David North
Das Erbe, das wir verteidigen

Die kubanische Revolution

Die Umgruppierungspolitik der SWP zwischen 1957 und 1959 war eine entscheidende Wegwendung von revolutionärer Politik, die sich auf die Mobilisierung der Arbeiterklasse stützt, und eine Hinwendung zu reformistischer Protestpolitik, die sich auf prinzipienlose Bündnisse mit Stalinisten, Radikalen, Pazifisten und anderen Vertretern der amerikanischen Mittelklasse stützt. Nach den Erfahrungen der Wahlkampagne von 1958 war der liquidatorische Charakter der Umgruppierungspolitik nicht mehr zu verbergen, und unter einem beträchtlichen Teil der SWP-Mitgliedschaft machte sich Verwirrung und Unruhe breit. Eine rechte Tendenz im Politischen Komitee, die hauptsächlich von Murry Weiss vertreten und von Joseph Hansen unterstützt wurde, drängte auf die Fortsetzung der Umgruppierungspolitik. Im Entwurf der Resolution zur politischen Lage, der Anfang 1959 für den bevorstehenden Achtzehnten Kongress ausgearbeitet wurde, bejubelte das Politische Komitee die Erfolge der Umgruppierung und fasste eine weitere, breit angelegte »unabhängige« sozialistische Kampagne für 1960 ins Auge.

Aber am Vorabend des Parteitags erkannte Cannon, dass die SWP auf dem besten Wege zur vollständigen Liquidation war, packte die Abschrift einer Rede ein, mit der er bereits die Mitglieder in Los Angeles vor einer Fortsetzung der Umgruppierungskampagne gewarnt hatte, und bestieg ein Flugzeug nach New York. Das Sekretariat des Politischen Komitees trat zu einer Reihe von Sitzungen zusammen und beschloss, die Umgruppierungskampagne offiziell abzubrechen.

Hastig wurde eine neue Resolution entworfen, und als der Parteikongress im Juli 1959 eröffnet wurde, musste Farrell Dobbs die unerwartete Wende in den Perspektiven erklären. Die Korrektur wurde nicht auf prinzipielle Weise vollzogen. Es wurde nicht zugegeben, dass Cannon und die Führung einen Fehler gemacht hatten. Stattdessen wurde einfach erklärt, die Umgruppierungspolitik gelte fortan nicht mehr.

Die SWP-Führung versuchte, den Eindruck zu vermitteln, als hätten die kleinbürgerlichen Kräfte, mit denen die SWP seit 1957 zusammengearbeitet hatte, erst vor Kurzem einen Rechtsschwenk vollzogen. Dobbs bekräftigte die »Richtigkeit unserer dreijährigen Umgruppierungspolitik« und erklärte:

Es wäre jetzt ein Fehler, an dieser Politik festzuhalten, als sei nichts geschehen. Gegenüber Kräften, die sich, wie es der Fall war, in unsere Richtung bewegten, stand eine flexible Haltung nicht im Widerspruch zu programmatischer Festigkeit. Aber wir müssen erkennen, dass sich der Trend jetzt umkehrt, dass sie sich von revolutionären Positionen entfernen. Unter diesen Umständen wäre es falsch, an einer mechanisch verstandenen flexiblen Haltung festzuhalten, denn das würde eine Tendenz zu einer weichen Haltung in programmatischen Fragen bedeuten und die Gefahr nach sich ziehen, dass wir unsere revolutionären Prinzipien aufs Spiel setzen.[1]

Um die Ablehnung der Umgruppierung durchzubringen, musste Dobbs gezwungenermaßen einige unangenehme Fakten aus dem Wahlbündnis des vergangenen Jahres enthüllen:

In den vereinigten Wahlkampagnen konnten wir nur einen Teil unseres Programms vorbringen. Um zum Beispiel in New York das Bündnis angesichts eines stalinistischen Angriffs zusammenzuhalten, mussten wir in der Frage der sozialistischen Demokratie klein beigeben und auf unser Recht auf einen Platz auf der Kandidatenliste verzichten. Das waren keine Zugeständnisse in Prinzipienfragen, aber sie wogen schwer – wir verzichteten auf eine ganze Menge. Und man sollte betonen, dass derartige Zugeständnisse kein Präzedenzfall für irgendein zukünftiges Wahlbündnis sind.

