David North
Das Erbe, das wir verteidigen

Die SWP und die McCarthy-Ära

Trotz des Ausschlusses der Cochran-Fraktion im Herbst 1953 war die politische Krise in der Socialist Workers Party nicht gelöst worden. Nach der Spaltung hatte die SWP immer noch mit den insgesamt ungünstigen objektiven Bedingungen zu kämpfen. Der steigende Lebensstandard von Millionen Gewerkschaftern, den Cannon als eine materielle Grundlage von Opportunismus und Liquidatorentum identifiziert hatte, verstärkte den politischen Konservatismus der Arbeiterbewegung und festigte den Würgegriff der rechten AFL- und CIO-Bürokratien, die sich 1955 auf der Grundlage eines prokapitalistischen Programms vereinigten.

Während des Kampfs gegen Cochran hatte Cannon bemerkt, die schlimmste Folge der schwindenden Militanz der Arbeiter und der Isolation der Partei bestehe darin, dass der SWP eine frische Generation versagt blieb, um die Reihen der alten Führung aufzufüllen. Die Auswirkungen dieser »verlorenen Generation« auf die Partei machten sich besonders Mitte der fünfziger Jahre bemerkbar. Lenin hatte einmal gescherzt, Revolutionäre sollte man am besten erschießen, bevor sie älter als 50 Jahre werden! Nach dieser Richtschnur wäre 1954 ein guter Teil der SWP reif zur Exekution gewesen. Die alten Führer der Partei – Cannon, Skoglund, Dunne, Swabeck – waren bereits in ihren Sechzigern und (Skoglund) Siebzigern. Selbst Dobbs war Ende vierzig und machte einen wesentlich älteren Eindruck.

So richtig der Kampf gegen Cochran in den USA und gegen den Pablismus international auch gewesen war, konnte er doch angesichts des gewaltigen Klassendrucks, der im Zentrum des Weltimperialismus auf der Bewegung lastete, keine automatische Garantie gegen politische Degeneration bieten. Darüber hinaus hatte Cannon nur unter großen Schwierigkeiten im Nationalkomitee eine Mehrheit für den Kampf gegen Cochran gewonnen. Das deutete darauf hin, dass Cochran und Clarke nur die offensten Vertreter einer politischen Position waren, die mehr oder weniger von einer breiten Schicht SWP-Führer geteilt wurde, obwohl sie dem »Offenen Brief« zugestimmt hatten.

Das klarste Anzeichen für die politische Desorientierung der SWP war ihre Reaktion auf die 1953–1954 hereinbrechende McCarthy-Ära. Sie kam zu der Schlussfolgerung, dass der Kommunistenjäger und Senator der Republikanischen Partei der Führer einer in ihrer Entstehung begriffenen faschistischen Massenbewegung sei, die sich in den USA auf die Macht­eroberung vorbereite. Diese Behauptung war völlig impressionistisch und falsch. Sie drückte die Demoralisierung und den Pessimismus aus, die von der SWP-Führung Besitz ergriffen hatten.

Im März und April 1954 schrieb Cannon eine Artikelserie, in der er eine völlig andere Definition des Faschismus einführte, als Trotzki in den zwanziger und dreißiger Jahren herausgearbeitet hatte. In seinen Schriften über Piłsudski in Polen und besonders den Nationalsozialismus in Deutschland hatte Trotzki betont, dass sich der Faschismus von anderen Formen bürgerlicher Reaktion darin unterscheidet, dass er die Masse des durch den Kapitalismus in den Ruin getriebenen Kleinbürgertums gegen die Arbeiterbewegung mobilisiert und sich die völlige Zersplitterung der Arbeiterklasse zum Ziel setzt. Wenn die Gesellschaft in eine derartige Krise geraten ist, dass die Bourgeoisie alle Möglichkeiten im Rahmen der parlamentarischen Demokratie ausgeschöpft hat und nicht einmal die weitreichendsten Zugeständnisse der Arbeiterbürokratie den objektiven Erfordernissen des Kapitalismus mehr Genüge tun können, wenn die kapitalistische Herrschaft die völlige Zerschlagung jeglichen organisierten Widerstands der Arbeiterklasse gegen die Macht des Kapitals erfordert, dann greift die Bourgeoisie zur Schaffung einer faschistischen Massenbewegung. Trotzki erklärte dazu:

Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen, Gewalttaten, Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten. Hierzu ist die physische Vernichtung der revolutionären Arbeiterschicht nicht ausreichend. Es heißt, alle selbständigen und freiwilligen Organisationen zu zertrümmern, alle Stützpunkte des Proletariats zu vernichten und die Ergebnisse von einem dreiviertel Jahrhundert Arbeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften auszurotten. Denn auf diese Arbeit stützt sich in letzter Instanz auch die Kommunistische Partei.[1]

Trotzki hob immer wieder den kleinbürgerlichen Charakter einer solchen Bewegung hervor und grenzte den Faschismus gegenüber selbst den brutalsten Polizei- und Militärdiktaturen ab. Außerdem bestand Trotzki darauf, dass der Faschismus erst dann an die Macht kommen kann, wenn sich die Arbeiterklasse wegen des Verrats ihrer Führung endgültig als unfähig erwiesen hat, die Krise der Gesellschaft auf revolutionärem Wege zu lösen, und das verzweifelte Kleinbürgertum dadurch der Konterrevolution in die Arme getrieben wird. Wir zitieren wieder Trotzki:

Die Reihe ist ans faschistische Regime gekommen, sobald die »normalen« militärisch-polizeilichen Mittel der bürgerlichen Diktatur mitsamt ihrer parlamentarischen Hülle für die Erhaltung des Gleichgewichts der Gesellschaft nicht mehr ausreichen. Durch die faschistische Agentur setzt das Kapital die Massen des verdummten Kleinbürgertums in Bewegung, die Banden deklassierter, demoralisierter Lumpenproletarier und all die zahllosen Menschenexistenzen, die das gleiche Finanzkapital in Verzweiflung und Elend gestürzt hat. Vom Faschismus fordert die Bourgeoisie ganze Arbeit: Hat sie einmal die Methoden des Bürgerkriegs zugelassen, will sie für lange Jahre Ruhe haben … Die Faschisierung des Staates bedeutet nicht nur Mussolinisierung der Verwaltungsformen und -methoden – auf diesem Gebiete sind die Veränderungen letzten Endes von zweitrangigem Charakter –, sondern vor allem und hauptsächlich Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen, Zurückwerfung des Proletariats in amorphen Zustand, Schaffung eines Systems tief in die Massen dringender Organe, die eine selbständige Kristallisierung des Proletariats unterbinden sollen. Eben darin besteht das Wesen des faschistischen Regimes.[2]

Die Bedingungen in den Vereinigten Staaten 1953–1954 hatten nicht das Geringste mit den Verhältnissen gemeinsam, wie sie 1930–1933 in Deutschland oder 1920–1922 in Italien herrschten. Das Fehlen einer tiefen Wirtschaftskrise, die mit der Großen Depression vergleichbar gewesen wäre, schloss die Möglichkeit der Mobilisierung der amerikanischen Mittelklasse in einer wirklich faschistischen Massenbewegung aus. Hitler und Mussolini führten Massenbewegungen mit eigenen Stoßtrupps, deren bloßes Bestehen ein Beweis war für die Kraftlosigkeit der zerbröckelnden halbparlamentarischen Regierungen und das Herannahen des Bürgerkriegs. Ganz unabhängig von seinen persönlichen Eigenheiten, seinem privaten Ehrgeiz und seiner persönlichen Beliebtheit war McCarthy jedenfalls kein Führer einer Massenbewegung ähnlich der von Hitlers Partei geführten mit ihrer drei Millionen starken Privatarmee. McCarthy und seine Politik wiesen zwar Merkmale auf, die der politischen Physiognomie einer amerikanischen faschistischen Bewegung entsprechen würden, aber die gesellschaftlichen Umstände, die solche Demagogen zu faschistischen Führern werden lassen, bestanden 1953–1954 nicht. Das Fehlen solcher objektiver Voraussetzungen für die Entwicklung einer faschistischen Bewegung kam zudem darin zum Ausdruck, dass McCarthy der Mittelklasse abgesehen von seiner antikommunistischen Raserei kein soziales Programm bot, auf das sich eine Massenbewegung hätte gründen können. Hierin unterschied er sich nicht nur von Hitler – der sich als Führer einer »antikapitalistischen, nationalen Volksrevolution« bezeichnet hatte –, sondern auch von potenziellen Führern keimender amerikanischer faschistischer Bewegungen wie Huey Long oder Father Coughlin.

Die SWP schrieb dem Senator von Wisconsin eine Machtfülle zu, die er nicht hatte. Wenn der amerikanische Faschismus auch ein eigenes Antlitz hätte, das sehr verschieden von den deutschen und italienischen Mustern wäre, so müsste er doch wie diese europäischen Vorläufer über eine Massenbasis in der Mittelklasse verfügen.

