Bund Sozialistischer Arbeiter
Das Ende der DDR

Die Rolle des Stalinismus in Deutschland

By Peter Schwarz

Es ist kaum möglich, sämtliche Leitartikel und Kommentare zu zählen, die während der letzten drei Jahre zum Thema »Das Ende des Sozialismus« geschrieben worden sind. Doch die große Zahl derer, die im Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und später der Sowjetunion das Scheitern der Lehren von Karl Marx und das Fehlen jeder Alternative zum Kapitalismus erkennen wollen, ändert nichts daran, dass solche Theo­rien an der Oberfläche der Ereignisse stehen bleiben und vollkommen unfähig sind, die ihnen zugrunde liegenden historischen Prozesse aufzudecken. Die These vom »Ende des Sozia­lismus« entspringt eher dem Wunschdenken, eineinhalb Jahrhunderte nach dem Erscheinen des »Kommunistischen Manifests« endlich das »Gespenst des Kommunismus« loszuwerden, als den Ansprüchen einer ernsthaften wissenschaftlichen Untersuchung.

Tatsache bleibt, dass die Journalisten und Politiker, die jetzt im Brustton der Überzeugung das »Ende des Sozialismus« verkünden, von den Ereignissen in der DDR völlig überrascht wurden. Bundeskanzler Kohl empfing noch 1987 im festen Vertrauen auf die Stabilität der DDR deren Staatschef Honecker mit allen protokollarischen Ehren in Bonn. Und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) verstärkte zur selben Zeit ihre Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) durch die Bildung einer gemeinsamen Programmkommission. Selbst der DDR-Spezialist unter den westdeutschen Historikern, Hermann Weber, schrieb in der Einleitung zu seiner 1985 veröffentlichten »Geschichte der DDR«, es sei »positiv zu vermerken …, dass die DDR einer der historisch stabilsten Staaten der neueren deutschen Geschichte ist«.[1] Und ebenso wenig wie den Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion haben sie die soziale, wirtschaftliche und politische Katastrophe vorausgesehen, die statt des versprochenen demokratischen und marktwirtschaftlichen Paradieses über den Osten Deutschlands, die Länder Osteuropas und die ehemalige Sowjetunion hereingebrochen ist und zusehends auch den Westen in Mitleidenschaft zieht.

Das vorliegende Buch über den Zusammenbruch der DDR geht von einem völlig anderen Standpunkt an die Ereignisse heran. Anstatt Vorurteile und Klischees wiederzukäuen, forscht es nach den tieferliegenden Faktoren, die zu den dramatischen Ereignissen der Jahre 1989 und 1990 führten. Sein Ziel ist es, hinter den Schlagworten, Parolen und Ideologien, die Aufstieg und Fall der DDR begleiteten, die gesellschaftlichen, ökonomischen und historischen Triebkräfte aufzudecken. Die Unterscheidung zwischen objektiven gesellschaftlichen Veränderungen und den ideologischen Formen, durch welche diese verschleiert werden, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, ist im Falle der DDR umso wichtiger, als die herrschende Bürokratie von Anfang an gezwungen war, ihre tatsächliche Rolle hinter einer Maske dem Marxismus entlehnter Phrasen zu verbergen, und sich der Untergang der DDR unter einer Flut von Illusionen, falschen Versprechungen und trügerischen Hoffnungen vollzog.

Die Dokumente, die in diesem Buch gesammelt sind, entstanden im Feuer der Ereignisse. Es sind Leitartikel, Kommentare, programmatische Erklärungen und Reportagen aus der »Neuen Arbeiterpresse«, der Zeitung des Bunds Sozialistischer Arbeiter, der deutschen Sektion der Vierten Internationale, die bis Ende 1989 vierzehntägig, ab Januar 1990 wöchentlich erschien.[2] Etwa ein Drittel aller Veröffentlichungen über die Ereignisse in der DDR aus der Zeit zwischen der Massenflucht im Sommer 1989 und der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 sind für diesen Band ausgewählt worden. Sie sind in zehn Kapitel gegliedert, von denen jedes mit einer kurzen Einleitung versehen ist, die die einzelnen Artikel historisch einordnet. Zusammengenommen ergibt diese Sammlung eine detaillierte Autopsie des Zusammenbruchs der DDR – seiner historischen Ursachen, seiner internationalen Hintergründe, der handelnden politischen Parteien und Tendenzen, gesellschaftlichen Klassen, Schichten und Personen und der aufeinanderprallenden Interessen.

Die Artikel sind nicht vom Standpunkt des Beobachters, sondern des aktiven Teilnehmers geschrieben. Doch das tut ihrer Objektivität keinen Abbruch. Im Gegenteil. Wahre Objektivität schließt Parteinahme nicht aus, sondern setzt sie voraus. Die Maske scheinbarer Neutralität gegenüber Ereignissen, die das Leben von Millionen Menschen verändern, kennzeichnet nicht eine objektive Betrachtungsweise, sondern verbirgt lediglich den Standpunkt des Autors vor dem Leser. Wer würde schon einen Historiker ernst nehmen, der sich etwa im Kampf zwischen Inquisition und aufsteigendem Bürgertum »neutral« verhält? Es wäre sofort klar, dass es sich um einen Reaktionär handelt. Dasselbe gilt für die jüngste Geschichte.

Wir überlassen es dem Leser, sich ein Urteil über die Analysen und Schlussfolgerungen zu bilden, zu denen der Bund Sozialistischer Arbeiter im Sturm des Geschehens gelangt ist. Alle Artikel sind unverändert, so wie sie geschrieben wurden, wiedergegeben. Lediglich einige Kürzungen wurden vorgenommen, um – in einer periodischen Zeitung unvermeidliche – Wiederholungen zu vermeiden. Der Leser wird schnell feststellen, dass der Bund Sozialistischer Arbeiter im Gegensatz zu den bürgerlichen Journalisten und Politikern weder von den Ereignissen noch von ihren Folgen überrascht wurde.[3]

Stalinismus und Sozialismus

Die bürgerlichen Kommentatoren der Ereignisse in der DDR bemerken in ihrem Eifer gar nicht, dass sie mit der Parole vom »Ende des Sozialismus« nur das Lügengewebe weiterspinnen, das der stalinistischen Bürokratie selbst jahrzehntelang zur Rechtfertigung ihrer Herrschaft diente: dass nämlich die von ihr errichtete Diktatur eine Form des Sozialismus darstelle. Die Gleichsetzung von Stalinismus und Sozialismus, einst die Lebenslüge des SED-Regimes, ist heute zur Lebenslüge der deutschen Bourgeoisie geworden.

In Wirklichkeit ist es unmöglich, die Ursachen für den Zusammenbruch der DDR zu verstehen, ohne die zersetzende Rolle zu untersuchen, die der Stalinismus über sieben Jahrzehnte hinweg in der internationalen sozialistischen Bewegung gespielt hat. In der DDR ist nicht der Sozialismus gescheitert. Es kommt der Wahrheit schon wesentlich näher, wenn man sagt, dass aufgrund der Unterdrückung des Sozialismus durch die stalinistische Bürokratie die DDR gescheitert ist. Man muss, um das Schicksal der DDR zu verstehen, zu den Ursprüngen des Stalinismus zurückgehen.

Es ist von Gegnern des Sozialismus oft versucht worden, die russische Oktoberrevolution von 1917 als Ergebnis einer Verschwörung oder als Putsch einer kleinen Minderheit und dementsprechend die stalinistische Diktatur als konsequente Fortsetzung der bolschewistischen Methoden darzustellen. Auch von den Epigonen des Stalinismus in Moskau werden heute solche Theorien wieder aufgewärmt. Historisch sind sie völlig unhaltbar.

Ohne die bewusste, auf tiefer Überzeugung beruhende Unterstützung breiter Massen hätten die Bolschewiki die Macht weder erobern noch unter unsäglichen Opfern in einem dreijährigen Bürgerkrieg verteidigen können. Die Oktoberrevolution war der Höhepunkt einer langen Periode, die einen beispiellosen Aufschwung der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung erlebt hatte. Lenin, Trotzki und die Bolschewiki konnten sich auf die Arbeit der Ersten und der Zweiten Internationale stützen, die zwei Generationen von Arbeitern mit den Grundlagen des Marxismus und seinen Quellen, den fortgeschrittensten ökonomischen, philosophischen und sozialistischen Theorien der Zeit, vertraut gemacht hatten. Vor allem die deutsche SPD galt um die Jahrhundertwende als Musterbeispiel einer marxistischen Massenpartei. Sie konnte auf die bewusste Mitarbeit und aktive Unterstützung von Hunderttausenden Arbeitern zählen und hatte mit dem Apparat von gutbezahlten Funktionären, Karrieristen und Postenjägern, der sich heute SPD nennt, nicht die geringste Ähnlichkeit. Es ist bekannt, dass die Führung der SPD 1914 ihr Programm verriet und vor der Welle des Nationalismus, die mit dem Ersten Weltkrieg einherging, kapitulierte. Aber die marxistische Kultur, die sie in der Arbeiterklasse geschaffen hatte, konnte nicht über Nacht zerstört werden.

Diese marxistische Kultur hatte auch in der russischen Arbeiterklasse Wurzeln geschlagen. Wie sonst ist die Welle der Begeisterung, der Höhenflug der Gedanken zu erklären, der mit der Oktoberrevolution einherging und sich keineswegs nur auf das Gebiet von Politik und Wirtschaft beschränkte; so rief die junge Sowjetunion trotz der materiellen Not eine Blüte der Kunst hervor, die sie auf zahlreichen Gebieten – wie dem Film, dem Theater und der Architektur – an die Spitze der internationalen Entwicklung stellte.

Die historische Rolle des Stalinismus bestand darin, das Ergebnis dieser Arbeit des Marxismus zu zerstören. Die von Stalin geführte Fraktion in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) begann Mitte der zwanziger Jahre damit, die theoretischen Grundlagen des Marxismus anzugreifen und die Geschichte der Revolution zu fälschen. Bald ging sie dazu über, ihre marxistischen Gegner aus der Partei zu werfen. Dann schickte sie sie in die Verbannung und ins Exil. Doch dabei ließ sie es nicht bewenden. In den dreißiger Jahren machte sie sich daran, jeden, der in irgendeiner Beziehung zur Oktoberrevolution stand, physisch zu vernichten. Die berüchtigten Moskauer Prozesse, denen die gesamte Führung von Lenins bolschewistischer Partei zum Opfer fiel, waren nur die Spitze des Eisbergs. Millionen wurden in den Säuberungen umgebracht. Dabei machte der Stalinismus nicht bei seinen politischen Gegnern halt. Jeden, der einen fortschrittlichen oder selbständigen Gedanken im Kopf hatte, betrachtete er als Gefahr. Die Führungsspitze der Roten Armee wurde – am Vorabend des Weltkriegs – ebenso liquidiert wie eine ganze Generation von fähigen Ingenieuren, Ökonomen, Wissenschaftlern und Künstlern, die im Aufbau der sowjetischen Wirtschaft und Gesellschaft Beispielhaftes geleistet hatten. Es ist unmöglich, in Zahlen auszudrücken, welchen Schaden die Ablösung dieser Blüte des menschlichen Geistes durch ein Heer völlig inkompetenter, aber linientreuer Bürokraten in der sowjetischen Wirtschaft angerichtet hat.

Hauptziel der Säuberungen blieben aber die Trotzkisten, die als einzige Gegner Stalins in vollem Umfang den Marxismus und die Grundlagen der Oktoberrevolution verteidigten. Wer als »Spion« oder wegen »Sabotage« verhaftet wurde, konnte noch hoffen, mit einer Lagerstrafe davonzukommen und sie bei robuster Natur sogar zu überleben. Wer als »Trotzkist« angeklagt wurde, konnte sich einer Kugel im Hinterkopf absolut sicher sein. Wurde in einem Betrieb ein »trotzkistischer« Arbeiter entdeckt, so wanderte nicht nur er, sondern die gesamte Abteilung vor das Erschießungskommando. Die Jagd nach Trotzkisten machte an der sowjetischen Grenze nicht halt. Rund um die Welt jagten die Mörderkommandos der stalinistischen Geheimpolizei nach linken Kritikern des Kremls. Kein Regime, das Hitlers nicht ausgenommen, hat derartig zielstrebig, systematisch und unerbittlich überzeugte Marxisten verfolgt wie dasjenige Stalins.

Sicher berief sich der Stalinismus in Ermangelung einer eigenen Ideologie bei all seinen Verbrechen auf Marx, dessen Schriften er verfälschte und in eine Art Katechismus verwandelte, und auf Lenin, den er mumifizierte und auf dem Roten Platz einmauerte, damit die Spitzen der Bürokratie jedes Jahr am Jahrestag der Revolution mit ihren Stiefeln auf ihm herumtrampeln konnten. Aber diese Mörder- und Verbrecherbande deshalb als Repräsentantin jener Ideale zu betrachten, die einst Millionen Arbeiter beflügelten, das faulende Krebsgeschwür am sozialistischen Körper für den Sozialismus selbst zu halten, ist der Gipfel der historischen Verfälschung, vergleichbar nur mit den Geschichtsfälschungen des Stalinismus selbst. Auf nichts anderem beruht aber die These vom »Ende des Sozialismus«.

Die Wurzeln des Stalinismus

Die ideologischen und materiellen Wurzeln des Stalinismus finden sich nicht in den Traditionen der Arbeiterbewegung und des Marxismus, er ist keine, noch nicht einmal eine taube Blüte am Baum des Sozialismus.

Ideologisch nährte er sich von Abfallbrocken bürgerlicher, um die Jahrhundertwende in die Arbeiterbewegung eingedrungener Ansichten, denen er zu neuem Leben verhalf. So stammt die Theorie vom »Aufbau des Sozialismus in einem Land«, die er zu seiner zentralen ideologischen Achse machte, vom rechten deutschen Sozialdemokraten Georg von Vollmar; in China ruinierte er die Revolution von 1927 gestützt auf eine Wiederbelebung der menschewistischen Zweistufentheorie; und während und nach dem Zweiten Weltkrieg sank er mit der Übernahme der rückständigsten nationalistischen Auffassungen noch viel tiefer.

Materiell nährte sich der Stalinismus von der Fäulnis und den tiefen Widersprüchen des Imperialismus, zu deren Lösung die Oktoberrevolution zwar ein wichtiger erster Schritt war, die aber im Rahmen eines Landes unmöglich überwunden werden konnten. Mit der Eroberung der Staatsmacht im Oktober 1917 hatte das russische Proletariat eine grundlegende Voraussetzung für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft geschaffen, vollendet werden konnte diese Aufgabe aber nur im Weltmaßstab. Der Aufstieg und Triumph des Stalinismus war die Strafe dafür, dass sich die sozialistische Weltrevolution verzögerte und der erste Arbeiterstaat der Geschichte isoliert blieb.

Es gab und gibt bis heute zahlreiche Versuche, die Entartung der Sowjetunion darauf zurückzuführen, dass das russische Proletariat die Macht »zu früh« erobert habe: Russland hätte zuerst eine lange Phase der parlamentarischen Demokratie durchmachen müssen, bevor es reif für den Sozialismus sei. Doch diese Auffassung, die sich mit jener des Menschewismus deckt, lässt die internationalen Ursachen der Oktoberrevolution völlig außer Acht. Der Siegeszug des Imperialismus um die Jahrhundertwende, das Vordringen des Finanzkapitals in jeden Winkel der Welt versperrte wirtschaftlich zurückgebliebenen Ländern wie Russland ein für alle Mal den Weg zu einer »normalen« bürgerlichen Entwicklung, ja machte selbst für die fortgeschrittensten kapitalistischen Länder jede weitere friedliche Expansion unmöglich. Das Völkergemetzel des Ersten Weltkriegs war nichts weiter als eine Bestätigung dieser Tatsache.

Die Arbeiterklasse Russlands war als erstes berufen, den Schritt zur Machteroberung zu wagen, weil in diesem wirtschaftlich relativ zurückgebliebenen Land die internationalen ökonomischen, sozialen und politischen Gegensätze des Imperialismus ihren konzentriertesten Ausdruck fanden; eine weit fortgeschrittene kapitalistische Entwicklung und Klassendifferenzierung der Gesellschaft prallte auf das Erbe der zaristischen Rückständigkeit. Die Monate Februar bis Oktober 1917 bewiesen praktisch, was Trotzki bereits 1906 theoretisch vorausgesagt hatte: dass in Ländern mit verspäteter bürgerlicher Entwicklung die demokratischen Aufgaben nur mittels der Diktatur des Proletariats gelöst werden können.[4] Die provisorische Regierung, die den bürgerlichen Parlamentarismus auf ihre Fahne geschrieben hatte, erwies sich als unfähig, auch nur eine Aufgabe der demokratischen Revolution anzupacken, geschweige denn zu lösen. Die Alternative zur Oktoberrevolution lautete nicht bürgerlich-parlamentarische Demokratie und blühender Kapitalismus, sondern Kornilow-Diktatur, Tyrannei und wirtschaftliche Rückständigkeit, wie sie bis heute für die Entwicklungsländer Asiens, Lateinamerikas und Afrikas typisch sind. Dasselbe gilt auch heute noch. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erfährt dies die Arbeiterklasse ihrer Nachfolgestaaten in tragischer Weise am eigenen Leib: Die sogenannten »demokratischen« Regierungen entpuppen sich als Horden von raffgierigen Kompradoren, Mafia-Gangstern und Glücksrittern, die die neu gebildeten Staaten innerhalb kürzester Zeit auf den Status von Halbkolonien herunterbringen.

