass Euer Komitee unserer Konferenz keine Grüße geschickt hat. Es ist das erste Mal seit der Gründungs- und Vereinigungskonferenz der englischen trotzkistischen Bewegung im Jahr 1944, dass Ihr so gehandelt habt, obwohl Ihr eine ganze Reihe von Jahren große politische Meinungsverschiedenheiten mit der alten Führung der Revolutionary Communist Party hattet.

In der Vergangenheit betrachteten wir Eure Grüße als Zeichen für die revolutionäre Verbundenheit unserer Organisationen. Mehrere Führungsmitglieder der Socialist Labour League, einschließlich ich selbst, wuchsen heran und entwickelten sich bekanntlich durch Wissen, das sie aus Büchern und Schriften der Führer Eurer Partei gewannen. Wir denken daher, dass Euer Entschluss, uns keine Grüße zu schicken, Eurer politischen Feindschaft gegen uns entspricht. (Trotskyism Versus Revisionism, Bd. 4, S. 160)

Healy erwähnte Cannons erbärmliche Rolle: Er hatte „organisatorische Skandälchen“ hochgespielt, um den Bruch der SWP mit dem Internationalen Komitee vorzubereiten, und Healy zog die traurige Schlussfolgerung, dass Cannon „trotz seiner langen und heroischen Verteidigung des Trotzkismus ... schließlich vor der pablistischen Pest kapituliert hat“. (ebd. S. 159)

Der Brief fuhr fort mit einer bissigen Bilanz der Betrügereien und Täuschungen vor dem Wiedervereinigungskongress der SWP mit den Pablisten. In den letzten Absätzen des Briefes verlieh Healy seiner Verachtung für den politischen Verrat der SWP den schärfsten Ausdruck:

Natürlich, Ihr habt keine Zeit für die ,sektiererische SLL‘. Unsere Genossen kämpfen tagaus, tagein gegen Reformismus und Stalinismus, in den besten Traditionen der trotzkistischen Bewegung. Doch sie sprechen noch nicht auf öffentlichen Versammlungen zu Zehntausenden von Menschen wie Ben Bella, Castro und wie bei der sogenannten Maiversammlung von Ceylon. In Euren Augen sind wir lediglich kleine, ,linksradikale Spinner‘.

Unsere Genossen übernahmen die Führung in der jüngsten Kampagne gegen Arbeitslosigkeit, sie organisierten und sprachen vor einer Massenversammlung mit 1 300 Teilnehmern, doch das ist Kleinkram. Wenn unsere Genossen den Sozialdemokraten in der Jugendbewegung mächtige Schläge versetzen, und das trotz einer enormen Hexenjagd, spricht Euer Korrespondent T. J. Peters, (einst ein führender Anhänger der SWP, der jetzt wie ein pensionierter Liberaler schreibt) lediglich von der großen Zukunft, die vor ,British Labour‘ liege.

Wir altmodischen ,Sektierer‘ glauben, dass die Vierte Internationale, von der unsere Sektion immer ein integraler Bestandteil war, die einzige Alternative zu der korrupten Führung der sogenannten ,British Labour‘ bietet. Doch Peters hat keine Zeit für uns. Er hat, genau wie Ihr, seine Erleuchtung gehabt.

Ihr habt dazu einige Zeit gebraucht (wie das Sprichwort sagt: ,Diejenigen, die spät zu Christus kommen, kommen am sichersten.‘) Es ist jetzt ungefähr 12 Jahre her, seit George Clarke sich mit Pablo zusammentat und die Botschaft des berüchtigten Dritten Kongresses in The Militant und in der damaligen Zeitschrift Vierte Internationale veröffentlichte. Damals habt Ihr Pablo nicht durchschaut, und dann hatten wir die Spaltung von 1953. Cannon feierte die Spaltung mit den Worten, dass wir ,niemals mehr zurück zum Pablismus‘ gehen werden. Bis vor kurzem war er wirklich stur gegen die pablistischen Bekehrer. Aber Ihr habt es schließlich doch geschafft. Jetzt habt Ihr überall Verbündete, angefangen von Fidel Castro bis hin zu Philip Goonawardene und Pablo.