Die Genossen in Seattle hatten Schwierigkeiten mit einem Bündniskandidaten, der darauf bestand, als Liberaler aufzutreten, und überhaupt in ihrer Wahlkampagne eine zersetzende Rolle spielte. Mit Blick auf diese Erfahrung werden sie sicherlich als Erste zustimmen, dass in einem Wahlbündnis alle Kandidaten bereit sein müssen, sich zum Sozialismus zu bekennen.[2]

In einem Versuch, den Folgen der dreijährigen Rechtsorientierung entgegenzuwirken, hieß es im neuen Resolutionsentwurf, »es wäre unrealistisch, in unserer Kampagne wie bisher für eine organisatorische Umgruppierung einzutreten«. Die Treue zu den Grundideen der Vierten Internationale wurde bekräftigt:

Alle Ereignisse seit dem Ausbruch der Krise des Stalinismus haben die Position des Trotzkismus, der einzigen wirklich revolutionären Tendenz in unserem Land und international, bestätigt. Es gab und gibt nicht den geringsten Grund, die grundlegenden programmatischen Positionen aufzugeben oder zu verändern, die unsere Bewegung erarbeitet und seit 1928 im Kampf verteidigt hat. In den letzten drei Jahren hat die SWP in der Praxis erneut ihre Bereitschaft gezeigt, mit sozialistisch gesonnenen Einzelpersonen oder Gruppen, die andere politische Auffassungen vertreten, zusammenzuarbeiten, wenn es um Bürgerrechte, die Arbeiterbewegung, den Kampf der Neger und die Sache des Sozialismus geht. Die Partei hat einen Ideenstreit über programmatische Fragen geführt, ohne in ultimatistischer Weise Bedingungen zu stellen, die jede Diskussion von vornherein abgeblockt hätten. Die Partei wird diese Haltung beibehalten. Aber mit dieser Herangehensweise, die wir erstmals in der revolutionären sozialistischen Umgruppierungsarbeit der dreißiger Jahre praktizierten, beabsichtigten wir niemals, auf Kosten revolutionärer Prinzipien, ohne die keine schlagkräftige und standhafte revolutionäre Vorhut-Partei geschaffen werden kann, eine politisch heterogene Partei aufzubauen …

Im Gegensatz zu allen anderen Tendenzen gründen wir uns auf marxistische Prinzipien. Unser Ziel ist der Aufbau einer unabhängigen revolutionären Partei der Avantgarde. Jeden Gedanken an einen allumfassenden Ersatz für eine revolutionäre Partei weisen wir zurück, denn »allumfassend« heißt reformistisch, und reformistische Parteien können keine Revolution führen.[3]

Dieser verspätete Versuch Cannons, die SWP wieder auf einen orthodoxen Kurs zu bringen, war zum Scheitern verurteilt, wenn nicht innerhalb der Partei und der internationalen Bewegung ein offener Kampf gegen die Ausbreitung revisionistischer Tendenzen aufgenommen würde. Die Krise in der SWP hatte schon längst ein Stadium erreicht, in dem man sie nicht mehr einfach durch eine Resolution und ein paar organisatorische Maßnahmen unter Kontrolle bringen konnte.

Nichts konnte die SWP davor bewahren, dem gewaltigen Klassendruck des US-Imperialismus zu erliegen, außer einem Kampf für die erneute Ausbildung der gesamten Partei in den Grundlagen des Trotzkismus. Diese Ausbildung hätte nicht in ein paar Schulstunden bestanden. Sie hätte einen direkten Kampf gegen die Kräfte in der SWP-Führung und der Mitgliedschaft bedeutet, die inzwischen die Interessen feindlicher Klassenkräfte vertraten. Ein solcher Kampf innerhalb der SWP wäre nur als Teil eines internationalen Kampfs für revolutionäre Perspektiven möglich gewesen. Die SWP wäre folglich gezwungen gewesen, ihr Bündnis mit dem Internationalen Komitee wieder zu befestigen und den theoretischen und politischen Kampf gegen den Pablismus wieder aufzunehmen. Aber weil Cannon erkannte, dass ein solcher Kampf aller Wahrscheinlichkeit nach wieder zu einer größeren Spaltung in der SWP führen würde, machte er einen Rückzieher und versetzte so den Prinzipien, für die er 30 Jahre lang gekämpft hatte, einen verheerenden Schlag. Es dauerte nicht lange, und die SWP-Führung hatte trotz der Ächtung der Umgruppierung ein neues politisches Banner gefunden, unter dem sie den Trotzkismus bekämpfen konnte.