Die Abhängigkeit des Schicksals der russischen von dem der internationalen Revolution galt zur Zeit der Oktoberrevolution allen Marxisten als selbstverständlich. In prägnanter Weise formulierte dies Rosa Luxemburg in ihrem 1918 im Gefängnis verfassten Artikel »Zur russischen Revolution«.[5] Sie verteidigte darin die Oktoberrevolution gegen die heftigen Angriffe der SPD-Führer, die gemeinsam mit der deutschen Regierung gegen die Bolschewiki Front machten und, indem sie die Revolution in Deutschland unterdrückten, die zentrale Verantwortung für deren Schwierigkeiten trugen. In geradezu prophetischer Voraussicht schrieb Luxemburg:

Nicht Russlands Unreife, sondern die Unreife des deutschen Proletariats zur Erfüllung der historischen Aufgaben hat der Verlauf des Krieges und der russischen Revolution erwiesen, und dies mit aller Deutlichkeit hervorzukehren ist die erste Aufgabe einer kritischen Betrachtung der russischen Revolution. Die Revolution Russlands war in ihren Schicksalen völlig von den internationalen Ereignissen abhängig. Dass die Bolschewiki ihre Politik gänzlich auf die Weltrevolution des Proletariats stellten, ist gerade das glänzendste Zeugnis ihres politischen Weitblicks und ihrer grundsätzlichen Treue, des kühnen Wurfs ihrer Politik …

Es wäre in der Tat eine wahnwitzige Vorstellung, dass bei dem ersten welthistorischen Experiment mit der Diktatur der Arbeiterklasse, und zwar unter den denkbar schwersten Bedingungen: mitten im Weltbrand und Chaos eines imperialistischen Völkermordens, in der eisernen Schlinge der reaktionärsten Militärmacht Europas, unter völligem Versagen des internationalen Proletariats, dass bei einem Experiment der Arbeiterdiktatur unter so abnormen Bedingungen just alles, was in Russland getan und gelassen wurde, der Gipfel der Vollkommenheit gewesen sei. Umgekehrt zwingen die elementaren Begriffe der sozialistischen Politik und die Einsicht in ihre notwendigen historischen Voraussetzungen zu der Annahme, dass unter so fatalen Bedingungen auch der riesenhafteste Idealismus und die sturmfesteste revolutionäre Energie nicht Demokratie und nicht Sozialismus, sondern nur ohnmächtige, verzerrte Anläufe zu beiden zu verwirklichen imstande seien.

Sich dies in allen tiefgehenden Zusammenhängen und Wirkungen klar vor die Augen zu führen ist gerade elementare Pflicht der Sozialisten in allen Ländern; denn nur an einer solchen bitteren Erkenntnis ist die ganze Größe der eigenen Verantwortung des internationalen Proletariats für die Schicksale der russischen Revolution zu ermessen. Andererseits kommt nur auf diesem Wege die entscheidende Wichtigkeit des geschlossenen internationalen Vorgehens der proletarischen Revolution zur Geltung – als eine Grundbedingung, ohne die auch die größte Tüchtigkeit und die höchsten Opfer des Proletariats in einem einzelnen Lande sich unvermeidlich in ein Wirrsal von Widersprüchen und Fehlgriffen verwickeln müssen.[6]

Das von Luxemburg befürchtete »Wirrsal von Widersprüchen und Fehlgriffen« fand seine Verkörperung im Stalinismus. Die Isolation des ersten Arbeiterstaats verhalf der traditionellen Zurückgebliebenheit und Barbarei Russlands wieder zum Durchbruch. »Armut und kulturelle Rückständigkeit der Massen verkörperten sich noch einmal in der Schreckensgestalt des Gebieters mit großem Knüttel in der Hand. Die abgesetzte und geschmähte Bürokratie wurde aus dem Diener der Gesellschaft wieder ihr Herr«, wie es Trotzki später ausdrückte.[7]

Verursacht wurde diese Isolation durch die Niederlagen der internationalen und vor allem der deutschen Arbeiterklasse. Die Sozialdemokratie, die die deutsche Novemberrevolution von 1918 im Blut ertränkte und den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht organisierte, war die eigentliche Geburtshelferin des Stalinismus. Auch später haben sich die sozialdemokratische und die stalinistische Bürokratie trotz heftig zur Schau getragener Feindschaft in ihrer Rolle gegenseitig ergänzt. Beide trugen auf ihre Weise dazu bei, die kapitalistische Herrschaft zu festigen und gegen die Gefahr eines proletarischen Aufstands zu sichern. Wann immer die Situation wirklich kritisch wurde, waren sie auch zur direkten Zusammenarbeit bereit. Das erstreckte sich von Einzelfragen – wie der Verweigerung eines Visums für Trotzki – bis hin zu den Volksfrontregierungen der dreißiger Jahre, in denen sozialdemokratische und stalinistische Minister gemeinsam das Überleben der französischen, bzw. spanischen Bourgeoisie sicherten. Nach dem Zweiten Weltkrieg verdankte die Sozialdemokratie ihren erneuten Aufschwung unmittelbar den Verbrechen des Stalinismus, die zahlreiche Arbeiter, die längst mit dem Reformismus gebrochen hatten, in ihre Arme zurückstießen. Dieser Zusammenhang wird von den SPD-Führern, die heute über den Zusammenbruch des Stalinismus triumphieren, gerne aus den Augen verloren. Tatsächlich hat der Kollaps der stalinistischen Bürokratie auch die Totenglocke für die Sozialdemokratie geläutet.

Erleichtert wurde der Aufstieg der stalinistischen Bürokratie durch mehrere Umstände. Zum einen führten Mangel und Not dazu, dass der Staatsapparat nicht – wie es Lenin für eine sozialistische Gesellschaft vorausgesagt hatte – abstarb, sondern an Bedeutung gewann. Als »Polizist der Ungleichheit« wachte die Bürokratie über die Verteilung der knappen Güter, wobei sie selbstverständlich darauf achtete, dass sie selbst nicht zu kurz kam. Zum anderen war die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse durch Revolution und Bürgerkrieg erschöpft. Konservative Schichten, die der Revolution feindlich oder passiv gegenübergestanden hatten, drängten in Staat und Partei. Stalin, der von seiner Mentalität her seit jeher solchen Schichten zuneigte, riss ihnen die Tür weit auf. Das Hereinfluten neuer, unausgebildeter Kräfte in die Partei drängte die Marxisten in die Minderheit. Organisiert in der von Trotzki geführten Linken Opposition, leisteten sie dem Aufstieg der Bürokratie erbitterten Widerstand. Doch die Bürokratie siegte, »nicht mit Ideen und Argumenten, sondern durch ihr eigenes soziales Schwergewicht. Das bleierne Hinterteil der Bürokratie wog schwerer als der Kopf der Revolution.«[8]

Mit der Theorie vom »Aufbau des Sozialismus in einem Land«, die Stalin 1924 nach Lenins Tod verkündete, schuf sich die Bürokratie eine eigene theoretische Achse. Laut Stalin war der Erfolg der sozialistischen Revolution in einer Reihe fortgeschrittener kapitalistischer Länder nicht länger die Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion. Der Sozialismus, lautete die neue Lehre, konnte allein innerhalb der Grenzen der Sowjetunion vollendet werden.

Ungeachtet der Bemühungen ganzer Heerscharen vom Stalinismus korrumpierter Akademiker, diese Theorie mithilfe zusammengeklaubter Zitate auf Lenin zurückzuführen, bedeutete sie einen grundlegenden Bruch mit dem Marxismus. Der Marxismus versteht unter »Sozialismus« eine höhere historische Entwicklungsstufe der menschlichen Gesellschaft, die sich auf entsprechend fortschrittlichere Produktivkräfte als der Kapitalismus stützen muss. Schon die in der kapitalistischen Gesellschaft erreichten gigantischen Fortschritte von Industrie und Technik waren nur dank einer internationalen Arbeitsteilung möglich; eine sozialistische Gesellschaft kann sich daher erst recht nicht im Rahmen von isolierten Wirtschaftseinheiten entwickeln. Die Notwendigkeit für die sozialistische Revolution ergibt sich gerade daraus, dass in der kapitalistischen Gesellschaft die Produktivkräfte über die nationalen Grenzen hinausgewachsen und in unversöhnlichen Konflikt mit diesen geraten sind. Der proletarische Internationalismus beruht auf der Unhaltbarkeit des nationalen Staates, der sich längst überlebt hat und zum Hemmschuh für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden ist.

Die Theorie vom »Sozialismus in einem Land« entsprach den konservativen Bedürfnissen einer Bürokratie, die eben dabei war, ihre Stellung als privilegierte Kaste zu festigen, und jeden Gedanken an weitere Revolutionen hasste und als Bedrohung empfand. Ihre Folgen waren verheerend. Im Innern führte der utopische Versuch, losgelöst von den Ressourcen der Weltwirtschaft eine harmonische Entwicklung aller Produktionszweige herbeizuführen, zu ständigen Erschütterungen und wirtschaftlichen Katastrophen, auf die die Bürokratie mit panischen Kurskorrekturen nach links und nach rechts reagierte, die die Sache nur noch schlimmer machten. Auf internationaler Ebene führte die neue Doktrin zu einer Neudefinition der Aufgaben und schließlich zur Auflösung der Kommunistischen Internationale. Gegründet als Weltpartei der sozialistischen Revolution, degenerierte sie zu einem Hilfs­instrument der sowjetischen Außenpolitik, bis Stalin sie schließlich, um seinen imperialistischen Verbündeten seine unbedingte Loyalität zu demonstrieren, 1943 liquidierte.

Die Zerstörung der KPD

Eines der Hauptopfer der zerstörerischen Arbeit des Stalinismus in der internationalen Arbeiterbewegung war die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Die SED hat sich immer auf die Tradition der KPD berufen; tatsächlich war jedoch die Staatspartei der DDR das exakte Gegenteil jener revolutionären Organisation, die zwischen dem 30. Dezember 1918 und dem 1. Januar 1919 mitten im aufrührerischen Berlin gegründet wurde. Zwischen der Gründung der KPD und ihrer Vereinigung mit der SPD zur SED lagen knapp drei Jahrzehnte des politischen und theoretischen Niedergangs, von wiederholten, systematischen Säuberungen der Führung, sowie die verheerende Niederlage von 1933.

Die KPD ging aus dem Kampf hervor, den der revolutionäre Flügel der deutschen Sozialdemokratie rund zwanzig Jahre lang gegen den wachsenden Opportunismus in der SPD geführt hatte. Die überragende Rolle spielte dabei Rosa Luxemburg, die, trotz heftig ausgefochtener Differenzen in einigen Einzelfragen, Lenin und Trotzki politisch sehr nahestand. Im Gegensatz zu Lenin, der sich bereits sehr früh auch organisatorisch vom Opportunismus abgrenzte, brach Rosa Luxemburg allerdings erst 1914 mit der Mehrheits-SPD, als diese den Krediten für den Ersten Weltkrieg zustimmte. Die »Gruppe Internationale«, der spätere Spartakusbund, wurde gebildet, aus dem dann die KPD hervorging.

Die neue Partei, die für die Schaffung eines Rätedeutschlands als Schritt zur sozialistischen Weltrevolution eintrat, gewann schnell an Einfluss. Im März 1919 schloss sie sich als erste Sektion der soeben gegründeten Kommunistischen Internationale an. Ende 1920 trat ihr der linke Flügel der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) mit 300 000 Mitgliedern bei, was die Gesamtmitgliederzahl mehr als verfünffachte.

Es war unvermeidlich, dass diese junge, schnell wachsende Partei, die sich zudem ständig im Feuer der Revolution bewähren musste, durch einen heftigen inneren Klärungsprozess ging, von Fraktionskämpfen aufgewühlt wurde und eine Reihe von Spaltungen durchmachte. Zusätzlich erschwert wurde dieser Reifungsprozess durch den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, durch den die KPD nur zwei Wochen nach ihrer Gründung ihre erfahrensten Kader verlor. Aber es war schließlich der wachsende Einfluss des Stalinismus, der das Heranreifen einer gefestigten marxistischen Führung vollends vereitelte.

1923 erlebte die Partei einen entscheidenden Test. In Deutschland entwickelte sich eine umfassende revolutionäre Krise. Im Januar besetzte Frankreich das Ruhrgebiet, um ausstehende Reparationszahlungen einzutreiben, und versetzte damit der wackligen Wirtschaft den Todesstoß. Der Wechselkurs der Mark gegenüber dem Dollar stieg von 8400 Mark zu Jahresbeginn auf die schwindelerregende Höhe von 4 Billionen Mark Ende November. Für die Arbeiterklasse wurde das Leben unerträglich, die Mittelklassen verloren ihre gesamten Ersparnisse. Am 26. September verhängte Reichspräsident Ebert (SPD) den Ausnahmezustand. In Bayern rebellierten rechte Reichswehrtruppen; im November versuchten Hitler und General Ludendorff einen Putsch. In Thüringen und Sachsen waren linke SPD-Regierungen an der Macht, an denen sich zeitweise auch die KPD beteiligte. Sie begannen mit dem Aufstellen von proletarischen Verteidigungsformationen.

Unter diesen Bedingungen bereitete sich die KPD nach langem anfänglichem Zögern in enger Zusammenarbeit mit der Komintern-Führung auf einen gesamtdeutschen Aufstand vor. Als Termin war die erste Novemberhälfte vorgesehen. Doch die Ereignisse überstürzten sich, als die Berliner Regierung – eine Große Koalition, bestehend aus Stresemanns Deutscher Volkspartei und der SPD – die Reichswehr gegen die sächsische Regierung in Gang setzte. In dieser kritischen Situation gab die KPD die Initiative aus der Hand. Sie überließ die Entscheidung über einen Generalstreik in Sachsen, der das Signal zum Aufstand geben sollte, einer Arbeiterkonferenz, die am 21. Oktober in Chemnitz tagte. Die Delegierten, überwiegend Gewerkschafter und Betriebsräte, lehnten ab. Die KPD-Führung beschloss am selben Abend, die Erhebung abzusagen. Hamburg erreichte dieser Beschluss allerdings nicht mehr. Dort brach am 23. Oktober ein Aufstand aus, der, isoliert geblieben, innerhalb von drei Tagen niedergeschlagen wurde.

Die Rechte wusste die Lähmung der KPD zu nutzen und schlug zurück. Das Kabinett Stresemann trat zurück und Ebert übertrug die vollziehende Gewalt dem Chef der Heeresleitung, General von Seeckt. Die KPD wurde sofort verboten. Die wirtschaftliche und politische Situation stabilisierte sich langsam. Der »Deutsche Oktober« war gescheitert, eine außergewöhnliche revolutionäre Gelegenheit ungenutzt verstrichen, weil die Führung der KPD zu lange gezögert und unentschlossen taktiert hatte.

Die Niederlage von 1923 warf die KPD in eine schwere Krise. Sie verlor fast drei Viertel ihrer Mitglieder und konnte in der folgenden, fünfjährigen Phase der wirtschaftlichen Stabilisierung nur langsam wieder Fuß fassen. Gleichzeitig stärkte die deutsche Niederlage die stalinistische Fraktion in der KPdSU, in der sich Stalin, Sinowjew und Kamenew zu einem Bündnis gegen Trotzki zusammengeschlossen hatten. Kurz danach wagte es Stalin zum ersten Mal, die These vom »Sozialismus in einem Land« öffentlich zu verkünden. Hätte die KPD aus ihren Fehlern gelernt und eine nüchterne Bilanz gezogen, sie hätte sich von der Niederlage erholt und wäre 1929, als die kurze wirtschaftliche Erholungsphase mit Krach zu Ende ging, in der Lage gewesen, einen neuen revolutionären Aufschwung einzuleiten und dem Faschismus die Stirn zu bieten. Doch genau das wurde durch den Aufstieg des Stalinismus verhindert.

Sinowjew und Stalin versuchten, den KPD-Führer Brandler zum alleinigen Sündenbock zu stempeln, obwohl Sinowjew selbst, der als Vorsitzender des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale Brandlers zurückhaltenden Kurs monatelang unterstützt hatte, eine ebenso große Verantwortung traf. Gegen Trotzki, der eine überhastete organisatorische Lösung ablehnte und sich bemühte, die politischen Lehren zu ziehen, wurde eine bösartige Hetzkampagne in Gang gesetzt. Sie steigerte sich zur Raserei, als er in der Schrift »Die Lehren des Oktober« die Parallele zwischen dem Verhalten Brandlers 1923 und dem Verhalten Sinowjews und Kamenews 1917 aufzeigte. Beide hatten sich damals gegen den Oktoberaufstand gestellt.

Im Januar 1924 wurde Brandler seiner Funktionen enthoben und durch Vertreter des linken Parteiflügels ersetzt. Ruth Fischer und Arkadij Maslow spielten nun die führende Rolle in der Partei; Ernst Thälmann wurde stellvertretender Parteivorsitzender. Während sich der Klassenkampf merklich abkühlte, setzte die neue Führung einen ultralinken Kurs durch, der zur Folge hatte, dass sich die Partei weiter von der Arbeiterklasse isolierte.

Es folgten weitere Führungswechsel, hervorgerufen nicht durch die Klärung politischer Fragen, sondern durch die Frak­tionskämpfe und die Bedürfnisse der Stalin-Clique in Moskau. Als 1925 das Bündnis zwischen Stalin auf der einen und Sinowjew und Kamenew auf der anderen Seite in Brüche ging, wurden auch Fischer und Maslow ihrer Führungsfunktionen enthoben und ein Jahr später aus der Partei ausgeschlossen. Entsprechend der Entwicklung in der Sowjetunion, wo Stalin ein Bündnis mit den Rechten unter Bucharin eingegangen war, wurde auch in der KPD ein Rechtsschwenk durchgeführt. Die Positionen von Fischer und Maslow wurden nun von Philipp Dengel, Ernst Meyer und Arthur Ewert eingenommen, die 1928, als Stalin mit Bucharin in Konflikt geriet und einen erneuten Linksschwenk machte, durch Hermann Remmele und Heinz Neumann ersetzt wurden.

Der einzige, der all diese Schwankungen und Kurswechsel unbeschadet überlebte, war Ernst Thälmann. Nach der Absetzung von Fischer und Maslow wurde er 1925 Parteivorsitzender und behielt dieses Amt bis zu seiner Verhaftung im März 1933. Thälmann war 1920 mit der Hamburger USPD zur KPD gestoßen und galt bald als ein Vertreter ihres linken Flügels. Doch seine linken Standpunkte waren mehr von gefühlsmäßiger Radikalität als von theoretischer Einsicht bestimmt und vertrugen sich ohne weiteres mit jener Rückgratlosigkeit, die ihn zum bedingungslosen Statthalter Stalins in Deutschland befähigte. Seit 1928 band ihn auch noch ein Korruptionsskandal persönlich an Stalin. Er hatte versucht, die Unterschlagung von Parteigeldern durch seinen engen Freund und Vertrauten, den Hamburger KPD-Funktionär Wittorf, zu vertuschen. Das Zentralkomitee enthob ihn deshalb von allen Funktionen. Erst Stalins persönliches Eingreifen verhalf ihm wieder zum Amt des Parteivorsitzenden.