Wir wollen nur noch eines sagen, und darin war unser Kongress einstimmig einer Meinung. Wir sind stolz auf den Standpunkt, den unsere Organisation gegen eine derart schändliche Kapitulation vor den reaktionärsten Kräften eingenommen hat, wie sie die Mehrheitsführung Eurer Partei so vollständig vollzogen hat. (ebd. S. 163f)

In der Zeit unmittelbar nach der Spaltung hatte sich Healy voll und ganz der Verteidigung und Entwicklung des Internationalen Komitees verschrieben, für das die SLL eine enorme Verantwortung übernommen hatte. Seine fortgesetzte Zusammenarbeit mit der SWP-Minderheit in den Vereinigten Staaten war ein entscheidender Faktor für die Gründung des Amerikanischen Komitees der Vierten Internationale 1964 und die Gründung der Workers League 1966. Außerdem reiste Healy zur Zeit der Konferenz, auf der die pablistische LSSP im Juni 1964 ihren Eintritt in die Koalitionsregierung von Frau Bandaranaike beschloss, nach Ceylon. Zum ersten Mal in der Geschichte trat eine Partei, die sich auf den Trotzkismus berief, in eine bürgerliche Regierung ein, und Healys Eingreifen gegen diesen Verrat schuf die ersten Grundlagen für den künftigen Aufbau der Revolutionary Communist League als der ceylonesischen Sektion des Internationalen Komitees.

Aber nach und nach verlagerte sich die Arbeit der SLL auf eine nationalistische Achse. Diese Entwicklung hing in hohem Maße damit zusammen, dass das Internationale Komitee nach 1963 mit enormen objektiven Schwierigkeiten konfrontiert war. Den orthodoxen Trotzkisten blies der Wind ins Gesicht. Beinahe alle Sektionen der Vierten Internationale hatten vor dem pablistischen Opportunismus kapituliert. Die SLL und die politisch unstabile französische Parti Communiste Internationaliste (PCI) unter Lambert waren die einzig verbliebenen lebensfähigen Sektionen des IKVI. Unter diesen Bedingungen hing der Fortbestand des Internationalen Komitees in dieser kritischen Zeit weitgehend von der politischen Erfahrung und den Mitteln seiner britischen Sektion ab. In dieser Situation war es geradezu unvermeidlich, dass das Internationale Komitee eine Zeit lang vor allem als Erweiterung der Socialist Labour League erschien, die seit ihrer Gründung im Jahr 1959 beeindruckende Erfolge erzielt hatte.

Die SLL entwickelte sich durch einen erbitterten Kampf gegen die Bürokratie der Labour Party. Innerhalb von einem Monat nach der Gründung der SLL im Jahr 1959 antwortete die rechte Bürokratie in der Labour Party, an deren Spitze Hugh Gaitskell stand, mit dem Verbot der trotzkistischen Tendenz und dem Ausschluss ihrer Anhänger. Healy wehrte sich gegen diesen Angriff – ohne jedoch jemals das leiseste Bedauern darüber zu äußern, dass das Verbot und der Ausschluss ein Ende der 12jährigen Arbeit als revolutionäre Tendenz in der Labour Party erzwangen. Er hasste das politische und soziale Milieu der Labour Party. Er betrachtete sie als eine Jauchegrube des Opportunismus und begrüßte die Gelegenheit zu wirklich unabhängiger Arbeit. Aber er sah überhaupt nicht ein, weshalb man das offizielle Verbot und den Ausschluss einfach hinnehmen sollte. Findig wie er war, entdeckte Healy bald neue Angriffsmöglichkeiten gegen die Labour-Leute. Als die Kürzungspolitik der MacMillan-Regierung den Lebensstandard der Arbeiterklasse einschränkte und eine Welle politischer Militanz unter der Jugend auslöste, begann die SLL Kräfte unter den Young Socialists zu gewinnen, d.h. der Jugendorganisation der Labour Party. Im Jahr 1963 hatte die SLL die Mehrheit der nationalen Führung der Young Socialists und die Redaktion ihrer Zeitung Keep Left rekrutiert.