Aber gerade diese hatte er nicht. In Wirklichkeit war die Hexenjagd McCarthys ein Auswuchs, mit dem die amerikanische herrschende Klasse auf die extreme Krise des amerikanischen Imperialismus in der Nachkriegsperiode reagierte. Die von 1947–1954 andauernde Hexenjagd diente als Hilfsmittel der amerikanischen Außenpolitik, um jede Opposition gegen die militaristische Politik gegenüber der Sowjetunion zu ersticken. Unter Bedingungen, wo die Bourgeoisie nicht direkt gegen die gewerkschaftlichen Massenorganisationen vorgehen konnte, die die Arbeiterklasse während der vorangegangenen zwanzig Jahre aufgebaut hatte, diente McCarthys Politik gleichzeitig dazu, die Position der antikommunistischen AFL- und CIO-Bürokratien zu stärken und so die politische Unterordnung der Arbeiterklasse unter den Kapitalismus aufrechtzuerhalten.

Trotz wütender Kommunistenhatz vermied daher McCarthy im Allgemeinen offene Angriffe auf die Arbeiterbewegung und machte keinen Versuch, von seiner Hexenjagd zum direkten Angriff auf wesentliche Errungenschaften der CIO überzuleiten. Der Grund war nicht einfach, dass große Teile der AFL- und CIO-Führungen seine Hexenjagd unterstützten und sich eifrig bemühten, die Flammen des Antikommunismus anzufachen, um Sozialisten und Radikale aus der Arbeiterbewegung zu vertreiben. Jeder Versuch, McCarthys Hexenjagd in ein Instrument für gewaltsame Angriffe auf die Gewerkschaftsbewegung zu verwandeln, hätte einen direkten Schritt der amerikanischen herrschenden Klasse zum Bürgerkrieg bedeutet und damit in der Arbeiterbewegung gerade die Radikalisierung hervorgerufen, der die Bourgeoisie aus dem Weg gehen wollte. Die Reaktion der Hafenarbeiter von San Francisco auf Pläne, in ihrer Stadt lokale antikommunistische Anhörungen abzuhalten, zeigte, dass die Unternehmer mit dem Feuer spielten, als sie versuchten, die hysterische Atmosphäre von McCarthys politischer Hexenjagd zur Zerschlagung einer Gewerkschaft auszunutzen.

Wie alle Demagogen ging McCarthy gelegentlich weiter, als seine großkapitalistischen Zahlmeister wünschten. Aber als er Mitte 1954 über die Stränge schlug und die Armee anzugreifen begann, stutzte ihm die Bourgeoisie empfindlich die Flügel. Die Anhörungen zu McCarthy und der Armee beendeten die Karriere des Senators als ernst zu nehmende politische Kraft.

Trotzdem fuhr die Socialist Workers Party fort, die Stärke von McCarthys Bewegung maßlos zu übertreiben. Die für die Sechzehnte Nationale Konferenz im Herbst 1954 ausgearbeitete Resolution befasste sich ausschließlich mit McCarthy und seiner Politik. Schon der erste Absatz zeigte, in welchem Maße die ungünstigen Bedingungen die SWP politisch aus dem Lot gebracht hatten:

Die wichtigste weltpolitische Entwicklung seit der Niederlage von ­MacArthurs Truppen am Fluss Yalu ist die Entstehung einer faschistischen Bewegung unter McCarthy in den Vereinigten Staaten. Sollte es dieser Bewegung gelingen, die Macht zu erobern und die amerikanische Arbeiterbewegung zu zerschlagen, dann würde dies den Untergang der Zivilisation bedeuten, denn der Dritte Weltkrieg – ein mit Atomwaffen geführter interkontinentaler Krieg – würde nicht lange auf sich warten lassen. In einem solchen Krieg könnte die gesamte Menschheit vernichtet werden. Wenn andererseits die Arbeiterklasse gegen die McCarthy-Politik mobil macht, dann würde die Stoßkraft ihrer Bewegung den Sieg einer Arbeiter- und Bauernregierung in Amerika auf die Tagesordnung stellen. Das wäre das Ende der McCarthy-Politik und des internationalen Kapitalismus mit allen seinen Schrecken. Der Kampf gegen die McCarthy-Politik ist deswegen von entscheidender Bedeutung für die ganze Welt.[3] (Hervorhebung hinzugefügt)