1928/29 vollzog die Kommunistische Internationale erneut einen Linksschwenk und stellte die Weichen für jenen verhängnisvollen Kurs, der zur vernichtenden Niederlage der KPD und der deutschen Arbeiterklasse führen sollte. Sie verkündete den Beginn der sogenannten »Dritten Periode«: weltweit habe nun ein jäher und geradliniger revolutionärer Aufschwung eingesetzt. Auch diese taktische Neuorientierung entsprach nicht einer Einschätzung der objektiven Lage, sondern den Bedürfnissen der Stalin-Bürokratie. Sie war in der Sowjetunion mit einer Rebellion der Kulaken konfrontiert, jener bürgerlichen Elemente, die sie zuvor selbst jahrelang genährt hatte. Mit beispielloser Brutalität machte sie sich nun an die »Liquidation der Kulaken«, während sie gleichzeitig noch wütender gegen die trotzkistische Linke Opposition vorging, die seit langem vor einer solchen Entwicklung gewarnt hatte, und Trotzki selbst in die Türkei verbannte.

In Deutschland fand der neue ultralinke Kurs seine Krönung in der Theorie vom »Sozialfaschismus«. Danach war die SPD eine »sozialfaschistische« Partei, der Zwillingsbruder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Sie wurde zum »Hauptfeind« der KPD erklärt. Jede Einheitsfront gegen die Nazis mit ihr wurde strikt abgelehnt. Bis zur Machtübernahme Hitlers im Januar 1933, ja sogar noch einige Monate danach, bildete die Sozialfaschismustheorie den Dreh- und Angelpunkt der Politik der KPD.

Diese Theorie beruhte auf einer ungeheuren, vulgären Verflachung des Marxismus. Ohne Zweifel verfolgte die SPD eine Politik, die sich gegen die Arbeiterklasse richtete, den bürgerlichen Staat verteidigte und den Aufstieg des Faschismus begünstigte. Aber daraus den Schluss zu ziehen, dass es keinen Unterschied zwischen SPD und NSDAP gab, war völlig abwegig. Trotzki, der in dieser Zeit mit Dutzenden von Broschüren und Artikeln gegen diesen unsinnigen Kurs ankämpfte, bemerkte dazu:

Die Sozialdemokratie, jetzt Hauptvertreterin des parlamentarisch-bürgerlichen Regimes, stützt sich auf die Arbeiter. Der Faschismus auf das Kleinbürgertum. Die Sozialdemokratie kann ohne Arbeitermassenorganisationen keinen Einfluss ausüben, der Faschismus seine Macht nicht anders befestigen als durch Zerschlagung der Arbeiterorganisationen. Haupt­arena der Sozialdemokratie ist das Parlament. Das System des Faschismus fußt auf der Vernichtung des Parlamentarismus.[9]

Um die Arbeiterklasse gegen den Faschismus zusammenzuschweißen, musste die KPD den Gegensatz zwischen Faschismus und Sozialdemokratie ausnutzen. Stattdessen tat sie alles, um die sozialdemokratischen Arbeiter zurückzustoßen. Dabei ließ sie sich auf solche Niedrigkeiten herab wie den preußischen Volksentscheid. Gemeinsam mit den Faschisten unterstützte sie im Sommer 1931 eine Volksabstimmung gegen die preußische SPD-Regierung.

Letzten Endes war die Sozialfaschismuspolitik trotz ihres ultralinken Aussehens nur die Form, in der die KPD-Führung vor dem Faschismus kapitulierte. An die Stelle eines wirklichen Kampfs, der die systematische Mobilisierung der Arbeiterklasse vorausgesetzt hätte, trat lautes Geschrei, das niemanden beeindruckte, außer die KPD-Führer selbst. Trotz dem wortradikalen Getöse vom »Sozialfaschismus« kam diese Politik den SPD-Führern entgegen, die nichts so sehr fürchteten, wie die Mobilisierung der Arbeiterklasse. Eine solche Mobilisierung hätte sich unweigerlich nicht nur gegen den Faschismus, sondern auch gegen dessen Nährboden, den kapitalistischen Staat, gerichtet.

Die Spaltung und Lähmung der Arbeiterklasse ebnete Hitler den Weg an die Macht. Wie sehr der Schlüssel zu den Ereignissen in den Händen der KPD-Führung lag, zeigt allein die Tatsache, dass noch zweieinhalb Monate vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler KPD und SPD bei den Reichstagswahlen zusammen mehr Stimmen erhielten (die SPD 7,2 und die KPD 5,9 Millionen) als die Nazis (11,7 Millionen). Dabei ergeben Wahlen lediglich ein passives Abbild der Gesellschaft und lassen die Dynamik des Klassenkampfs völlig außer Acht. Hätte die KPD mit Taten statt mit Phrasen gegen den Faschismus gekämpft, Teile des verelendeten Kleinbürgertums, die der Demagogie der Nazis zum Opfer fielen, hätten sich stattdessen der KPD angeschlossen.

Die Hauptverantwortung für die deutsche Niederlage trägt ohne Zweifel Stalin. Aber die KPD-Führung unter Thälmann war keineswegs nur Stalins »Opfer«. Stalin konnte sich auf eine »national-sozialistische« Tradition stützen, die weit zurückliegende Wurzeln in der deutschen Sozialdemokratie hatte und auch in der KPD nie völlig überwunden wurde. 1914 hatte die SPD ihren historischen Verrat mit der Formel gerechtfertigt: »Um den Sozialismus aufzubauen, müssen wir das Vaterland verteidigen.« Der Spartakusbund hatte im Namen des Internationalismus dagegen den Kampf geführt. Doch bereits 1923, während der französischen Ruhrbesetzung, wurden in der KPD wieder offen nationalistische Töne laut. Am 13. Mai veröffentlichte die »Rote Fahne« einen Aufruf, in dem es hieß: »Aufgabe der Kommunistischen Partei Deutschlands ist es, den breiten kleinbürgerlichen und intellektuellen nationalistischen Massen die Augen darüber zu öffnen, dass nur die Arbeiterklasse, nachdem sie gesiegt hat, imstande sein wird, den deutschen Boden, die Schätze der deutschen Kultur und die Zukunft der deutschen Nation zu verteidigen.«[10] Dieses Aufgreifen nationalistischer Parolen im Namen einer Hinwendung zu den kleinbürgerlichen Massen fand seinen Höhepunkt im sogenannten »Schlageter-Kurs«, der Verherrlichung eines von den Franzosen hingerichteten Faschisten durch die KPD.

Während dies eine kurze, wenn auch charakteristische Episode blieb, tauchten unter der Führung Thälmanns immer regelmäßiger nationalistische Parolen in der Propaganda der KPD auf. Thälmann neigte dazu, marxistische Politik durch demagogische Phrasen zu ersetzen. Bekannt wurde er durch seine theatralischen Auftritte in der Pose des »Proleten« und seine kriegerischen Aufmärsche in der Uniform des Rotfrontkämpferbunds, die ihn bis heute zum Idol stalinistischer und kleinbürgerlicher Gruppierungen – wie der DKP oder der MLPD – machen. Während die KPD die Sozialdemokraten als »Sozialfaschisten« beschimpfte, passte sie ihre eigene Agitation an die Demagogie der Nazis an. Anfang 1932 erhob sie die Parole der »Volksrevolution«, die aus dem theoretischen Arsenal des Faschismus stammt und den Klassencharakter der Revolution völlig verwischt, zu ihrer zentralen Losung.

Am schärfsten und unerbittlichsten gingen Thälmann und seine Anhänger gegen Trotzki und seine deutschen Mitstreiter vor, die unermüdlich für eine Einheitsfront von KPD und SPD gegen den Faschismus eintraten und unter kommunistischen Arbeitern rasch an Unterstützung gewannen. Noch Ende 1932 beschimpfte Thälmann Trotzki deshalb als »bankrotten Faschisten und Konterrevolutionär«.

Die Komintern reagierte auf die deutsche Niederlage, als wäre nichts geschehen, und betrachtete Hitlers Machtübernahme lediglich als ein Zwischenstadium auf dem Weg zur Revolution. »Die politische Linie und die organisatorische Politik, die das ZK der KPD mit dem Genossen Thälmann an der Spitze bis zum hitlerschen Umsturz befolgte, war vollständig richtig … Die Errichtung der offenen faschistischen Diktatur beschleunigt das Tempo der Entwicklung Deutschlands zur proletarischen Revolution«, hieß es in einer Resolution ihres Exekutivkomitees vom 1. April 1933. Thälmann war inzwischen verhaftet, die KPD verboten und die Gewerkschaftshäuser gestürmt worden.

Trotzki und die Linke Opposition zogen aus der deutschen Niederlage und der Unfähigkeit der Komintern, daraus zu lernen, den Schluss, dass die Dritte Internationale nicht mehr für einen marxistischen Kurs zurückgewonnen werden konnte, und nahmen den Kampf für eine neue, die Vierte Internationale auf, die 1938 gegründet wurde.

Erst der siebte Kongress der Komintern im Sommer 1935 vollzog einen Kurswechsel, indem er die »Volksfront« zur offiziellen und allgemeingültigen Taktik erhob. Oberflächlich betrachtet scheint die Volksfront in krassem Gegensatz zur Sozialfaschismuspolitik zu stehen – erklärte letztere selbst ein Bündnis mit der SPD für unzulässig, billigte die Volksfront nun ausdrücklich auch Bündnisse mit rein bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien. Dieser Gegensatz verflüchtigt sich jedoch, betrachtet man den politischen Inhalt der neuen Linie. Auch sie diente dazu, die Arbeiterklasse zu lähmen. Hatte die Sozialfaschismuspolitik dies durch eine politische Spaltung erreicht, so tat die Volksfront dasselbe, indem sie die Arbeiterklasse an die ohnmächtigsten Vertreter des demokratischen Kleinbürgertums kettete. Um ihre neuen Verbündeten nicht zu verprellen, wurde den Kommunistischen Parteien der Verzicht auf alle revolutionären Forderungen verordnet. Die Volksfront kennzeichnete so den vollständigen Übergang des Stalinismus ins bürgerliche Lager – und dies nur wenige Monate, nachdem die Komintern die Sozialdemokratie wegen desselben Vergehens als sozialfaschistisch beschimpft hatte. Sie wurde zur Grundlage für weitere blutige Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse.

In Frankreich erwürgte die von der Kommunistischen Partei gestützte Volksfrontregierung unter Léon Blum die mächtige Streikbewegung von 1936/37, die noch einmal die Chance bot, das Blatt in Europa zu wenden und damit auch das Hitler-Regime zu erschüttern. Im spanischen Bürgerkrieg schließlich trat die Komintern offen als Totengräber der Revolution auf. Die spanische Kommunistische Partei wurde zur wichtigsten Stütze der bürgerlichen, republikanischen Regierung, die sie gegen alle Angriffe von links verteidigte. Trotzkistische und anarchistische Revolutionäre und Mitglieder der zentristischen POUM wurden von der stalinistisch beherrschten Polizei oder dem sowjetischen Geheimdienst GPU gefangengenommen, gefoltert und ermordet. Nicht wenige spätere DDR-Größen machten sich dabei die Hände blutig; so Wilhelm Zaisser (»General Gomez«), der erste Stasi-Chef, und Erich Mielke. Die Kommunistische Partei erstickte jede gegen die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gewandte Forderung und Initiative im Keim und stieß so die unterdrücktesten Schichten der Bevölkerung, denen es ziemlich gleichgültig war, ob sie unter einer demokratischen oder einer faschistischen Regierung hungerten, in die Passivität oder ins Lager Francos. Indem sie der spanischen Bourgeoisie, die die Arbeiterklasse weit mehr fürchtete als einen Sieg Francos, die militärische Führung überließ, ebnete sie schließlich Franco den Weg zum Sieg.[11]

Stalins Haltung im spanischen Bürgerkrieg wurde nicht zuletzt durch die Überlegung bestimmt, auf keinen Fall Frankreich und Großbritannien, die er als wichtige Verbündete gegen Hitler betrachtete, durch eine erfolgreiche proletarische Revolution in Spanien zu verprellen. Die stalinistische Bürokratie hatte endgültig aufgehört, die internationale Arbeiterklasse als Garant für die Sicherheit der Sowjetunion zu betrachten, stützte sich stattdessen auf Bündnisse mit unterschiedlichen imperialistischen Mächten und war bereit, jede revolutionäre Bewegung ihren außenpolitischen Manövern zu opfern. Wie zynisch sie dabei vorging, zeigte kurz nach der Niederlage des spanischen Proletariats der Pakt Stalins mit Hitler. Hatte die Verteidigung der »demokratischen« imperialistischen Regierungen gegen den Faschismus eben noch als Begründung für die Erdrosselung des spanischen Proletariats gedient, so verbündete sich nun Stalin selbst mit den Faschisten.

Die Volksfront bildet bis heute ein Kernstück stalinistischer Politik. Während viele stalinistische Parteien inzwischen eingestehen, dass mit der Sozialfaschismuspolitik »Fehler« gemacht worden seien, wird die Volksfront als die annehmbare Seite des Stalinismus dargestellt. Dabei wird allerdings geflissentlich übersehen, dass die Moskauer Prozesse die untrennbare Kehrseite derselben Politik bildeten. Der Verzicht auf die Revolution im Namen von »demokratischen« und pazifistischen Bündnissen mit bürgerlichen Kreisen erforderte die Unterdrückung und Ausrottung aller revolutionären Elemente, wie sie die stalinistische Bürokratie auf dem Höhepunkt der Volksfront mit blutiger Konsequenz betrieb.

Selbst die KPD hatte ihren Nutzen für die stalinistische Bürokratie verloren. Kaum einer ihrer Führer überlebte den Zweiten Weltkrieg. Unzählige KPD-Mitglieder, die vor dem Faschismus in die Sowjetunion geflohen waren, fielen den stalinistischen Säuberungen zum Opfer, darunter Thälmanns engste Mitstreiter Neumann und Remmele.[12] Hunderte wurden während des Hitler-Stalin-Pakts an die Gestapo ausgeliefert. Thälmann selbst verbrachte zwölf Jahre in faschistischen Kerkern, bis er schließlich ermordet wurde, obwohl es für Stalin 1939 ein leichtes gewesen wäre, ihn freizubekommen. Als Märtyrer leistete er bessere Dienste denn als lebende Erinnerung an die stalinistischen Verbrechen.

Übrig blieben nur die übelsten Kreaturen und Bluthenker des Stalinismus, Leute wie Ulbricht und Mielke, die den stalinistischen Terror überlebten, weil sie ihre eigenen Genossen denunzierten und ihre unbeschränkte Fähigkeit zur Anpassung bewiesen. Dieser menschliche Abschaum bildete die kommende Führungselite der DDR.

Der Ursprung der DDR

Wie kam es zur Gründung der DDR, nachdem die stalinistische Bürokratie bereits in den dreißiger Jahren jeden Gedanken an eine Ausdehnung der sozialistischen Revolution aufgegeben hatte? Diese Frage, die den Schlüssel für ein Verständnis des Klassencharakters der DDR und der gesellschaftlichen Ursachen ihres Zusammenbruchs liefert, wird in der Regel sorgfältig umgangen.

Tatsache ist, dass Stalin 1945 nichts ferner lag als der Gedanke an ein sozialistisches Deutschland. Er fürchtete ebenso wie seine imperialistischen Verbündeten Roosevelt und Churchill, dass dem Zweiten Weltkrieg ähnlich wie dem Ersten eine Welle revolutionärer Aufstände folgen würde, die auch die Fundamente seines eigenen Regimes erschüttert hätte. Er traf deshalb frühzeitig Vorkehrungen, um einer solchen Entwicklung zuvorzukommen und zu verhindern, dass mit dem Hitler-Regime auch die deutsche Bourgeoisie insgesamt zusammenbrach.

Im Sommer 1943, als sich nach dem sowjetischen Sieg in Stalingrad die deutsche Niederlage abzeichnete, wurde unter Ulbrichts Leitung das »Nationalkomitee Freies Deutschland« gebildet. Unter der Aufsicht von KPD-Funktionären, zu denen neben Ulbricht auch Pieck und Becher gehörten, gewann es deutsche Wehrmachtsoffiziere aus sowjetischen Kriegsgefangenenlagern zur Mitarbeit. Als Gegenleistung wurde ihnen versprochen, dass das Deutsche Reich in seiner alten Form erhalten und eine sozialistische Revolution verhindert würde; sie selbst sollten im neuen Deutschland führende Positionen einnehmen. Das »Nationalkomitee Freies Deutschland« übernahm die Verantwortung für die sowjetische Propaganda in Deutschland. Seine Anbiederung an die rechtesten Kreise ging so weit, dass es nicht unter der schwarz-rot-goldenen Fahne der Weimarer Republik, sondern unter der schwarz-rot-weißen des Kaiserreichs auftrat. Die »national-sozialistische« Strömung, die in der KPD bereits mit dem »Schlageter-Kurs« und Thälmanns Anbiederung an die Demagogie der Faschisten an die Oberfläche gekommen war, gelangte nun zu voller Blüte. Bis in die fünfziger Jahre hinein sollte sie die Hauptachse der Politik der KPD und der SED bleiben.

Bei Kriegsende wurden Gruppen von emigrierten KPD-Funktionären, darunter die »Gruppe Ulbricht«, mit dem Auftrag in die sowjetisch besetzte Zone geschickt, sofort alle spontan entstandenen antifaschistischen Komitees und Betriebsräte aufzulösen und Verwaltungen aufzubauen, an denen auch bürgerliche Kräfte beteiligt wurden. Ulbricht selbst schrieb am 9. Mai 1945 nach Moskau:

Die spontan geschaffenen KPD-Büros, die Volksausschüsse, die Komitees der Bewegung »Freies Deutschland« und die Ausschüsse der Leute des 20. Juli, die vorher illegal arbeiteten, treten jetzt offen auf. Wir haben diese Büros geschlossen und den Genossen klar gemacht, dass jetzt alle Kräfte auf die Arbeit der Stadtverwaltungen konzentriert werden müssen. Die Mitglieder der Ausschüsse müssen ebenfalls in die Stadtverwaltungen überführt und die Ausschüsse selbst liquidiert werden.[13]

Wolfgang Leonhard, damals Mitglied der »Gruppe Ulbricht«, berichtet in seinem Buch »Die Revolution entlässt ihre Kinder« ausführlich über die rücksichtslose Auflösung aller spontan entstandenen Komitees und kommt zu dem Fazit:

Erst bei meinem Bruch mit dem Stalinismus wurde mir der Sinn der damaligen Direktive gegen die spontan entstandenen Antifaschistischen Komitees klar: Es war nicht ein Fehler in einer Teilfrage, sondern ein Wesenszug der stalinistischen Politik. Der Stalinismus kann nicht zulassen, dass durch selbständige Initiative von unten antifaschistische, sozialistische und kommunistische Bewegungen oder Organisationen entstehen, denn er liefe stets Gefahr, dass sie sich seiner Kontrolle zu entziehen und sich gegen Direktiven von oben zu stellen versuchten. Die Auflösung der Antifaschistischen Komitees war daher nichts anderes als die Zertrümmerung erster Ansätze einer vielleicht machtvollen, selbständigen, antifaschistischen und sozialistischen Bewegung. Es war der erste Sieg des Apparates über die selbständigen Regungen der antifaschistischen, links eingestellten Schichten Deutschlands.[14]

Angesichts der Niederlage und völligen Diskreditierung der deutschen Bourgeoisie waren 1945 selbst CDU und SPD gezwungen, sich in pseudosozialistische Phrasen zu hüllen. Es blieb der KPD überlassen, die aufgrund des Siegs der Roten Armee über Nazi-Deutschland über die größte Autorität in der Arbeiterklasse verfügte, offen das Programm der Wiederherstellung des bürgerlichen Staats zu verkünden. In einem Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945 wurde eine sozialistische Perspektive ausdrücklich abgelehnt. Es hieß dort:

Wir sind der Auffassung, dass der Weg, Deutschland das ­Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, dass die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.