Wieder antwortete die Labour Party mit einem rücksichtslosen organisatorischen Angriff. Die Keep Left wurde verboten und die Young Socialists für die Dauer eines Jahres aufgelöst, bis sie von der Labour-Spitze reorganisiert werden sollte. Die Polizei wurde gerufen, um die trotzkistischen Jugendführer aus ihren Büros zu vertreiben. Healy beschloss, die neue Ausschlusswelle mit einem kühnen Gegenangriff zu beantworten: die Young Socialists sollten sich dem Angriff der Bürokratie nicht beugen, sondern statt dessen als Jugendorganisation der Socialist Labour League weiterexistieren. Die Keep Left sollte dabei ihr offizielles Organ bleiben.

Dieser Sieg innerhalb der Young Socialists war eine wichtige Errungenschaft. Durch Healys entschlossenen Kampf wurde der Kader der Socialist Labour League durch einen Schub von tatkräftigen Jugendlichen verstärkt, die für den Trotzkismus gewonnen worden waren. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wuchsen der Kader und die materiellen Mittel der britischen Trotzkisten in bedeutendem Maße. Healy erinnerte sich später, dass sie erst im Jahr 1963 ihre erste größere Geldspende erhielten: ein Unterstützer spendete die unerhörte Summe von 9000 Pfund, nachdem er eine Erbschaft gemacht hatte. Healy benutzte sie, um Schulden abzuzahlen, die quälend auf der Bewegung lasteten!

Aber Healy hatte weit ehrgeizigere Pläne als einfach nur die Rückzahlung der Schulden, die sich über viele Jahre hinweg angesammelt hatten. Im Jahr 1964 schlug er vor, die SLL solle sich zum Ziel setzen, innerhalb von fünf Jahren die erste trotzkistische Tageszeitung zu schaffen. Healy war überzeugt, dass eine solche Zeitung die Beziehung zwischen dem Trotzkismus und der Arbeiterklasse in Großbritannien tiefgreifend ändern und ein für alle Mal ihre „Propagandaexistenz“ und Isolation durchbrechen würde. Sie sollte die Verwandlung der SLL in eine revolutionäre Massenpartei der britischen Arbeiterklasse vorbereiten.

Healy hatte jedes Recht, über die beeindruckenden Erfolge der SLL in Großbritannien sehr befriedigt zu sein. Zu einer Zeit, da die Pablisten versuchten, die Vierte Internationale in den Sumpf kleinbürgerlicher Protestpolitik zu liquidieren und ihren Kader zu einem Jubelchor für den Stalinismus und kleinbürgerlichen Nationalismus zu machen, betrachtete Healy die Erfolge der SLL zu Recht als Bestätigung ihres Kampfs für den Trotzkismus. Während die pablistischen Liquidatoren Healy als „ultralinken Sektierer“ beschimpften, weil er sich weigerte, das Programm der Vierten Internationale aufzugeben, erweiterte die SLL ständig ihren Einfluss in der Arbeiterklasse und unter der Jugend.

Healy war der aufrichtigen Überzeugung, dass die politischen Fortschritte der SLL in der britischen Arbeiterklasse ein entscheidendes Gegengewicht gegen den internationalen Verrat der Pablisten bildeten. Aber in dem Maße, wie Healy glaubte, dass die Spaltung von 1963 das Problem des Pablismus im Internationalen Komitee und seiner britischen Sektion gelöst habe und dass der Kampf gegen den Opportunismus nun zumindest in Großbritannien einfach auf der praktischen Ebene des Parteiaufbaus geführt werden konnte, lief er Gefahr, sich auf eine nationale Orientierung zur Arbeiterklasse zurückzuziehen. Healy hätte sich daran erinnern sollen, dass die alte WIL von einer eben solchen falschen Einschätzung über die Beziehung zwischen praktischen Aktivitäten in der Arbeiterbewegung und der Verteidigung des internationalistischen Programms des revolutionären Marxismus ausgegangen war. Ihre Führer, darunter auch Healy, hatten den Appell der Vierten Internationale, der Vereinigung mit anderen trotzkistischen Tendenzen in Großbritannien zuzustimmen, mit dem Argument zurückgewiesen, dass ihre überlegene praktische Arbeit und ihre Erfolge in der Arbeiterbewegung schließlich schon beweisen würden, wer die wirklichen Trotzkisten waren.