Die SWP zog das Ergebnis der Anhörungen zu McCarthys Aktivitäten in der Armee, die alsbald von einem offiziellen Tadel des Senats gefolgt wurden, nicht in Betracht und behauptete halsstarrig, McCarthys Bewegung werde »von den alten kapitalistischen Parteien weder besiegt noch gebändigt werden …«

Sämtliche Versuche der Demokraten und Republikaner, McCarthy zu zügeln, niederzuschlagen, zu überflügeln oder wegzufegen, sind kläglich gescheitert. Die Anhörungen zu McCarthy und der Armee zum Beispiel, ein Ergebnis des Bedürfnisses der Eisenhower-Administration, McCarthys Machtanmaßung Grenzen zu setzen, kosteten den faschistischen Demagogen lediglich seinen jüdischen Anwalt von der Demokratischen Partei, den er als Sündenbock opferte.

Auf der anderen Seite dienten die Anhörungen als Kampferfahrung für McCarthys Massenanhängerschaft. Alles deutet darauf hin, dass der harte Kern fester wurde und sich enger unter dem Banner des faschistischen Demagogen zusammenschloss. Zwar fühlten sich einige entferntere Anhänger von McCarthys grobschlächtigem Auftreten abgestoßen. Aber der Gedanke, dies sei ein ernsthafter Rückschlag für die faschistische Bewegung, ist wahrhaft verrückt. Auch bei Hitlers Aufstieg war die Mittelklasse heftig in Anhänger und Gegner gespalten, mit unzähligen Schwankungen und Auseinandersetzungen. Allein die Tatsache, dass in den Anhörungen die Frage »Für oder gegen McCarthy?« gestellt wurde, war ein großer Fortschritt für den amerikanischen Faschismus. Darüber hinaus lenkten die Anhörungen die Aufmerksamkeit von Millionen auf das unverzichtbare Symbol der Person des Führers in der nationalen politischen Arena. Daran wird sich nichts ändern, bis die Arbeiterklasse mit dieser Frage endgültig aufräumt.

Der Kampf, der während der Anhörungen offen sichtbar wurde, bewies anschaulich, dass McCarthys Bewegung nicht einfach eine neue persönliche Clique ist, derer sich die Politiker des kapitalistischen Apparats entledigen können, sobald sie die Grenzen des in der bürgerlich-demokratischen Politik Erlaubten überschreitet. Es ist ein neuer Typus von Apparat mit einer unabhängigen Macht, die auf seiner Massenbasis beruht.[4]

Diese »Massenbasis« war eine Erfindung der SWP. Sie existierte nicht und konnte auch gar nicht existieren, aus Gründen, auf die die SWP selbst in ihrer Resolution anspielte:

Tatsache ist, dass ein großer Teil der Bevölkerung immer noch von dem beispiellosen Wirtschaftsboom profitiert, der mit Amerikas Eintritt in den Zweiten Weltkrieg begann.

Dies gilt insbesondere für die breiten Schichten des Kleinbürgertums und auch für Schichten der Arbeiterklasse, die sich eines früher undenkbaren Lebensstandards erfreuen. Millionen von Familien, die während der Depression Armenhilfe bezogen, besitzen jetzt Farmen, Häuser, Autos, Fernseher usw.[5]

Um den Widerspruch zwischen dem relativen Wohlstand der Mittelklasse und dem Ruin, der erst die Voraussetzung für eine faschistische Massenbewegung bilden würde, zu überbrücken, griff die SWP auf eine reichlich verworrene idealistische Theorie zurück: »Die Angst vor einer neuen wirtschaftlichen Katastrophe wie 1929–1939 war bereits genug, um sie [die Mittelklasse] in ein Rekrutierungsfeld für den Faschismus zu verwandeln.«[6]

Hinter diesen absurden Theorien steckte eine Mischung aus Verzweiflung und Frustration. In ihrer Ratlosigkeit, wie sie die Arbeiterklasse erreichen könnten, verfielen die SWP-Führer auf die Idee, sie mit dem Schreckgespenst einer unmittelbaren faschistischen Bedrohung in Aktionen zu jagen. Aber dabei redeten sie nur sich selbst Angst ein und machten den Weg frei zu weiteren, noch schwerwiegenderen Abweichungen vom Marxismus. Zur Rechtfertigung ihrer Darstellung von McCarthy als dem Führer einer faschistischen Massenbewegung, die die traditionellen bürgerlich-demokratischen Politiker bedroht, verzerrte die SWP zum Beispiel den wirklichen Charakter der Eisenhower-Administration und ihrer Beziehung zu McCarthy: »Das Zerwürfnis zwischen dem seit Kurzem nach Eisenhowers Justizminister benannten ›Brownellismus‹ und dem McCarthyismus ist ein Zerwürfnis zwischen bonapartistischen und faschistischen Strömungen in der amerikanischen Politik.«[7]