Der Achtzehnte Parteikongress hatte von den Ereignissen in Kuba kaum Notiz genommen, sie vielleicht gar nicht registriert. Noch deutete nichts darauf hin, dass die SWP in Kürze den Castroismus als neue revolutionäre Strömung feiern sollte, durch die sich der bewusste Kampf für den Aufbau einer revolutionären marxistischen Führung erübrige. In allen Berichten, die in den ersten Monaten nach Batistas Sturz am 1. Januar 1959 über die kubanische Revolution erschienen, hatte »The Militant« Castro als bürgerlichen Nationalisten definiert und eine kritische Haltung eingenommen. In einem Angriff auf die Pablisten, der als Pflichtübung in seinem Bericht vor dem Achtzehnten Kongress enthalten war, verhöhnte Dobbs diejenigen, »die sich in möglichst elegante Lösungen für die Weltkrise vertiefen, die keine Massenaktionen erfordern«, und griff die Auffassung an, »dass Wissenschaft und Technik plus verstaatlichte Eigentumsverhältnisse plus bürokratische Reformen die historische Krise der Gesellschaft mit stalinistischen Mitteln lösen können«. Er betonte »den historisch notwendigen Weg zur vollen Arbeitermacht, zur vollen Durchsetzung der Macht der Arbeiterklasse«.[4]

Es dauerte jedoch nur wenige Monate, und alles, was in der SWP von dieser Perspektive noch übriggeblieben war, wurde endgültig verworfen. Die kubanische Revolution wurde zum Dreh- und Angelpunkt der Parteiarbeit, die SWP erklärte Kuba zum Arbeiterstaat und fing an, den Castroismus als politischen Ersatz für den Aufbau einer marxistischen Führung in der Arbeiterklasse zu umjubeln.

Trotz der offiziellen Beendigung der Umgruppierung im Sommer 1959 wurde die Anpassung an den kleinbürgerlichen Radikalismus im Frühjahr 1960 fortgesetzt, und zwar durch das Eingreifen der SWP im Fair Play for Cuba Committee (Komitee »Gerechtigkeit für Kuba«). In einer gesonderten Studie[5] hat das Internationale Komitee die zweifelhaften Ursprünge dieser Organisation dokumentiert, deren Entstehung zwischen Februar und April 1960 von einem Geschäftsmann aus New Jersey finanziert wurde, einem gewissen Alan Sagner, der hinter den Kulissen der Demokratischen Partei großen Einfluss hatte. Das Fair Play for Cuba Committee, das bekanntermaßen vom FBI und der CIA unterwandert war, wurde zum Medium, durch das eine außergewöhnlich große Anzahl Studenten aus einem einzigen kleinen College im Mittleren Westen, an dem die SWP politisch nicht aktiv war, in die Partei eintraten.

Diese Exstudenten aus Carleton wurden zwischen 1961 und 1966 in Führungspositionen der SWP gehievt und bilden bis heute ihren Führungskern.

Die Periode, in der diese große Gruppe von Carleton-Studenten in die Partei eintrat und rasch in Führungspositionen gelangte, entspricht nach dem Zeugnis offizieller Regierungsdokumente der Periode der größten staatlichen Überwachung und Infiltration der SWP. Außerdem hat das Internationale Komitee durch unter Eid geleistete Aussagen von Farrell Dobbs (im Verlauf des Prozesses Gelfand vs. Generalstaatsanwalt, SWP et al.) festgestellt, dass der alternde SWP-Führer weder über Barnes’ Hintergrund noch seine politische Geschichte etwas wusste, als der Excarletonianer ihn als nationalen Sekretär ablöste.

Diese Tatsachen zu den Vorwürfen, die das Internationale Komitee gegen die Führung der SWP erhebt, sind bereits in einer Artikelserie dargelegt worden, in der der Autor dieses Buchs Bandas fraktionell motivierte Verleumdung der Untersuchung »Sicherheit und die Vierte Internationale« beantwortet.[6] Weder Banda noch sonst jemand hat versucht, diese jüngste Darstellung zu widerlegen. Alle Angriffe gegen »Sicherheit und die Vierte Internationale« zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich niemals mit den Tatsachen befassen, aufgrund derer das Internationale Komitee erklärt, dass die gegenwärtige Führung der SWP massiv von Agenten des Staats durchsetzt ist.

Die staatliche Unterwanderung der SWP ist ein zweitrangiger Aspekt ihrer politischen Degeneration. Das Fair Play for Cuba Committee konnte nur unter solchen Bedingungen zu einem Vehikel staatlicher Infiltration werden, in denen sich die SWP in einem Zustand bösartiger politischer Degeneration befand und sich rasch von allen ihren Bindungen an Programm, Prinzipien und Perspektiven des Trotzkismus trennte. Die kubanische Revolution – auf die sich Hansen zwar stürzte, um die Führung der Socialist Labour League zu verleumden und den vergifteten Fraktionalismus anzuheizen, der den Bruch vom Internationalen Komitee erleichterte – war keinesfalls ein vorgeschobener, künstlicher Streitpunkt. Dass die SWP unkritisch Castro anhimmelte und Kuba als Arbeiterstaat bezeichnete, hing mit der langen politischen Degeneration der Partei während der vergangenen Jahre zusammen. In diesem Sinne war die Haltung der SWP zur kubanischen Revolution der höchste programmatische Ausdruck ihres Bruchs mit dem Trotzkismus und dem ganzen historisch entwickelten marxistischen Verständnis der sozialistischen Revolution.