Wie wichtig die Erfolge der SLL in der britischen Arbeiterbewegung auch sein mochten, die Zukunft des Internationalen Komitees lag in der Vertiefung des internationalen Kampfes gegen den pablistischen Opportunismus und der Aneignung seiner theoretischen und politischen Lehren. Die Degeneration der SWP hatte doch gerade bewiesen, dass weder eine „proletarische Orientierung“ noch ein organisatorischer Bruch an sich den Kampf gegen den Revisionismus entscheiden kann. Das Vorherrschen des Opportunismus ist ein historisches Phänomen mit tiefen gesellschaftlichen Wurzeln; und deswegen ist der Kampf gegen ihn ein derart langer und schwieriger Prozess. Selbst die Reihen einer marxistischen Tendenz, die eine lange Geschichte im Kampf gegen den Revisionismus hat, sind nicht garantiert immun gegen den enormen Klassendruck, der sich politisch in neuerlichem Aufleben des Opportunismus äußert. Ein Führer, der sich einbildet, die Parteistruktur biete eine undurchdringliche Barriere gegen den Opportunismus, macht sich etwas vor.

Die zentrale Aufgabe der Socialist Labour League nach der Vereinigung von 1963 und deren tragischen Folgen in Ceylon bestand daher darin, das Programm und die Perspektiven des Internationalen Komitees zu entwickeln und die politischen Prinzipienfragen zu klären, die die Vierte Internationale von dem kleinbürgerlichen Revisionismus trennten, wie er von Hansen und Mandels Vereinigtem Sekretariat vertreten wurde. Notwendig war vor allem ein kontinuierliches Studium der theoretischen und politischen Formen, in denen sich der Druck feindlicher Klassenkräfte in den Reihen der revolutionären Partei manifestiert. Nur auf dieser Grundlage kann der Neigung bestimmter Schichten in der marxistischen Partei und ihrer Führung, sich an die kleinbürgerlichen Agenturen des Imperialismus anzupassen, entgegengewirkt werden.

Aber in der SLL-Führung griff die Auffassung um sich, dass das materielle Wachstum der britischen Sektion, und nicht die Entwicklung und Festigung ihrer internationalen politischen Linie, die entscheidende Voraussetzung und wesentliche Grundlage für den Aufbau des Internationalen Komitees sei. Daraus folgte eine falsche und immer nationalistischere Auffassung über das Verhältnis zwischen der SLL und dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale. Die SLL machte sich eine zunehmend auf organisatorische Fragen konzentrierte Auffassung zu eigen, wonach die praktischen Erfolge der Socialist Labour League in Großbritannien die Voraussetzung für die weitere Entwicklung der trotzkistischen Weltbewegung seien.

Im Jahr 1966 vertrat Healy in seiner Broschüre Probleme der Vierten Internationale eindeutig eben diese Auffassung:

Auf den Schultern der Socialist Labour League liegt jetzt eine enorme Verantwortung: der Aufbau einer revolutionären Massenpartei, welche die Arbeiterklasse an die Macht führen wird. Dadurch wird sie Revolutionäre in allen Ländern inspirieren, ähnliche Parteien aufzubauen und dasselbe zu tun. (S. 5)