Die SWP lehnte zwar nach wie vor jede politische Anpassung an die traditionellen bürgerlichen Parteien im Namen des Kampfs gegen McCarthy ab, begab sich aber auf dünnes Eis, als sie derart scharfe Unterschiede zwischen den verschiedenen Teilen der Bourgeoisie auszumachen versuchte. »Wer glaubt, Brownell sei eine größere Gefahr als McCarthy, unterschätzt gröblich, was in Amerika passieren würde, wenn McCarthy im Weißen Haus säße.«[8]

Jeder politischen Linie wohnt eine unsichtbare Logik inne. Die übertriebenen und künstlichen Unterscheidungen der SWP zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie, zwischen »Brownells Bonapartismus« und »McCarthys Faschismus«, zeigten einen Hang zu einer Perspektive, in der alles Gewicht auf die Verteidigung der Demokratie fällt, anstatt auf den Kampf für den Sozialismus und die proletarische Diktatur. In dem Abschnitt »Der Kampf um die Arbeitermacht« brachte die Resolution gerade eine solche Verschiebung zum Ausdruck:

Der Kampf gegen den McCarthyismus muss als landesweiter Kampf aufgefasst werden, in dem die Arbeiterklasse die Interessen des ganzen Volks und des ganzen Landes vertritt. Am Ende ihrer geschichtlichen Laufbahn greift die Kapitalistenklasse auf die bestialischsten Herrschaftsformen zurück. Die traditionellen Bannerträger demokratischer Parolen, die Liberalen, standen zunächst händeringend vor den Einschränkungen demokratischer Rechte, beklagten diese Entwicklung und warnten unaufhörlich vor der Beschädigung des Ansehens Amerikas, die der McCarthyismus im Ausland anrichte. Aber zu guter Letzt schlossen sie sich der Hetzjagd an und versuchten, ihre Zügel selbst in die Hand zu bekommen …

Traditionelle Parolen wie Gedankenfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht zu Wahlkandidatur, Gleichheit vor dem Gesetz und vor Gericht werden daher zu zentralen Parolen im Kampf gegen die amerikanische Form des Faschismus.[9] (Hervorhebung hinzugefügt)

Ausgehend von einer unzutreffenden Beurteilung von McCarthy gelangte die SWP zu einer Position, die das Hauptgewicht eher auf demokratische Parolen als auf Übergangsforderungen legte. Mit anderen Worten, ihre falsche Analyse über McCarthy beinhaltete die Gefahr einer Neudefinierung der Rolle der SWP – nicht mehr als Führerin der sozialistischen Arbeiterrevolution, sondern als konsequenteste Verteidigerin der bürgerlichen Demokratie. Gesteigert wurde diese Gefahr dadurch, dass die SWP, während sie McCarthy als Führer einer einflussreichen faschistischen Bewegung darstellte, offen zugab, dass dieser keine revolutionäre Massenbewegung der Arbeiterklasse gegenüberstehe.

Eine eindeutig opportunistische Rechtfertigung für die Haltung der SWP zu McCarthy, die tatsächlich geeignet war, einer Kapitulation vor dem Liberalismus den Weg zu bereiten, lieferte Joseph Hansen. Hansen unterbrach seine Arbeit an einer exzentrischen, hanebüchenen Polemik, die er unter dem Pseudonym Jack Bustelo über Fragen der Kosmetik und weiblichen Schönheit schrieb (»Gloria Swansons Verständnis dieser Frage entspricht ganz offensichtlich der eines Marxisten …«), und widmete sich der Beantwortung der Kritik der Vern-Ryan-Tendenz, die es ablehnte, McCarthy als faschistischen Führer zu definieren. Das Auffälligste an Hansens Antwort war, dass er einen unversöhnlichen Gegensatz zwischen Liberalismus und Faschismus konstruierte. Er wandte sich dagegen, dass Vern und Ryan einige Senatoren als »potenzielle Faschisten« bezeichneten, strich vor allem den Konflikt zwischen McCarthy und den Liberalen im Senat heraus und stellte die Frage:

Sollte sich die Arbeiterklasse in diesem Zweikampf zwischen den Liberalen und den Faschisten enthalten und beide gleichermaßen verurteilen? Sollten wir uns entsprechend Verns und Ryans Methode weigern, McCarthy »irgendwie von den anderen Vertretern des Kapitalismus« abzuheben und ihn wie sie einfach als einen »bürgerlichen Demokraten« mehr bezeichnen? Das hieße, eine enthaltsame Politik zu betreiben und McCarthy in Wirklichkeit die Arbeit zu erleichtern.