Wenn man einen Augenblick lang von Hansens Verbindungen sowohl zur sowjetischen Geheimpolizei als auch zum FBI – für die das Internationale Komitee erdrückende Beweismaterialien vorgelegt hat – absieht, so versinnbildlichte sein Aufstieg zum Cheftheoretiker der SWP während der Kontroverse über Kuba den scheußlichen politischen Verfall der Partei. Bevor Hansen in Kuba einen Arbeiterstaat »entdeckte«, hatte er zehn Jahre lang politisch immer dem rechten Flügel angehört.

In der Auseinandersetzung über Jugoslawien 1949–1950 hatte sich Hansen mit ausgesprochen vulgären und impressionistischen Argumenten Pablo angeschlossen. Die entscheidende Frage der Formen wirklicher Arbeitermacht, der Marx, Lenin und Trotzki so große Aufmerksamkeit gewidmet hatten, tat Hansen als bloße »Normenfrage« ab, die bei der Bewertung des Klassencharakters eines gegebenen Staats keine besondere Rolle spielte, und setzte so praktisch die Verstaatlichung mit der Entstehung eines Arbeiterstaats gleich. 1954 verband er seine falsche Bewertung der McCarthy-Ära als Faschismus mit einem unzulässigen Zugeständnis an den bürgerlichen Liberalismus. 1955, nachdem er in der Partei einen entzweienden und überflüssigen Streit über die Verwendung von Kosmetik durch Frauen angezettelt hatte, unterstützte er die Forderung nach dem Einsatz von Bundestruppen im Süden und argumentierte wie ein typischer kleinbürgerlicher Demokrat, dass die SWP nun zum glühendsten Verfechter der bürgerlichen Demokratie werden müsse. Auf dem Höhepunkt der Umgruppierungskampagne 1958 brachte Hansen einen Artikel zu Papier, der auf eine völlige Zurückweisung einer der zentralen programmatischen Auffassungen der Vierten Internationale hinauslief: des Aufrufs zur politischen Revolution gegen die sowjetische Bürokratie. So sah die Geschichte des Mannes aus, der im Dezember 1960 den »Thesenentwurf zur kubanischen Revolution« vorlegte, in dem behauptet wurde, Castro habe einen Arbeiterstaat geschaffen.

Hansens Argumentation unterschied sich im Wesentlichen nicht von der, die er zehn Jahre zuvor in Bezug auf Jugoslawien vertreten hatte. Die Feststellung, dass Castro in großem Maßstab die Enteignung kapitalistischen Eigentums veranlasst hatte, genügte ihm für die Schlussfolgerung, in Kuba sei ein Arbeiterstaat errichtet worden. All die komplexen geschichtstheoretischen Probleme, mit denen sich die SWP im Falle Jugoslawiens und der Pufferstaaten befasst hatte, erwähnte Hansen kaum. Die weitreichenden politischen Schlussfolgerungen, die vom Standpunkt der marxistischen Theorie aus folgten, wenn man Kuba unter Bedingungen als Arbeiterstaat definierte, in denen die Führung der Revolution eindeutig einen kleinbürgerlichen Charakter hatte und die Machteroberung in keiner Weise mit irgendwelchen unabhängigen Organen der Arbeitermacht verbunden war, wischte Hansen beiseite. Er ignorierte die bitteren Lehren aus der Spaltung von 1953, die der Vierten Internationale vor Augen geführt hatten, wie richtig Trotzkis Ausspruch war: Hinter jeder soziologischen Definition steckt eine historische Perspektive. Hansen wollte, dass das Internationale Komitee vergaß, wie Pablo die Definition der Pufferstaaten und Jugoslawiens als deformierte Arbeiterstaaten ausgenutzt hatte, um dem Stalinismus revolutionäre Fähigkeiten zuzuschreiben und damit den Marxismus und die Vierte Internationale frontal anzugreifen.

Wie wir bereits festgestellt haben, bedachten die Pablisten nicht nur den Stalinismus mit einer revolutionären Rolle, sondern billigten auch ganz selbstverständlich die Vorherrschaft des Kleinbürgertums über die anti-imperialistischen Kämpfe in den zurückgebliebenen Ländern. In jedem Land und unter allen Bedingungen wandten die Pablisten der zentralen historischen Aufgabe, für die die Vierte Internationale aufgebaut wurde, den Rücken zu: der Lösung der Krise der revolutionären Führung des Proletariats. Als die SWP die amerikanische Arbeiterklasse aufgegeben und sich bereits weitgehend an das Kleinbürgertum in den Vereinigten Staaten angepasst hatte, fand sie in Kuba die Grundlage für eine Wiedervereinigung mit den Pablisten.