Als eine der »unmittelbarsten und dringendsten Aufgaben« wurde die »völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlage des Privateigentums« angeführt.[15]

Vor allem unter KPD-Mitgliedern, die während der Hitler-Diktatur Widerstand im Untergrund geleistet hatten, stieß diese Linie auf Ablehnung. Im Mai 1945 beklagte sich Ulbricht in einem Brief an Pieck in Moskau:

Wir müssen uns Rechenschaft legen darüber, dass die Mehrheit unserer Genossen sektiererisch eingestellt ist, und dass möglichst bald die Zusammensetzung der Partei geändert werden muss durch die Hereinnahme aktiver Antifaschisten, die sich jetzt in der Arbeit bewähren. Manche Genossen führen unsere Politik mit Augenzwinkern durch, manche haben den guten Willen, aber dann ist bei ihnen doch die Losung »Rot Front«, und manche, vor allem in den komplizierten Bezirken Charlottenburg und Wilmersdorf, reden über Sowjetmacht und ähnliches. Wir haben energisch den Kampf gegen die falschen Auffassungen in den Reihen unserer Genossen geführt, aber immer wieder tauchen neue Genossen auf, die mit den alten Fehlern von vorne beginnen.[16]

Während die größtenteils von kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitern geleiteten antifaschistischen Komitees aufgelöst wurden, ließ die Sowjetische Militäradministration bereits im Juni 1945, mehr als zwei Monate früher als in den Westzonen, neben KPD und SPD auch die bürgerlichen Parteien Christlich-Demokratische Union (CDU) und Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDP) zu. Das Führungspersonal der Ost-CDU bestand fast ausschließlich aus alten Zentrums-Politikern, die den stalinistischen Zielen durchwegs wohlwollend gegenüberstanden. Im Juli taten sich KPD, SPD, CDU und LDP zur »Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien«, dem »Antifa-Block« zusammen. Die Einheitsbestrebungen von unten wurden so durch einen Block von oben beantwortet. Dies geschah keineswegs unter »Zwang«, wie es diese Parteien heute rückwirkend gerne darstellen möchten. Das Abwürgen der von der Arbeiterklasse getragenen, spontanen antifaschistischen Bewegung entsprach durchaus ihrem gemeinsamen Interesse. Zu den CDU-Führern, die damals den von den Stalinisten inspirierten Block mittrugen, gehörten Jakob Kaiser und Ernst Lemmer, die später beide Ministerämter in Bonn übernahmen.

Auch die Vereinigung von SPD und KPD zur SED im April 1946 war kein Zwangsakt. Bereits im illegalen Widerstand hatte sich aufgrund der bitteren Erfahrung von 1933 eine enge Zusammenarbeit von SPD- und KPD-Mitgliedern entwickelt. Unmittelbar nach Kriegsende wandte sich dann der Zentralausschuss der SPD – er war im Mai 1945 in Berlin unter Führung von Otto Grotewohl, Max Fechner und anderen hochrangigen SPD-Funktionären der Weimarer Republik in Konkurrenz zur Schumacher-Gruppe in Hannover und dem Londoner Exilvorstand der SPD gegründet worden – mit einem Einheitsangebot an die KPD. Die KPD-Führung lehnte ab, da ihr eigener Apparat dafür noch zu wenig gefestigt war. Im Herbst änderte sie ihre Haltung und im April 1946 wurde die Vereinigung vollzogen. So wurden die Bestrebungen nach einer einheitlichen Arbeiterpartei durch den Zusammenschluss zweier Bürokratien beantwortet. Möglich wurde dieser Zusammenschluss, weil SPD- und KPD-Führung in den grundlegenden politischen Fragen übereinstimmten: der Unterdrückung der spontanen, antikapitalistischen Bewegung und der Errichtung eines bürgerlichen Staats. Der wütende Antikommunismus, mit dem sich die West-SPD unter Kurt Schumacher diesem Zusammenschluss widersetzte, war nur die Kehrseite derselben arbeiterfeindlichen Politik.

Die bürgerliche Geschichtsschreibung versucht in der Regel, den prokapitalistischen Kurs der KPD der Nachkriegsjahre, sofern sie ihn überhaupt zur Kenntnis nimmt, als teuflischen Trick abzutun, mit dem der Stalinismus seine wahren, expansionistischen Bestrebungen vertuschte. Solche Verschwörungstheorien mögen einen dankbaren Stoff für Agentenfilme abgeben, zur Erhellung der Geschichte tragen sie nichts bei. Stalins Politik war nicht durch irrationale Weltherrschaftsgelüste, sondern durch ein völlig berechenbares Motiv bestimmt: die Selbsterhaltung der Bürokratie, wobei die Furcht vor der Arbeiterklasse gegenüber der Furcht vor dem Imperialismus eindeutig überwog. So brutal er gegenüber seinen linken Gegnern in der Arbeiterbewegung vorging, so zurückhaltend, ja feige war er im Umgang mit dem Imperialismus.

Sein Vorgehen in Deutschland entsprach der Strategie, die er weltweit verfolgte. Sie zielte darauf ab, bürgerliche Regimes durch die Unterdrückung proletarischer Erhebungen zu stärken, während gleichzeitig gewisse Garantien gegen einen erneuten imperialistischen Überfall auf die Sowjetunion angestrebt wurden.

In Italien und Frankreich, wo die stalinistischen Parteien an der Spitze des bewaffneten antifaschistischen Widerstands standen, erzwangen sie die Entwaffnung der Arbeiterklasse und ihre Unterordnung unter den bürgerlichen Staat. In Frankreich trat die Kommunistische Partei (KPF) sogar vorübergehend in die Regierung der gebrechlichen Vierten Republik ein und unterstützte den französischen Imperialismus gegen die kolonialen Erhebungen in Vietnam und Algerien. In Griechenland billigte Stalin die blutige Niederschlagung des kommunistischen Aufstands mit britischer Unterstützung. Und selbst in China gewährte er bis zu ihrer Niederlage im Jahr 1949 der bürgerlichen Kuomintang Chiang Kai-sheks Beistand gegen die Rote Armee Mao Zedongs.

Vertraglich festgelegt wurde diese Strategie in den Abkommen von Jalta und Potsdam. Stalin sicherte seinen imperialistischen Verbündeten die unangefochtene Kontrolle über die westliche Welt zu und verpflichtete sich zum Eintritt in die UNO. Als Gegenleistung anerkannten diese die sowjetische Vorherrschaft über eine »Pufferzone«, bestehend aus den von der Roten Armee besetzten, an die Sowjetunion angrenzenden Staaten. Dieses Zugeständnis fiel ihnen umso leichter, als die Bourgeoisie in diesen Ländern durch ihre Zusammenarbeit mit den Nazis vollständig diskreditiert war und kaum in der Lage gewesen wäre, sich gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. Die stalinistische Bürokratie übernahm stellvertretend für die Bourgeoisie die Aufgabe, die Arbeiterklasse niederzuhalten.

Indem der Stalinismus seinen durch den Sieg der Roten Armee über die Nazis gewachsenen Einfluss benutzte, um weltweit die Kämpfe der Arbeiterklasse zurückzudrängen, schuf er die politischen Voraussetzungen, die es dem Imperialismus erlaubten, sich auch ökonomisch wieder zu festigen. Der Imperialismus verdankte sein Überleben nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie der konterrevolutionären Rolle der stalinistischen Bürokratie.

Auch die Teilung Deutschlands, die in Jalta und Potsdam durch das Festlegen von Besatzungszonen praktisch besiegelt wurde, diente vorrangig diesem Ziel. Durch die Spaltung sollte vor allem eine vereinte Offensive der deutschen Arbeiterklasse verhindert werden. Stalin strebte zu jenem Zeitpunkt allerdings weder einen selbständigen ostdeutschen Staat noch die Übertragung des sowjetischen Gesellschaftssystems auf Deutschland an. Ihm schwebte ein wirtschaftlich und militärisch geschwächtes, politisch neutrales, aber kapitalistisches Deutschland vor.

Erst der Ausbruch des Kalten Kriegs zwang ihn zu einem Kurswechsel. Die Hoffnung auf langdauernde, friedliche Beziehungen zum Imperialismus erwiesen sich schnell als Illusion. In dem Maße, wie sich die westlichen Regimes von den Kriegsfolgen erholten und – dank der stalinistischen Unterstützung – politisch stabilisierten, begannen sie die Sowjetunion wirtschaftlich und politisch unter Druck zu setzen. Bereits im März 1946 prägte Churchill in einer Rede im amerikanischen Fulton den Begriff vom »eisernen Vorhang«, der sich über den europäischen Kontinent gelegt habe. Im Mai 1946 stoppten die USA die in Jalta vereinbarten Reparationslieferungen an die Sowjetunion aus der amerikanischen Zone. 1947 begann der systematische wirtschaftliche Aufbau Westeuropas durch den Marshallplan. 1948 wurden die Grundlagen für die NATO gelegt und 1950 erreichte der Kalte Krieg mit dem Ausbruch des Koreakrieges seinen vorläufigen Höhepunkt.

Die stalinistische Bürokratie brachte der wachsende imperialistische Druck in mehrerer Hinsicht in Bedrängnis. Zum einen vertiefte sich der Konflikt mit der Arbeiterklasse, die Hauptleidtragende der Demontagen und Reparationszahlungen sowie der zunehmenden Isolation war und zu immer höheren Arbeitsleistungen angetrieben wurde. Dieser Konflikt gipfelte schließlich im Aufstand vom 17. Juni 1953 und seiner gewaltsamen Niederschlagung. Gleichzeitig orientierten sich die bürgerlichen Elemente, die sie in den besetzten Gebieten als Gegengewicht zur Arbeiterklasse großgezogen hatte, zunehmend am Westen und gefährdeten die Stellung der Bürokratie.

SED und Sowjetische Militäradministration reagierten, indem sie die Zügel straffer anzogen. Die SED wurde 1948/49 zu einer »Partei neuen Typus« nach dem Vorbild der KPdSU umgewandelt, und der Parteivorstand beschloss eine »Säuberung der Partei von feindlichen und entarteten Elementen«. Die Anerkennung der »führenden Rolle der Sowjetunion« wurde als verbindlich erklärt. Der Stalinkult trieb die üppigsten Blüten. Widerstand gegen diese Linie galt als »antisowjetische Propaganda« und führte zum sofortigen Parteiausschluss. Ehemalige Sozialdemokraten, die bisher paritätisch in den Führungsgremien vertreten waren, wurden verdrängt und durch moskautreue Stalinisten ersetzt. Auch die Führungsspitzen von CDU und LDP wurden entsprechend gesäubert.

Ähnliche Entwicklungen fanden in dieser Zeit auch in anderen Ostblockstaaten statt. So wurde der ungarische Innenminister László Rajk 1949 nach einem Schauprozess hingerichtet. In der Tschechoslowakei ereilte drei Jahre später den Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Rudolf Slánský, dasselbe Schicksal. In Deutschland war ein ähnlicher Schauprozess gegen die Politbüromitglieder Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser in Vorbereitung, endete aber 1953 aufgrund der veränderten politischen Lage nur mit Parteiausschlüssen. Bei den Opfern solcher Prozesse handelte es sich in der Regel um linientreue Stalinisten, die lediglich mehr Spielraum für die eigene, nationale Bürokratie gegenüber Moskau anstrebten und auf eigene Rechnung Beziehungen zum Imperialismus anknüpfen wollten. Denselben Hintergrund hatte auch die Auseinandersetzung mit Tito, die 1948 ausbrach und schließlich zum Bruch zwischen Moskau und Belgrad führte. Der Konflikt mit Tito spielte bei den Säuberungen in Deutschland eine wichtige Rolle; viele der Ausgeschlossenen wurden des »Titoismus« beschuldigt.

Die Hauptstoßrichtung der Säuberungen richtete sich aber gegen Arbeiter und alte Kommunisten in der Partei. In zwei Wellen –1948/49 und 1950/51 – wurden Zehntausende von Mitgliedern ausgeschlossen und durch Karrieristen, Apparatschiks und Staatsangestellte ersetzt, so dass schließlich nicht nur die Spitzen der Partei, sondern auch die Mitgliedschaft völlig von der Bürokratie dominiert wurde. Bereits nach der ersten Säuberungswelle waren 40 Prozent aller Lehrer, über ein Drittel aller Angestellten, aber nur 20 Prozent aller Industriearbeiter in der SED organisiert. Anfang der fünfziger Jahre umfasste der Funktionärsapparat von Partei, Staat und Wirtschaft, der das Gros der Parteimitgliedschaft ausmachte, bereits rund eine halbe Million Mitglieder. So wurde die SED während dieser Zeit zu der Partei, die sie bis zu ihrem Zusammenbruch im Herbst 1989 blieb, zur Staatspartei einer privilegierten Bürokratie.

Der »Marxismus-Leninismus«, der in dieser Zeit zur offiziellen Parteiideologie erhoben wurde, hatte mit der revolutionären Doktrin von Marx und Lenin nichts gemein. Diese stalinistische Karikatur des Marxismus diente lediglich als Ritual, mit dem die Parteimitgliedschaft auf unbedingten Gehorsam gegenüber der Führung eingeschworen wurde.

Die gemeinsamen alliierten Kontroll- und Verwaltungsorgane brachen in dieser Zeit rasch auseinander. Ende 1946 vereinbarten die USA und Großbritannien die Zusammenlegung ihrer Besatzungszonen zu einer Bi-Zone, die Keimzelle der späteren Bundesrepublik. Frankreich, das wie die Sowjetunion vorrangig an hohen Reparationszahlungen interessiert war, schloss sich erst später an. Im Innern Deutschlands wurde die Herausbildung eines getrennten, eng mit den USA verbündeten westdeutschen Staats vor allem von den Vorsitzenden der CDU, Konrad Adenauer, und der SPD, Kurt Schumacher, vorangetrieben. Politische Gegner dieses Kurses, wie etwa der Gewerkschaftstheoretiker Victor Agartz, wurden mit brutalen Mitteln verfolgt und zum Schweigen gebracht. Im Juni 1948 wurde in den Westzonen eine einseitige Währungsreform durchgeführt; der sowjetischen Zone drohte das wirtschaftliche Ausbluten. Die stalinistische Bürokratie antwortete mit der Berlin-Blockade. Im Mai 1949 wurde schließlich mit der Verkündung des Grundgesetzes die Bundesrepublik als selbständiger Staat konstituiert. Der Osten reagierte darauf am 7. Oktober mit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik.

Politisch und ideologisch war die Gründungszeit der DDR mit einem ausgeprägten Rechtsschwenk verbunden. Da die Bürokratie in scharfem Konflikt zur Arbeiterklasse stand, konnte sie gegen den wachsenden Druck des Imperialismus nicht an diese appellieren. Stattdessen versuchte sie, durch nationalistische Parolen rechte Schichten an sich zu binden. 1948 gründete sie zu diesem Zweck zwei neue, rechte Parteien, die National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) und die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD), die beide von erfahrenen stalinistischen Kadern geführt wurden. 1949 rief sie die Nationale Front ins Leben, die unter Kontrolle der SED Mitglieder aller Parteien und Massenorganisationen vereinte.

Über Bedeutung und Aufgabe der Nationalen Front schreibt Hermann Weber:

Schon bei ihrer Gründung 1949 hatte sich die Nationale Front zur »Zwei-Lager-Theorie« bekannt und erklärt, es gebe nur noch einen Feind: »Dieser Feind ist der amerikanische Imperialismus. Er hat das Erbe des Hitlerfaschismus im Kampf um die Weltherrschaft angetreten. Die herrschenden Kreise des heutigen Amerika bereiten einen neuen furchtbaren Weltkrieg vor.« Für die SED war es nun zweitrangig, ob jemand einmal Nazi gewesen war: »Der Standpunkt jedes Deutschen in dem großen nationalen Befreiungskampf des deutschen Volkes ist der entscheidende Gradmesser und nicht die frühere Organisationszugehörigkeit.« Entsprechend sollten nunmehr auch »frühere Beamte, Soldaten, Offiziere und Generale der deutschen Wehrmacht sowie die früheren Nazis« in der Nationalen Front mitarbeiten. Die SED forderte die »völlige rechtliche Gleichstellung der früheren Mitglieder der Nazipartei« und eine »Amnestie« für die Mitglieder der NSDAP mit »Ausnahme derjenigen, die eine gerichtliche Strafe verbüßen«. Ulbricht war noch vor der DDR-Gründung sogar so weit gegangen, bei einem Vergleich Nazis den kritischen CDU- und LDP-Mitgliedern vorzuziehen: »Wir haben heute in der sowjetischen Besatzungszone nicht wenige frühere aktive Nazis, die eine verantwortliche Arbeit leisten. Jedenfalls können sie bestimmte Leistungen aufweisen, was man von einigen Mitgliedern der Christlich-Demokratischen Union und Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands nicht sagen kann, die nach Washington und London schielen.«[17]

Eine ähnliche Funktion erfüllte die NDPD. Sie stützte sich auf ehemalige Offiziere, NSDAP-Mitglieder (die von CDU und LDPD nicht aufgenommen werden durften) und bürgerliche Kreise. Eines ihrer Gründungsplakate trug, genehmigt von der Sowjetischen Militäradministration, den Text: »Gegen den Marxismus – für die Demokratie«. Und in der ersten Ausgabe ihrer »National-Zeitung« erklärte sie, es sei nicht »schimpflich«, ein »guter Soldat« gewesen zu sein, und polemisierte »gegen die Verräter an der deutschen Sache«.