Die richtige Linie gründet sich auf den gewaltigen Unterschied zwischen den Liberalen und den Faschisten. Wir verteidigen die demokratischen Formen gegen die faschistische Bedrohung. Dabei greifen wir die Liberalen dafür an, dass sie ihrer historischen Funktion nach Wegbereiter des Faschismus sind und das Volk an McCarthy verraten. Ausgehend von den Zugeständnissen der Liberalen an die Faschisten – Zugeständnisse, die der Arbeiterbewegung schwere Schläge versetzen – weisen wir die Notwendigkeit der Entmachtung der Liberalen nach.[10]

Abgesehen von der unrichtigen Einschätzung McCarthys ist die Anrufung gewaltiger Unterschiede »zwischen den Liberalen und den Faschisten« eine Verdrehung des Marxismus. Hansen tat so, als entspräche der Liberalismus irgendwie den sozialdemokratischen Organisationen der Arbeiterklasse. Den Liberalen als direkten Vertretern der Bourgeoisie kann man nicht in gleicher Weise zum Vorwurf machen, »das Volk zu verraten«, wie Marxisten die Sozialdemokraten, Stalinisten und Gewerkschaftsbürokraten des Verrats an der Arbeiterklasse bezichtigen. Der Gegensatz zwischen Faschismus und Sozialdemokratie besteht (ungeachtet der reaktionären Positionen ihrer Vertreter) auf einer völlig anderen Ebene als der Gegensatz zwischen Faschismus und Liberalismus. Im ersteren Fall besteht ein unversöhnlicher Klassengegensatz in der sozialen Basis, der im Konflikt zwischen Faschismus und Liberalismus nicht existiert. Für die Arbeiter bedeutet Faschismus Hungersnot, Reduzierung auf zersplitterte Leibeigenschaft, Vernichtung ihrer Existenz als organisierte gesellschaftliche Kraft. Für die Liberalen bedeutet der Faschismus, wie Felix Morrow einmal schrieb, lediglich »kleinere Unannehmlichkeiten«, die kein einziges der vitalen Interessen ihrer Klasse bedrohen.

Als Liberale wie Hubert Humphrey ein Verbot der Kommunistischen Partei forderten und mithalfen, die antikommunistische Hysterie zu schüren, in der sich McCarthy entfalten konnte, verrieten sie das Volk ebenso wenig wie die Liberalen von heute, wenn sie Sozialleistungen kürzen und die Zerschlagung von Gewerkschaften unterstützen. So dienen sie der Kapitalistenklasse, die sie vertreten.

Mit seinem Vorwurf an die Liberalen, »das Volk an McCarthy zu verraten«, sprach Hansen die Sprache des Stalinismus und der Klassenkollaboration und verließ den revolutionären Standpunkt des Proletariats. Außerdem äußerte er damit indirekt die Ansicht, dieser »Verrat« könne unterbunden werden, wenn diese bürgerlich-demokratischen Hüter des kapitalistischen Staats nur Vernunft annehmen und gegen McCarthy einschreiten würden. Aber gerade diese Position, nämlich den Ruf nach dem Staat im Kampf gegen den Faschismus, lehnte Trotzki in seiner flammenden Kritik an der deutschen Sozialdemokratie während Hitlers Aufstieg zur Macht nachdrücklich ab: »Angesichts des herannahenden Zusammenstoßes zwischen Proletariat und faschistischem Kleinbürgertum – beide Lager bilden zusammen die überwältigende Mehrheit des deutschen Volks – rufen die Marxisten vom ›Vorwärts‹ den Nachtwächter zu Hilfe. ›Staat greif ein!‹«[11]

Von Hansens Standpunkt aus hätten Marxisten den Tadel des Senats gegen McCarthy als positiven Schritt begrüßen müssen, der zumindest kritische Unterstützung verdient hätte.