Ohne eine Analyse der Auseinandersetzungen über Kuba kann man den fundamentalen Charakter der programmatischen Differenzen, die 1963 zur Spaltung führten, nicht verstehen. Vom Programm und den historischen Perspektiven her waren in der Analyse der kubanischen Revolution die Klassenlinien, die das Internationale Komitee von der SWP und dem Internationalen Sekretariat abgrenzten, klar gezogen. Aber Michael Banda, der den politischen Prozess nicht analysiert, in dem sich die Kapitulation der SWP vor fremden Klassenkräften ausdrückte, ignoriert ebenso die tiefgehende Bedeutung der Fragen, die ihre Haltung zu Kuba aufbrachte. Banda schreibt einfach: »Eine weitere Täuschung, die aus der Welt geschafft werden muss, ist die Legende, dass die Diskussion über Kuba das Internationale Komitee als ›orthodox‹ auswies.« Typisch für Bandas Methode ist, wie er über die bloße Behauptung hinaus nicht versucht, diese angebliche »Täuschung« zu widerlegen.

Hansens Behauptung, in Kuba sei ein Arbeiterstaat geschaffen worden, richtete sich nicht nur gegen den Trotzkismus als die organisatorische Verkörperung des Marxismus von heute, sondern gegen die Gesamtheit der historisch entwickelten Auffassungen des wissenschaftlichen Sozialismus als bewusstem Ausdruck der revolutionären Bestimmung des Proletariats. Wenn Arbeiterstaaten durch kleinbürgerliche Guerillaführer errichtet werden konnten, die sich vorwiegend auf die Bauernschaft stützten und keine besondere historische, organisatorische und politische Verbindung zur Arbeiterklasse hatten, und das unter Bedingungen, in denen man keine Organe der Klassenherrschaft ausfindig machen konnte, durch die die Arbeiterklasse ihre Diktatur ausübte, dann folgte daraus eine insgesamt neue Auffassung des historischen Wegs zum Sozialismus, die mit der marxistischen nicht das Geringste zu tun hatte.

Marx’ Schriften über die Kommune und Lenins Feststellung über die universale Bedeutung der Sowjetherrschaft als neue, vom Proletariat »entdeckte« Form der Staatsmacht des ersten nichtbürgerlichen Staatstyps wurden damit hinfällig. Das marxistische Festhalten an der führenden Rolle des Proletariats, ja selbst die Identifikation marxistischer Parteien mit dem Proletariat wurde in Frage gestellt. Die Bedeutung der Bemühungen von Generationen von Marxisten, das Proletariat unabhängig von allen anderen Klassen, einschließlich der unterdrückten Bauernschaft, zu organisieren und die Arbeiterbewegung mit wissenschaftlichem sozialistischem Bewusstsein zu erfüllen, wurde offen in Zweifel gezogen.

Die Behauptung, man könne den Klassencharakter des kubanischen Staats einfach anhand von Castros Enteignungen und Verstaatlichungen definieren, war eine grundlegende Abweichung von der marxistischen Theorie der proletarischen Revolution.

Aber Hansen flatterte über diese fundamentalen theoretischen Fragen hinweg. Sein »Thesenentwurf« handelte das Problem der Formen der Staatsmacht summarisch ab. Die Thesen 12 und 13 lauteten:

12. Die kubanische Revolution hat noch keine demokratischen proletarischen Herrschaftsformen wie Arbeiter- und Bauernräte eingeführt. Sie hat sich jedoch auf ihrem Weg in Richtung Sozialismus als tendenziell demokratisch erwiesen. Sie zögerte nicht, das Volk zu bewaffnen und eine Volksmiliz aufzustellen. Sie hat allen Gruppierungen, die die Revolution unterstützen, freie Meinungsäußerung garantiert. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich wohltuend von den anderen nichtkapitalistischen Staaten, die sich mit dem Stalinismus besudelten.

13. Wenn sich die kubanische Revolution ungehindert entwickeln könnte, dann würden ihre demokratischen Formen zweifellos bald zur Schaffung proletarischer demokratischer Formen führen, die Kubas Bedürfnissen entsprächen. Einer der stärksten Gründe, die Revolution tatkräftig zu unterstützen, besteht daher darin, dieser Tendenz die maximale Entfaltungsmöglichkeit zu bieten.[7]

Das war keine wissenschaftliche Analyse, sondern ein Wunschtraum. Bis heute gibt es keine speziell proletarischen Organe der Arbeitermacht, und der Trotzkismus ist nach wie vor verboten. Außerdem hat Castro die Unterdrückung von Arbeiterbewegungen außerhalb Kubas, d. h. in der Tschechoslowakei und Polen, loyal unterstützt. Hansens zwölfte These, die die »demokratischen proletarischen Herrschaftsformen« als etwas darstellte, das von einer Regierung »eingeführt« würde, beinhaltete einen groben theoretischen Fehler.