In dieser Atmosphäre wurde am 7. Oktober 1949 die Gründung der DDR vollzogen. Sie stand ganz im Zeichen nationalistischer Parolen. Das Gründungsmanifest der Volkskammer trug den Titel »Die nationale Front des demokratischen Deutschland« und erwähnte den Sozialismus als Staatsziel mit keinem Wort. Wie die Bundesregierung in Bonn erhob auch die DDR-Regierung in Berlin den Anspruch, das gesamte Deutschland zu vertreten. In der Nationalhymne, verfasst von Johannes R. Becher, fanden sich die Worte »Deutschland, einig Vaterland«. Als DDR-Regierungschef Modrow mit dieser Parole den Kurs auf die Wiedervereinigung einleitete, erfand er nichts Neues, sondern griff lediglich in die Mottenkiste stalinistischer Ideologie. Es sollten noch drei Jahre vergehen, bis die SED die »planmäßige Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR« beschloss, und weitere 20 Jahre, bis sie den Begriff »deutsche Nation« aus der DDR-Verfassung strich.

Der DDR-Staat war nicht das Ergebnis einer revolutionären Erhebung der Arbeiterklasse, sondern entstand aus einem Selbstverteidigungsreflex der stalinistischen Bürokratie, die fürchtete, zwischen Arbeiterklasse und Imperialismus zerrieben zu werden. Die Arbeiterklasse war an ihrer Entstehung weitgehend unbeteiligt. Das erklärt bis zu einem gewissen Grad, weshalb sie vierzig Jahre später auch ihrem Untergang nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, ja ihn mit Erleichterung zur Kenntnis nahm.

Verstaatlichung und Sozialismus

Für eine Einschätzung des historischen Stellenwerts der DDR reicht allerdings die Untersuchung der Motive der stalinistischen Bürokratie nicht aus. Wirkte sie – unter dem Druck der Arbeiterklasse – nicht trotz ihrer unbestreitbar reaktionären Züge als Instrument des historischen Fortschritts? Bestätigen dies nicht die umfangreichen Verstaatlichungen, die sie vornahm? Sind es nicht die Eigentumsverhältnisse, die laut Marx den Charakter eines Gesellschaftssystems bestimmen?

Solche und ähnliche Argumente, die sich durchaus mit Kritik an einzelnen Aspekten des Regimes vertragen, sind immer wieder zur Rechtfertigung der DDR angeführt worden. Zusammengefasst wurden sie in dem Begriff »real existierender Sozialismus«, der vor allem in der westdeutschen Linken zur Charakterisierung der DDR-Gesellschaft diente. Mit diesem Begriff wurde zwar eingeräumt, dass die DDR nicht dem sozialistischen Ideal entsprach, sie galt aber dennoch als sozialistisch, gewissermaßen als die Übertragung des Ideals in die alles andere als ideale irdische Wirklichkeit.

Systematisch entwickelt wurden diese Auffassungen vom Pablismus, der prostalinistischen Tendenz, die sich zu Beginn der fünfziger Jahre innerhalb der Vierten Internationale entwickelte. Pablo, der damalige Sekretär der Vierten Internationale, und Ernest Mandel, der heutige Führer der Pablisten, nahmen die umfangreichen Verstaatlichungen in Osteuropa zum Anlass, Trotzkis Einschätzung des Stalinismus als konterrevolutionäre Agentur des Imperialismus zu revidieren. Unter dem Druck der Arbeiterklasse auf der einen und des Kalten Kriegs auf der anderen Seite, behaupteten sie, sei die stalinistische Bürokratie gezwungen, eine fortschrittliche Rolle zu spielen. Pablo verstieg sich sogar zu der Feststellung, der Übergang zum Sozialismus werde sich über »Jahrhunderte« hinweg in Form solcher stalinistischen Diktaturen vollziehen, wie sie in Osteuropa gerade errichtet wurden.

Pablo gelangte so nicht nur zu einer Neueinschätzung des Stalinismus, sondern auch der traditionellen marxistischen Auffassung über den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus. Für den Marxismus war die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft niemals nur eine Sache von Verstaatlichungen; viel wichtiger war die Frage, welche Klasse diese Verstaatlichungen durchführt. Der Aufbau des Sozialismus setzt ein aktives und bewusstes Eingreifen der Arbeiterklasse voraus. Gerade darin bestand die Bedeutung der Oktoberrevolution in Russland. Zum ersten Mal in der Geschichte hatte dort die Arbeiterklasse die Staatsmacht in die eigenen Hände genommen und systematisch mit der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse in ihrem Interesse begonnen. Indem die stalinistische Bürokratie die Arbeiterklasse von der Macht verdrängte, entriss sie ihr auch die politische Initiative. Die Sowjetunion verwandelte sich aus einem fortschrittlichen Faktor der Weltgeschichte mehr und mehr in einen konservativen, stabilisierenden Faktor, dem schließlich der Imperialismus sein Überleben verdankte.

Den Klassencharakter des Sowjetstaats veränderte die Machtübernahme der Bürokratie allerdings vorerst nicht. Weil ihre Privilegien auf der Ausbeutung des vergesellschafteten Eigentums beruhten, fuhr sie fort, dieses gegen den Imperialismus und gegen allzu ungeduldige und habgierige Schichten der Bürokratie selbst zu verteidigen. Sie tat dies allerdings mit Methoden, die den Zusammenbruch der gesamten Sowjetgesellschaft vorbereiteten.

Der grundlegende Unterschied zwischen der DDR und der Sowjetunion besteht darin, dass in der DDR die Verstaatlichungen von vornherein von der Bürokratie durchgeführt wurden und nicht das Ergebnis einer siegreichen proletarischen Revolution waren.

Die ersten Enteignungen nach Kriegsende dienten dazu, die deutsche Industrie in den Dienst des Wiederaufbaus der kriegsgeschädigten Sowjetwirtschaft zu stellen. Die umfangreichen Demontagen und Reparationsleistungen, welche die Sowjetische Militäradministration durchführte, trafen weniger die Bourgeoisie als die Arbeiterklasse, die viele Industrieanlagen in eigener Regie wieder aufgebaut hatte. Sie bewirkten, dass sich die anfänglich vorhandenen Sympathien für die Sowjetunion merklich abkühlten. Erst als unter dem Druck des Marshallplans und des Kalten Kriegs der Versuch scheiterte, in ganz Deutschland ein neutrales, bürgerliches Regime zu errichten, ging die Bürokratie dazu über, die Eigentumsverhältnisse der Sowjetunion systematisch auf den Osten Deutschlands zu übertragen.

Die Arbeiterklasse verfolgte die Enteignungsmaßnahmen anfangs mit Sympathie. Im Sommer 1946 sprachen sich in Sachsen bei einem Volksentscheid 78 Prozent für die Enteignung der Großbetriebe aus, die sich im Besitz von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten befanden. Doch die Bürokratie handelte ausschließlich zur Absicherung ihrer eigenen Stellung und achtete dabei sorgfältig darauf, dass es zu keiner Mobilisierung der Arbeiterklasse kam. Mit den Verstaatlichungen ging eine enorme Verschärfung der Arbeitshetze durch Lohndifferenzierung und Akkordlöhne einher, während gleichzeitig alle Betriebsräte aufgelöst und durch Organe der Bürokratie, die sogenannten Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL), ersetzt wurden. Die ständige Erhöhung der Arbeitsnormen wurde schließlich zum Auslöser für den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953.

Dieses Muster – die Ankündigung weiterer Schritte zum »Aufbau des Sozialismus« durch die Bürokratie in Verbindung mit verschärften Ausbeutungs- und Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse – prägt die gesamte vierzigjährige Geschichte der DDR. So wurde 1957 ein Passgesetz erlassen, das nicht nur jede Reise ins Ausland, sondern auch jede Fahrt im Inland strikter staatlicher Kontrolle unterwarf – und als »Schritt zur Festigung und allseitigen Erweiterung des Sozialismus« gepriesen. 1958 beschloss der 5. Parteitag der SED die »Vollendung des Sozialismus bis 1965« – und leitete die größte Säuberungswelle in der Geschichte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB) ein; mehr als zwei Drittel aller Gewerkschaftsfunktionäre wurden durch 100prozentig linientreue Bürokraten ersetzt. Viele, vor allem jüngere Arbeiter entzogen sich dem wachsenden Druck durch die Flucht in den Westen, bis die Bürokratie im August 1961 die Berliner Mauer errichtete. Unnötig zu sagen, dass auch dieses abscheuliche Symbol stalinistischer Unterdrückung als »antifaschistischer Schutzwall« und sozialistische Errungenschaft glorifiziert wurde.

Die Verstaatlichungen, die Zentralisierung der Industrie in den Händen des Staats und die Einführung von Planelementen in die Wirtschaft boten zweifellos einen großen Vorteil. Auf der Grundlage des Privateigentums hätte sich niemals in so kurzer Zeit eine derart mächtige Industrie entwickeln können.[18] Zu einer sozialistischen Gesellschaft wurde die DDR aber trotz allen anderslautenden Beteuerungen der Bürokratie durch die Verstaatlichungen nicht. Dazu wäre ein wesentlich höheres Niveau der Arbeitsproduktivität nötig gewesen, wie es nur auf der Grundlage der internationalen Arbeitsteilung erreicht werden kann. Die DDR hinkte trotz beachtlicher Fortschritte auf den meisten Gebieten technologisch weit hinter den höchstentwickelten kapitalistischen Ländern hinterher.

Während das kapitalistische Eigentum abgeschafft wurde, blieben die Verteilungsnormen während der gesamten Lebenszeit der DDR rein bürgerlich. Die soziale Ungleichheit wurde im Laufe der Zeit sogar durch zahlreiche legale und halblegale Quellen der Korruption, wie die Intershops für Devisenbesitzer, noch verschärft.

Die DDR war wie die Sowjetunion eine widerspruchsvolle Gesellschaft, die zwar nicht mehr kapitalistisch, aber auch nicht sozialistisch war. Der Staat hatte, insofern er die Bourgeoisie unterdrückte, das Privateigentum beseitigte und die durch die Oktoberrevolution geschaffenen Eigentumsverhältnisse auf die DDR übertrug, seinen bürgerlichen Charakter verloren. Ein Arbeiterstaat war er aber nur in einem völlig entstellten Sinn. Die Arbeiterklasse selbst war weder an seiner Entstehung noch an seinen Entscheidungen beteiligt.

Die Bürokratie sah sich wiederholt gezwungen, soziale Zugeständnisse an die Arbeiterklasse zu machen, die vor allem auf dem Gebiet der Erziehung, der Krankenversorgung, der sozialen Absicherung, der Freizeitgestaltung und der Kultur wesentlich weiter gingen als in den meisten kapitalistischen Ländern und die nach der Wiedervereinigung als erste der kapitalistischen Restauration zum Opfer fielen. Aber um »sozialistische Errungenschaften« handelte es sich dabei nicht. Ähnlich wie die sozialen Reformen, die die Sozialdemokratie im Westen organisierte, um die Klassengegensätze zu dämpfen, dienten auch in der DDR die Zugeständnisse dazu, die Arbeiterklasse zu beschwichtigen und die Herrschaft der Bürokratie zu festigen.

Zum Ausgangspunkt für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft hätten die Eigentumsverhältnisse der DDR nur werden können, wenn die Arbeiterklasse gegen die Bürokratie rebelliert, die Staatsmacht in die eigenen Hände genommen und sich mit dem internationalen Proletariat verbündet hätte. Gerade dies aber suchte die Bürokratie mit allen Mitteln zu verhindern. Zu diesem Zweck unterhielt sie nicht nur den riesigen Stasi-Apparat mit über 200 000 voll- und nebenamtlichen Mitarbeitern, sie schnitt auch die Arbeiter systematisch von jedem Kontakt mit ihren Klassenbrüdern im Westen ab. Vor allem aber wog der Schaden, den ihre im Namen des »Sozialismus« begangenen Verbrechen am Bewusstsein des internationalen Proletariats anrichteten, weit schwerer als alle Vorteile des verstaatlichten Eigentums und der sozialen Errungenschaften in der DDR.

Die westdeutsche Bourgeoisie und insbesondere die SPD waren sich über den Nutzen der stalinistischen Bürokratie für die Sicherung ihrer eigenen Herrschaft durchaus bewusst. Während sie stalinistische Verbrechen – wie die Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni und den Mauerbau – systematisch propagandistisch ausschlachtete, achtete sie sorgfältig darauf, dass die Spaltung der Arbeiterklasse bestehen blieb. Das zeigte sich beispielhaft am 17. Juni. Der Aufstand im Osten fiel damals mit einer massiven Streikwelle im Westen zusammen. Als mehrere zehntausend DDR-Arbeiter durch West-Berlin zogen und zur Solidarität aufriefen, warnte Adenauer in einer Regierungserklärung vor »unbedachten Handlungen«, und SPD und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) setzten alle Hebel in Bewegung, um ein Übergreifen des Streiks abzuwenden. Drei Jahre später war es Willy Brandt persönlich, der mit dem Megaphon in der Hand verhinderte, dass Zehntausende West-Berliner Arbeiter durch das Brandenburger Tor marschierten, um sich mit ihren Kollegen im Osten zum Protest gegen die blutige Niederschlagung des Ungarn-Aufstands zu vereinen.

Die SED selbst bezeichnete, wie wir bereits gesehen haben, die DDR zur Zeit ihrer Gründung nicht als sozialistischen Staat. Stattdessen versuchte sie sie, wie dies auch im Staatsnamen zum Ausdruck kommt, als Vollendung der bürgerlichen Revolution in Deutschland darzustellen. Bereits 1947 hatte sie einen »Volkskongress« unter der Parole einberufen: »Was 1848 unvollendet blieb, müssen wir jetzt vollenden.« Später versuchte sie dann die Entwicklung der DDR als friedliches Hinüberwachsen von der Demokratie in den Sozialismus auszugeben.

Der einzige Wert dieser Theorien bestand in der ideologischen Rechtfertigung der Herrschaft der Bürokratie. Sie standen in offenem Widerspruch zu allen traditionellen marxistischen Auffassungen über die Entwicklung in Deutschland. Die ungelösten Aufgaben der bürgerlichen Revolution von 1848 waren in Wirklichkeit bereits von Bismarck gelöst worden; allerdings von oben, nicht mit demokratischen Methoden, sondern gestützt auf den feudalen preußischen Staatsapparat. Das änderte aber nichts daran, dass Deutschland das 20. Jahrhundert als voll ausgebildete kapitalistische Gesellschaft betrat. Die Revolution von 1918 war, wie Trotzki einmal scharfsinnig bemerkte, »keine demokratische Vollendung der bürgerlichen Revolution«, sondern »eine von der Sozialdemokratie enthauptete proletarische Revolution – richtiger gesagt, es ist die bürgerliche Konterrevolution, die nach dem Siege über das Proletariat gezwungen ist, pseudodemokratische Formen zu bewahren.«[19]

Wie verfault die kapitalistische Gesellschaft in Deutschland war und wie untauglich, eine lebensfähige bürgerliche Demokratie hervorzubringen, zeigte der Aufstieg des Faschismus. Sein Zusammenbruch stellte nicht einen neuen Versuch zur Errichtung der bürgerlichen Demokratie, sondern die sozialistische Revolution auf die Tagesordnung. Ihre Unterdrückung war vor allem das Werk des Stalinismus. Im Westen konnte die Bourgeoisie deshalb den Staatsapparat des Dritten Reichs – seine Beamten, Richter, Polizisten und Lehrer – nahezu intakt übernehmen und erneut mit einer pseudodemokratischen Fassade verkleiden, die heute rasch abbröckelt. Im Osten entstand die DDR, die man – analog zu Trotzkis Bemerkung über 1918 – als Frucht einer vom Stalinismus im Keime erstickten proletarischen Revolution, die sich 40 Jahre lang mit pseudosozialistischen Phrasen maskierte, bezeichnen könnte.

Die Ursache des Zusammenbruchs

Seit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik muss die Parole von der »sozialistischen Misswirtschaft« dazu herhalten, die weitgehende Zerschlagung der ostdeutschen Industrie und die Vernichtung von Millionen Arbeitsplätzen zu rechtfertigen. Die Behauptung, das verstaatlichte Eigentum sei die Ursache für den Niedergang der DDR, ist allerdings ebenso unhaltbar wie die umgekehrte Behauptung, sie hätten die DDR zu einer sozialistischen Gesellschaft gemacht.

Gestützt auf die nationalisierten Produktionsmittel gelangen der DDR über Jahrzehnte hinweg erstaunliche wirtschaftliche Fortschritte. So wurde die Rohstahlerzeugung von 150 000 Tonnen im Jahr 1946 auf 2,1 Mio. Tonnen 1953 gesteigert; das war bereits doppelt so viel wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Ähnliche Entwicklungen gab es in der Energiewirtschaft und der chemischen Industrie. 1959 lag die DDR mit ihrer Industrieproduktion auf dem neunten Platz in der Welt. 1969 produzierte sie mit 17 Mio. Einwohnern bereits mehr Industriegüter als das Deutsche Reich 1936 mit 60 Mio. Einwohnern. Insgesamt wurde die industrielle Produktion zwischen 1950 und 1974 versiebenfacht.

Diese Entwicklung ging nicht ohne einen gewaltigen Raubbau an Mensch und Natur ab. Doch darin unterschied sich die DDR nicht wesentlich von vergleichbaren kapitalistischen Ländern. Der beschränkte Zugang zu internationalen Krediten und Ressourcen wurde durch umso höhere Arbeitsleistungen ausgeglichen, die durch ausgeklügelte Formen von Akkordarbeit erpresst wurden. Die Konsumgüterproduktion wurde lange Zeit zugunsten der Schwerindustrie zurückgestellt; erst Ende der fünfziger Jahre begann sich der Lebensstandard der Arbeiter langsam zu bessern. Zusätzliche Schwierigkeiten entstanden durch das selbstherrliche Vorgehen der Bürokratie, die jede Beteiligung von unten an der Wirtschaftslenkung zurückwies und durch ihre eigenmächtigen und willkürlichen Entscheidungen wiederholt schwere Krisen hervorrief.