Selbst ohne diese Schlussfolgerung wurde die fehlerhafte Einschätzung von McCarthy – ursprünglich das Ergebnis von tiefem Pessimismus und Entmutigung angesichts der politischen Regungslosigkeit der amerikanischen Arbeiterklasse – zum Ausgangspunkt für eine opportunistische ­Position in Fragen des kapitalistischen Staats und der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie. Die SWP änderte auf ihrer Sechzehnten Nationalen Konferenz im Dezember 1954 zwar ihre Linie zu McCarthy, aber die Korrektur, von Morris Stein bei Ankunft der Delegierten vorgetragen, wurde nur oberflächlich erklärt und begründet. Die tieferliegenden Probleme in den politischen Perspektiven der SWP und ihre opportunistischen Neigungen in der Frage der bürgerlichen Demokratie wurden nicht untersucht. So wurde der Boden bereitet für zukünftige, weit ernstere politische Fehler.

Bevor wir fortfahren, wollen wir kurz auf Banda zurückkommen. Er erwähnt Cannons unzutreffende Einschätzung zu McCarthy in seinem üblichen bombastischen Stil (»Diese Diagnose bewies, dass er über die Klassenbeziehungen in den USA noch weniger Bescheid wusste als über Faschismus«). Aber Banda analysiert nicht den politischen Inhalt und theoretischen Charakter dieses Irrtums und seine wirkliche Rolle in der Degeneration der SWP. So nachlässig und bar jeder gewissenhaften Nachforschung ist seine »Arbeitsmethode«, dass er die McCarthy-Episode chronologisch in einem völlig falschen Zusammenhang anführt – nach seiner Hetze gegen den Zweiten Weltkongress von 1948! Banda geht sogar so weit, zu behaupten, nachdem die SWP die McCarthy-Zeit als Faschismus bezeichnet hätte, »hörte man fortan kein Wort mehr über die Thesen von 1946. Auch Trotzkis beharrliche Forderung, dass die SWP für eine Arbeiterpartei kämpfen muss, die sich auf die Gewerkschaften stützt, wurde stillschweigend fallengelassen.«

Der spöttische Vorwurf, die SWP habe die Thesen von 1946 fallengelassen, zeigt, dass Banda die Chronologie der Ereignisse hoffnungslos durchein­anderwirft. Es scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen, dass die McCarthy-Frage in ein ganz anderes Jahrzehnt in der Geschichte der SWP gehört. In der revolutionären Politik sind acht Jahre eine sehr lange Zeit. Selbst wenn die SWP die Thesen von 1946 nicht mehr als Grundlage ihrer tagtäglichen Agitation verwendet hätte, könnte man ihr daraus keinen Vorwurf machen. Schließlich waren von 1946 bis 1954 ein paar Kleinigkeiten passiert – etwa die Stabilisierung des Kapitalismus nach dem Krieg. Bandas Verwirrung bei den Daten ist keine geringe Frage, vielmehr kommt darin das Fehlen einer umfassenden historischen Perspektive und seine Unfähigkeit zum Ausdruck, den inneren Zusammenhang der Ereignisse zu verstehen.

Was Bandas Bemerkung über das angebliche Fallenlassen der Taktik einer Arbeiterpartei angeht, so müssen wir unsere Leser abermals davon in Kenntnis setzen, dass Michael Banda über Dinge redet, von denen er nicht die geringste Ahnung hat. Trotz der Fehleinschätzung über McCarthy bemühte sich die SWP noch, ihre Agitation gegen diesen Demagogen mit ihrer traditionellen Kampagne für eine Arbeiterpartei zu verbinden. Cannon widmete die letzten beiden Folgen seiner Artikelserie über McCarthy genau dieser Frage. In »The Militant« vom 19. April 1954 schrieb Cannon in einem Artikel mit der Überschrift »Der Faschismus und die Arbeiterpartei«:

Ich denke, man kann mit Recht sagen, dass die Bildung einer Arbeiterpartei das Mindeste ist, was einen wirklichen ersten Schritt zu einem ernsthaften Kampf gegen den amerikanischen Faschismus bilden würde. Solange die Gewerkschaften sich an die Demokratische Partei binden und ihr Schutz vor einer auf die Konterrevolution eingeschworenen faschistischen Partei von kapitalistischen Politikern abhängt – haben sie den Kampf noch nicht einmal begonnen …