Diese Behauptung hatte absolut nichts mit dem marxistischen Verständnis des Staats oder der Diktatur des Proletariats zu tun. Der Sowjet als die spezifisch proletarische Staatsform ist eine soziale Massenerscheinung, die in einem sehr fortgeschrittenen Stadium des Klassenkampfs aus der Entwicklung der Arbeiterklasse hervorgeht, die Bourgeoisie stürzt und sich als neue Staatsform etabliert. Der Bolschewismus hat die Sowjetmacht nicht »erfunden« oder der Arbeiterklasse »eingeräumt«. Nein, er eroberte die Staatsmacht durch die Sowjetform, wie sie das russische Proletariat geschaffen hatte, dessen Klassenbewusstsein durch einen jahrzehntelangen Kampf der marxistischen Sozialisten entwickelt worden war.

Den Sowjet als eine Form der Staatsmacht, die organisch aus der ganzen historischen Entwicklung und den Massenkämpfen der Arbeiter entsteht, kann man nicht mit den bürokratischen Institutionen gleichsetzen, die für gewöhnlich von nationalistischen Führern in rückständigen Ländern eingeführt werden, um ihr Regime zu stabilisieren. Castros »Poder Popular« (»Volksmacht«), die überdies erst mehr als zehn Jahre nach der Revolution eingeführt wurde, ist ebenso wenig ein Ersatz für Sowjets wie Oberst Gaddafis »Jamahiriyyas«. In einer Untersuchung zu Kuba erklären Autoren, die Castro sehr unterstützen und Kuba für einen sozialistischen Staat halten, die Ursprünge der »Poder Popular«, die Mitte der siebziger Jahre eingeführt wurde, folgendermaßen:

Nach dem Fehlschlagen des ehrgeizigen Zuckerproduktionsplans in diesem Jahr [1970] folgte eine Periode dringend notwendiger Neufestsetzung und Neuformulierung der Wirtschaftspläne und politischen Prozesse. Im Grunde schien es zu diesem Zeitpunkt die Wahl zu geben, entweder mit autoritativen und bürokratischen Mitteln vorwärtszugehen, mit strenger Arbeitsdisziplin und materiellen Produktionsanreizen, worauf die UdSSR drängte, oder nach einem Weg zu suchen, mit moralischen Anreizen und größerer Mobilisierung und Beteiligung der Volksmassen eine höhere Produktivität zu erzielen. Fidel Castro hat Letzterem bekanntlich den Vorzug gegeben.[8]

In einem Artikel von 1960 zitierte Hansen unter der Überschrift »Ideologie der kubanischen Revolution« kritiklos die Ansichten Che Guevaras, der das Konzept einer proletarischen Revolution ausdrücklich zurückwies und behauptete, die Arbeiterbewegung könne nicht die Achse des revolutionären Kampfs in Lateinamerika bilden:

»Der dritte Bestandteil ist von grundlegender Bedeutung und muss all jene zur Besinnung bringen, die mit dogmatischen Kriterien versuchen, das Zentrum des Massenkampfs in die Bewegung der Städte zu verlagern, und dabei die unermessliche Rolle der Landbewohner im Leben aller unterentwickelten Länder Amerikas völlig vergessen. Die Kämpfe der organisierten Arbeitermassen sollen nicht herabgemindert werden, aber die Analyse wählt einfach ein realistisches Kriterium zur Einschätzung unserer Möglichkeiten unter den schwierigen Bedingungen des bewaffneten Kampfs, wo die Garantien, mit denen sich unsere Verfassung normalerweise schmückt, aufgehoben sind oder nicht beachtet werden. Unter solchen Bedingungen muss die Arbeiterbewegung konspirativ arbeiten und sich ohne Waffen in der Illegalität enormen Gefahren aussetzen. Auf dem flachen Land ist die Situation nicht so schwierig, die Landbewohner unterstützen die bewaffneten Guerillas in Gegenden, die die Unterdrückungskräfte nicht erreichen können.«[9]

Guevara wusste es wahrscheinlich nicht – und Hansen vermutlich auch nicht –, aber seine Argumente dafür, die revolutionäre Organisierung des Proletariats aufzugeben und die Arbeit auf die Bauernschaft zu konzentrieren, waren alles andere als neu. Der russische Marxismus im Allgemeinen und der Bolschewismus im Besonderen entwickelten sich in einem erbarmungslosen Kampf gegen all jene Kräfte, die auf der entscheidenden Rolle der Bauernschaft beharrten und die proletarische Grundlage der sozialistischen Revolution ablehnten. In einer Fortsetzung und Vertiefung von Plechanows Arbeit unterwarf Lenin die Auffassungen der Volkstümler, die die Arbeiterklasse der Bauernschaft unterordneten, einer vernichtenden Kritik. Das politische Wesen der sozialrevolutionären Bewegung fasste Lenin bissig-prägnant zusammen: »Versuch der kleinbürgerlichen Intelligenz, die Arbeiterbewegung zu eskamotieren = radikale, revolutionäre kleinbürgerliche Demokratie.«[10]