Diese Formulierung reduzierte die Weltpartei auf eine einfache Summe ihrer nationalen Teile und ersetzte die Zusammenarbeit von Marxisten in einer vereinten Internationale dadurch, dass eine nationale Gruppe den Erfolgen einer anderen nacheiferte. Sie war ein Zugeständnis an das bestehende ungünstige Kräfteverhältnis zwischen den Marxisten des Internationalen Komitees und den kleinbürgerlichen Opportunisten vom Vereinigten Sekretariat auf Weltebene. Außerdem förderte sie die Entwicklung gefährlicher nationalistischer Ansichten innerhalb der Socialist Labour League. Die Vorstellung, die Vierte Internationale werde als Nebenprodukt der Machteroberung in Großbritannien aufgebaut, war falsch. Zum Einen stand sie im Gegensatz zu der dialektischen Wechselbeziehung zwischen der Weltkrise des Imperialismus, dem internationalen Klassenkampf und den besonderen Formen, die diese in Großbritannien annahmen, zum anderen leugnete sie, dass die Organisation von Marxisten in jedem Land nur als Bestandteil der Weltpartei der sozialistischen Revolution möglich ist.

Der wachsende Druck, den Schwerpunkt des Kampfs gegen den Pablismus auf die nationale Achse der praktischen Arbeit in Großbritannien zu verlagern, kam auch in einer verblüffenden Erklärung für die Degeneration der SWP zum Ausdruck, mit der Healy in Probleme der Vierten Internationale aufwartete. Er lieferte darin folgende Erklärung für den Verrat der SWP am Marxismus:

Die Antwort auf diese Frage liegt nicht in den schwierigen Bedingungen des Kalten Krieges und des Booms, unter denen die SWP in den Vereinigten Staaten insbesondere seit 1949 gearbeitet hat – obwohl dies eine Rolle gespielt hat –, sondern in den Ursprüngen der frühen trotzkistischen Bewegung.

Ihr Gründer, Trotzki, war durch die gesamte frühe politische Erfahrung der vorrevolutionären Sowjetunion, der Revolution selbst – als er die Rote Armee organisierte und führte –, der Degeneration nach Lenin und der Entstehung der sowjetischen Bürokratie unter Stalin gegangen.

Seine Anhänger in den USA und anderen Ländern kamen hauptsächlich aus den Reihen derer, die sich nach der Gründung der Dritten Internationale im Jahr 1919 der kommunistischen Bewegung angeschlossen hatten. Ihre Entwicklung wurde bestimmt von den Niederlagen der Arbeiterklasse außerhalb der Sowjetunion nach dem Ersten Weltkrieg und von der Entstehung des Stalinismus...

Gerade das machte die Schwäche der Mannschaft Cannon-Trotzki aus.

Trotzkis theoretischer Genius entstammte der gesamten revolutionären Erfahrung der Sowjetunion in ihrem Triumph und ihrer Degeneration.

Cannons Politik dagegen leitete sich vor allem aus der Periode der sowjetischen Degeneration und der Niederlagen der Arbeiterklasse außerhalb der UdSSR ab. (Problems of the Fourth International, S. 14-15)

Diese Interpretation der Degeneration der SWP hatte nicht das Geringste gemeinsam mit der marxistischen Analyse von 1961-1963, die betont hatte, dass es objektive gesellschaftliche Ursachen für die Entstehung des Opportunismus in der Vierten Internationale gab, und dass diese Ursachen in dem komplexen Charakter der Nachkriegsvereinbarungen zwischen Imperialismus und Stalinismus zu suchen waren, welche die Grundlage für eine erneute Stabilisierung des Kapitalismus geschaffen hatten. Cliff Slaughter hatte in seinem Bericht an das IKVI im September 1963 richtig festgestellt, dass der Pablismus „nicht eine Verirrung einzelner Individuen ist, sondern in vielen Ländern eine Resonanz gefunden hat“. (Trotskyism Versus Revisionism, Bd. 4, S. 190) Aber Healys neue Interpretation wies diesen materialistischen Rahmen für eine Analyse der Ursprünge und der gesellschaftlichen Bedeutung des pablistischen Opportunismus zurück. Den Nachkriegsboom (und seine großen Auswirkungen auf die internationalen Klassenbeziehungen) als Ursache der Krise der SWP in dieser Art und Weise abzutun, war schon beinahe grotesk, und die politische Beziehung zwischen Cannon und Trotzki wurde auf eine subjektive Ebene gezogen, und darüber hinaus die Degeneration der Socialist Workers Party und die Entstehung des Opportunismus mehr oder weniger auf die angeblich „nicht-revolutionären“ Ursprünge der Vierten Internationale zurückgeführt!