Doch das Grundproblem der DDR-Wirtschaft trat erst voll in Erscheinung, als alle anderen Probleme scheinbar nach und nach überwunden wurden. In dem Maße, wie sie Fortschritte machte, wuchs auch ihre Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. War es – bei entsprechender Ausnutzung der bestehenden Handelsbeziehungen – noch möglich, im Rahmen eines Landes die Grundlagen für eine leistungsfähige Schwerindustrie zu legen, so erfordert eine hochentwickelte Industriegesellschaft auf Schritt und Tritt den Zugang zur Weltwirtschaft, zu ihren Technologien, Krediten, Absatzmärkten und zur internationalen Arbeitsteilung. Der Bankrott der Konzeption vom »Aufbau des Sozialismus in einem Land«, die der SED-Bürokratie ebenso wie jener der KPdSU als Richtschnur diente, wurde umso deutlicher, je umfassender sich die Wirtschaft entwickelte.

Die SED-Bürokratie versuchte spätestens seit Anfang der siebziger Jahre, dieses Problem zu überwinden, indem sie sich um engere Beziehungen zur westdeutschen Bourgeoisie bemühte. Da diese ihrerseits an neuen Märkten im Osten interessiert war, um den Folgen der weltweiten Rezession zu entkommen, erwärmte sich das beiderseitige Klima rasch. Ungeachtet der Beteiligung von NVA-Truppen an der Niederschlagung des »Prager Frühlings« im Sommer 1968 leitete Bundeskanzler Brandt die »neue Ostpolitik« ein. 1972 wurde der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR unterzeichnet, der das Verhältnis zwischen den beiden Staaten normalisierte und de facto einer gegenseitigen völkerrechtlichen Anerkennung gleichkam.

Der Außenhandel mit den kapitalistischen Ländern stieg nun wesentlich schneller als der mit den RGW-Staaten (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe). Ende der siebziger Jahre wickelte die DDR 30 Prozent ihres Handelsverkehrs mit dem Westen ab. Vor allem der Handel mit der Bundesrepublik nahm rasch zu und erreichte schon 1972 ein Zehntel des gesamten DDR-Außenhandels. Die technologische Zusammenarbeit wurde verstärkt und das SED-Regime erhielt umfangreiche Kredite sowie hohe Zahlungen für Transitpauschale, Gefangenenfreikauf und Ähnliches mehr. Auch das persönliche Verhältnis zwischen der SED-Bürokratie und der westdeutschen Bourgeoisie besserte sich merklich. Bundeskanzler Schmidt traf sich zu Vier-Augen-Gesprächen mit DDR-Staatschef Honecker, was zur Zeit von Adenauer und Ulbricht völlig undenkbar gewesen wäre. Teilweise entwickelten sich sogar richtiggehende Freundschaften – wie zwischen CSU-Chef Strauß und Honeckers Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski. Ihren Gipfelpunkt erreichte diese Entwicklung mit dem Staatsempfang für Honecker in Bonn im September 1987.

Zwischen 1971 und 1976 führten die verstärkten Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen, die mit weiteren Maßnahmen zur Steigerung der Produktion einhergingen, zu einer merklichen Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung. Der Mangel an Konsumgütern ließ fühlbar nach. Die meisten Haushalte verfügten nun über Waschmaschine und Fernseher, und über ein Drittel hatte ein eigenes Auto. Die Bürokratie selbst versorgte sich regelmäßig mit westlichen Konsumgütern, die allerdings der Masse der Bevölkerung vorenthalten blieben.

Doch in dem Maße, wie die DDR die Ressourcen der Weltwirtschaft nutzte, wuchs auch ihre Abhängigkeit von deren Schwankungen und Krisen. Während die Spannungen zwischen Bürokratie und Arbeiterklasse scheinbar nachließen und die DDR-Gesellschaft insgesamt einen stabileren Eindruck machte – einen Eindruck, von dem sich auch westliche Politiker und Historiker täuschen ließen –, wurde sie im Laufe der achtziger Jahre durch grundlegende Veränderungen in der Weltwirtschaft vollends unterhöhlt. Den Anstoß zu ihrem Zusammenbruch gaben schließlich nicht innere, sondern äußere Faktoren. Die Ironie der Geschichte wollte es, dass die stalinistischen Regimes Osteuropas zu den ersten Opfern einer umfassenden Krise des Weltkapitalismus wurden.

Die Weltwirtschaft machte in den achtziger Jahren einen folgenschweren Wandel durch. Den Vereinigten Staaten, nach dem Zweiten Weltkrieg unangefochtene Führungsmacht und Säule der Stabilität der internationalen Wirtschaft, erwuchsen mit Japan und Deutschland mächtige Rivalen. Der Kampf um den Weltmarkt verschärfte sich und glich immer mehr den Handelskriegen, die dem Zweiten Weltkrieg vorangingen. Die Arbeitslosenzahlen schossen weltweit in die Höhe. Auch vor militärischer Gewalt schreckten die Imperialisten bei der Durchsetzung ihrer Interessen nicht zurück, wie der Krieg um die Malwinen und 1991 der Golfkrieg zeigten. Zusätzlich verschärft wurde diese Krise durch umwälzende technologische Entwicklungen, die zu einer nie dagewesenen Verflechtung der Weltwirtschaft führten. Der Mikrochip revolutionierte jeden Bereich der Produktion, des Transports, der Kommunikation und der Planung. Der global operierende Industriekonzern, der seine Rivalen entweder aufkauft oder verdrängt, wurde zum Kennzeichen der achtziger Jahre.

Die Auswirkungen dieser Veränderungen waren für die DDR verheerend. Nach wie vor abgeschnitten von den modernsten Technologien, konnte sie mit der Entwicklung der Arbeitsproduktivität nicht Schritt halten und fiel im internationalen Wettbewerb hoffnungslos zurück. Ihr Weltmarktanteil am Maschinenexport verringerte sich von 3,9 Prozent im Jahr 1973 auf 0,9 Prozent im Jahr 1986. Die Hoffnung, die aufgenommenen Kredite und importierten Waren durch eine Steigerung der Exporte finanzieren zu können, zerschlug sich. Das Honecker-Regime versuchte zwar, diesem Prozess entgegenzuwirken, indem es einen großen Teil der vorhandenen Investitionsmittel in die Entwicklung eines DDR-eigenen Megabyte-Chip steckte. Doch dieses Projekt kam der Wiedeerfindung des Rades gleich. Lange bevor der DDR-Chip produktionsreif wurde, war er technisch bereits überholt, waren gleichwertige Produkte auf dem Weltmarkt für wenige Mark zu erstehen. Anstatt wie beabsichtigt die Leistungsfähigkeit des »Sozialismus in einem Land« zu beweisen, bestätigte dieses letzte große Wirtschaftsprojekt der Honecker-Ära nur die Unmöglichkeit, im Rahmen eines Landes mit technologischen Entwicklungen Schritt zu halten, die ebenso teuer wie kurzlebig sind und die Bündelung aller vorhandenen Ressourcen der Weltwirtschaft erfordern.

Diese Veränderungen hatten auch für alle anderen osteuropäischen Staaten und die Sowjetunion ähnliche Folgen. Die Preise für Rohstoffe, nach wie vor ihr wichtigstes Exportprodukt, verfielen. Als Lieferanten billiger Industrieprodukte wurden sie von den aufstrebenden Industriestaaten Ostasiens, die modernste Technik mit billigsten Arbeitskräften verbinden konnten, verdrängt. Die Kredite, die sie in der Hoffnung auf einen Ausbau der Handelsbeziehungen zum Westen aufgenommen hatten, mussten durch eine verschärfte Ausbeutung der Arbeiterklasse getilgt werden. Es setzte jene Phase der Stagnation ein, die in der Sowjetunion ihren personifizierten Ausdruck in Breschnew und Tschernenko fand.

Die innenpolitischen Folgen dieser Entwicklung wurden als erstes in Polen sichtbar, das sich in den siebziger Jahren hoch verschuldet hatte. Auf den Versuch des Gierek-Regimes, die Schrauben enger anzuziehen, reagierte die polnische Arbeiterklasse 1980/81 mit einer gewaltigen Aufstandsbewegung und der Gründung der Massengewerkschaft Solidarność. Nur mit Mühe – durch die Verhängung des Kriegsrechts unter der Drohung einer sowjetischen Intervention und dank der Rolle der intellektuellen und kirchlichen »Berater« von Solidarność[20] – gelang es der Bürokratie, ihren Sturz durch eine politische Revolution zu vermeiden.

Die polnischen Ereignisse lösten in der stalinistischen Bürokratie in ganz Osteuropa einen Schock aus. Vor allem in Moskau begann die herrschende Kaste zu ahnen, dass sich eine ähnliche Bewegung auch in der Sowjetunion entwickeln und sie hinwegschwemmen könnte. Gejagt vom Gespenst eines revolutionären Aufstands der Arbeiterklasse, rang sie sich schließlich dazu durch, die Eigentumsverhältnisse des Arbeiterstaats, die sie sechs Jahrzehnte lang für sich ausgebeutet hatte, zu verraten und eine neue Grundlage für ihre Privilegien im bürgerlichen Privateigentum zu suchen. Sie erkor 1985 Gorbatschow zu ihrem neuen Führer, um diesen Kurswechsel zu vollziehen.

Es gibt kaum eine andere Figur in der jüngeren Geschichte, über die derart viele Illusionen und falsche Vorstellungen erzeugt wurden, wie über Gorbatschow. Nicht nur die bürgerlichen Medien erkoren ihn zu ihrem Liebling, auch zahlreiche Revisionisten, allen voran Ernest Mandel, priesen ihn als den großen Reformer. Einige behaupteten sogar allen Ernstes, er verwirkliche das Programm der Vierten Internationale. In Wirklichkeit führte Gorbatschow den Stalinismus zu seiner letzten Konsequenz. Er versuchte, neue soziale Stützen für die Herrschaft der Bürokratie zu finden, in deren Schoß er sein gesamtes Leben verbracht hatte.

Das war das Ziel der ökonomischen »Umgestaltung«, der »Perestroika«. Angeleitet von der naiven Vorstellung, das staatliche Eigentum und die staatliche Wirtschaftslenkung bräuchten nur durch privates Eigentum und private Initiative ersetzt zu werden, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, wurden systematisch alle Mechanismen des hochkomplizierten Räderwerks der sowjetischen Industrie zerstört. Das Ergebnis liegt heute offen zutage: die größte Wirtschaftskatastrophe, die jemals durch gezieltes menschliches Handeln verursacht worden ist.

Auch die »Offenheit«, »Glasnost«, war keine Wendung nach links. Sie diente dazu, die Intelligenz und andere kleinbürgerliche Schichten zur Unterstützung der Perestroika zu mobilisieren. In den Betrieben war von mehr Demokratie nichts zu spüren; im Gegenteil, politische Versammlungen, wie sie bisher unter der Kontrolle der Bürokratie üblich waren, wurden verboten. Natürlich schafft ein solcher Wandlungsprozess eines verkrusteten Regimes auch die Möglichkeit, dass die unterdrückten Klassen selbst die Initiative ergreifen und das Regime stürzen. Gorbatschow wirkte dieser Gefahr entgegen, indem er den reaktionärsten Bodensatz der russischen Gesellschaft aufrührte, von der orthodoxen Kirche bis hin zur antisemitischen Pamjat. Trotzki wurde dagegen bis heute nicht rehabilitiert, und seine Bücher sind nur vereinzelt in kleiner Auflage publiziert worden.

Die Perestroika brachte auch einen grundlegenden Wandel in der sowjetischen Außenpolitik mit sich. In dem Maße, wie die stalinistische Bürokratie sich vom verstaatlichten Eigentum abwandte, verschwand auch jeder Interessengegensatz zum Imperialismus. Unter Schewardnadse verwandelte sich das sowjetische Außenministerium in einen verlängerten Arm des amerikanischen State Departments. Selbst vor der Unterstützung des mörderischen Kriegs gegen den Irak, lange Zeit ein Verbündeter der Sowjetunion, schreckte das Gorbatschow-Regime 1991 nicht zurück.

Der Kurswechsel in Moskau besiegelte das Schicksal des SED-Regimes und aller anderen stalinistischen Regimes in Osteuropa. Sie verdankten der Kremlbürokratie ihre Entstehung und hatten sich mit ihrer Hilfe an der Macht gehalten. Nicht eines von ihnen verfügte über ausreichende soziale Stützen, um sich aus eigener Kraft zu behaupten. Als ihre Schwäche sichtbar wurde, machte sich der Hass gegen den Stalinismus in einer Welle von Massendemonstrationen Luft, unter der sie wie Dominosteine umkippten. Das Jahr 1989 erlebte, wie eine stalinistische Diktatur nach der anderen umfiel. Es begann mit der Legalisierung von Solidarność durch das polnische Parlament und endete mit der Erschießung Nicolae Ceaușescus in Bukarest.

Das Honecker-Regime hatte lange Zeit versucht, sich dieser Entwicklung zu widersetzen. Seine Abneigung gegenüber Gorbatschow ging so weit, dass es sogar das sowjetische Magazin »Sputnik« in der DDR verbot. Es wäre jedoch falsch, darin eine grundsätzliche Ablehnung von dessen prokapitalistischem Kurs zu erblicken. Bei vielen wirtschaftlichen Fragen, wie der Ausweitung der Beziehungen zum Westen und der Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in die Planwirtschaft, hatte die SED sogar den Vorreiter gespielt. Parallel dazu hatte sie sich eine neue ideologische Achse geschaffen und die »national-sozialistischen« Theorien aus den Gründerjahren der DDR neu belebt; nun allerdings nicht mehr im Namen einer gesamtdeutschen, sondern einer DDR-Nation. Anstatt auf die revolutionären Traditionen der deutschen Geschichte berief sie sich nun auf die konservativen, staatserhaltenden. Thomas Müntzer wurde durch Martin Luther abgelöst, dessen 500. Geburtstag die SED 1983 mit Pomp feierte. Und an die Stelle von Bebel, Mehring und anderen sozialdemokratischen Gegnern Preußens traten Bismarck und der Alte Fritz; die preußische Tradition wurde zum kulturellen Erbe der DDR erklärt. Der Konflikt zwischen Gorbatschow und Honecker bestand lediglich darin, dass letzterer den Umwandlungsprozess unter strikter Kontrolle der stalinistischen Bürokratie durchführen wollte. Er orientierte sich dabei am Vorbild Pekings, das jede Opposition brutal niederschlug, während gleichzeitig in großem Umfang kapitalistische Wirtschaftsmethoden eingeführt wurden.

Wie wenig sich die Orientierung der SED von jener der KPdSU unterschied, zeigte sich im Oktober 1989: Kaum waren Honecker und seine engsten Mitarbeiter zurückgetreten, schwenkte die gesamte Partei geschlossen auf den Kurs der kapitalistischen Restauration um. Die Regierung Modrow, die Mitte November die Leitung der Staatsgeschäfte übernahm, bereitete zielstrebig den Boden für den Anschluss an die Bundesrepublik. Modrow schlug in seiner Regierungserklärung eine »Vertragsgemeinschaft« der beiden deutschen Staaten als ersten Schritt zur Wiedervereinigung vor. In enger Absprache mit Bonn leitete er dann die Privatisierung der Wirtschaft ein und gründete zu diesem Zweck die Treuhandanstalt.

Zwei Jahre nach seinem Sturz erklärte Günter Mittag, fast drei Jahrzehnte lang uneingeschränkter Herrscher über die DDR-Wirtschaft und rechte Hand Honeckers, in einem »Spiegel«-Gespräch: »Das sozialistische System insgesamt war falsch, wie wir heute wissen. Es ist eine Illusion, in der Planwirtschaft nach einem Weg zu suchen und ihn zu finden. Die Wirtschaft muss mit Gewinn arbeiten, wie das in einer Marktwirtschaft ist. Unser Wirtschaftssystem ist unter heutigen Erkenntnissen nicht zu verantworten, wird sich auch nicht wiederholen … Ohne die Wiedervereinigung«, lautet sein Fazit, »wäre die DDR einer ökonomischen Katastrophe mit unabsehbaren sozialen Folgen entgegengegangen, weil sie auf Dauer allein nicht überlebensfähig war.«[21] Solche Erkenntnisse reifen nicht über Nacht, auch nicht in zwei Jahren – Mittag plaudert das wahre Denken und Fühlen einer Schmarotzerkaste aus, die der Bourgeoisie und dem Kapitalismus tausendmal näher steht als der Arbeiterklasse und dem Sozialismus. Nach eigener Aussage gelangte er bereits »Ende 1987 zu der Erkenntnis: Jede Chance ist verspielt.« Kann es noch erstaunen, dass das SED-Regime widerstandslos zusammenbrach, wenn selbst sein oberster Wirtschaftslenker seit zwei Jahren von seinem Bankrott überzeugt war?

Das Ende der DDR

Die Demonstrationen, die im Herbst 1989 die gesamte DDR wie eine Flutwelle überschwemmten, sind rückblickend oft als Revolution bezeichnet worden. Betrachtet man die hohe Zahl der Teilnehmer, die Tatsache, dass die Massen hier direkt in die Politik eingriffen und ein verhasstes Regime stürzten, so hat diese Bezeichnung eine gewisse Berechtigung. Hält man aber Ausschau nach den bewussten, zielstrebigen Elementen, nach den mutigen Anführern, den begabten Rednern und den Visionären, die noch jeder großen Revolution in der Geschichte ihr Gepräge gaben, so sucht man sie vergebens. Es war eine Revolution ohne Revolutionäre.

Was im Herbst 1989 mit elementarer Wucht zum Ausbruch kam, war der tiefe soziale Gegensatz zwischen der Arbeiterklasse und der herrschenden Bürokratenkaste. Alle Enttäuschungen und Demütigungen, die die Masse der Bevölkerung hatte schlucken müssen, die angestaute Wut und Unzufriedenheit machten sich Luft. Doch so reif die Lage für eine soziale Explosion war, so wenig war die Arbeiterklasse politisch darauf vorbereitet. Wie wenig sie ein politisches Ziel vor Augen hatte, zeigte schon die individualistische Form, in der die Bewegung anfing: einer Massenflucht in den Westen.

Es gab unter den Arbeitern der DDR noch nicht im Ansatz politische Strömungen, die der Bewegung hätten ein Ziel geben können. Die jahrzehntelange Unterdrückung jeder unabhängigen politischen Regung zeigte ihre Wirkung. Die Aktivitäten der Stasi hatten sich hauptsächlich gegen die Bedrohung des Regimes von Seiten der Arbeiter gerichtet. Hinzu kam, dass die Bürokratie durch die systematische Verfälschung des Marxismus und seine Verwandlung in eine Staatsideologie die Arbeiterklasse ihrer eigenen politischen Traditionen beraubt hatte. Nur so ist es zu erklären, dass sich im Herbst 1989 Zufallsfiguren zu Wortführern der Bewegung aufschwangen, die ebenso wenig in der Lage waren, die Dinge vorauszusehen, wie die Auswirkungen ihres eigenen Handelns zu verstehen.