Diese Beobachtung ist der Schlüssel zum Verständnis der hypnotischen Anziehungskraft des Castroismus, Maoismus und anderer Formen des linken bürgerlichen Nationalismus auf die heutige radikale kleinbürgerliche Intelligenz. Er dient dazu, »die Arbeiterbewegung zu eskamotieren«, die demokratischen und sozialistischen Elemente der anti-imperialistischen Bewegung durcheinanderzuwerfen und die Ablehnung der Führungsrolle des Proletariats und seine Unterordnung unter die Bauernschaft mit linken Phrasen zu rechtfertigen.

Hansen passte sich Guevaras Position an. »Guevara schließt die Aktion des städtischen Proletariats nicht völlig aus«, vermerkte er. »Aber da sich das Stadtgebiet für den Guerillakrieg sehr schlecht eignet, sind nur beschränkte Aktionen möglich.«[11]

Hansen wandte sich auch nicht geradeheraus gegen Guevaras Erklärung, dass das entscheidende Charakteristikum der kubanischen Agrarreformen »der Beschluss ist, sie zu Ende zu führen ohne Begünstigung oder Zugeständnisse an irgendeine Klasse«.[12] Stattdessen nahm Hansen zu Spitzfindigkeiten und zynischen Zweideutigkeiten Zuflucht, um die SWP zu überzeugen, dass es eigentlich egal sei, welche Ansichten Guevara und Castro schriftlich und mündlich vertraten:

Leo Trotzki bemerkte 1940: »Die Aufgabe auf Leben oder Tod für das Proletariat besteht jetzt nicht darin, die Welt neu zu interpretieren, sondern sie von oben bis unten zu verändern. In der nächsten Epoche können wir große Revolutionäre der Tat erwarten, aber kaum einen neuen Marx.«

Es sieht so aus, als habe Kuba seinen Beitrag zur Bestätigung dieser Beobachtung geleistet. Die kubanischen Revolutionäre sind sich sicher, dass sie mit ihrem Aktionsmuster ganz Lateinamerika den Weg weisen. Der Beweis ist ihr eigener Erfolg. Aber wenn wir die genaue Bedeutung ihrer Taten bestimmen wollen, ist es nicht leicht, marxistische Klarheit zu finden …

Es ist ganz richtig, dass die kubanischen Revolutionäre keine Zeit haben, feine Theorien zu spinnen. Es sind praktische Leute, die bis über beide Ohren in Arbeit stecken. Sie haben kaum die Zeit, einmal aufzublicken von ihrem Tag und Nacht vollen Arbeitsplan seit ihrer Macht­eroberung.[13]

Diese schamlose Verherrlichung der Intuition und bösartige Herabminderung der entscheidenden Rolle des Bewusstseins im Kampf für den Sozialismus richtete Hansen bewusst gegen die Notwendigkeit, Sektionen der Vierten Internationale auf der Grundlage der Strategie der sozialistischen Weltrevolution aufzubauen. Seine Verherrlichung der Spontaneität diente letztlich dazu, die Verwirklichung der programmatischen Ziele der Vierten Internationale Führern zuzuschreiben, die unabhängig von ihrer Herkunft oder Perspektive einfach unter dem Druck objektiver Ereignisse handelten. Auf diese Weise verwandelte Hansen die Krise der revolutionären Führung erst in eine Rechtfertigung und Entschuldigung für den Castroismus und tat dann so, als sei der Castroismus die Lösung dieser Krise! Die Vierte Internationale brauchte nicht länger einen proletarischen Kader organisieren und ausbilden, um den Einfluss des konterrevolutionären Stalinismus in der internationalen Arbeiterbewegung zu besiegen. Diese Aufgabe wurde durch die bloße Macht objektiver Kräfte gelöst, die sich auf ihre eigene, mysteriöse Weise der Führungen bedienten, die gerade zur Hand waren, und durch diese die Revolution vorantrieben:

Unfähig, das Hindernis des Stalinismus aus dem Weg zu sprengen, wich die Revolution ein ganzes Stück zurück und nahm einen Umweg. Dieser Umweg führte uns zum Teil durch sehr raues Gelände, darunter die Sierra Maestra in Kuba, aber es ist klar, dass die stalinistische Straßensperre jetzt umfahren wird.