Ob Healy selbst es merkte oder nicht, lieferte er hier eine moderne Fassung der theoretischen Verteidigung all der zentristischen Tendenzen, die sich Trotzkis Entscheidung für die Gründung der Vierten Internationale im Jahr 1938 mit der Begründung widersetzt hatten, dass eine neue Internationale nur als Produkt einer erfolgreichen Revolution entstehen könne. Diese Interpretation minderte die historische Bedeutung der theoretischen Arbeit von Marxisten herab, die in der Ausarbeitung und Verteidigung des internationalen Programms der sozialistischen Revolution besteht. Sie leugnete, dass der revolutionäre Charakter des Marxismus in den zwanziger und dreißiger Jahren in dem langen Kampf beinhaltet war, den Charakter des Stalinismus theoretisch zu erfassen; und dass die größte Errungenschaft des Marxismus gerade die Verteidigung des programmatischen Erbes der Oktoberrevolution in einer Periode von tiefer politischer Reaktion war. Healy reduzierte die revolutionäre Aktivität auf nur eine ihrer Formen – die praktische Arbeit von Marxisten mitten in einer siegreichen Revolution. Auf dieser Grundlage könnte man schlussfolgern, dass Marx' Lebenswerk abgesehen von seiner beschränkten praktischen Erfahrung in den bürgerlich-demokratischen Revolutionen von 1848 ganz eindeutig „nicht-revolutionären“ Charakter hatte.

Indem Healy die gesamte Geschichte der Vierten Internationale vor 1953 in Frage stellte, bereitete er einen fruchtbaren Boden für das Wachstum einer nationalistischen Orientierung im Kader der SLL. Es sollte nicht lange dauern, bevor die ersten Versuche gemacht wurden, den entscheidenden historischen Beitrag der Socialist Workers Party zur Entwicklung der Vierten Internationale nach 1940 zu leugnen. Wenn Torrance in ihrem ignoranten Nachruf heute schreibt, dass nach Trotzkis Tod „Healy der einzige wirkliche Marxist war“, dann formuliert sie nur die nationalistischen Ansichten, die schließlich die gesamte Socialist Labour League durchdrangen.

Wenn Healy darüber hinaus „Trotzkis theoretischen Genius“ aus „der gesamten revolutionären Erfahrung der Sowjetunion“ herleitete, dann fälschte er damit sowohl die Biographie Trotzkis als auch den objektiven historischen Prozess, durch den sich der Marxismus entwickelt hatte. Er rechtfertigte eine einseitige Verherrlichung der praktischen Aktivität und ihrer „Erfolge“, während er eine verächtliche Haltung gegenüber den so genannten „Propagandisten“ erzeugte. Diese Bezeichnung wurde nicht nur für diejenigen verwandt, die unfähig waren, abstrakte Prinzipien in konkreten Bedingungen anzuwenden, sondern auch auf die Veteranen des Trotzkismus, die sich um die programmatische Integrität der SLL sorgten und den politischen Inhalt der praktischen Initiativen, die Healy im Namen des „Parteiaufbaus“ vorschlug, kritisch bewerteten. Das politische Leben der SLL wurde von Mitte der sechziger Jahre an immer mehr von einem hektischen Kampf gegen die „alten Propagandisten“ bestimmt. Sie seien gezeichnet von ihrer Verbindung zur trotzkistischen Bewegung aus der Periode der Niederlagen der Arbeiterklasse und hielten deshalb, hieß es, die Entwicklung der jugendlichen Aktivisten zurück, mit denen das Wachstum und der Erfolg der Socialist Labour League mehr und mehr identifiziert wurden.