Die Hauptakteure des Herbsts 1989 stammten ausnahmslos aus kleinbürgerlichen Schichten, es waren Künstler, Akademiker, Rechtsanwälte und vor allem evangelische Pfarrer. Einige von ihnen waren – wie die Sprecherin des Neuen Forums, Bärbel Bohley – schon früher mit dem Regime in Konflikt geraten und hatten deshalb einige Zeit im Gefängnis verbracht. Sie hatten aber kein zusammenhängendes Programm vorzuweisen; ihre oppositionelle Tätigkeit beschränkte sich auf Forderungen nach mehr individuellen Freiräumen, einseitiger Abrüstung und Umweltschutz. Die meisten Rechtsanwälte und Pastoren hatten dagegen über lange Zeit eine staatstragende Rolle gespielt. Sie waren –wie die Rechtsanwälte Wolfgang Schnur, Lothar de Maizière und Gregor Gysi – als Vermittler zwischen dem Staat und oppositionellen Kreisen tätig, oder sorgten – wie Manfred Stolpe – als Kirchenvertreter und Pastoren dafür, dass die Opposition nicht über den Rahmen des gesetzlich Erlaubten hinausging. Viele Rechtsanwälte und Pastoren betätigten sich dabei als Informanten für die Stasi und taten dies – wie sich später herausstellen sollte – auch weiterhin.

In organisierter Form trat die kleinbürgerliche Opposition vor dem Herbst 1989 nur vereinzelt als »Friedensinitiativen« in Erscheinung, die sich unter Obhut der Kirche zu Diskussionen und Gebeten trafen. Erst nachdem die Massenfluchtbewegung das SED-Regime bereits gründlich erschüttert hatte, schossen neue Parteien und Bürgerbewegungen wie Pilze aus dem Boden. Im September erschien die Böhlener Plattform »Für eine Vereinigte Linke«, veröffentlichte das Neue Forum seinen Gründungsaufruf und meldete sich die Bürgerbewegung »Demokratie Jetzt« erstmals zu Wort. Im Oktober folgten der Demokratische Aufbruch und die Sozialdemokratische Partei der DDR.

Die Gründungsdokumente all dieser Organisationen gehen nicht über vage Forderungen nach mehr Demokratie und einem »demokratischen Dialog« hinaus. Vom Willen zur revolutionären Veränderung findet man darin keine Spur. Umso lauter spricht dagegen der Schreck über das jähe Aufbrechen der dumpfen, spießigen DDR-Atmosphäre und die Angst vor den entfesselten sozialen Kräften aus jeder Zeile. So wird der Gründungsaufruf des Neuen Forums mit den Worten eröffnet: »In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.« Und Demokratie Jetzt leitet ihre »Thesen für eine demokratische Umgestaltung der DDR« mit dem Satz ein: »Das Ziel unserer Vorschläge ist es, den inneren Frieden unseres Landes zu gewinnen und damit auch dem äußeren Frieden zu dienen.« Diese Aufrufe sind nicht revolutionär, sondern – im buchstäblichen Sinne des Wortes – konservativ, darauf ausgerichtet, das Bestehende zu erhalten. Die Forderung nach Reformen entspringt nicht dem Wunsch nach, sondern der Angst vor einer Revolution. Sie entspricht der sozialen Lage ihrer kleinbürgerlichen Verfasser, die bereit sind, sich mit der stalinistischen Diktatur über die Arbeiterklasse abzufinden, vorausgesetzt, diese gewährt ihnen selbst etwas mehr Spielraum.

Ihre Autorität verdankte die kleinbürgerliche Opposition weniger ihren eigenen Worten und Taten, als den wütenden Repressionsmaßnahmen, mit denen der Staat gegen sie vorging. Von Stasi und Vopo zu Märtyrern gestempelt, standen sie plötzlich an der Spitze einer Bewegung, die Millionen umfasste. Sie wussten damit nichts besseres anzufangen, als die Initiative so schnell wie möglich an die Regierung zurückzugeben. Kaum war Honecker am 18. Oktober zurückgetreten, bemühten sich das Neue Forum und die verschiedenen Bürgerbewegungen um eine Verständigung mit seinen Nachfolgern. In echt christlicher Nächstenliebe erteilten sie ihren Peinigern von gestern die Absolution und setzten sich mit ihnen an einen Tisch, um die revolutionäre Bewegung gemeinsam abzublocken. Mit ihrer Teilnahme am Runden Tisch und schließlich dem Eintritt in die Regierung Modrow warfen sie ihre gesamte Autorität in die Waagschale – und verspielten sie. Bei der Volkskammerwahl vom 18. März erhielten sie kaum mehr Unterstützung. Sie verschwanden wieder von der politischen Bildfläche und zogen sich in den Schmollwinkel zurück, bitter enttäuscht darüber, dass ihr Einsatz so wenig honoriert worden war.

Die Demokraten vom Herbst 1989 erwiesen sich in jeder Hinsicht als würdige Nachfolger der Demokraten von 1848, der Abgeordneten der Paulskirche, über die Engels einst so treffend schrieb: »Diese Versammlung alter Weiber hatte vom ersten Tag ihres Bestehens mehr Angst vor der geringsten Volksbewegung als vor sämtlichen reaktionären Komplotten sämtlicher deutscher Regierungen zusammengenommen.« Auf ihre Leistungen trifft dasselbe Urteil zu, das Engels schon über jene ihrer historischen Vorgänger gefällt hatte: Sie können »mit Recht als Maß dessen genommen werden, wessen das deutsche Kleinbürgertum fähig ist – … zu nichts anderm als dazu, jede Bewegung zugrunde zu richten, die sich seinen Händen anvertraut.«[22]

Die Ereignisse dieser Periode werden im Kapitel III dieses Bandes im Einzelnen geschildert. Sie führten schließlich dazu, dass die Bewegung, die so hoffnungsvoll begonnen hatte, mit einer bitteren Niederlage der Arbeiterklasse endete. Die Früchte der Umwälzung in der DDR wurden von der deutschen Bourgeoisie geerntet, die eine soziale Konterrevolution in Gang setzte, deren Folgen heute vor allem jene zu tragen haben, die im Herbst 1989 auf die Straße gegangen waren. Bevor es soweit war, stieß sie wiederholt auf erbitterten Widerstand in der Arbeiterklasse. Wie sie ihn brach und welche entscheidende Rolle dabei die SPD und die DGB-Bürokratie, die PDS und zahlreiche revisionistische Gruppierungen spielten, wird in den Kapiteln VII bis X analysiert.

Das Eingreifen des BSA

Die Krise des SED-Regimes im Herbst 1989 schuf die Voraussetzungen, um die Arbeiterklasse der DDR zum ersten Mal mit dem Programm der Vierten Internationale bekannt zu machen. Am 4. November verteilte der Bund Sozialistischer Arbeiter auf der größten Massendemonstration in der Geschichte der DDR einen Aufruf, der in knapper Form das Programm der Vierten Internationale erläuterte.[23] Er erreichte trotz einer Auflage von nur wenigen Tausend den hintersten Winkel der DDR und löste eine Flut von Briefen an den BSA aus.

In der DDR war der Trotzkismus ebenso fanatisch verfolgt und unterdrückt worden wie in der Sowjetunion. Die Verbreitung von Trotzkis Schriften zog drakonische Strafen nach sich. Aus den Geschichtsbüchern wurde sein Name fast vollständig getilgt und durch die absurdesten Verleumdungen und Fälschungen ersetzt.

Die stalinistische Bürokratie betrachtete die trotzkistische Bewegung als wichtigste Bedrohung ihrer Herrschaft. Dass dies so war, bestätigte sie auf ihre Weise, indem sie wahllos jede oppositionelle Strömung als »trotzkistisch« bezeichnete, selbst wenn sie der Vierten Internationale völlig fernstand. Sie erkannte im Trotzkismus zu Recht die authentische Stimme der Arbeiterklasse. Um ihre Herrschaft zu sichern, musste sie um jeden Preis verhindern, dass das spontane Streben der Arbeiter, sich vom stalinistischen Joch zu befreien, mit dem Programm der Vierten Internationale in Berührung kam. Nur so lässt sich der hysterische Charakter ihrer Kampagnen gegen den »Trotzkismus« erklären, der selbst dann noch unvermindert anhielt, als die meisten Trotzkisten – einschließlich Trotzki selbst – längst ihren Mordkommandos zum Opfer gefallen waren. Die Angst der Bürokratie vor dem Trotzkismus widerspiegelte lediglich ihre Angst vor der Arbeiterklasse.

Die trotzkistische Bewegung unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von allen anderen Strömungen, die zum einen oder anderen Zeitpunkt in Konflikt mit dem Stalinismus geraten sind. Erstens ist sie der älteste und beharrlichste Gegner des Stalinismus. Seit der Gründung der sowjetischen Linken Opposition im Jahr 1923 hat sie den Stalinismus ohne Unterbrechungen und Schwankungen bekämpft und dabei ihre theoretischen und politischen Standpunkte in Tausenden von Artikeln und Büchern dargelegt. Zweitens hat sie den Stalinismus immer auf der Grundlage des Marxismus angegriffen und niemals Konzessionen an seine rechten, antikommunistischen Gegner gemacht. Ihr zentraler Anklagepunkt lautete, dass der Stalinismus das Ziel der sozialistischen Weltrevolution und damit die historischen Interessen der Arbeiterklasse verraten hat.

In Deutschland hatte der Stalinismus noch zusätzliche Gründe, die trotzkistische Bewegung zu fürchten. Die Verantwortung der stalinistischen »Sozialfaschismus«-Politik für die Niederlage von 1933 hatte sich tief ins Bewusstsein der Arbeiter eingegraben und den Trotzkisten, die beharrlich für eine Einheitsfront gegen den Faschismus gekämpft hatten, auch unter den einfachen KPD-Mitgliedern großen Respekt verschafft. Es gelang deshalb der stalinistischen Führung trotz der wütendsten Verfolgung, die selbst vor den Mauern der faschistischen Konzentrationslager nicht haltmachte, nicht, die Trotzkisten vollständig zu isolieren. Allein in Berlin zählte die trotzkistische Gruppe unmittelbar nach dem Krieg 52 Mitglieder, und ihr Einfluss wuchs rasch. Die älteren KPD-Mitglieder hatten den Schock des Hitler-Stalin-Pakts und die stalinistischen Repressionsmaßnahmen gegen deutsche Kommunisten nicht vergessen und waren wenig geneigt, sich erneut gegen die Trotzkisten aufhetzen zu lassen. Hinzu kam die Enttäuschung über das Benehmen der sowjetischen Truppen, die sich gegenüber der Arbeiterklasse nicht wie Befreier, sondern wie Besatzer aufführten.

Die Trotzkisten formulierten zudem genau jene Politik, die die Gruppe Ulbricht, wie wir oben gesehen haben, unter alten KPD-Mitgliedern energisch bekämpfte. Sie wandten sich entschieden gegen die Kollektivschuld-These, die damals von der sowjetischen Führung und der KPD vertreten wurde. Laut dieser These war nicht die deutsche Bourgeoisie, sondern das deutsche »Volk« insgesamt, also auch die Arbeiterklasse, für den Faschismus verantwortlich. Der Klassencharakter des Faschismus, einer Diktatur des Finanzkapitals über die Arbeiterklasse, wurde so völlig geleugnet. Praktisch diente die Kollektivschuld-These zur Rechtfertigung des rein bürgerlichen Programms der KPD; wenn die Arbeiterklasse selbst faschistisch war, dann musste sie zuerst einmal demokratisch erzogen werden, bevor sie zum Sozialismus übergehen konnte, argumentierten die Stalinisten.

Einer der führenden Trotzkisten jener Zeit, Oskar Hippe, berichtet in seiner Autobiografie, wie er auf einer Gewerkschaftsversammlung in Berlin zu dieser Frage sprach:

Am 9. September 1948 sprach ich in einer großen Berliner Funktionärskonferenz der ÖTV, die im Ostberliner Bezirk Friedrichshain stattfand. In dieser Versammlung setzte ich mich mit der Losung auseinander: »So wie wir heute arbeiten, werden unsere Kinder morgen leben«, wie auch wiederum mit der Kollektivschuld-These des deutschen Volkes am Krieg. Weder SPD noch SED setzten zu dieser Zeit den Sozialismus auf die Tagesordnung. Dagegen sagte ich: »Die blutleere Demokratie der Weimarer Zeit, die dem Faschismus zum Sieg verhalf, darf in ihrer alten Form nicht wieder entstehen. Auf der Tagesordnung steht der Kampf um den Sozialismus, weil eine Demokratie ohne Sozialismus nicht in der Lage ist, erfolgreich den Kampf gegen den Kapitalismus zu führen.« Meine Redezeit wurde auf Antrag der Versammlung gegen den Willen der SED um das Doppelte verlängert. Der russische Kontrolloffizier erklärte einem Genossen der SED, der aber ein Sympathisant von uns war: »So wie dieser Mann sprachen bei uns die Trotzkisten!«[24]

Drei Tage später wurde Hippe in Halle vom NKWD, dem sowjetischen Geheimdienst, verhaftet und nach über einjährigen Verhören und Misshandlungen wegen »antisowjetischer Propaganda« und »illegaler Gruppenbildung« zu 25 Jahren Haft verurteilt. Erst acht Jahre später wurde er, der schon unter den Nazis über zwei Jahre im Gefängnis gesessen hatte, entlassen.

Für die trotzkistische Bewegung bedeutete Hippes Verhaftung einen schweren Schlag. Um sie schließlich in Deutschland ganz zu zerstören, reichten allerdings die Repressionsmaßnahmen der stalinistischen Bürokratie nicht aus; dazu bedurfte es der Mithilfe des pablistischen Revisionismus.

Im März 1951 lösten Pablo, Mandel und ihr Vertreter in Deutschland, Georg Jungclas, die deutsche Sektion der Vierten Internationale, die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) auf. Sie zogen damit die praktische Konsequenz aus ihrer revisionistischen Auffassung, dass sich die Entwicklung zum Sozialismus mittels einer Selbstreform der stalinistischen Bürokratie vollziehen werde; für eine selbständige Sektion der Vierten Internationale gab es unter diesen Umständen keine Existenzberechtigung mehr und die Pablisten traten nur noch als Anhängsel der stalinistischen Bürokratie auf. Als zwei Jahre später sowjetische Panzer den Arbeiteraufstand vom 17. Juni niederschlugen, weigerten sie sich sogar, zum Abzug der sowjetischen Truppen aufzurufen. Für die Freilassung Oskar Hippes, der nach wie vor im stalinistischen Gefängnis saß, rührten sie keinen Finger.

Dieser Verrat der Pablisten ermöglichte es der SED-Bürokratie, die Arbeiterklasse in der DDR vollkommen vom Programm der Vierten Internationale und damit von ihrem eigenen marxistischen Erbe abzuschneiden. Das ist der Grund, weshalb die Arbeiterklasse auf die Ereignisse vom Herbst 1989 politisch so völlig unvorbereitet war.

1953 war auf Initiative der amerikanischen Socialist Workers Party das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) gegründet worden, um die Vierte Internationale gegen den pablistischen Revisionismus zu verteidigen. Doch erst 1971, als sich eine neue Generation von Arbeitern und Studenten dem Marxismus zuwandte, wurde mit dem BSA auch eine deutsche Sektion des IKVI gegründet.

Wie die Dokumente in diesem Band zeigen, war der BSA auf die Ereignisse vom Herbst 1989 politisch gut vorbereitet. Er konnte sich nicht nur auf das reichhaltige Erbe von Trotzkis Schriften stützen, sondern auch auf die Lehren aus dem Kampf, den das IKVI über mehrere Jahrzehnte hinweg gegen den pablistischen Revisionismus führte, und der 1985 mit der Spaltung von der britischen Workers Revolutionary Party einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. Wie entscheidend die Abgrenzung vom Pablismus war, zeigte die Reaktion der Pablisten auf die Ereignisse in der DDR. Sie stellten sich ausnahmslos hinter die Regierung Modrow und ihr Programm der kapitalistischen Restauration. Der Zusammenbruch der stalinistischen Bürokratie zwang auch sie zum politischen Offenbarungseid.[25]

Die ersten Zuschriften aus der DDR erhielt der BSA im Sommer 1989 als Reaktion auf einen Wahlspot, den ARD und ZDF – die auch in einem großen Teil der DDR empfangen werden konnten – aufgrund seiner Teilnahme an der Europawahl ausgestrahlt hatten. In diesem Spot hatte Ulrich Rippert, der nationale Sekretär des BSA, erklärt:

Die Krise in der Sowjetunion beweist nicht das Scheitern des Sozialismus, sondern des Stalinismus, einer korrupten Bürokratie, welche die Arbeiter blutig unterdrückt hat. Gorbatschow versucht, die Bürokratie durch die Wiedereinführung des Kapitalismus zu retten. Wir treten für den Sturz der Bürokratie, die Wiederherstellung der Arbeiterdemokratie und die Vereinigung der Arbeiter von West- und Osteuropa ein!

Ab November arbeitete dann der BSA regelmäßig in der DDR, verbreitete die »Neue Arbeiterpresse«, führte öffentliche Versammlungen durch, gewann neue Mitglieder und beteiligte sich mit eigenen Kandidaten an der Volkskammer- und später an der Bundestagswahl. Er war nicht in der Lage, das Steuer sofort herumzureißen und die kapitalistische Restauration zu verhindern. Aber das schmälert nicht die historische Bedeutung seines Eingreifens. Ein marxistisches Programm ist kein Wundermittel, sondern die Grundlage, um die Arbeiterklasse neu zu orientieren und eine neue marxistische Führung aufzubauen – und das geschieht nicht über Nacht.

Durch sein aktives Eingreifen in das politische Geschehen, seine ständige Analyse der Bedeutung der Ereignisse und seine Auseinandersetzung mit allen anderen politischen Tendenzen hat der BSA die Voraussetzungen für eine Neuorientierung und Neubewaffnung der Arbeiterklasse für kommende revolutionäre Schlachten geschaffen. Das Ergebnis dieser Arbeit ist in diesem Band zusammengefasst.

Was nun?