Um eine Führung zu finden, muss man sich nicht an Moskau wenden. Das ist die Hauptlehre aus der Erfahrung in Kuba …

Um endlich aus der Hypnose des Stalinismus auszubrechen, musste man auf allen Vieren durch die Urwälder der Sierra Maestra kriechen.[14]

Das war nicht Marxismus, sondern Mystizismus. Wenn der Bruch mit dem Stalinismus ohne die theoretische Ausbildung eines Kaders in der Arbeiterklasse einfach dadurch möglich war, dass eine Handvoll mutiger Männer »auf allen Vieren« irgendwo durchkrochen, dann folgte daraus, dass der gesamte theoretische und politische Kampf der Linken Opposition und der Vierten Internationale seit 1923 historisch gesehen überflüssig war. Hansens »Hauptlehre« aus der kubanischen Revolution hat Castro selbst außerdem offensichtlich nicht gezogen, denn es dauerte nicht lange, bis sich der kubanische Führer aufgrund nationaler Erwägungen an die politische Linie der Sowjetbürokratie anzupassen begann. Diese spätere Wende der kubanischen Politik wurde dann von Hansen auf der Stelle verteidigt.

Die Tatsache, dass Hansen Castros Sieg sogar als Umgehung der »stalinistischen Straßensperre« bezeichnete, hieß, dass er Kuba ausschließlich vom Standpunkt des nationalen Kampfs aus beurteilte. Der Kampf gegen den Stalinismus ist vor allem der Kampf für die Verwirklichung der Strategie der Weltrevolution durch den Aufbau einer internationalen Partei, die die Arbeiter aller Länder vereint. Diese Strategie ist aus der politischen und theoretischen Grundvoraussetzung abgeleitet, dass der Sozialismus nur durch das kollektive und koordinierte Wirken der internationalen Arbeiterklasse erreicht werden kann. Trotzki schrieb dazu:

Der internationale Charakter der sozialistischen Revolution, der den dritten Aspekt der Theorie der permanenten Revolution bildet, ergibt sich aus dem heutigen Zustande der Ökonomik und der sozialen Struktur der Menschheit. Der Internationalismus ist kein abstraktes Prinzip, sondern ein theoretisches und politisches Abbild des Charakters der Weltwirtschaft, der Weltentwicklung der Produktivkräfte und des Weltmaßstabes des Klassenkampfes. Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden. Sie kann aber nicht auf diesem Boden vollendet werden. Die Aufrechterhaltung der proletarischen Revolution in nationalem Rahmen kann nur ein provisorischer Zustand sein, wenn auch, wie die Erfahrung der Sowjetunion zeigt, einer von langer Dauer. Bei einer isolierten proletarischen Diktatur wachsen die inneren und äußeren Widersprüche unvermeidlich zusammen mit den wachsenden Erfolgen. Isoliert bleibend, muss der proletarische Staat schließlich ein Opfer dieser Widersprüche werden. Der Ausweg besteht für ihn nur in dem Siege des Proletariats der fortgeschrittenen Länder. Von diesem Standpunkte aus gesehen, ist eine nationale Revolution kein in sich selbst verankertes Ganzes: Sie ist nur ein Glied einer internationalen Kette. Die internationale Revolution stellt einen permanenten Prozess dar, trotz aller zeitlichen Auf- und Abstiege.[15]


[1]

Diskussionsbulletin der SWP, Jg. 20, Nr. 15, September 1959, S. 8.

[2]

Ebd., S. 4.

[3]

Ebd., S. 8–9.

[4]

Ebd., S. 12.

[5]

International Committee of the Fourth International (ICFI), The Carleton Twelve, New York 1981.

[6]

Siehe: David North, »Der Prozess gegen die SWP – Was die Tatsachen zeigen«, in: Vierte Internationale, Jg. 13, Nr. 2, Herbst 1986, S. 165–183.

[7]

Joseph Hansen, Dynamics of the Cuban Revolution: The Trotskyist View, New York 1978, S. 75.

[8]

John Griffiths und Peter Griffiths (Hrsg.), Cuba: The Second Decade, London 1979, S. 19.

[9]

Zitiert in: Hansen, Dynamics, S. 257.

[10]

Wladimir I. Lenin, »Die Agrarprogramme der Sozialrevolutionäre und der Sozialdemokraten«, in: Werke, Bd. 40, Berlin 1964, S. 43.

[11]

Hansen, Dynamics, S. 258–259.

[12]

Zitiert in: ebd., S. 259.

[13]

Ebd., S. 260–261.

[14]

Ebd., S. 265.

[15]

Leo Trotzki, Die permanente Revolution. Ergebnisse und Perspektiven, Essen 2016, S. 133–134.