Aus diesem Grund ist es völlig richtig, die Parole einer Arbeiterpartei in den Mittelpunkt unserer Agitation zu stellen und alle Agitation um diesen Kernpunkt zu konzentrieren.[12]

Cannon führte seine Gedanken zu dieser Frage in einem Artikel mit der Überschrift »Implikationen der Arbeiterpartei« in »The Militant« vom 26. April 1954 näher aus. Er begann mit den Worten:

Die formelle Gründung einer unabhängigen Arbeiterpartei, der sich abzeichnende nächste Schritt in der ersten Mobilisierung der amerikanischen Arbeiterklasse gegen eine wachsende faschistische Bewegung, wird in diesem Land einschlagen wie eine Bombe, die in alle Himmelsrichtungen explodiert. Nicht nur, dass sie das traditionelle Zweiparteiensystem in diesem Land sprengen und eine grundlegend neue Ausgangslage in der amerikanischen Politik überhaupt schaffen wird, sie wird außerdem den Beginn einer großen Umwälzung in der Arbeiterbewegung selbst bezeichnen. Dieses zweite Ergebnis wird nicht weniger bedeutsam sein als das erste, und man sollte darauf vertrauen …

Die Vorstellung, die jetzigen offiziellen Führer könnten die große Wende von der Demokratischen Partei hin zu unabhängiger Arbeiterpolitik vollziehen und in einer völlig neuen und andersartigen Situation ihre Führungsrolle unangefochten behalten, heißt die grundlegenden Ursachen missachten, die sie zu dieser Wende zwingen werden: die Radikalisierung der Basis und deren Revolte gegen die alte Politik. Welche Form ihre Entstehung auch annehmen wird, eine Arbeiterpartei wird das Ergebnis eines radikalen Aufstands in den Reihen der Gewerkschaftsmitglieder sein. Je mehr sich die Amtsinhaber der großen Veränderung widersetzen, desto stärker wird das Streben nach einer neuen Führung werden. Selbst wenn die jetzigen Führer die Arbeiterpartei zunächst unterstützen, werden sie wegen ihrer Säumigkeit harter Kritik ausgesetzt sein. Die wirkliche Bewegung für eine Arbeiterpartei, die von unten kommen wird, wird im Laufe ihrer Entwicklung eine neue Führung hervorbringen …

Revolutionäre dürfen nicht nur einfach als Befürworter einer Arbeiterpartei auftreten, wie jeder Arbeiterbetrüger, der Sonntagsreden über diese Idee hält. Eine Arbeiterpartei mit den heutigen Arbeiterverrätern an der Spitze wäre ein leichtes Opfer für den amerikanischen Faschismus. So sieht die Wahrheit aus, und das Eintreten für eine Arbeiterpartei ist nicht viel wert, wenn es diese Wahrheit verschweigt.[13]

Hier könnte man anmerken, dass Cannons Darstellung der Frage der Arbeiterpartei zwangsläufig beeinträchtigt war von der unrichtigen Einschätzung McCarthys und dass er die Beziehung zwischen dem Kampf für Marxismus in der Arbeiterklasse, dem Aufbau der revolutionären Partei und dem Kampf für die Arbeiterpartei nicht hinreichend herausarbeitete. Trotzdem widerlegen diese Artikel Bandas Behauptung, die SWP habe die Forderung nach einer Arbeiterpartei fallengelassen. Banda führt dies nur an, um seine Behauptung zu untermauern, der »Offene Brief« sei Bestandteil eines Plans von Cannon gewesen, vor der Gewerkschaftsbürokratie und der Demokratischen Partei zu kriechen – was zeigt, dass Banda über die historische Wahrheit noch weniger Bescheid weiß als über trotzkistische Prinzipien!


[1]

Leo Trotzki, »Was nun?«, in: Porträt des Nationalsozialismus, Essen 1999, S. 69.

[2]

Ebd., S. 81.

[3]

Diskussionsbulletin der SWP, A-20, September 1954, S. 1.

[4]

Ebd., S. 10–11.

[5]

Ebd., S. 5.

[6]

Ebd.

[7]

Ebd., S. 13.

[8]

Ebd., S. 12.

[9]

Ebd., S. 22.

[10]

National Education Department Socialist Workers Party, Education for Socialists: What is American Fascism?, Juli 1976, S. 42.

[11]

Leo Trotzki, »Was nun?«, in: Porträt des Nationalsozialismus, S. 74.

[12]

James P. Cannon, Notebook of an Agitator, New York 1973, S. 355–356.

[13]

Ebd., S. 357–358.