Der Zusammenbruch der DDR, dem 1991 die Auflösung der Sowjetunion folgte, hat keine neue Blütezeit des Kapitalismus eingeleitet, wie die Prediger vom »Scheitern des Sozialismus« gerne weismachen möchten. Stattdessen sind weltweit alle ökonomischen, sozialen und politischen Gegensätze des Imperialismus, die bereits die erste Hälfte dieses Jahrhunderts zur gewalttätigsten Periode der menschlichen Geschichte gemacht haben, wieder aufgebrochen.

Wie wir bereits gesehen haben, wurde die Krise in der DDR und der Sowjetunion durch den Konflikt zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaat ausgelöst, der sich in den achtziger Jahren drastisch zuspitzte. Doch dieselben grundlegenden Veränderungen wirken sich auch auf die kapitalistischen Länder aus, die den Rahmen des Nationalstaats, den sie als Beschützer des Privateigentums benötigen, ebenso wenig wie ihre stalinistischen Gegenstücke überwinden können. Die Bourgeoisie hat sich als völlig unfähig erwiesen, die Anforderungen der modernen Technologien und globalen Produktivkräfte mit dem Privateigentum und dem Nationalstaat in Einklang zu bringen.

Es mutet wie ein historischer Anachronismus an, dass ausgerechnet jetzt, wo Handel, Kapital und Produktion scheinbar jede Grenze gesprengt haben, überall neue Klein- und Kleinststaaten aus dem Boden sprießen, die vehement auf ihre Souveränität pochen. Kein Flecken ist zu klein, kein ethnisches, religiöses oder sprachliches Merkmal zu unbedeutend, als dass nicht der Anspruch auf eine eigene Nation und einen eigenen Staat daraus abgeleitet würde. Tatsächlich ist dies selbst nur ein Ausdruck des verschärften Kampfs um den Weltmarkt. Es ist der archaische Kampf von jedem gegen jeden, übersetzt in die Sprache der Rasse und der Nation. Das Ergebnis ist jenes blutige Gemetzel, das in Jugoslawien und Teilen der früheren Sowjetunion bereits in vollem Gange ist.

Aber nicht nur die neu geschaffenen Kleinstaaten, auch die großen imperialistischen Mächte treiben unaufhörlich auf neue Kriege zu. Die Spannung zwischen den Handelsblöcken, die sich um die USA, Japan und Deutschland gruppiert haben, verschärfen sich Monat für Monat. In den USA mehren sich die Stimmen, die offen einen Krieg gegen Japan fordern, um den Niedergang der amerikanischen Industrie zu stoppen. In Deutschland verlangen die Generale seit dem Golfkrieg wieder offen den weltweiten Kriegseinsatz der Bundeswehr. Jeder regionale Konflikt wird zum Anlass scharfer Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten. Statt der versprochenen Abrüstung blüht der Militarismus auf.

In seinem Innern hat der Kapitalismus die Fähigkeit eingebüßt, durch soziale Zugeständnisse die Klassengegensätze zu dämpfen. Das einst so hoch gelobte »Modell Schweden« ist lautlos untergegangen. In Amerika, früher Symbol des kapitalistischen Fortschritts, hat die Kluft zwischen Arm und Reich noch nie dagewesene Ausmaße angenommen: jedes vierte Kind lebt unter der Armutsgrenze, Millionen haben kein Dach über dem Kopf, und in den Ghettos der Großstädte ist die Säuglingssterblichkeit höher als in den Armenhäusern Asiens. Rebellieren verarmte Arbeiter gegen diese Zustände, fällt – wie jüngst in Los Angeles – die Maske der Demokratie und die Bourgeoisie antwortet mit Ausnahmezustand, Polizeiterror und der Entsendung der Armee.

In den weniger entwickelten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ist der Kapitalismus völlig unfähig, das Erbe des Kolonialismus zu überwinden und einen Ausweg aus der chronischen Armut zu weisen. Die Kredite an diese Länder sind völlig eingetrocknet, in den letzten Jahren haben die Banken wesentlich mehr aus ihnen herausgeholt als in sie hineingesteckt. Den Preis bezahlen die Massen durch unbeschreibliche Entbehrungen. Täglich sterben Zehntausende an Unterernährung.

Am drastischsten zeigt sich aber die Sackgasse, in welche die kapitalistische Gesellschaft geraten ist, in der ehemaligen Sowjet­union und den Ländern Osteuropas. Die Beseitigung der staatlichen Planung und die Zerschlagung des nationalisierten Eigentums hat zur Zerstörung von Millionen Arbeitsplätzen geführt; Erziehung, Altersfürsorge und medizinische Versorgung werden ebenso zerschlagen wie sämtliche kulturellen Errungenschaften. Das Elend, das für die wirtschaftlich rückständigsten Länder so kennzeichnend ist, taucht nun auch hier wieder auf. Die gestrigen Helden der »Demokratie« erweisen sich dabei als Gangster, die im Wettkampf mit der Mafia um die Abfallbrocken aus der Konkursmasse streiten.

In Deutschland hat die Wiedervereinigung das Ende der wirtschaftlichen und politischen Stabilität eingeläutet. Im Osten sind Industrieanlagen in einem Ausmaß zerstört worden, für das es selbst in Kriegszeiten keine historische Parallele gibt. Über fünf von zehn Millionen Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz verloren; die Jugend steht ohne Zukunft da. Alle sozialen Errungenschaften, die die Arbeiterklasse dem SED-Regime abgetrotzt hat, fallen dem Rotstift zum Opfer. Nachdem die deutsche Bourgeoisie wie eine Horde Barbaren über den Osten hergefallen ist, hat sie nun auch der Arbeiterklasse im Westen den Kampf angesagt. Die »Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West« soll, geht es nach dem Willen der Bourgeoisie, in der Weise stattfinden, dass auch im Westen der Lebensstandard auf das Ostniveau abgesenkt wird.

In welch auswegloser Lage sich die kapitalistische Gesellschaft befindet, zeigt sich auch auf ideologischem Gebiet. Nicht ein einziger intellektueller Vertreter der Bourgeoisie – ob Politiker, Philosoph oder Schriftsteller – hat heute eine ernsthafte Zukunftsperspektive anzubieten. Am freimütigsten hat dies wohl der tschechoslowakische Präsident Václav Havel ausgesprochen, als er vor einer Versammlung von Unternehmern und Politikern in Davos verkündete, mit dem »Ende des Kommunismus« sei das »moderne Zeitalter« insgesamt abgeschlossen. Dieses Zeitalter habe mit der Renaissance begonnen und sei von dem Glauben beherrscht worden, »dass die Welt vollkommen erkennbar« sei und vom Menschen »in vernünftiger Weise zu seinem eigenen Nutzen gelenkt werden« könne. Nun sei das Zeitalter der »arroganten, absoluten Vernunft« zu Ende. »Die Haltung des Menschen zur Welt« müsse »radikal verändert« werden. Die »Eigenschaften, die der Politiker der Zukunft pflegen« solle, seien »Seele, individuelle Sinnlichkeit, persönliche Einsichten aus erster Hand, der Mut, sich selber zu sein und seinem Gewissen zu folgen, Demut angesichts der mysteriösen Ordnung des Seins, Vertrauen in dessen natürliche Entwicklung und, vor allem, Vertrauen in die eigene Subjektivität als wichtigstes Verbindungsglied zur Subjektivität der Welt«.[26] Das ist Mystizismus wie in den dunkelsten Tagen des Mittelalters. Man fragt sich, ob in Prag nach den Statuen von Marx und Lenin nicht bald auch jene von Jan Hus, der 1415 als Aufklärer verbrannt wurde, vom Sockel gestürzt werden.

Was den Kapitalismus heute noch am Leben erhält, ist die Lähmung der Arbeiterklasse aufgrund des vollkommenen Bankrotts ihrer traditionellen Organisationen. Die Ereignisse in Osteuropa sind nur der schärfste Ausdruck einer umfassenden Krise der gesamten internationalen Arbeiterbewegung. Dieselben Prozesse, die in den letzten Jahren in den stalinistischen Organisationen stattgefunden haben – die restlose Preisgabe der elementarsten Errungenschaften der Arbeiterklasse, die Hinwendung zu einem rein kapitalistischen Programm und schließlich das Auseinanderbrechen der mächtigen Parteiapparate –, spielen sich auch in den sozialdemokratischen Parteien ab. Die SPD in Deutschland, die Labour Party in Großbritannien, die Sozialistische Partei in Frankreich, um nur einige zu nennen – sie alle verfolgen eine arbeiterfeindliche Politik, die von jener der traditionellen bürgerlichen Parteien nicht mehr zu unterscheiden ist. Die Folge ist, dass ihnen Wähler und Mitglieder in Scharen davonlaufen. In Frankreich wurde die Sozialistische Partei bei den letzten Regionalwahlen zur Bedeutungslosigkeit reduziert; in Großbritannien hat die Labour Party 1992 zum vierten Mal in Folge die Unterhauswahlen verloren; und selbst in Deutschland, wo sich der Unmut über die Kohl-Regierung dem Siedepunkt nähert, verliert die SPD regelmäßig Wählerstimmen. Die Sozialdemokratie hat zu früh über den Zusammenbruch des Stalinismus triumphiert. Verdankte ihr dieser in den zwanziger Jahren seinen Aufstieg, so reißt er sie nun mit in den Abgrund.

Der Grund dafür liegt im Bankrott der nationalistischen Programme, auf die sich Stalinismus und Sozialdemokratie stützen. Seit dem Zweiten Weltkrieg bestand ihre Rolle darin, die Arbeiterklasse durch eine Reihe von Zugeständnissen mit dem System von Nationalstaaten zu versöhnen, das in den Abkommen von Jalta und Potsdam festgelegt worden war. Die stalinistische Bürokratie tat dies im Osten, indem sie deformierte Arbeiterstaaten errichtete, die sozialdemokratische im Westen, indem sie die Arbeiterbewegung möglichst weitgehend in den kapitalistischen Staat integrierte. In der Bundesrepublik schuf sie zu diesem Zweck eine Reihe korporatistischer Institutionen, wie die Mitbestimmung, dem Betriebsfrieden verpflichtete Betriebsräte und andere mehr. Zwischen SED und SPD bestand eine Arbeitsteilung, beide trugen auf ihre Weise zur Stabilisierung des Status quo bei. Das Aufbrechen scharfer Handelskriege hat es unmöglich gemacht, diese Politik weiterhin mit materiellen Zugeständnissen zu verbinden. Es hat den Einfluss von Sozialdemokratie und Stalinismus über die Arbeiterklasse vollkommen unterhöhlt.

Betrachtet man die Periode nach dem Zweiten Weltkrieg, so war sie trotz des relativ hohen Lebensstandards, den viele Arbeiter vorübergehend erreichten, eine Periode des Niedergangs und des Zerfalls. Die Vorherrschaft mächtiger Bürokratien über die Arbeiterbewegung verhinderte jede unabhängige politische Aktivität und erstickte die Entwicklung revolutionären Bewusstseins. Der Zusammenbruch dieser Bürokratien und die enorme Zuspitzung aller sozialen Gegensätze schaffen nun die Voraussetzungen für einen neuen revolutionären Aufschwung. Eine solche Entwicklung kann indessen nicht spontan erfolgen. Das lehren alle Erfahrungen der letzten Jahre, angefangen mit dem Solidarność-Aufstand in Polen bis hin zum Herbst 1989 in der DDR. Sind sich die bewusstesten Teile der Arbeiterklasse nicht über ihre politischen Ziele im Klaren, können die reaktionärsten und bankrottesten Kräfte aus dem Kleinbürgertum das politische Vakuum füllen.

Das Ende der DDR und seine katastrophalen Folgen, dies ist das Fazit dieses Buches, stellt die Arbeiterklasse erneut vor jene Aufgabe, an deren Lösung sie von der Sozialdemokratie und vom Stalinismus siebzig Jahre lang gehindert wurde: die Eroberung der politischen Macht und die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft im Rahmen einer sozialistischen Weltrevolution. Der Kapitalismus lässt als Alternative nur den Rückfall in die Barbarei zu.

Das entscheidende Hindernis auf dem Weg zum Sozialismus ist die Krise der Führung der Arbeiterklasse, hervorgerufen durch die Verbrechen der Sozialdemokratie und des Stalinismus. Um sich politisch neu zu bewaffnen, muss sich die Arbeiterklasse die Lehren aus der Oktoberrevolution und ihrer stalinistischen Entartung aneignen. Von ihrer ganzen Geschichte und Tradition her ist nur die Vierte Internationale in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Dazu soll dieses Buch einen Beitrag leisten.

Mai 1992


[1]

Hermann Weber, Geschichte der DDR, München 1985, S. 7.

[2]

1997 wurde der Bund Sozialistischer Arbeiter in die Partei für Soziale Gleichheit umgewandelt, 2017 in Sozialistische Gleichheitspartei umbenannt. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale verfügt mit der »World Socialist Web Site« über eine internationale Publikation.

[3]

Für das E-Book wurde die Rechtschreibung angepasst und die Quellenangaben aktualisiert.

[4]

Trotzki schrieb 1906 in »Ergebnisse und Perspektiven«: »Die russische Revolution schafft unserer Ansicht nach solche Bedingungen, unter denen die Macht an das Proletariat übergehen kann (und bei einer siegreichen Revolution übergehen muss), bevor noch die Politik des bürgerlichen Liberalismus die Möglichkeit erhalten wird, dessen Staatsgenie zur vollen Entfaltung zu bringen.« Leo Trotzki, »Ergebnisse und Perspektiven«, in: Die permanente Revolution, Essen 2016, S. 50. Durch die Oktoberrevolution wurde diese Theorie der permanenten Revolution bestätigt. Vom Stalinismus wurde sie später erbittert bekämpft.

[5]

Dieser Artikel wurde von der stalinistischen Bürokratie jahrzehntelang unterdrückt; in der DDR wurde er erst 1974, in der Sowjetunion sogar erst 1990 zum ersten Mal veröffentlicht. Begründet wurde dieser Akt der Zensur damit, dass Rosa Luxemburg, die im Gefängnis saß und von wichtigen Informationen abgeschnitten war, in einigen Fragen scharfe Kritik an der Politik der Bolschewiki übt. Tatsächlich bewundert sie den Mut Lenins und Trotzkis, verliert dabei aber weder ihren kritischen Geist, noch verfällt sie in jene blinde Lobhudelei, die dem Marxismus völlig fremd ist und erst unter Stalin zur Pflicht für jedes Mitglied einer Kommunistischen Partei erklärt wurde. Liest man den Artikel, wird der eigentliche Grund für die stalinistische Zensur klar: Nirgends sonst wird die völlige Übereinstimmung Luxemburgs mit Trotzki in der entscheidenden Frage des internationalen Charakters der russischen Revolution so deutlich.

[6]

Rosa Luxemburg, »Zur russischen Revolution«, in: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1975, S. 333–334.

[7]

Leo Trotzki, Verratene Revolution, Essen 2016, S. 145. Trotzkis 1936 verfasste »Verratene Revolution« bleibt bis heute die wichtigste und gründlichste Analyse über Aufstieg, Ursachen und Charakter des Stalinismus in der Sowjetunion. Wir verweisen den Leser, der sich näher mit dieser Frage befassen will, auf dieses Buch.

[8]

Mit diesen Worten fasst Trotzki die Ursachen für den Sieg der Bürokratie zusammen (Verratene Revolution, ebd., S. 130).

[9]

Leo Trotzki, »Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats«, in: Porträt des Nationalsozialismus, Essen 1999, S. 80.

[10]

Zitiert in: Werner T. Angress, Die Kampfzeit der KPD, 1921–1923, Düsseldorf 1973, S. 365.

[11]

Eine detaillierte Darstellung des spanischen Bürgerkriegs und der konterrevolutionären Rolle des Stalinismus findet sich in: Felix Morrow, Revolution und Konterrevolution in Spanien, Essen 2020.

[12]

Unter den weiteren Opfern befanden sich die Politbüromitglieder Hermann Schubert und Fritz Schulte; die ZK-Mitglieder Hugo Eberlein, August Creutzburg und Paul Dietrich; der Organisationssekretär Leo Flieg; der Leiter des Militärapparates Hans Kippenberger; der Leiter der Roten Hilfe Willi Koska; der Leiter des Roten Frontkämpferbundes Willi Leow; die Chefredakteure der »Roten Fahne« Heinrich Süßkind und Werner Hirsch; die Redakteure der »Roten Fahne« Erich Birkenhauer, Alfred Rebe, Theodor Beutling und Heinrich Kurella; der ZK-Jurist Felix Halle; der Parteitheoretiker Kurt Sauerland; die Landtagsabgeordnete Johanna Ludwig und viele andere mehr (Laut Hermann Weber, »Der Deutsche Kommunismus«).

[13]

Zitiert in: Hermann Weber, Geschichte der DDR, München 1985, S. 58.

[14]

Wolfgang Leonhard, Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln 1955, S. 388.

[15]

Revolutionäre deutsche Parteiprogramme, Berlin 1967, S. 196–197.

[16]

Zitiert in: Dietrich Staritz, Die Gründung der DDR, München 1984, S. 78.

[17]

Hermann Weber, Geschichte der DDR, München 1985, S. 207–208.

[18]

Die Bundesrepublik kann hier nicht als Vergleichsmaßstab gelten, weil sie gegenüber der DDR über eine Reihe unvergleichbarer Vorteile verfügte: So wurden die Demontagen in den westlichen Zonen nach kurzer Zeit eingestellt, während der industriell sowieso weniger entwickelte Osten noch 1946 zwischen 60 und 80 Prozent der Kapazitäten in der Schwerindustrie durch Demontagen verlor. Und die Bundesrepublik hatte praktisch unbeschränkten Zugang zu internationalen Krediten, Technologien und Absatzmärkten, während die DDR davon weitgehend abgeschnitten blieb.

[19]

Leo Trotzki, Die permanente Revolution, ebd., S. 132.

[20]

Eine detaillierte Untersuchung über den Aufstieg und das Scheitern von Solidarność und die Rolle der »Berater« findet sich in dem Buch von Wolfgang Weber, Solidarność 1980–1981, Essen 1987.

[21]

Der Spiegel, 9. September 1991.

[22]

Friedrich Engels, »Revolution und Konterrevolution in Deutschland«, in Marx Engels Werke (MEW), Bd. 8, Berlin 1972, S. 46 und 99.

[23]

Siehe Dokument 2 in diesem Band.

[24]

Oskar Hippe, … und unsere Fahn’ ist rot, Hamburg 1979, S. 208.

[25]

Siehe dazu die Dokumente 5, 13, 14, 39, 54, 62, 63 und 64 in diesem Band.

[26]

The New York Times, 1. März 1992.